Deutschland, Frankreich und Italien erleben derzeit neue, hoch emotionalisierte Bedrohungsdebatten. In ihnen geht es um das bedrohte Eigene gegenüber dem bedrohlichen Fremden (Stichworte: Pegida, Charlie Hebdo, Lampedusa). Bestimmt und belastet sind diese Debatten durch die religiösen Aufladungen, die Fremdheit u.a. über eine furchtsame Wahrnehmung fanatisierter Religion konstruieren. In allen drei europäischen Ländern stellen sich diese Probleme je anders, allen gemeinsam ist jedoch die Schnittfläche zwischen Identitäts- und Fremdheitskonzepten und deren je spezifizierter religiöser und kultureller „Ladung“.
Diese Problemlagen erscheinen uns heute auf eine brennende Weise neu, aber sie haben eine langwährende historische Tiefendimension des konfliktiven Kontakts, in dem die religiösen Dimensionen noch deutlicher und schärfer ausgeprägt waren. Denn damals war die Neigung, religiöse Bedrohungsszenarien politisch oder ökonomisch zu dissimulieren, wesentlich geringer. Mit dieser historischen Tiefendimension beschäftigt sich unser Vorhaben trilateraler Forschungskonferenzen in der Villa Vigoni.
Heutige Konstellationen von Bedrohungskommunikation lassen sich auf europäische Gesellschaften im angezielten Untersuchungszeitraum des 14. bis 17. Jahrhunderts nicht linear übertragen. Angezielt wird aber eine Rekonstruktion von Wirklichkeitsdeutungen, in denen soziale Gruppen des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit die Bedrohung ihres Zusammenlebens in ähnlicher, vielleicht intensiverer Weise als Zusammenwirken nicht nur von politisch-ökonomischen und religiösen, sondern genereller von immanenten und transzendenten Faktoren auffassten. Weil in dieser Weltsicht Gott und Gesellschaft stets interagierten, forderte jede soziale Bedrohung auch Gott heraus und umgekehrt. Es waren vor allem zwei Gattungen – Predigten und religiöse Schauspiele –, die mit großer Breitenwirkung und starkem religiös-sozialen Geltungsanspruch derartige Konflikte medialisierten.
In den dadurch generierten Öffentlichkeiten lassen sich drei markante Bedrohungsszenarien identifizieren, an denen sich die Distinktion von Eigenem und Fremdem und deren religiöse Aufladung als Verschränkung von Transzendenz und Gesellschaft besonders deutlich studieren lässt: Dabei handelt es sich um die folgenden Themen:
- „Ewige Verdammnis im Weltgericht“ für politisch-soziale Defizienz
- „Jüdische Verschwörung“ von innen, „Islamische Expansion“ von außen her
- „Konfessionelle Verketzerung“ als Zerbrechen des ‚christlichen Abendlandes‘
Die Methodik, Predigten und religiöse Schauspiele so zu analysieren, dass zu der oben genannten Fragestellung ein systematisch abgesicherter Beitrag geleistet werden kann, sind jedoch in den einzelnen Teilnehmerländern sehr unterschiedlich entwickelt. Daraus ergeben sich die Ziele der beantragten Forschungskonferenzen:
- Verzahnung von religions-, theater- und rhetorikgeschichtlichen Fragestellungen und Perspektiven
- Interdisziplinäre und komparative Weiterentwicklung von Analysewerkzeugen und Interpretationshorizonten
- Publikation ausgewählter Quellen- und Arbeitsbeispiele (Edition, Kommentar)
Die angestrebte trilaterale Kooperation arbeitet mit Predigten deutscher und italienischer Provenienz sowie mit deutschen und französischen Schauspielen.