Internationales Zentrum für Ethik in den Wissenschaften (IZEW)

Inklusives Katastrophenmanagement in Deutschland: Planlos, aber nicht hoffnungslos

Covid-19, der russische Angriffskrieg in der Ukraine, Hitzewellen und Hochwasser: Die Liste der Krisen und Extremereignisse, die ganz konkret auch Folgen für die Menschen in Deutschland hatten und haben, ist lang. Wenngleich diese Ereignisse auf die ein oder andere Weise uns alle treffen und betreffen, treffen und betreffen sie uns dabei doch nicht in gleicher Weise. Je nach individueller Verfassung und der Berücksichtigung verschiedener Lebenssituationen in den gesellschaftlichen Strukturen haben Menschen unterschiedliche Verletzlichkeiten, Unterstützungsbedarfe und Bewältigungskapazitäten. Doch wie gut sind Akteur*innen des Katastrophenmanagements in Deutschland eigentlich darauf vorbereitet?

Dieser Frage sind wir mit Fokus auf Menschen mit Behinderungen im Projekt KIM „Bestandsaufnahme zum Katastrophenmanagement und der Inklusion von Menschen mit Behinderungen“ von Oktober 2023 bis Februar 2024 im Auftrag von Aktion Deutschland Hilft e. V. nachgegangen. Auf Basis einer Dokumentenanalyse, Interviews, Fokusgruppendiskussionen und zwei Workshops haben wir dabei anhand von elf Indikatoren untersucht, inwieweit Menschen mit Behinderungen und ihre Unterstützungsbedarfe im Katastrophenmanagement in Deutschland aktuell mitgedacht werden.

Das Ergebnis: Unsere Studie stützt Einschätzungen anderer Stellen, wie beispielsweise der Vereinten Nationen, dass es in Deutschland bisher keine Strategie gibt, um Menschen mit Behinderungen sowie ihre Unterstützungsbedarfe und Fähigkeiten systematisch mitzudenken. Dabei legt die Studie erstmals umfassende Daten vor, welche in dieser Breite bisher fehlten. Diese zeigen deutlich, dass Menschen mit Behinderungen in Extremereignissen und Katastrophen auch in Deutschland vor zahlreichen Herausforderungen stehen und Maßnahmen, um sie in der Bewältigung dieser zu unterstützen, nicht in angemessener Weise zur Verfügung stehen. Beispielhaft lässt sich hier nennen, dass Informationen zur individuellen Notfallvorsorge,  Warnungen aber auch Notunterkünfte vielfach nicht barrierefrei sind. Ein Problem fällt dabei besonders ins Auge. Artikel 11 der Behindertenrechtskonvention, welcher sich mit dem Schutz von Menschen mit Behinderungen in Gefahrensituationen und humanitären Notlagen befasst, spielt weder in der Arbeit von Sicherheitsakteur*innen noch bei den Inklusionsakteur*innen und den Inklusionsaktionsplänen bisher eine große Rolle. In der Folge sieht sich aktuell kein*e Akteur*in konkret in der Verantwortung, inklusives Katastrophenmanagement umzusetzen. Damit einhergehend wundert es wenig, dass dieses Thema in der 2022 erschienen Resilienzstrategie der Bundesregierung quasi zum ersten Mal explizit angesprochen und mit Zielvorstellungen unterlegt wird.

Zugleich ist die Lage nicht hoffnungslos. So sind wir in der Studie auf zahlreiche verschiedene Ansätze, Maßnahmen und Forschungsdaten gestoßen, die vielversprechende Beiträge zu einer Verbesserung der Inklusivität des Katastrophenmanagements darstellen können. Als ein Beispiel sei hier die Website corona-leichte-sprache genannt, auf der Informationen über das Virus und Maßnahmen zum Umgang mit diesem in Leichter Sprache bereitgestellt werden. Mit der Zusammenführung dieser soll nicht nur ganz generell das Bewusstsein für das Thema erhöht werden. Auch sollen die verschiedenen Akteur*innen dazu ermutigt werden, auf Basis dieser Ansätze die eigenen Strukturen zu betrachten und/oder gegebenenfalls anzupassen. Weiterhin haben wir im Rahmen der Studie neun konkrete Handlungsbedarfe formuliert, deren Bearbeitung uns für die Beförderung der Inklusivität im Katastrophenmanagement in Deutschland essentiell erscheint. Diese verweisen ganz bewusst auch auf Spannungsfelder eines inklusiven Katastrophenmanagements, wie etwa Konkurrenzen zwischen Sicherheit und Teilhabe, für deren Aushandlung es breiterer gesellschaftlicher Debatten bedarf.

Damit die Studie und ihre Ergebnisse möglichst viele Stellen bei Sicherheits- und Inklusionsakteur*innen sowie Menschen mit Behinderungen und ihre Selbstvertretungsorganisationen erreicht, wurden die Ergebnisse der Studie in dreifacher Weise durch Aktion Deutschland Hilft e. V. herausgegeben: als Langfassung, als Kurzfassung sowie als Fassung in Leichter Sprache. Alle drei Fassungen wurden dabei in Zusammenarbeit mit dem Büro für Leichte Sprache in Köln zudem auf ihre Barrierefreiheit geprüft.

Verfasst von: Friedrich Gabel und Maira Schobert