Prof. Dr. Möhring-Hesse
Mit aller Macht bringen sich gegenwärtig »einfache Leute« ins öffentliche Bewusstsein, sprechen für sich und für alle anderen »einfachen Leute«. Sich selbst sehen sie in Widerspruch zu den Eliten »da oben«. In der sozialwissenschaftlichen Beobachtung werden sie als das opponierende Gegenstück zu den bürgerlichen, liberalen »Kosmopoliten« gesehen – und dann auch schon einmal »Kommunitaristen« genannt.
Die politische Lage in der Bundesrepublik und in vielen anderen Ländern dieser Welt wird man nicht verstehen, wenn man diese »einfachen Leute« und deren politische Ethik nicht in den Blick nimmt. Das gilt zumal für eine Sozialethik, die weiß (zumindest wissen sollte), dass sie ihre normativen Überzeugungen und Beurteilungsschemata nicht von »außerhalb« der sozialen Verhältnisse hat, die sie als ihren Gegenstand hat, und dass sich – zudem – ihre normativen Überzeugungen und Beurteilungen in ebendiesen sozialen Verhältnissen bewähren müssen können.
Wer aber die politische Ethik der »einfachen Leute« in den Blick nimmt, die oder der sollte wissen, dass deren politische Ethik nicht einfach und nicht eindeutig ist. Zudem sollte sie oder er ahnen, dass man die politische Ethik der »einfachen Leute« nur verstehen kann, wenn man bereit und in der Lage ist, sie zu kritisieren. Denn die »einfachen Leute« sind in ihrem politischen Denken keineswegs harmlos, sind oftmals exkludierend und diskriminierend, stolz und kämpferisch unterwegs, – und dies gerade dann, wenn sie ausdrücklich als »einfache Leute« oder in deren Namen auftreten. Zudem ist die politische Ethik (auch) der »einfachen Leute« – wissenssoziologisch gesehen – notwendig unterkomplex, dient sie ihnen doch zur Bewältigung politisch komplexer Situationen. Wie aber kritisiert man die politische Ethik der »einfachen Leute«, ohne dabei deren Kritik an wissenschaftliche Eliten nur zu bewahrheiten und der Entgegensetzung von »Kommunitaristen« und »Kosmopoliten« zu verfallen.