Internationales Zentrum für Ethik in den Wissenschaften (IZEW)

KIM - Bestandsaufnahme zum Katastrophenmanagement und der Inklusion von Menschen mit Behinderungen

Eine Fallstudie anlässlich der Hochwasser-Katastrophe in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz im Juli 2021

Die Studie KIM (Bestandsaufnahme zum Katastrophenmanagement und der Inklusion von Menschen mit Behinderungen) wurde von Oktober 2023 bis Februar 2024 für die Aktion Deutschland Hilft e. V. durchgeführt. Ihr Ziel war es erstmals systematisch die Situation von Menschen mit Behinderungen in Katastrophen und ihrer Berücksichtigung im Katastrophenmanagement in Deutschland zu beschreiben und Ansatzpunkte für eine Weiterentwicklung und Verbesserung der Berücksichtigung von Menschen mit Behinderungen identifizieren.

   

       

IZEW-Team

Ergebnisse und Publikationen


Abschlussbericht Leichte Sprache

Abschlussbericht Kurzfassung (ohne Quellenangaben)

Abschlussbericht Langfassung

Projektbericht bei Aktion Deutschland Hilft e. V.

Förderung

Oktober 2023 – Februar 2024
Aktion Deutschland Hilft e. V.

Titel der Ausschreibung: „Wo steht Deutschland bei der Inklusion von Menschen mit Behinderungen in der Katastrophenvorsorge sowie -bewältigung? Eine Fallstudie anlässlich der Hochwasser-Katastrophe in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz im Juli 2021“

Projektbeschreibung

Hintergrund und Anlässe der Studie

Katastrophenmanagement, verstanden als die Gesamtheit von Maßnahmen zur Katastrophenprävention, -vorsorge, -bewältigung und -verarbeitung, gewinnt seit einigen Jahren zunehmend an öffentlicher Aufmerksamkeit. Dies gilt auch für Deutschland, wo unter anderem die extremen Hochwasser im Juli 2021 ein neues Bewusstsein geschaffen haben. Im Zuge dessen wurde eine Bestandsaufnahme aktueller Strukturen und Maßnahmen durchgeführt, welche das Ziel hatte Handlungsfelder für politisches und konzeptionelles Handeln zu identifizieren sowie sich insbesondere mit den Bedarfen von Menschen zu beschäftigen, die im Katastrophenfall tendenziell vernachlässigt oder gar übersehen zu werden drohen. Wie Krisen international sowie national immer wieder zeigen, gehören dazu insbesondere Menschen mit Behinderungen. Auch für Aktion Deutschland Hilft ist das Thema Inklusion im Kontext der Katastrophenvorsorge und -hilfe deshalb schon seit längerem von zentraler Bedeutung. Einige Bündnisorganisationen sind seit vielen Jahren unter anderem im Disability inclusive Disaster Risk Reduction Network (DiDRRN) engagiert und setzen sich hier mit Ansätzen der Inklusion für die konkrete Programmarbeit auseinander. Diese Erkenntnisse bringen sie auch gezielt in lokale und globale Lobbyarbeit ein, etwa bei der Beratung der UN-Behindertenrechtskonvention und des Sendai Rahmenwerkes für Katastrophenvorsorge. Bestärkt wurde die Notwendigkeit dieses Engagements in den vergangenen Jahren einerseits durch die Rüge der Vereinten Nationen, die Deutschland 2023 eine mangelnde Umsetzung von Artikel 11 („Gefahrensituationen und humanitäre Notlagen“) der Behindertenrechtskonvention (BRK) attestierten. Andererseits zeigte der tragische Tod von (mindestens) zwölf Menschen in einer Einrichtung der Lebenshilfe in Sinzig während der Flutkatastrophe vom 14. und 15. Juli 2021, dass sich auch in Deutschland Menschen mit Behinderungen einer realen Bedrohungslage gegenübersehen.

 

Ziel / Zentrale Fragestellung

Ziel der Studie ist es, die bisher wenig empirisch erforschte Situation von Menschen mit Behinderungen und die Berücksichtigung ihrer Belange und Unterstützungsbedarfe im Katastrophenmanagement in Deutschland zu untersuchen. Damit wurde der Frage nachgegangen, ob und inwieweit die Todesfälle während der Hochwasser- und Flut-Ereignisse 2021 womöglich nur ein Symptom für die tieferliegende Problemlage sind, dass Menschen mit Behinderungen und ihre Unterstützungsbedarfe im deutschen Katastrophenmanagement bisher nicht in angemessenem Maße mitgedacht werden.

Konkret verfolgt die vorliegende Studie ein zwei Ziele: Erstens soll sie die Datenlage zur Situation von Menschen mit Behinderungen in Katastrophen und ihrer Berücksichtigung im Katastrophenmanagement verbessern und damit eine Bestandsaufnahme der Inklusion im Katastrophenmanagement erlauben. Zweitens soll sie Ansatzpunkte für eine Weiterentwicklung und Verbesserung der Berücksichtigung von Menschen mit Behinderungen im Katastrophenmanagement identifizieren, welche bei der Entwicklung einer Strategie für inklusives Katastrophenmanagement zu berücksichtigen sind.

 

Forschungsdesign

Vor diesem Hintergrund und der genannten Ausgangslage lag der Fokus der Studie zunächst auf den Bundesländern Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen. In Auseinandersetzung mit der Fragestellung wurde der Fokus im Laufe der Forschungsarbeit jedoch auf die gesamte Bundesrepublik ausgeweitet. In der Studie wurden bewusst nicht nur die Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben, sondern auch die vielfältigen zivilgesellschaftlichen Hilfsorganisationen und Helfenden sowie Akteure der Wohlfahrtspflege und die Menschen mit Behinderungen und deren Selbstvertretungsorganisationen eingebunden.

Als Forschungsdesign wurde ein Ansatz gewählt, der eine empirische Datenerhebung und eine Dokumentenanalyse verbindet. Beide Ansätze  wurden ihrerseits noch einmal in verschiedene methodische Zugänge gegliedert. Neben einer umfassenden Dokumentenanalyse wurden im Rahmen der Studie 26 Einzelinterviews, drei Fokusgruppendiskussionen und zwei Veranstaltungen mit Praktiker:innen durchgeführt. Die Kombination dieser Ansätze zielte darauf ab, einen breiten und vielfältigen Zugang ins Forschungsfeld zu schaffen und das Risiko, wichtiges zu übersehen sowie Einseitigkeiten zu minimieren.

Projektergebnisse

Die Ergebnisse der Studie stützen die Einschätzung der Vereinten Nationen zum Stand der Umsetzung der Behindertenrechtskonvention in Deutschland aus dem Jahr 2023: Dies gilt insbesondere für die Feststellung, dass es bisher an strategischen, akteursübergreifenden und deutschlandweiten Strukturen und Ansätzen mangelt, um Menschen mit Behinderungen, ihre Unterstützungsbedarfe und Fähigkeiten, systematisch mitzudenken. Hierzu liefert die Studie Befunde zu elf an das Sendai‑Rahmenwerk angelehnte Indikatoren. Die Studie zeigt auch bewusst bereits vorhandene Potentiale und Ansätze auf, die erstmals in dieser Breite zusammengestellt wurden, um die vielfältigen Akteur:innen in ihrer Arbeit zu unterstützen. Mit dieser Sammlung, Analyse und vor allem Bereitstellung des vorhandenen aber noch eher dispersen Wissens möchten wir vor allem mit der „Langfassung“ einen konstruktiven Beitrag dazu leisten, die Bedarfe, Belange sowie Kenntnisse und Kapazitäten der Menschen mit Behinderungen vom Alltag bis zur Katastrophenvorsorge und -bewältigung in Deutschland umfassender zu erkennen und konzeptionell aufzugreifen. Die Erfassung des Status Quo bildet dabei die Grundlage, um Probleme und Ansatzpunkte für die zeitnahe Weiterentwicklung hin zu einem inklusiveren Katastrophenmanagement zu definieren. Basierend auf den Studienergebnissen wurden zudem praxisorientierte Handlungsempfehlungen formuliert, um diesen Prozess zu strukturieren.

Die Studie ermöglicht einen Einblick in den Themenkomplex der Berücksichtigung von Menschen mit Behinderungen im deutschen Katastrophenmanagement. Sie hat weder den Anspruch vollständig und ‚objektiv‘ beziehungsweise kontextfrei zu sein. Sie orientiert sich an den Gütekriterien qualitativer Forschung (intersubjektive Nachvollziehbarkeit, Indikation des Forschungsprozesses bzw. Gegenstandsangemessenheit der Methoden, empirische Verankerung, Limitation, Kohärenz und Relevanz). Die Ergebnisse der Studie bieten einen Ausgangspunkt für die notwendige, systematische Auseinandersetzung mit dem Themenfeld rund um inklusives Katastrophenmanagement. Der Kurzbericht verzichtet bewusst auf Quellenverweise. Hierzu wird auf die Langfassung verwiesen. Darüber hinaus liegt der Kurzbericht in einer Version in Leichter Sprache vor.