AJR-Symposium 2015: Anfänge und Initiationen
-- Abstracts --
Paulus Kaufmann: "Kūkais doktrinäre Interpretation des esoterischen Initiationsritus Abhiṣeka"
Die Frage, ab wann der esoterische Buddhismus als eigenständige Schulrichtung auftritt, ist in der wissenschaftlichen Debatte bislang umstritten (s. Orzech 2011). Für einige Teilnehmer der Debatte existiert ein eigenständiger esoterischer Buddhismus erst in dem Moment, als Praktiken wie die Mantra-Rezitation, die Abgrenzung eines Mandala-Raumes und das Homa-Feuerritual, die zuvor bereits in anderen Kontexten existierten, in einem System zusammengefasst worden waren (z.B. Davidson 2002). Wissen über dieses System und die Erlaubnis, es zu benutzen, war denjenigen vorbehalten, die die esoterische Abhiṣeka-Initiation empfangen hatten (z.B. T39.736a). Auch für die Etablierung des esoterischen Buddhismus in Japan spielt das Abhiṣeka-Ritual, Jap. kanjō, eine große Rolle. So stützt Kūkai, der als Begründer des esoterischen Buddhismus in Japan gilt, seine Autorität wesentlich auf seine in China erlangte Initiation (z.B. T55.1060b21). Zudem führt er selbst Initiationen durch und weiht die zurückgetretenen Kaiser Heizei und Saga sowie andere bedeutende Mönche wie Saichō, Dōyū, Dōshō und Kenne (Abe 1999).
Auch das Abhiṣeka-Ritual hat jedoch schon vor seiner Integration in das System des esoterischen Buddhismus – und erst recht vor seiner Einführung nach Japan – eine längere Entwicklung durchgemacht und ist in verschiedenen Kontexten unterschiedlich verstanden worden. Seinen Ursprung hat das Ritual im indischen Krönungsritus (s. Ueda 1970), es ist aber auch als Ritual der Reinigung und der spirituellen Befreiung verstanden worden (s. Davidson 2011). Um die Bedeutung des Abhiṣeka-Rituals im frühen japanischen Buddhismus zu erfassen, ist es daher notwendig, die spezifischen Interpretationen dieser rituellen Form in Japan herauszuarbeiten. Eben dies möchte ich in meinem Vortrag versuchen. Hierfür werde ich vor allem Kūkais Texte Heizeitennō Kanjōmon und Hizōki (vor allem §58) analysieren, in denen er seine Interpretation dieses Initiationsrituals zum Ausdruck bringt. Während Abe die strategische Rolle, die das Abhiṣeka-Ritual in Kūkais weltlichen Ambitionen gespielt hat, betont (s. Abe 1999), geht es mir vor allem darum zu untersuchen, welchen Ort das Ritual in Kūkais doktrinärem System einnimmt und inwiefern es tatsächlich eine Art von Initiation für den Praktizierenden darstellt.
Bernhard Scheid (und Stefan Köck): "Shintō-uke: Die Anfänge der institutionellen Entflechtung von Tempeln und Schreinen im 17. Jh."
In der zweiten Hälfte des 17. Jh. hatte sich das sog. terauke oder danka System, das offiziell der Bekämpfung des Christentums diente, landesweit ausgebreitet und begann, sich institutionell zu festigen. Buddhistische Tempel erhielten dabei die staatlich sanktionierte Aufgabe, alle Mitglieder ihrer Gemeinden namentlich zu erfassen und ihnen eine Art Unbedenklichkeitszeugnis hinsichtlich ihrer religiösen Gesinnung auszustellen. Dies führte zu einer unvorhergesehenen Zunahme buddhistischer Institutionen, die von weltlichen Autoritäten durchaus als Problem wahrgenommen wurde. In einigen Daimyaten wurde daher damit experimentiert, Schreine anstelle von Tempeln mit der Ausstellung von Zertifikaten zu betrauen. Dieses System wird als shintō-uke bezeichnet. Im Zuge dessen kam es zu Phänomenen, wie sie auch aus der frühen Meiji-Zeit bekannt sind: Die erzwungene Entflechtung von Tempeln und Schreinen, die ja zumeist in gemischtreligiösen Komplexen koexistierten, ging offenbar mit anti-buddhistischen Ausschreitungen Hand in Hand. Es ist jedoch unklar, ob dies Ursache oder Folge von shintō-uke war, ob die Ausschreitungen spontan oder von oben gesteuert waren und ob sie sich gegen den Buddhismus insgesamt oder nur gegen einzelne Schulen richteten. Ebenso wäre zu klären, welchen Nutzen das System für Schreine brachte und welche konzeptionellen Veränderungen in der Vorstellung von „Shintō“ sich daraus ergaben. Shintō-uke scheint zwar einen Präzedenzfall für die shinbutsu bunri Politik der Meiji-Zeit dargestellt zu haben, doch muss das bislang kaum erforschte Phänomen erst in seiner gesamten Tragweite bestimmt werden, um weiterreichende Schlüsse ziehen zu können. Ein Projekt soll diese Fragen anhand des Beispiels von Okayama-han erörtern, wo shintō-uke unter Ikeda Mitsumasa (1609–1682) wahrscheinlich am konsequentesten vorangetrieben wurde. Das Projekt wurde von Stefan Köck (Bochum) und Bernhard Scheid (Wien) gemeinsam entwickelt und befindet sich derzeit in Begutachtung. Im Falle seiner Bewilligung soll es von Stefan Köck an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften durchgeführt werden.
Anne Lange: "Von Inflationsheiligen und Krisenreligionen: Japans Neue Religionen der Zwischenkriegszeit: Untersuchung am Beispiel der Meidōkai"
Dem Vortrag im Rahmen des Jahrestreffens des Arbeitskreises Japanische Religionen liegt die Frage zu Grunde ob die Meidōkai als Krisenreligion und ihr Gründer, Kishi Ichita, als Inflationsheiliger kategorisiert werden können. Bei der Meidōkai handelt es sich um eine 1928 gegründete neureligiöse Gruppierung, mit dem Arzt Kishi Ichita und dem angebliche Medium Kō Taigyō im Zentrum. Vor dem Hintergrund der Weltwirtschaftskrise Ende der 1920er Jahre und der sogenannten Shōwa-Isshin zu Beginn der 1930er Jahre stieg die Mitgliederzahl innerhalb kurzer Zeit auf ca. 3000 Personen an und sie geriet in den Fokus von Polizei und Staatsanwaltschaft.
Der Frage nach der Kategorisierung der Gruppierung und des Religionsstifters soll sich mit Hilfe theoretischer Ansätze zur Krisenreligion, angelehnt an die Untersuchung japanischer neureligiöser Gruppierungen der Nachkriegszeit von Neill McFarland und die funktionalistische Religionsdefinition Luhmanns, sowie zum Inflationsheiligentum, aufbauend auf der Analyse deutscher neureligiöser Gruppierungen um die Jahrhundertwende zum zwanzigsten Jahrhundert von Ulrich Linse, nachgegangen werden. Die Betrachtung dieses Einzelfalls kann als Ausgangspunkt für Überlegungen zur Einordnung Neuer Religion der Zwischenkriegszeit Japans dienen.
Robert Horres: "Riten des Anfangs und Übergangs im Kontext des Holzhandwerks"
Die moderne japanische Bauindustrie hat eine Reihe von Ritualen aus dem japanischen japanische Zimmerhandwerk übernommen. Robert Horres untersuchte in seinem Beitrag traditionelle und moderne Formen der Rituale im Kontext des Hausbaus in Japan. Im Mittelpunkt standen dabei insbesondere die exemplarische Betrachtung des Jichinshiki 地鎮式 (Befriedung der Erdgeister/gottheiten) und des Jōtōshiki上棟式 (Richtfest). Einen zweiten Schwerpunkt bildete die Untersuchung der Verwendung magischer Objekte an kritischen Stellen der Hauskonstruktion: am First, am Hauptpfeiler (daikokubashira 大黒柱) und am Dach. In Anlehnung an die Ritualdefinition von Jan Plavoet („Das Ritual in pluralistischen Gesellschaften“, 1996) wurde ein mehrdimensionaler Untersuchungsrahmen entwickelt, der einen Vergleich traditioneller und moderner Formen ermöglichte und Kontinuitäten und Diskontinuitäten aufzeigte. Der Vergleich traditioneller und moderner Formen der mit den verschiedenen Phasen des Hausbaus verbundenen komplexen Ritualstruktur ergab, dass in den betrachteten Ritualen – trotz Unterschieden hinsichtlich der beteiligten Gruppen und der Präsenz von Kultspezialisten – stabile „Kerne“ festzustellen sind, die als Übergangsriten klassifiziert werden können. Die Herkunft und Einordnung dieser rituellen Kerne (als Handwerkerritual oder als Shintō-Ritual) ist noch nicht eindeutig geklärt und bedarf weiterer Untersuchungen.
Christian Göhlert: "Geburtsgötter und Geburtsriten im japanischen Volksglauben"
Der Begriff ubugami (産神: Geburtsgottheit) dient als Sammelbegriff für eine Reihe inzwischen weitgehend in Vergessenheit geratener Gottheiten des japanischen Volksglaubens, die anders als die meisten anderen Gottheiten und Buddhas die mit der Geburt assoziierte rituelle Unreinheit überwinden und daher unmittelbar an Geburten teilnehmen und so als Schutzgottheiten für Mutter und Kind wirken konnten.
Dieser Beitrag stellt dar, wie der Begriff ubugami in der japanischen Volkskunde gehandhabt wird, und zeigt anhand der Beispiele der in ganz Japan als Geburtsgottheiten verehrten Besengottheiten einerseits und der Volkserzählungen des ubugami mondō-Komplexes andererseits, auf welchen Wegen sich die Forschung diesem Teil des japanischen Volksglaubens annähern kann.
Die wichtigsten Quellen zu Figuren wie den Besengottheiten, die als im Haushalt ansässige volkstümliche Gottheiten keine festen Kultstätten hatten und deren Verehrung meist außerhalb etablierter religiöser Institutionen stattfand, sind die von der japanischen Volkskunde seit ihrer Begründung als akademische Disziplin Anfang des 20. Jahrhunderts erarbeiteten Materialsammlungen. Hier finden sie sich zum einen im Zusammenhang der Darstellung der Rituale von Schwangerschaft und Geburt und zum anderen in oft in der Art von Stichwortlisten gehaltenen Zusammenstellungen zum Volks- und Aberglauben. Da die Sammlung und Ordnung umfangreichen Materials in der japanischen Volkskunde traditionell stets Vorrang vor der Analyse hat, bleibt es die Aufgabe des Forschers, das umfangreiche Material im Gesamtkontext des japanischen Volksglaubens zu verorten und es zu interpretieren. Die Besengottheiten stellen sich so als beispielhaft für viele der im traditionellen japanischen Haus ansässigen Gottheiten heraus, in denen sich Elemente von Götterglauben, ritueller Handlung und magischem Gegenstand in vielfältiger Weise überlagern.
Hinter dem Begriff ubugami mondō 産神問答, der sich grob mit „Diskussion der Geburtsgottheiten“ übersetzen ließe, verbirgt sich ein Komplex von Volkserzählungen, die in etwa dem entsprechen, was in der westlichen Erzählforschung als „Schicksalserzählungen“ bezeichnet wird. In diesen Erzählungen treten verschiedene ubugami als Schicksalsgottheiten auf, die nicht nur für die Absicherung der Geburt zuständig sind, sondern dem neugeborenen Kind auch sein Schicksal zuteilen. Während die Darstellung der ubugami in den volkskundlichen Datensammlungen meist sehr steril ausfällt, lässt die Art und Weise, wie sie in den Erzählungen präsentiert werden, oft interessante Rückschlüsse darauf zu, welche konkreten Vorstellungen man sich im Volksglauben von ihnen und ihrem Charakter machte.