Mitglieder des Seminars für Neuere Geschichte waren an der Organisation und Durchführunge folgender Sektionen auf dem Deutschen Historikertag beteiligt:
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Glaubens-Fragen, 51. Deutscher Historikertag, Hamburg, 20.–23. September 2016
- "Rhetorik der Gewissheit – dynamisches Wissen. Glaubensfragen in der Vormoderne", organisiert von Prof. Dr. Renate Dürr und Dr. Irene van Renswoude (Den Haag/Utrecht). [Mehr]
- "Medien – Sinne – Dinge. Neue Annäherungen an 'Glaubensfragen' in der Frühen Neuzeit",
organisiert von Dr. Anne Mariss und Dr. Philip Hahn. [Mehr]
Glaubens-Fragen, 51. Deutscher Historikertag, Hamburg, 20.–23. September 2016
"Rhetorik der Gewissheit – dynamisches Wissen. Glaubensfragen in der Vormoderne", organisiert von Prof. Dr. Renate Dürr und Dr. Irene van Renswoude (Den Haag/Utrecht).
Angesichts der Rhetorik, mit der man nicht nur in der Vormoderne versucht hat, gesichertes Wissen von hypothetischem, Wahrheit von Betrug, Rechtgläubigkeit von Häresie zu unterscheiden, erscheinen sich Glaubensfragen schnell in der Gegenüberstellung von richtig oder falsch zu erschöpfen. Was als rechtgläubig zu gelten hat und worin gesichertes Wissen besteht, erscheint nach dieser Rhetorik eindeutig definierbar und damit klar abgrenzbar von Häresie oder Phantasterei. Folgt man dieser Rhetorik und fragt nach der jeweils anerkannten kodifizierten Wahrheit, dann reproduziert man zum einen die spezifische Lesart einer spezifischen Zeit und Gesellschaft, auch dann, wenn man sich für die jeweils andere Seite interessiert. Zum anderen impliziert diese Rhetorik von Gewissheit zumindest die Idee von ewiger oder grundsätzlicher Gültigkeit. Insofern verbindet sich mit dem Konzept von Orthodoxie gerade nicht die Frage nach deren gesellschaftlicher Konstruiertheit, nach den Prozessen von Adaptation und Überformung, nach Uneindeutigkeiten und dem Zusammenspiel mit dem, was jeweils für heterodox gehalten wurde. Wandel ist in Glaubensfragen eigentlich nicht vorgesehen. Wandel erscheint dann als Bruch mit alten Traditionen oder als wissenschaftliche Revolution, jedenfalls als etwas, das die Rhetorik der Gewissheit von außen erschütterte. Nicht nur in modernisierungstheoretisch angehauchten Erklärungsmodellen wird eine solche Rhetorik der Gewissheit für ein typisches Moment der Vormoderne gehalten.
Mit dem Konzept des „Wissens“ verbindet sich häufig ebenfalls nicht die Idee der Vorläufigkeit. Denn auch der Begriff „Wissen“ scheint als Gegenbegriff zu Glauben und Nicht-Wissen grundsätzliche Gültigkeit zu beanspruchen – jedenfalls aus Perspektive der jeweiligen Akteure. Dass dies stets eine Illusion darstellt, haben wissenssoziologische wie auch wissenshistorische Forschungen seit geraumer Zeit herausgestellt. Auch aus der Vormoderne gibt es Hinweise darauf, dass man sich der Vorläufigkeit des Wissens bewusst sein konnte. Zur Rhetorik der Gewissheit gehörte jedoch die Evokation einer klaren Gegenüberstellung von kodifiziertem und verworfenem Wissen. Dagegen interessieren wir uns für die Implikationen des „apokryphen“ Wissens, das trotz oder vielleicht sogar wegen ihres apokryphen Status rezipiert wurde. Was dies für die Konzeption von Wissen überhaupt bedeutet, wird in der neueren Wissenschafts-und Ideengeschichte manchmal unter Rückgriff auf den Begriff „prekäres Wissen“ diskutiert, den Martin Mulsow (2012) für bestimmte Wissensstränge und bestimmte Wissensträger in der Frühen Neuzeit geprägt hat, der allerdings vielleicht auch dazu dienen kann, „Wissen“ überhaupt „dynamisch“ zu fassen.
Irene van Renswoude, Den Haag: Nicht lesen! Listen ‘verdächtiger’ Bücher vor dem Index (500-1500)
Lange vor dem Index verbotener Bücher (1559) zirkulierten Kataloge und Listen empfehlenswerter und abzulehnender Bücher. Was aber bedeuteten Klauseln wie ‚abzulehnen‘ oder ‚nicht aufzunehmen‘ in mittelalterlichen Buchlisten genau? Unterlagen solche Bücher, die als häretisch, apokryph oder auf andere Weise verdächtig klassifiziert wurden, tatsächlich einem Leseverbot? Sollten sie vernichtet werden? Oder wurde ihnen eher ein besonderer Status zugewiesen? Dieser Vortrag nimmt die Kommentare und Anmerkungen von Lesern an den Rändern abgelehnter Texte in den Fokus, um herauszufinden, wie die Vorschriften in präskriptiven Buchlisten bezüglich nicht zu lesender Bücher interpretiert und in die Praxis umgesetzt wurden. Tatsächlich, so die These des Vortrags, war der Übergang zwischen akzeptierter und abgelehnter Lektüre fließend und verhandelbar.
Carine van Rhijn, Utrech: ‚Ein guter Tag, um deine Bienen umzusiedeln‘. Frühmittelalterliche Prognostiken zwischen fabula und Seelsorge
Prognostische Texte, die beispielsweise dem Zyklus der Woche oder des Mondes folgen, um alltägliche Dinge wie die Ernte, die Bedeutung von Träumen, die Aussichten, eine Krankheit zu überleben, oder den Charakter eines Neugeborenen vorherzusagen, sind für die Zeitspanne von der ausgehenden Antike bis in die Frühe Neuzeit in beachtlicher Anzahl überliefert. Meist wurden sie als Texte interpretiert, die sich außerhalb der religiösen Sphäre im engeren Sinne bewegten, entweder als Volksglaube, Aberglaube, heidnisches Überbleibsel oder sogar Magie. Auf der Basis einer Fallstudie aus der karolingischen Zeit (8./9. Jhdt.) soll dagegen aufgezeigt werden, dass diese Texte vielmehr Teil der frühmittelalterlichen religiösen Kultur waren und ihnen eine wichtige Rolle in der Seelsorge spielen konnten, wenn sie sich in den ‚richtigen‘ Händen befanden. Das Beispiel einer Handschrift führt in die Welt ländlicher Laiengemeinschaften, in denen solche Texte eine Brücke zwischen den Idealen christlichen Verhaltens und den Anforderungen des alltäglichen Lebens bauen konnte, für die das Christentum keine konkrete Orientierung bot.
Martin Mulsow, Gotha: Unter der Oberfläche der Gewissheit: „katholische“ Lehre um 1700
Unter „doctrina catholica“ verstand man im 17. Jhdt. nicht nur die römische Konfession, sondern konnte sich auch auf die noch „allumfassende“ Lehre der Kirchenväter vor dem Konzil von Nizäa beziehen. Die Autorität dieser Väter war ungebrochen – dennoch wurde ihre Logostheologie inzwischen heiß diskutiert. Es war umstritten, ob die subordinatianische Trinitätstheologie nur „noch nicht“ ganz orthodox, aber auf dem Wege dahin war, oder ob sie „nicht“ orthodox war und den Antitrinitariern in die Hände spielte. Eine Vermittlungsposition entwickelte der Engländer George Bull, und an ihm orientierte sich der preußische Theologe Johann Georg Wachter, der eine nie veröffentlichte „Theologia martyrum“ schrieb und die Logoslehre mit Spinoza und der Kabbala assoziierte. Was war Wachter nun? Ein Freidenker, der langsam katholisch wurde, oder ein patristisch gebildeter Theologe, der auf den Abweg des Spinozismus geriet? Dass Wachter seine „Theologia Martyrum“ nicht veröffentlichen konnte, zeigt, dass die Dynamik des Wissens ihn ins Prekäre geführt hatte.
Eric Jorink, Den Haag: Die Arche und der Tempel. Visualisierungen biblischer Konstruktionen in der Niederländischen Republik (17. Jhdt.)
Frühneuzeitliche Gelehrte waren davon fasziniert, im Anschluss an frühe Bibelkommentare Gebäude und andere Konstruktionen auf der Basis der biblischen Berichte zu visualisieren – z.B. den Turm zu Babel. Oft aus religiösen Motiven begonnen, brachten diese Vorhaben erhebliche Schwierigkeiten mit sich, neben philologischen Details v.a. hinsichtlich der Einbindung mathematischer Berechnungen, neuer empirischer Befunde und Vernunftüberlegungen. Der Vortrag konzentriert sich auf Willem Goeree (1636-1711), einen zu seiner Zeit berühmten niederländischen Architekten, Theologen, Sammler und selbsternannten Gegner von Spinoza, Adriaan Koerbagh, Isaac Vossius und anderen Bibelkritikern. Er wollte von den künstlerischen Fantasien über biblische Geschichten wegkommen und stattdessen die Wahrheit des wörtlichen Schriftsinns belegen, indem er die relevanten Textstellen sowohl mit seiner eigenen orthodoxen Sichtweise als auch mit dem Wissen der Antike und der Völker des Orients in Einklang zu bringen suchte. Dennoch geriet er mit seinen Rekonstruktionen der Arche und des Tempels in gefährliche Nähe zu radikalen Bibelkritikern.
Renate Dürr, Tübingen: War Noah ein Chinese? Heterodoxie im christlichen Universalismus jesuitischer Weltchroniken des 17. und 18. Jahrhunderts
Im Mittelpunkt des Vortrages soll eine Chronologie des Grazer Jesuiten Joseph Stöcklein stehen, die er im Jahre 1729 in dem von ihm herausgegebenen „Neuen Welt=Bott“ veröffentlicht hatte. Stöcklein war der erste, der die gestellte Frage, ob Noah ein Chinese war, klar mit „ja“ beantwortete, insofern er sämtliche alttestamentlichen Patriarchen mit chinesischen Kaisern aus der Frühzeit der Überlieferung gleichsetzte. Die Frage selbst lag allerdings spätestens seit der ersten lateinischen Geschichte Chinas von 1658 des Jesuiten Martino Martini in der Luft. Das Wissen um die Geschichte und Kultur in China (und Ägypten) forderte die europäischen Gelehrten darum nun schon seit Jahrzehnten heraus. Welche Methoden erlauben Gewissheit über das Alter von Kulturen, wurde gefragt? Wie ist Gewissheit über die unterschiedlichen Versionen der biblischen Geschichte zu erlangen? Und: Sind nicht vielleicht doch verschiedene Anfänge der Menschheitsgeschichte anzunehmen? Von grundsätzlicher Bedeutung waren all diese Fragen, weil mit diesem Wissen aus anderen Kontinenten die Idee des christlichen Universalismus, der konfessionsübergreifend die Vorstellung von Welt und Geschichte bis dahin prägte, zunehmend brüchiger wurde. Joseph Stöckleins Antwort auf diese Fragen liest sich nun als ein besonders eloquentes Plädoyer für diesen christlichen Universalismus – ein Universalismus allerdings, der sich unter der Hand als ein chinesischer entpuppt.
"Medien – Sinne – Dinge. Neue Annäherungen an 'Glaubensfragen' in der Frühen Neuzeit", organisiert von Dr. Anne Mariss und Dr. Philip Hahn.
Ausgehend von drei unterschiedlichen Themengebieten geht es in der zweistündigen Sektion um methodologische Zugriffsmöglichkeiten auf ›Glaubensfragen‹ in der Frühen Neuzeit. Über die Trias Medialität, Materialität und Sinnlichkeit geht das Panel der Frage nach, wie Glauben und religiöses Wissen produziert wurde und somit auch, auf welche Art und Weise Menschen in der Frühen Neuzeit geglaubt haben.
In Anlehnung an neuere Ansätze innerhalb einer kulturwissenschaftlich ausgerichteten Religionsgeschichte begreifen die Vorträge der Sektion Wissen und Religion nicht als Gegensätze. Vielmehr lassen sich mit Hilfe des Konzepts ›religiösen Wissen‹ historiographisch überkommene Dichotomien von Glauben und Wissen in der Vormoderne aufheben. Religiöses Wissen, das heißt solches Wissen, das aus der Auseinandersetzung mit der Offenbarung entstand, wurde von den historischen Akteuren immer wieder angeeignet und in andere Kontexte transferiert. Religiöses Wissen wird somit als Produkt komplexer Aushandlungsprozesse zwischen unterschiedlichen Akteuren verstanden. Da es sich hierbei längst nicht nur um textbasierte Wissensbestände handelte, sondern auch um Wissen, das durch das Anschauen von Bildern, das sinnliche Wahrnehmen und buchstäbliche Begreifen von Dingen generiert und handlungsleitend gemacht wurden, ist es erforderlich, diese Prozesse aus unterschiedlichen methodischen Blickwinkeln zu betrachten.
Die drei Vorträge nehmen jeweils bewusst Aspekte in den Blick, die quer zu herkömmlichen religionsgeschichtlichen Narrativen gelagert sind. Heal analysiert Illustrationen lutherischer Bibelausgaben des 16. und 17. Jahrhunderts, die in ihrer exegetischen Bedeutung nicht so recht in das Bild eines wortzentrierten Luthertums zu passen scheinen. Die Bedeutung bildlicher Darstellungen für die jesuitische Frömmigkeitspraxis ist hingegen ein fächerübergreifend etablierter Forschungsgegenstand – deren Einbettung in eine spezifisch jesuitische materielle Kultur, der sich Mariss zuwendet, ist bislang jedoch unterbelichtet geblieben. Den Befund jüngerer Forschungen, dass sich die spätmittelalterliche Frömmigkeit sowie die frühneuzeitlichen Konfessionskulturen hinsichtlich ihrer sinnlichen Profile nicht so leicht voneinander abgrenzen lassen wie traditionell angenommen, nimmt Hahn zum Ausgangspunkt seiner Überlegungen: Wie lässt sich die Bedeutung der Sinne in ›Glaubensfragen‹ in der Frühen Neuzeit aus einer sinnesgeschichtlichen Perspektive neu interpretieren?
Bridget Heal, St. Andrews: Lernen ein Lutheraner zu sein: Bildliche Darstellungen und die Formierung eines konfessionellen Bewusstseins in deutschen Bibeln
Die volkssprachliche Bibel bildet den Kern der protestantischen Kultur und leistete dem Wandel des religiösen Lebens im 16. Jahrhundert Vorschub; ihre Texte sind vielfach studiert und gerühmt worden. Von Beginn an übernahmen aber nicht nur die Texte, sondern auch die Bilder eine wichtige Funktion, indem sie die Rezeption der Texte durch Gelehrte und Laien beeinflusste. Dies zeigt sich eindrucksvoll in den Illustrationen der Apokalypse in Luthers Übersetzung des Neuen Testaments vom September und Dezember 1522/23 von Lucas Cranach d. Ä. Die Bilder waren oft mehr als nur bloße Illustrationen: sie fungierten als visuelle Exegese, die ähnlich wie Glossen die Interpretation biblischer Erzählungen mitbestimmten.
Vor diesem Hintergrund untersucht der Vortrag verschiedene Traditionen der lutherischen Bibelillustration im 16. und 17. Jahrhundert. Dabei werden nicht nur sogenannte Vollbibeln herangezogen, sondern auch günstigere und damit besser zugänglichere Formen der visuellen Pädagogik wie etwa Bilderbibeln und Kinderbibeln. Heal wird vor allem der Frage nachgehen, warum eine Konfession, die ihre Bedeutung von der Verbreitung von Gottes Wort ableitete (sola scriptura), Bildern eine so zentrale Rolle in der Vermittlung religiösen Wissens sowie der Herausbildung konfessioneller Identität beimaß.
Anne Mariss, Tübingen: „Gott suchen in allen Dingen“. Jesuitische Frömmigkeitspraxis in der Frühen Neuzeit
In dem Vortrag von Anne Mariss geht es um die Frage, welche Bedeutung Dingen bei der Vermittlung von ‚Glaubensfragen‘ in der Frühen Neuzeit zukam. Materielle Kultur spielte eine zentrale Rolle in der Formierung und Vermittlung religiösen Wissens und war ein zentraler Bestandteil vormoderner Frömmigkeitspraktiken. Von der Forschung wird daher verstärkt auf die Bedeutung der Kategorie der religiösen Materialität verwiesen. Sinnlichkeit und Ästhetik, das Anschauen und Begreifen von Dingen spielten – entgegen älterer Forschungspositionen – sowohl im Katholizismus als auch im Protestantismus eine signifikante Rolle für die Formierung und Konturierung der eigenen konfessionellen Spiritualität.
Der Vortrag richtet den Blick darauf, welchen Objekten eine zentrale Bedeutung für jesuitische Frömmigkeitspraktiken zukam. Jesuitische Spiritualität basierte schon beim Ordensgründer Ignatius von Loyola in hohem Maße auf der Erfahrung und Auseinandersetzung mit der Welt. Es galt sprichwörtlich, Gott in allen Dingen zu suchen, zu entdecken und zu erfahren. Dies ist von der Forschung bisher vor allem für den Bereich der wissenschaftlichen Aktivitäten der Jesuiten in den außereuropäischen Missionen beachtet worden, nicht so jedoch die Bedeutung dieser Herangehensweise an die Welt der Dinge für die Frömmigkeit und Spiritualität der Jesuiten und ihre daraus resultierende materielle Kultur.
Philip Hahn, Tübingen: Alles eine Frage der Wahrnehmung? Sinnesgeschichtliche Perspektiven auf ‚Glaubensfragen‘ in der Frühen Neuzeit
Die jüngere Forschung zur „christlichen Materialität“ und zu den Sinnesregimes und -praktiken der frühneuzeitlichen Konfessionen haben gewohnte Zuordnungen infrage gestellt: Die spätmittelalterliche Frömmigkeit war längst nicht so ‚sinnlich‘ wie traditionell angenommen, das Luthertum nicht allein auf das ‚Hör-Reich‘ zentriert, und die reformierten Kirchen nicht grundsätzlich sinnesfeindlich. Sinnesgeschichtliche Arbeiten haben zudem gezeigt, dass die religiösen Umwälzungen des 16. Jahrhunderts noch unter dem Einfluss antiker und mittelalterlicher Vorstellungen von der Funktionsweise der Sinne standen, die erst im Lauf des 17. Jahrhunderts allmählich von neuen Theorien verdrängt wurden.
Hahn plädiert in seinem Vortrag dafür, nicht bei diesen revisionistischen Dekonstruktionen der sinnlichen Aspekte der Epochengrenze Mittelalter/Neuzeit sowie des Konfessionalisierungsparadigmas stehenzubleiben, sondern das Potenzial des sinnesgeschichtlichen Ansatzes auszuschöpfen, um das Verhältnis von Wahrnehmung und Glaubensfragen in der Frühen Neuzeit zu interpretieren. Das bedeutet vor allem, die Eigenlogik sinnlicher Wahrnehmung ernst zu nehmen, statt diese wie bislang als ein Symptom religiöser Kultur zu betrachten. Am Beispiel einer frühneuzeitlichen Stadtgesellschaft skizziert der Vortrag die Wechselwirkungen zwischen religiösen Sinneskulturen und anderen Einflussfaktoren auf die Geschichte der Sinne wie naturphilosophischer, medizinischer, hygienischer und ästhetischer Vorstellungen. Denn einerseits strahlte die Inanspruchnahme der Sinne als ‚Glaubensfrage‘ weit über die religiöse Sphäre hinaus, andererseits blieb die Generierung religiösen Wissens nicht davon unberührt, wie eine Gesellschaft die Frage beantwortete, inwiefern man den Sinnen Glauben schenken konnte.