Hintergrund und Anlässe der Studie
Katastrophenmanagement, verstanden als die Gesamtheit von Maßnahmen zur Katastrophenprävention, -vorsorge, -bewältigung und -verarbeitung, gewinnt seit einigen Jahren zunehmend an öffentlicher Aufmerksamkeit. Dies gilt auch für Deutschland, wo unter anderem die extremen Hochwasser im Juli 2021 ein neues Bewusstsein geschaffen haben. Im Zuge dessen wurde eine Bestandsaufnahme aktueller Strukturen und Maßnahmen durchgeführt, welche das Ziel hatte Handlungsfelder für politisches und konzeptionelles Handeln zu identifizieren sowie sich insbesondere mit den Bedarfen von Menschen zu beschäftigen, die im Katastrophenfall tendenziell vernachlässigt oder gar übersehen zu werden drohen. Wie Krisen international sowie national immer wieder zeigen, gehören dazu insbesondere Menschen mit Behinderungen. Auch für Aktion Deutschland Hilft ist das Thema Inklusion im Kontext der Katastrophenvorsorge und -hilfe deshalb schon seit längerem von zentraler Bedeutung. Einige Bündnisorganisationen sind seit vielen Jahren unter anderem im Disability inclusive Disaster Risk Reduction Network (DiDRRN) engagiert und setzen sich hier mit Ansätzen der Inklusion für die konkrete Programmarbeit auseinander. Diese Erkenntnisse bringen sie auch gezielt in lokale und globale Lobbyarbeit ein, etwa bei der Beratung der UN-Behindertenrechtskonvention und des Sendai Rahmenwerkes für Katastrophenvorsorge. Bestärkt wurde die Notwendigkeit dieses Engagements in den vergangenen Jahren einerseits durch die Rüge der Vereinten Nationen, die Deutschland 2023 eine mangelnde Umsetzung von Artikel 11 („Gefahrensituationen und humanitäre Notlagen“) der Behindertenrechtskonvention (BRK) attestierten. Andererseits zeigte der tragische Tod von (mindestens) zwölf Menschen in einer Einrichtung der Lebenshilfe in Sinzig während der Flutkatastrophe vom 14. und 15. Juli 2021, dass sich auch in Deutschland Menschen mit Behinderungen einer realen Bedrohungslage gegenübersehen.
Ziel / Zentrale Fragestellung
Ziel der Studie ist es, die bisher wenig empirisch erforschte Situation von Menschen mit Behinderungen und die Berücksichtigung ihrer Belange und Unterstützungsbedarfe im Katastrophenmanagement in Deutschland zu untersuchen. Damit wurde der Frage nachgegangen, ob und inwieweit die Todesfälle während der Hochwasser- und Flut-Ereignisse 2021 womöglich nur ein Symptom für die tieferliegende Problemlage sind, dass Menschen mit Behinderungen und ihre Unterstützungsbedarfe im deutschen Katastrophenmanagement bisher nicht in angemessenem Maße mitgedacht werden.
Konkret verfolgt die vorliegende Studie ein zwei Ziele: Erstens soll sie die Datenlage zur Situation von Menschen mit Behinderungen in Katastrophen und ihrer Berücksichtigung im Katastrophenmanagement verbessern und damit eine Bestandsaufnahme der Inklusion im Katastrophenmanagement erlauben. Zweitens soll sie Ansatzpunkte für eine Weiterentwicklung und Verbesserung der Berücksichtigung von Menschen mit Behinderungen im Katastrophenmanagement identifizieren, welche bei der Entwicklung einer Strategie für inklusives Katastrophenmanagement zu berücksichtigen sind.
Forschungsdesign
Vor diesem Hintergrund und der genannten Ausgangslage lag der Fokus der Studie zunächst auf den Bundesländern Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen. In Auseinandersetzung mit der Fragestellung wurde der Fokus im Laufe der Forschungsarbeit jedoch auf die gesamte Bundesrepublik ausgeweitet. In der Studie wurden bewusst nicht nur die Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben, sondern auch die vielfältigen zivilgesellschaftlichen Hilfsorganisationen und Helfenden sowie Akteure der Wohlfahrtspflege und die Menschen mit Behinderungen und deren Selbstvertretungsorganisationen eingebunden.
Als Forschungsdesign wurde ein Ansatz gewählt, der eine empirische Datenerhebung und eine Dokumentenanalyse verbindet. Beide Ansätze wurden ihrerseits noch einmal in verschiedene methodische Zugänge gegliedert. Neben einer umfassenden Dokumentenanalyse wurden im Rahmen der Studie 26 Einzelinterviews, drei Fokusgruppendiskussionen und zwei Veranstaltungen mit Praktiker:innen durchgeführt. Die Kombination dieser Ansätze zielte darauf ab, einen breiten und vielfältigen Zugang ins Forschungsfeld zu schaffen und das Risiko, wichtiges zu übersehen sowie Einseitigkeiten zu minimieren.