Internationales Zentrum für Ethik in den Wissenschaften (IZEW)

Die Flutkatastrophe sehen – Erste Überlegungen zur Visualität des Klimawandels im Jahr 2021

von Katharina Krause

03.08.2021 · Im Juli 2021 dominierte für mehrere Tage die Berichterstattung über die Flutkatastrophe in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen die deutsche Medienlandschaft. Ein zentraler Teil dieser Berichterstattung waren Bilder und Videos von Wassermassen, die sich den Weg durch Städte und Dörfer bahnen, Handyvideos von Anwohner*innen von überschwemmten Straßen, Drohnenaufnahmen von verwüsteten Landstrichen und, als das Wasser zurück ging, auch vermehrt Bilder von Aufräumarbeiten und von Menschen in den Trümmern ihrer Häuser. Politiker*innen und Medien verweisen beim Versuch, die Katastrophe und deren Ausmaß in Worte zu fassen auf die „schockierenden“, „surrealen“ und „gespenstischen“ Bilder der Katastrophe.

Ein Bild sagt mehr als tausend Worte - diese Plattitüde scheint hier zutreffend und wirft gleichzeitig die Frage auf, was genau ein Bild denn sagt, beziehungsweise sagen kann. Mit dieser Frage beschäftigt sich eine Reihe von Disziplinen, unter ihnen auch die Politikwissenschaft. Besonders in den Internationalen Beziehungen hat sich unter der Bezeichnung „Visual IR“ die Erforschung von Visualität in den letzten Jahren von einem Nischenthema hin zu einem etablierten Forschungszweig entwickelt. Unter Rückgriff auf die Debatten und Arbeiten in diesem Bereich möchte ich[i] in diesem Blogpost einen Blick auf die Visualität der Flutkatastrophe werfen.

Der Ausgangspunkt dieser Überlegungen ist die basale Feststellung, dass die Menge an Bildern und die Geschwindigkeit, mit der diese zirkulieren, enorm ist. Auf diversen Nachrichtenportalen und Social Media Plattformen konnte man die Katastrophe praktisch im visuellen Livestream verfolgen. Die Flutkatastrophe macht also einmal mehr deutlich, dass wir in einem „visuellen Zeitalter“ leben, in dem Bilder (still und beweglich) von Katastrophen unsere Wahrnehmung derer maßgeblich beeinflussen. Diese Bilder sind grundlegend politisch: „[t]hey delineate what we, as collectives, see and what we don’t and thus, by extension, how politics is perceived, sensed, framed, articulated, carried out and legitimised”.[ii] Hierbei stellen sich nicht nur Fragen der Sichtbarkeit (dazu gleich mehr), sondern, wie auch in dem Zitat deutlich wird, Fragen der Unsichtbarkeit. Ob ein Ereignis als Katastrophe wahrgenommen und als solche medial anerkannt wird, hängt bereits mit komplexen Fragen ihrer Visualisierbarkeit zusammen. Das anhaltende und zweifellos katastrophale Artensterben lässt sich zum Beispiel nicht so prägnant visualisieren wie eine Flutkatastrophe.

Angesichts der hohen Sichtbarkeit und der Dramatik der zirkulierenden Bilder stellt sich die Frage nach deren Bedeutung. Wie beeinflussen diese Bilder unser Verständnis der Flutkatastrophe? Welche Verbindungen werden zwischen der Flutkatastrophe und dem Klimawandel (nicht) hergestellt? Welche Aspekte bleiben unsichtbar? Auf diese Fragen gibt es nicht die eine Antwort. Zum einen gibt es keine universell geteilte Interpretation von Bildern. Vielmehr sehen wir sie immer eingebettet in unsere sozialen Kontexte. Außerdem ist es für eine mittel- und langfristige Evaluation noch zu früh. Nichtsdestotrotz ist es bereits jetzt möglich folgende Aspekte hinsichtlich der Komplexität von Bildern herauszustellen:

Die Bilder aus den Katastrophengebieten machen das Unvorstellbare vorstellbar(er). „Die deutsche Sprache kennt kaum Worte für die Verwüstung, die hier angerichtet ist“, sagte Angela Merkel bei ihrem Besuch in Schuld, Rheinland-Pfalz am 18.07.2021. Nur zu lesen, dass Häuser weggespült wurden, ist etwas anderes, als ein Bild oder gar ein Video einstürzender Häuser zu sehen. Nicht nur die Flutkatastrophe, sondern auch der mit ihr im Zusammenhang stehende anthropogen verursachte Klimawandel, den viele Menschen in Deutschland bisher als abstrakte Bedrohung wahrnehmen konnten, wird durch die Bilder konkretisiert. Die Bilder wirken als eine Art Beweisstück dafür, dass der Klimawandel „in Deutschland angekommen“ ist. Fotografien und Videos sind hier besonders relevant, da diese eine Aura der Objektivität innehaben und sie oftmals als Abbild der Realität gesehen werden. Die Floskel ich glaube nur, was ich auch sehen kann oder pointiert auf Englisch: pics or it didn’t happen! ist hier passend. Dass Fotos auch nur einen bewusst gewählten Ausschnitt zeigen, wird dabei leicht übersehen.

Neben ihrer Funktion als Beweisstück wird Bildern auch die Fähigkeit zugeschrieben, starke Emotionen zu erzeugen. Lene Hansen argumentiert in diesem Kontext beispielsweise, dass Bilder die betrachtende Person viel unmittelbarer und emotionaler träfen als reiner Text.[iii] Relevant ist im Kontext der Flutkatastrophe auch das Konzept der „affective communities of trauma“ von Emma Hutchison,[iv] die nachzeichnet und konzeptualisiert, wie kollektiv geteilte Emotionen „affective communities“ auf lokaler, nationaler und globaler Ebene ermöglichen können. Für das Entstehen dieser kollektiven Emotionen hält sie (visuelle) Repräsentationen für zentral.: “representations of a traumatic event can produce the shared meanings and sense of common purpose required to mobilize political community”.[v] Es stellt sich hier wieder die Frage, wer Teil dieser Identität wird und ist, wer und wessen Trauma unsichtbar bleibt und wo die Grenzen der Hilfsbereitschaft und Solidarität verlaufen. Denn Bilder, besonders von Leid und Trauma, können sowohl Nähe und Hilfsbereitschaft als auch Distanz und Apathie schaffen.[vi] Ein Beispiel für Letzteres ist das sogenannte „compassion fatigue“, das einsetzt, „when a reader’s or viewer’s emotions are deeply engaged by a tragedy, but there appears to be no easy or meaningful contribution that the individual can make in response to the news of tragedy”.[vii]

Wenn wir die Wirkungsweisen von Bildern verstehen wollen, sollten wir außerdem auch deren inter-visuelle und inter-textuelle Einbettung berücksichtigen. Hinsichtlich des Text-Bild Zusammenspiels der Flutkatastrophe fällt besonders (wenn auch nicht überraschend) die in Medien und Politik oft verwendete Kriegsmetapher auf. Krieg fungiert dabei als Superlativ der Katastrophe und des Horrors, der als Referenzrahmen für die Flutkatastrophe genutzt wird. Das ist, genauso wie im Kontext der Pandemie, problematisch, denn eine Flut ist kein Krieg. Wer ist der Feind? Ist es das Wasser, die Natur, oder der Klimawandel? Und wer kämpft gegen den Feind? Mit dem Verweis darauf, dass mit Krieg und Kriegsrhetorik Sexismus, Rassismus, Homophobie und Xenophobie einhergehen, hat Cynthia Enloe für die Pandemie schlüssig ausgeführt, warum aus einer Kriegsrhetorik keine effektive, inklusive, faire und nachhaltige Gesundheitspolitik entstehen kann. Das gleiche gilt für den Umgang mit Katastrophen und auch für die Klimapolitik. Ein suggerierter Kampf von Mensch gegen Natur wird den Ursachen für die Katastrophe nicht gerecht.

 

Die Bilder der Flutkatastrophe reihen sich ein in die Bilder der Hitzewelle in Kanada und den USA, der Brände in Sibirien und Australien und anderer Naturkatastrophen, die im politischen Diskurs vermehrt als Belege für den Klimawandel diskutiert werden. Es scheint so, als habe der einsame Eisbär auf der Eisscholle als Ikone ausgedient. An seine Stelle treten vermehrt Bilder, die die Bedrohung des Klimawandels für den Menschen konkretisieren und begreifbar machen. Unser Blick (wortwörtlich gemeint) auf den Klimawandel ändert sich und mit ihm einher geht die wachsende Erkenntnis reicher Industrienationen, dass die Erderwärmung sich eben nicht nur am Polarkreis, sondern auch „zu Hause“ abspielt. Die Relevanz dieses Wandels hat zum Beispiel der Guardian schon erkannt: statt Eisbären verwendet die Zeitung vermehrt Bilder, die die Auswirkungen des Klimawandels auf die Menschheit zeigt. Hierbei stellen sich die oben aufgeworfene Fragen von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit noch einmal auf drängende Art und Weise mit einer globalen Dimension: wessen Leid wird gesehen? Wer bleibt unsichtbar? Bilder, das hat die Flutkatastrophe einmal mehr gezeigt, sind politisch. Sie prägen unsere Wahrnehmung des Klimawandels und sind zugleich bereits ein Ausdruck dieser Wahrnehmung.

Kurz-Link zum Teilen: https://uni-tuebingen.de/de/215632

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[i] Wie wir Bilder sehen und empfinden, ist abhängig von unseren sozialen Kontexten. Das ‚ich‘ in diesem Satz ist deswegen wichtig, denn es verweist auf meine Position als in Süddeutschland lebende Person, die nicht unmittelbar von der Katastrophe betroffen ist.

[ii] Roland Bleiker, ‘Mapping visual global politics’, in Roland Bleiker (ed.), Visual global politics (Routledge, New York, NY, 2018), pp. 1–29, p. 4.

[iii] Lene Hansen, ‘Theorizing the image for security studies: Visual securitization and the muhammad cartoon crisis’, European Journal of International Relations 17, 1 (2011), pp. 51–74.

[iv] Emma Hutchison, Affective communities in world politics: Collective emotions after trauma (Cambridge University Press, Cambridge, 2016).

[v] Ibid., p. 6.

[vi] Luc Boltanski, Distant suffering: Morality, media, and politics (Cambridge University Press, Cambridge, 1999).

[vii] Susan D. Moeller, ‘Compassion fatigue’, in Roland Bleiker (ed.), Visual global politics (Routledge, New York, NY, 2018), pp. 75–80, p. 77.