Ethik in TV-Serien
Für die anwendungsorientierte Ethik sind TV-Serien aus drei Gründen interessant: (1) Serien werden in spezifischen Kontexten produziert, vertrieben und konsumiert – und werfen damit individual- und sozialethische Fragen auf. (2) Moralische Konflikte sind Gegenstand ästhetisch gestalteter Serienwelten; dabei kann die narrative Ausgestaltung dieser Konflikte eine Tendenz zu moralisch eindeutigen Interpretationen zeigen. (3) Die Rezeption von Serien kann ästhetische Erfahrungen ermöglichen und so zu ethischer (Selbst-) Reflexion anregen.
(1) Serien werden produziert, vertrieben und konsumiert. Eine darauf bezogene ethische Reflexion beschäftigt sich mit Aspekten der gelebten Moral und den zugrundliegenden Handlungsbegründungen. Was die Produktion von Serien betrifft, ist dies etwa die Auseinandersetzung von Serienmacher*innen mit den Umweltauswirkungen der Produktionen sowie der Schaffung eines respektvollen Umfelds bei intimen Filmszenen. Hier handelt es sich um Felder, in denen sich der Unterhaltungssektor selbst um Regelwerke bemüht, die moralisch fragwürdiges Verhalten unterbinden. Allerdings kann sich Ethik nicht darauf beschränken, solche Entwicklungen normativ zu rekonstruieren, sondern sie wird es auch als ihre Aufgabe betrachten, zugrundeliegende Geltungsansprüche kritisch zu prüfen. Auch mit Blick auf den Konsum stellen sich ethische Fragen, wie etwa die Auswirkungen des Serienschauens auf das Leben der Zuschauer*innen (von den aufgebrachten zeitlichen und emotionalen Ressourcen bis hin zum ›Binge Watching‹) oder der hohe Energieverbrauch durch das Streaming von Serien.
(2) TV-Serien entfalten narrativ moralische und ethische Sachverhalte, und in diesem Sinne werden das Moralische oder das Ethische Themen von Erzählungen. Damit können Ethiker*innen rekonstruieren, wie ein moralischer Konflikt narrativ entwickelt wird, warum Personen so (und nicht anders) handeln oder welche Zusammenhänge ihr Handeln bedingen. Jedoch bilden TV-Serien Wirklichkeit nicht einfach nur ab, sondern sie gestalten sie narrativ, und damit auch die moralischen Zusammenhänge. Ethiker*innen haben entsprechend zu untersuchen, wie die narrative Konstruktion moralischer Konflikte die nachfolgende ethische Diskussion auf bestimmte Aspekte hin steuert und damit andere Aspekte aus dem Blick verliert.
(3) Ethische Fragen stellen sich zudem hinsichtlich der ästhetischen Erfahrung für die Reflexion lebensweltlicher Zusammenhänge. Zuschauer*innen stoßen in TV-Serien auf ästhetisch gestaltete Kontexte, die ihren Held*innen Handlungsalternativen erlauben oder verwehren. Zugleich bringen Zuschauer*innen ein (ihnen nicht immer völlig bewusstes) Wissen darüber mit, welches Handeln in welchen Kontexten angemessen oder unangemessen ist – und das selbst dann, wenn solche Kontexte ihren Lebenswirklichkeiten völlig fremd sind, etwa weil sie in der Vergangenheit, auf anderen Planeten oder in Phantasiewelten angesiedelt sind. Über dieses Wissen können die Zuschauer*innen das Handeln einer Person verstehend nachvollziehen, weil sie es nach den Regeln eines Genres als angemessen wahrnehmen. Dies ist selbst dann der Fall, wenn eine solche Handlung in ihrer eigenen Welt nicht nur unangemessen, sondern moralisch verwerflich wäre. Aus ethischer Perspektive können Handlungen, Situationen, Erlebnisse und Konflikte auch in solchen ungewöhnlichen Settings reflektiert werden. Unter Umständen ergeben sich dadurch neue Einsichten und ein erweitertes Problembewusstsein.
Insofern TV-Serien im Leben vieler Menschen eine große Rolle spielen und als Kulturphänomene die gesellschaftliche Auseinandersetzung um moralische Fragen beeinflussen, ergibt sich für die anwendungsorientierte Ethik ein weites Handlungsfeld in Forschung und Lehre. Das Projekt »Ethik in Serie« beschäftigt sich mit diesen ethischen Fragen zu TV-Serien. Bisher sind hierzu zwei Sammelbände erschienen. Im Sommersemester 2023 findet eine Ringvorlesung zum Thema im Studium Generale der Universität Tübingen statt.