Institut für Soziologie

Aktuelles

Neuer Artikel in "Disability and Society" erschienen: From experiences to numbers: the production of international disability statistics

Abstract

The call for internationally comparable data on disability has been omnipresent in recent disability politics. Several attempts have been made to develop and implement a standardized approach toward disability statistics, with the Washington Group Short Census Questions (WGSQ) being the most prominent. How does this questionnaire ‘measure’ disability? How do disability statistics translate the diversity of lived experiences into ‘objective’ numbers? Combining a sociology of quantification and disability studies, this article focuses on the social practices of disability statistics that contribute to the generation of ‘disability’ as a social category. After contextualizing ‘disability’ in international organizations’ discourses, it uses document analysis to empirically reconstruct statistical experts’ recommendations regarding definition, operationalization, data collection, and processing. The analysis shows how binary categorical boundaries are (re)introduced and successively objectified during this process. It also unfolds a risk-based approach that underlies the WGSQ and deviates from a social model of disability.

Neuer Aufsatz erschienen: Behinderung klassifizieren. Zur Kontingenz und Normativität von Körperbewertungen in der International Classification of Functioning, Disability and Health

Der Beitrag adressiert Körperbewertungen am Beispiel der Klassifizierung von „Behinderung“. In seinem Zentrum steht die International Classification of Functioning, Disability and Health (ICF), die die Weltgesundheitsorganisation 2001 veröffentlichte. Eine Besonderheit der Klassifikation besteht darin, dass sie von einem bio-psycho-sozialen Modell von Behinderung ausgeht. Dieses verortet Behinderung nicht nur in körperlichen Schädigungen, sondern auch in deren Interaktion mit gesellschaftlichen Barrieren. Während die Klassifikation meist aus anwendungsbezogener Perspektive adressiert wird, interpretiere ich die ICF als Artefakt, das „Behinderung“ nicht nur messbar macht, sondern als soziales Phänomen (mit)hervorbringt: Die Klassifikation etabliert eine kontingente Bewertungsordnung, über die Bewertungskriterien differenziert, Bewertungsobjekte konstituiert und Bewertungsregeln definiert werden. Der Beitrag rekonstruiert diese Bewertungsordnung auf der Grundlage von inhalts- und sequenzanalytischen Verfahren in zwei Schritten. In einem ersten Schritt fokusssiert er die kategoriale Ordnung der ICF. Mithilfe der Detailanalyse ausgewählter Kategorien und Komponenten legt er die Kontingenz und Normativität der kategorialen Ordnung offen. Er zeigt, wie über Auswahl, Anordnung und Definition „Körper“ als unterscheidbare Bewertungsobjekte konstituiert und Erwartungen an „Körper“, „Gesellschaftsmitglieder“ und „Gesellschaften“ transportiert werden. In einem zweiten Schritt arbeitet der Beitrag am Beispiel einer ICF-basierten, standardisierten Dokumentationshilfe heraus, wie über Bewertungsoperationen verkörperte Un/Fähigkeiten als soziale Tatsachen hergestellt werden. Der Beitrag kombiniert Klassifikations- und Bewertungssoziologie mit disability studies und gibt Einblicke in soziale Praktiken der Klassifikation von Behinderung.

Schlüsselwörter Bewertungssoziologie · Körper · Behinderung · Klassifikation · International Classification of Functioning, Disability and Health

Vortrag zur kategorialen Ordnung der Impfpriorisierung auf der Konferenz Studying Diversity after the Reflexive Turn, 7. – 9.7.2021, Universität Tübingen

Die ungleichen sozialen Folgen der Covid-Pandemie wurden von internationalen Organisationen häufig entlang etablierter kategorialer Linien beobachtet – etwa Geschlecht, sexuelle Orientierung, race, Behindertenstatus oder Migrationsstatus. Auch bei der Frage nach der Verteilung von zunächst knappen Impfstoffen gegen Covid-19 spielten Personenkategorien eine entscheidende Rolle. So verabschiedeten sowohl die WHO als auch nationale Kommissionen Vorschläge zur Priorisierung bei der Impfstoffverteilung, die entlang verschiedener kategorialer Unterscheidungen organisiert sind. Welche kategoriale Ordnung ist in diese Listen eingeschrieben und wie kommt diese zustande? Kommen neue Personenkategorien hinzu oder werden bislang weniger thematisierte Kategorien wichtiger? Verlieren etablierte Kategorien zugleich an Bedeutung? Diesen Fragen gehen wir aktuell in unserem Projekt nach und fokussieren dabei Priorisierungsrichtlinien der WHO, Deutschland und den USA. Erste Ergebnisse haben Hannah Bennani und Marion Müller am 9. Juli 2021 auf der Konferenz Studying Diversity after the Reflexive Turn präsentiert. Organisiert wurde diese Konferenz von der interdisziplinären Forschungsplattform Global Encounters der Universität Tübingen.

Neuer Aufsatz erschienen: „Who are we and how many?“ – Zur statistischen Konstruktion globaler Personenkategorien

Open Access

Zusammenfassung: Ausgehend von der Annahme, dass Personenkategorien in internationalen Statistiken nicht nur sichtbar gemacht, sondern auch (mit-)erzeugt, reproduziert und objektiviert werden, fragt der Beitrag danach, wie genau Zahlen über personale Differenzierungen mit einem globalen Geltungsanspruch zustande kommen. Datengrundlage sind Dokumente aus internationalen Organisationen zu den entsprechenden politischen Entscheidungen sowie technische Anweisungen und Methodenhandbücher mit Erhebungsempfehlungen. Mithilfe einer wissenssoziologisch inspirierten Detailanalyse werden die üblicherweise nicht mehr sichtbaren Schritte der Quantifizierung anhand ausgewählter Beispiele (u. a. „Alter“, „Geschlecht“, „Ethnizität“, „Behinderung“) rekonstruiert: angefangen bei der begrifflichen Standardisierung personaler Merkmale, über ihre Operationalisierung und Festlegung von Indikatoren bis hin zur Aggregation der Einzelfälle zu Zahlen auf Weltebene. Dabei werden sowohl die Spannungen sichtbar, die zwischen der möglichst differenzierten Erfassung verschiedener Personen und der enormen Komplexitätsreduktion von Zahlen bestehen, als auch die Herausforderungen der Etablierung eines globalen Äquivalenzraumes. Der Beitrag verbindet damit vor allem Fragen der Kategorisierungs- und Quantifizierungsforschung und liefert innovative Einsichten darüber, wie genau kategoriale Differenzierungen zwischen Menschen in Zahlen transformiert und mit Objektivität versehen werden.

Ad-Hoc-Gruppe "Von alten und neuen ‘Risikogruppen‘: (globale) Personenkategorien und die Corona-Pandemie" zum Soziologiekongress der DGS/ÖGS in Wien (23.-25.8.2021)

Unser Projekt wird beim gemeinsamen Kongress der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (DGS) und der Österreichischen Gesellschaft für Soziologie (ÖGS) zum Thema Die Post-Corona-Gesellschaft? Pandemie, Krise und ihre Folgen mit einer Ad-Hoc-Gruppe vertreten sein. Unter dem Titel Von alten und neuen ‘Risikogruppen‘: (globale) Personenkategorien und die Corona-Pandemie interessieren wir uns für die Frage, wie die Pandemie die kategoriale Ordnung der Welt beeinflusst und zur Formation „pandemischer Humandifferenzierungen“ (Hirschauer) beigetragen hat. Neben theoretischen Überlegungen geht es u.a. um die Personenkategorien „Alter“, „race“ und „Behinderung“. Vortragen werden Stefan Hirschauer (Mainz), Gesa Lindemann (Oldenburg), Larissa Pfaller (Erlangen) und Annelen Fitz (Tübingen). Wir freuen uns auf spannende Diskussionen!

Ausführliche Beschreibung

Aus unserer Forschungspraxis: Teilnehmende Beobachtungen während der Sitzung der UN-Frauenrechtskommission

Vom 15.-26.3.2021 fand die 65. Sitzung der UN-Frauenrechtskommission in New York und virtuell statt (Link). Schwerpunktthemen waren die Beteiligung von Frauen im öffentlichen Leben und Gewalt gegen Frauen. Zwei Wochen lang gab es öffentliche Debatten, Parallelveranstaltungen zu Themen wie digitale Gewalt, Männlichkeitsnormen oder die Quantifizierung wirtschaftlichen Empowernments. Regierungsdelegationen verhandelten parallel den Text einer politischen Erklärung – ein hoch kontroverser Prozess, der zum offiziellen Ende der Konferenz noch nicht zu einem Konsens geführt hatte.
Mitarbeiterinnen des Projektes haben die Veranstaltung im virtuellen Raum teilnehmend beobachtet. Im Fokus standen dabei die Fragen nach der Reproduktion der globalen Kategorie der „Frauen“ und den Besonderheiten medial vermittelter globaler Interaktionen unter Pandemiebedingungen.