DFG-FOR 2973 - Projekt B. 2.2: Sacro-Pop als Gesellschafts- und Kirchenkritik junger Katholikinnen und Katholiken
„Das könnte den Herren der Welt ja so passen, wenn erst nach dem Tode Gerechtigkeit käme, erst dann die Herrschaft der Herren, erst dann die Knechtschaft der Knechte vergessen wäre für immer […]. („Anderes Osterlied“; Text: Kurt Marti, Musik: Peter Janssens). Der Erlöser wird zum Befreier, die Auferstehung zum Aufstand. Es war – unter anderen – dieses Lied, das das höchste Fest der Christenheit zu einem Happening des Protests machte. Man fühlte das Anti-Establishment, wenn man das sang.
Der Generationenstreit um „1968“ wurde auch auf dem Feld der Musik ausgetragen. Für eine Generation von Jugendlichen und jungen Erwachsenen waren die Sacro-Pop-Musicals und die Neuen geistlichen Lieder von entscheidender, Grenzen des Katholizismus aufsprengender Bedeutung.
Das Projekt zeigt die Konfliktdynamik, mit der Rituale neue Gruppen und Rollen mobilisierten. Sacro-Pop machte junge Christinnen und Christen glaubwürdig in der Friedens- und Umweltbewegung und in der „Dritte-Welt“-Arbeit – war quasi deren spiritueller Tiefengrund.
Link zum Teilprojekt: https://www.katholischsein-for2973.de/projekte
FOR 2973: Katholischsein in der Bundesrepublik Deutschland. Semantiken, Praktiken und Emotionen in der westdeutschen Gesellschaft 1965-1989/90
Projekt B. 2.2: „Das könnte den Herren der Welt ja so passen …“. Sacro-Pop als Gesellschafts- und Kirchenkritik junger Katholikinnen und Katholiken
„Das könnte den Herren der Welt ja so passen, wenn erst nach dem Tode Gerechtigkeit käme, erst dann die Herrschaft der Herren, erst dann die Knechtschaft der Knechte vergessen wäre für immer. […] Doch ist der Befreier vom Tod auferstanden, […] und ruft uns jetzt alle zur Auferstehung auf Erden, zum Aufstand gegen die Herren, die mit dem Tod uns regieren.“ („Anderes Osterlied“; Text: Kurt Marti, Musik: Peter Janssens).
Semantiken: Der Erlöser wird zum Befreier, die Auferstehung zum Aufstand. Praktiken: Es war – unter anderen – dieses Lied, das das höchste Fest der Christenheit zu einem Happening des Protests machte. Emotionen: Man fühlte das Anti-Establishment, wenn man das sang.
Der Generationenstreit um „1968“ wurde auch auf dem Feld der Musik ausgetragen. Für Erwachsene war Jazz vielfach als „N…musik“ rassistisch denunziert, Rock und Pop galten als liturgisch „ungeeignet“, als kult- und kulturgefährdende Amerikanisierung. Musik war daher ein zentrales Protest- und Provokationsmedium. „Jazz-Messen“ seit ca. 1965 und „Sacro-Pop“ seit ca. 1970 lösten heftige Konflikte um das Verständnis und die Praxis des Katholischseins aus.
Die bisherige Forschung betrachtete diese musikalische Jugendkultur als randständiges Phänomen. Doch für Semantiken, Praktiken und den Emotionshaushalt einer Generation von Jugendlichen und jungen Erwachsenen waren die Sacro-Pop-Musicals und die Neuen geistlichen Lieder von entscheidender, Grenzen des Katholizismus aufsprengender Bedeutung. Sacro-Pop durchprägte die Gruppenkultur der BDKJ-Verbände, der Friedens- und der Umweltbewegung sowie der befreiungstheologisch orientierten Solidaritätsaktionen wie „Jute statt Plastik“.
Das Teilprojekt untersucht Produktion, Aufführung und Rezeption von Sacro-Pop sowie wie deren kontroverse Diskussion auf drei Ebenen: (1) Texte – (2) Musik und Performanz – (3) kritischer Diskurs.
(1) Texte: Die Musicals platzieren Jesus bei den Rockern, die nicht wissen, wohin mit ihrer Unruhe. Bei den Arbeitslosen, die nicht auf die Füße kommen. Maria ist ungewollt und unehelich schwanger; sie muss den Hohn der Gesellschaft ertragen. Inmitten der spießig Unanständigen ist sie die Hoffnungsträgerin nicht mehr der konservativ Frommen, sondern derer, deren Leben aus den Fugen geraten ist. Franz von Assisi kämpft für Naturschutz und Gewaltlosigkeit. Sacro-Pop-Musicals und Neue geistliche Lieder verknüpfen auf eine provozierende Weise zentrale Muster der überkommenen religiösen Sprache mit gegenwartspolitischen Themen: Frieden, globale Gerechtigkeit, Ökologie, Sexualität. Sacro-Pop ist sophisticated: Er entspricht den Orientierungsbedürfnissen der akademischen Jugend und der linkskatholischen Erwachsenen. Aber Neue geistliche Lieder werden auch gesungen zur Eröffnung der Olympischen Spiele 1972 und bei den großen Proteststreiks in der Duisburger Stahlindustrie.
(2) Musik und Performanz: Auch die Musik war höchst umstritten. Schöpfer und Fans führten sie auf als aggiornamento, als produktive Kommunikation mit den ‚Zeichen der Zeit‘. Konservative hingegen hörten zur Gottesverehrung ungeeignete Klänge: Schlagzeug und E-Gitarre haben in der Kirche nichts zu suchen. Und die Texte provozierten: Als „Ave Eva“ (Text: Wilhelm Willms, Musik: Peter Janssens) in München aufgeführt wurde, löste das bei den Anhängern traditioneller Marienfrömmigkeit Protestwellen und Bußprozessionen aus.
(3) Diskurse: Die Gegner des Sacro-Pop formierten eine massive Front der Ablehnung und Denunziation. Sie verteidigten die Werte der Liturgischen Bewegung der 1920er bis 1950er Jahre und das Selbstbild, sich gegen Hitler behauptet, den westdeutschen Wiederaufbau getragen zu haben. Sacro-Pop stattdessen integrierte jene, die mit dem II. Vatikanum im Rücken die Überhangprobleme der bundesrepublikanischen Ordnung attackierten: Aufarbeitung des NS, Konsumkritik und Protest gegen den selbstgenügsamen ‚Mief‘, Befreiungstheologie, Friedens- und Umweltbewegung.
Doing catholicisms: Dieses Teilprojekt zeigt die Konfliktdynamik, mit der Rituale neue Trägergruppen und Rollen mobilisierten und wie heftig das abgewehrt wurde. Der impact-Faktor für die Gesamtgesellschaft ist klar: Sacro-Pop machte junge Christinnen und Christen glaubwürdig in der Friedens- und Umweltbewegung und in der „Dritte-Welt“-Arbeit – war quasi deren spiritueller Tiefengrund.