Mittlere und Neuere Kirchengeschichte

Lehrveranstaltungen im Sommersemester 2023

Vorlesung: Neuzeit bis Zeitgeschichte, Teil 2: Die Kirchen zwischen Diktatur und Demokratie – Das II. Vatikanische Konzil. Christentumsgeschichte 1933-1968

Dozent: Holzem
Zeit: Mittwoch, 10-12 Uhr, S9

Studiengänge: MTh: P (MOP 2), BEd HF: WP (LOS 2), BA HF: WP (BAOS 2), BA NF: WP (NFOS 1), GymPO HF: P (ROS 2), GymPO NF: P (RBFOS 1), LAK: WP (LAKGS 2), BL: P (BLOS 2)

Die nationalsozialistische Diktatur stürzte erst ihre Gegner in Marginalisierung und Verfolgung, dann einen ganzen Kontinent in einen nie dagewesenen Krieg. Die Kirchen sahen sich hier vor ihrer wohl schwierigsten theologischen und moralischen Herausforderung. Katholizismus und Protestantismus reagierten darauf höchst unterschiedlich, und ihre Haltungen, Handlungen und Vermeidungen werden bis heute extrem kontrovers diskutiert. Grund genug, sich hier gut auszukennen!
Die katholische Kirche sah sich nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes zunächst als weltanschauliche „Siegerin in Trümmern“. Sie propagierte mit der Rechristianisierung der Gesellschaft ein Programm, das den NS als totalitäre Folge der europäischen Säkularisierung begriff. Mit der europäisch-transatlantischen und weltkirchlichen Öffnung, mit der Herausforderung, sich auch der eigenen Schuld zu stellen, schließlich mit der Globalisierung christlicher Verantwortung durch die damals sog. „Dritte Welt“ hatte der Katholizismus viel zu lernen.
Das II. Vatikanische Konzil suchte dem Rechnung zu tragen. Beflügelt von einem neuen weltkirchlichen Optimismus, getragen vom Selbstbewusstsein eines auf Communio hin angelegten Kirchenverständnisses, im Bewusstsein der Eigenverantwortung der Laien, sollten die Blickverengungen der Neuscholastik ebenso überwunden werden wie das klerikalistische und triumphalistische Modell von Kirche als einer societas perfecta. Auch das Verhältnis zu den anderen christlichen Konfessionen wie zu den nicht christlichen Religionen war neu zu bestimmen. Im Ergebnis hat das Konzil das gespannte Verhältnis von Kirche und Moderne insgesamt reformuliert.
Als Papst Johannes XXIII. (höchst skeptisch) gefragt wurde, was er vom Konzil denn eigentlich erwarte, soll er das Fenster geöffnet und geantwortet haben: „Dass es frische Luft hereinlässt…“ Vergewissern wir uns also des Konzils, bevor es wieder stickig wird!


Hauptseminar: Die Inquisition. Rechtsgeschichte und Straftheater – Wissenskontrolle und Mythos

Dozent: Holzem
Zeit: Dienstag, 16-18 Uhr, S3
 

 

Studiengänge: LHS 5.1.1; LHS 5.2; BHS 2.3; MGP 7.1; MGP 9.2; MVP 7.2; LMS 2.3; LMS 4.1; BMS 2.3; BMS 4.1; BAHS 5.2.1; BAHS 6.1; NFHS 5.1.1; NFHS 5.2; LEF 9.1.1; LEF 14.1; IFSt 1

 

Die Inquisition ist immer noch gut für den Schauer und das Ressentiment: machtversessene klerikale Finsterlinge, Gefängnis und Folterkeller, lodernde Scheiterhaufen im Autodafé, Unterdrückung der Freiheit der Religion und des Wissens. Dem Seminar geht es um Aufklärung über ein öffentlichkeitswirksames Thema kirchlicher Problemgeschichte. Es gilt unterscheiden zu lernen zwischen den mittelalterlichen und den neuzeitlichen Inquisitionen, ihren Institutionen, Verfahren und Zielgruppen, ihrem politischen und sozialen Kontext:
Wie entsteht aus der Rezeption des antiken Rechts an den Juristenschulen des 11./12. Jahrhunderts die inquisitio als Rechtsverfahren und was ist ihr Zweck? Wie verbinden sich Inquisitionsverfahren und Ketzerverfolgung im hohen Mittelalter? Was wissen wir über die mittelalterlichen Häresien im Kontext der europäischen Armutsbewegungen – wie orientierten sie sich religiös und wie hausten sie sich in den okzidentalen Gesellschaften ein? Welche Ethik und Lebensweise vertraten und übten sie? Wie verhielten sich Ketzerkrieg und Inquisition zu einander?
Die neuzeitlichen Inquisitionen, vor allem in Spanien und Rom, haben einen anderen politischen und sozialen Ort, den es aufzusuchen gilt. Warum verfolgt die spanische Inquisition ehemalige Juden und Muslime? Warum geraten ein Ignatius von Loyola und eine Teresa von Avila in ihre Mühlen? Warum wird Giordano Bruno verbrannt, Galileo Galilei erst 1992 rehabilitiert? In welchem Verhältnis stehen römische und spanische Inquisition zur Hexenverfolgung?
Nochmals zu unterscheiden ist der im Gefolge der Reformation und des Konzils von Trient entstehende Index der verbotenen Bücher. Welche Institutionen werden dafür geschaffen und wie funktionieren sie? Wer arbeitet mit? Welche prominenten Autoren wurden indiziert und warum? Und wer steht nicht auf dem Index?
Hinter alledem steht schließlich je neu die Frage: Wer waren die „Täter“ der Inquisition vom Richter bis zum Handlanger, und wer waren die „Opfer“ vom hingerichteten „verstockten Häretiker“ bis zum Träger des Sanbenito oder inkriminierten Buchautor? Was wissen wir über die Urteilspraxis? War die Inquisition jene europäische Todesmaschine, die in unseren Köpfen das vorherrschende Bild abgibt? Wie verhielt sich die Inquisition zu den Verfahren der weltlichen Justiz und ihrem Straftheater? Konnten Inquisition und Index die europäischen Wissensmärkte wirksam steuern?
In allen diesen Untersuchungen wird sich eine schwierige Vergangenheit von einem ebenso schwierigen Mythos ablösen. Dieser soll noch einmal eigens zum Thema gemacht werden: Wann und wie entsteht das Schreckensbild der Inquisition in der europäischen Literatur, Kunst und Geisteswissenschaft? Und was ist sein Zweck in den kulturellen und ideologischen Debatten der Moderne?
Dahinter stecken letztlich auch geschichtshermeneutische Fragen: Wie vollzieht sich historische Urteilsbildung als kontrolliertes Verfahren? Was taugt die „Täter-Opfer“-Dichotomie für das kritische Verstehen? Stoff genug für ein hoffentlich spannendes Semester!


Grundkurs: Ein Blick über den Tellerrand - Ein globalgeschichtlicher Blick auf die Christ:innentumsgeschichte. Mit Einführung in die Methoden der Kirchengeschichte und des wissenschaftlichen Arbeitens

Dozentin: Zimmermann
Zeit: Dienstag, 16-18 Uhr, S6

Studiengänge: MTh: P (MOP 2), BEd HF: WP (LOS 2), BA HF: WP (BAOS 2), BA NF: WP (NFOS 1), GymPO HF: P (ROS 2), LAK: WP (LAKGS 2); BL: WP (BLOS 2)


Übung: Sakropop als Gesellschafts- und Kirchenkritik junger Katholik:innen - ein Musicalprojekt

Dozentin: Zimmermann, Marquart
Zeit: Montag, 12-13 Uhr, S3

 

Studiengänge: anrechenbar im Wahlbereich und für das Eigenstudium in den Modulen zur MNKG

Frieden, globale Gerechtigkeit, Ökologie, Sexualität – in der in den 1960er Jahren entstehenden religiös-musikalischen Ausdrucksform des Sacro-Pops und des Neuen Geistlichen Liedes (NGL) suchten und fanden junge deutsche Katholik:innen Wege, die Aufbrüche des Zweiten Vatikanischen Konzils und die Fragen einer sich globalisierenden Welt in Praktiken, Emotionen und Semantiken ihres Glaubensvollzugs zu integrieren. Sacro-Pop und NGL waren dabei gleichzeitig „befreiend und skandalisierend“ (Holzem 2020). Elemente des Jazz´, Pops, Beats und Rocks opponiertem dem Primat der Orgel im Sakralraum, sexuelle Anspielungen provozierten herkömmliche Marienvorstellungen, ein Blick auf den drogenabhängigen „Gammler“ schlug soziale Brücken in die kirchenferne deutsche Zivilgesellschaft. So einigend die neuen Ausdrucksformen nach Innen auf den Kreis der jungen Katholik:innen wirkte, so abstoßend reagierte das „Establishment“ auf die neuen religiösen Praktiken. „Die Gegner des Sacro-Pop formierten eine massive Front der Ablehnung und der Denunziation“ (DFG-Projekt „Katholischsein in der Bundesrepublik“ 2023).
Die Übung möchte sich in zwei Schritten dem Phänomen des Sacro-Pops und des NGL als Gesellschafts- und Kirchenkritik junger Katholik:innen nähern. In einem ersten Schritt möchten wir uns aus historischer Perspektive dem kirchengeschichtlichen Kontext, der inhaltlichen Ausgestaltung und den gesellschaftlichen Wechselbeziehungen des Sacro-Pops und des NGLs nähern und darüber einen Einblick in die Geschichte des deutschen Katholizismus seit den 1960er Jahren erhalten. In einem zweiten, praktischen Teil möchten wir – je nach Bereitschaft des Kurses – selbst ein Sacro-Pop-Musical zur Wiederaufführung bringen. Je nach Interesse des Kurses soll ein Musical ausgewählt und aktualisierend auf der Bühne inszeniert werden. Eine Kooperation mit einem Chorprojekt wird dabei ebenso zur Organisation gehören wie Fragen der inhaltlichen Gestaltung und künstlerischen Darstellung.


Oberseminar zu Arbeitsprojekten und Geschichtstheorien

Dozent: Holzem
Zeit: n.V.
Ort: n.V.
Anmeldung: über die Sprechstunde

Das Oberseminar bietet Raum für Vorstellung, Beratung und Vertiefung eigener Arbeitsvorhaben (Magister/Magistra- und Bachelor/Masterarbeiten, Dissertationen und Habilitationen).
Darüber hinaus versteht es sich als Themen-, Trend- und Theoriebörse.