Hässlich, obszön, subversiv: Groteske Frauen in den Medien
von Theresa Krampe
15.12.2023
Medien beeinflussen Körperbilder
(Massen-)Medien üben einen maßgeblichen Einfluss auf Körperbilder aus. Sie bestätigen kulturelle Schönheitsideale, verbreiten idealisierte Bilder und beeinflussen gesellschaftliche Normen und Werte. Dass insbesondere die Nutzung von Social Media-Plattformen wie Instagram das Körperbild von jungen Mädchen und Frauen[1] dramatisch verschlechtern kann, ist mittlerweile durch zahlreiche Studien belegt. Während das Problem heutzutage eine neue Eskalationsstufe erreicht hat, ist die Kritik an hochproblematischen Darstellungen von Frauenkörpern keineswegs neu. Lange Zeit fungierten insbesondere das Fernsehen und die (Hollywood-)Filmindustrie als prägendes Medium für weibliche Schönheitsideale. Dabei wird der Frauenkörper zum Austragungsort eines Machtungleichgewichts, bei dem der Mann aktiver Träger des Blickes ist, während die Frau als Objekt der Begierde inszeniert wird.[2] Nicht-normative Weiblichkeitsentwürfe werden hingegen stereotypisiert oder überhaupt nicht dargestellt. Es ist kein Zufall, dass ältere, übergewichtige oder sexuell aktive Frauen häufig als Witzfigur, Bösewicht, oder warnendes Beispiel dienen. Um solche wirkmächtigen Darstellungskonventionen aufzubrechen, bedarf es effektiver Strategien. Im öffentlichen Diskurs sind dabei zunächst die Inklusionsbemühungen von Sendern, Streaming-Diensten oder Werbetreibenden im Gespräch. Hier soll es aber darum gehen, wie ausgerechnet der abstoßende, obszöne, groteske Körper dazu beitragen kann, normative Vorstellungen von Weiblichkeit herauszufordern.
Groteske Weiblichkeit
Die Groteske beschreibt eine Ästhetik des Monströsen, Bizarren und Abjekten, assoziiert mit frivolen, „heidnischen“ Darstellungen; mit überzeichneten Proportionen und Körpern, bei denen Mensch und Tier, Fantasie und Realität verschmelzen. Verflechtungen zwischen Weiblichkeit und Groteske wurden bereits in den 1990er Jahren von der feministischen Theoretikerin Mary Russo beschrieben.[3] Russo unterscheidet grob zwischen zwei Ausprägungen grotesker Weiblichkeit. Der groteske Körper aus der Tradition des Karnevals ist assoziiert mit dem Politischen und mit sozialer Transformation. Emblematisch für diese Form ist die Figur der lauthals lachenden „senilen schwangeren alten Hexe,“[4] die gleich mehrere Normabweichungen in sich vereint. Die „unheimliche“ Groteske als Ausdruck der Psyche hingegen ist verbunden mit der Figur der hysterischen Frau, die gegen physische und psychische Unterdrückung aufbegehrt. In Medien und (Populär-)Kultur begegnen uns solche grotesken Frauen in wohlbekannten Gestalten: Medusa, die alte Hexe, die verführerische Vampirin. Aber auch dicke, magere, taffe, tätowierte oder behaarte Frauen sind für Russo mit der Grotesken assoziiert.
Aus ethischer Perspektive ergibt sich daraus ein faszinierendes Spannungsfeld. Einerseits sind groteske Darstellungsweisen hochfunktional in misogynen Diskursen, wo sie Stereotype bekräftigen und als Instrument der Unterdrückung dienen. Weiblichkeit wird hier zur Abweichung von der männlichen Norm. Den defizitären, unordentlichen, bedrohlichen weiblichen Körper gilt es entsprechend streng zu disziplinieren: Körperflüssigkeiten, Penetration und sonstige Grenzübertretungen gelten als peinlich und vulgär und werden entsprechend ausgegrenzt. Andererseits kann die Groteske aber auch der Selbstermächtigung und Rebellion dienen, indem sie nämlich Normalitäten hinterfragt und etablierte Seh- und Darstellungskonventionen aufrüttelt. Wie sich diese Dynamik auch heute noch in den Medien abspielt, lässt sich am besten anhand konkreter Beispiele zeigen.
Böse Stiefmutter Reloaded: Disney’s Ursula
Dass Disney hinter seiner Erfolgsgeschichte auch auf eine deutlich weniger rühmliche Tradition problematischer Tropen zurückblickt, ist mittlerweile bekannt. Letztere reichen von Geschlechter- und Rollenklischees (die schöne Prinzessin/der mutige Prinz) bis hin zu rassistischen Stereotypen. Auch das sogenannte „queer coding“ von Bösewichten — also der Rückgriff auf negative Stereotype über queere Menschen — gehört zu Disney’s Repertoire. Man denke etwa an Scar aus dem König der Löwen oder Ursula aus Arielle, die Meerjungfrau. Ursula allerdings gilt nicht nur als Negativbeispiel, sondern sie ist auch zur queeren Ikone geworden, ein Umstand, der sich sicherlich auch auf Einflüsse von Drag und groteskem Karneval zurückführen lässt. Sowohl die Zeichentrickversion (1989) als auch die Realverfilmung (2023) sind inspiriert durch die Drag Queen Divine, die wiederum mit grotesken Motiven — Üppigkeit, Ekel, Transgression, Monstrosität — zu spielen vermochte. Ursulas massiger, Tentakel-bewährter Körper, ihr schrilles Makeup und die kraftvolle Gesangsperformance sind entsprechend nicht nur als Folie des Idealbildes der jungen, schönen, passiven Frau zu verstehen, sondern verleihen ihr auch eine Ausstrahlung von absolutem, trotzigem Selbstbewusstsein. Das macht sie zum Vorbild für eine Form von Weiblichkeit, die sich nicht in ein Korsett der Heteronormativität fügen mag.
Boss-Monster: Groteske Weiblichkeit im Computerspiel
Auch in der Computerspielindustrie ist der „männliche Blick“ verbreitet. Als Paradebeispiel dürften dabei wohl Lara Croft’s überproportionierte Polygon-Brüste dienen.[5] Aber auch monströs-groteske weibliche Körper haben in Computerspielen durchaus Tradition. Zumeist gehen sie einher mit einer Doppelfunktion, denn sie sind sowohl fiktionale Figuren als auch Gegner*innen, die es zu bekämpfen gilt. In The Forest (2018) etwa gibt es den Gegner*innen-Typ der „Virginia“, die neben einer Vielzahl an Extremitäten auch über grotesk vergrößerte Genitalien verfügt. Damit erinnert sie stark an frühe Beispiele grotesker Weiblichkeit wie die Sheela-na-gig (siehe Titelbild): frühmittelalterliche Steinreliefs mit übertrieben dargestellter Vulva. Auch wenn sich solche Figuren sicherlich verschiedene Lesarten zulassen, mobilisieren sie doch auch problematische Assoziationen zwischen weiblicher Sexualität und dem Abjekten.
Deutlichere sozialkritische Untertöne finden sich dagegen in der Figur der Simone (Beauvoir in der japanischen Version) aus Nier: Automata (2017). Im ersten Spieldurchlauf fungiert Simone vor allem als Endgegnerin in Gestalt einer gigantischen Roboterfrau, deren opulenter Körper und Kostüm mit leblosen Roboterteilen geschmückt sind. In weiteren Spieldurchläufen wird dann ihre Hintergrundgeschichte offenbart: Nachdem es Simone gelang, ein Bewusstsein zu entwickeln, verliebte sie sich unglücklich in Jean-Paul,[6] woraufhin sie zu immer drastischeren Körpermodifikationen griff, um „Schönheit“ und männliche Aufmerksamkeit zu erlangen. Ähnlich wie Ursula oder die Virginia zitiert auch Simone Motive des Abjekten—Opulenz, Kannibalismus, Perversion — jedoch findet sich in ihr eine deutliche Kritik von Schönheitsideal und -industrie. Als Allegorie offenbart Simones tragische Geschichte, wie Normen und Konsumkultur weibliche Körper produzieren und regulieren.
Mut zur Hässlichkeit: Mit Ugly Instagram gegen den Schönheitswahn?
Was groteske Ästhetik für die sozialen Medien bedeuten könnte, zeigt sich in Trends wie ugly Instagram, beim dem auf ungefilterten und (vermeintlich) authentischeren Content gesetzt wird. Darunter fallen etwa Fotos mit niedriger Auflösung oder Bilder von mondänen oder abstoßenden Motiven (von betonierten Hinterhöfen bis hin zu Erbrochenem). Groteske Memes[7] beschäftigen sich zudem, in Wort und Bild, mit Tabuthemen wie biologischen Kreisläufen (Sex, Geburt, Tod, Essen, Trinken, Ausscheidungen) und stellen damit sowohl deren kulturelle Markierung als „vulgär“ als auch die (algorithmischen) Moderationspraktiken der Plattformen infrage. Influencer*innen, Feminist*innen und Künstler*innen wie Petra Collins machen zudem auf die homogenisierende Logik hinter der Zensur weiblicher Körper aufmerksam, indem sie Fotos unrasierter Beine und Bikinizonen sowie von Pickeln und Cellulite posten. Um hegemonische Körperbilder und Geschlechterverhältnisse umzudrehen, bedarf es sicherlich mehr als ein paar ungefilterter Hautunreinheiten.[8] Gerade an Social Media Trends zeigt sich außerdem, wie eine scheinbar rebellische Gegenbewegung ihrerseits zur neuen Norm werden kann. Das Ideal einer (aufwändig stilisierten) Imperfektion übt dann wiederum Druck aus, anders zu sein als die anderen (eitlen, oberflächlichen) Frauen. Schlimmstenfalls sind also Feminismus, Coolness und Authentizität wiederum erkauft durch die binäre Abgrenzung von einem als minderwertig geltenden Frauenbild. Überhaupt ist Sichtbarkeit ein zweischneidiges Schwert, denn sie bedeutet auch Exponiertheit und Vulnerabilität. Sogenannter „Backlash“[9] trifft eben immer auch private Individuen und diejenigen, die sich im gesellschaftlichen Machtkampf gar nicht exponieren können oder wollen.
Aus ethischer Perspektive sind groteske Darstellungen gerade wegen ihrer Widersprüchlichkeit interessant. Im Spannungsfeld zwischen Affirmation und Rebellion; De- und Rekonstruktion zeigt sich der Konstruktcharakter der Norm, was wiederum Raum eröffnet für Umdenken und Wandel. „Als Brennpunkt gesellschaftlicher Zuschreibungen ist [der Frauenkörper] auch ein symbolischer Ort,“ so schreibt Regina Ammicht Quinn.[10] Hochpolitisiert und öffentlich ist er Austragungsort für die Aushandlung kollektiver Werte und Identitäten einer Gesellschaft — von der Frage nach Geschlechterverhältnissen und Sexualmoral bis hin zur nationalen Identität. Kein Wunder also, dass das „‘unpassende‘ Sich-Zeigen des Frauenkörpers“ (ibid.) — sei es in Form einer grandios-bösartigen Seehexe, einer kolossalen Roboter-Frau oder einer unrasierten Bikinizone — zur Gefahr für vorherrschende Machtverhältnisse werden kann, die auf den Frauenkörper als Projektionsfläche angewiesen sind.
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[1] Auch das Körperbild von Männern bleibt von (sozialen) Medien keinesfalls unberührt; queere Menschen und People of Colour sehen sich zudem oft komplexer Konstellationen überlappender normativer Erwartungen an den eigenen Körper ausgesetzt, die noch dazu mit Vorurteilen durchsetzt sind. Wenn es in diesem Beitrag also um (primär weiße), weiblich gelesene Köper geht, dann handelt es um eine selektive Betrachtung einer vergleichsweise privilegierten Gruppe von Frauen, die keinesfalls die Erfahrungen aller Menschen abbildet.
[2] In ihrem berühmten Aufsatz „Visuelle Lust und narratives Kino“ hat Laura Mulvey das Konzept des „male gaze“—des männliches Blicks—vorgeschlagen, um dieses Machtverhältnis einzufangen. Siehe: Mulvey, Laura. 1975. „Visual Pleasure and Narrative Cinema.” Screen 16.3: S. 6-18.
[3] Z.B.: Russo, Mary. 1986. “Female Grotesques: Carnival and Theory.” In Feminist Studies/Critical Studies, Hg. Theresa de Lauretis. Londong: Palgrave Macmillan. Sowie Russo, Mary. 1995. The Female Grotesque: Risk, Excess and Modernity. New York: Routledge.
[4] Bakhtin, Mikhail. 1984. Rabelais and his World. Bloomington: Indiana UP.
[5] Feministische Formate wie die YouTube Videoreihe „Tropes vs Women in Video Games“ von Anita Sarkeesian machen zudem auf die gewohnheitsmäßige Objektifizierung (Frauen als Dekoration oder Belohnung) oder Sexualisierung („Lingerie ist keine Rüstung“) aufmerksam.
[6] In einer offensichtlichen Anspielung auf die Beziehung zwischen der Philosophin und Feministin Simone de Beauvoir und dem Philosophen Jean-Paul Sartre.
[7] Galip, Idil. 2021. The „Grotesque“ in Instagram Memes. In: Critical Meme Reader: Global Mutations of the Viral Image. Hg. Chloë Arkenbout, Jack Wilson and Daniel de Zeeuw, S. 27-39. Amsterdam: Institute of Network Cultures.
[8] Zumal die herzeigbaren Formen von Diversität in den sozialen Medien ihrerseits streng reguliert und zumeist (ansonsten) normschönen Menschen vorbehalten ist, was Marginalisierungseffekte noch verstärken kann. Beispiele für Formate, die die Vielgestaltigkeit weiblicher Körper effektiv thematisieren, sind etwa die Videoreihe „Brust raus“ oder das Vulvarium.
[9] Gegenbewegungen bzw. reaktionäre Bestrebungen, die sich derzeit u.a. in transphober Rhetorik, Zensur und Gewalt gegen als weiblich gelesene Personen äußern.
[10] Ammicht Quinn, Regina. 2021. „Über Beinkleider und Kardinalsünden: Diversifizierte Genderfragen und gegenderte Diversitätsfragen.“ Communicatio Socialis 54.3: S. 329-340.
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