Erasmus geht es in den elf Abschnitten seines an den späteren Kaiser Karl V. gerichteten und seither in vielen Ausgaben und Übersetzungen erschienenen Fürstenspiegels nicht um skrupellose Machtpolitik und Machterhalt schlechthin, sondern um Gerechtigkeit und allgemeine Wohlfahrt aller Bürger. Die einzelnen Kapitel enthalten zahlreiche konkrete Anweisungen zur Praxis einer guten Regierungskunst. „Der Fürstenerzieher soll darauf hinwirken, daß unter Christen Herrschaft nichts anderes ist als Verwaltung des Staates, nicht Unterwerfung. Sie heißt zwar Herrschaft, aber der Herrscher soll eingedenk sein, daß er über Freie und Christen herrscht, das heißt über doppelt Freie.“ Der gute Fürst soll „mit Weisheit, Gerechtigkeit, Maß, Voraussicht und Eifer für das Gemeinwohl“ und damit auch für die Zustimmung der Bürger für seine Herrschaft sorgen. Was die Staatsform betrifft, so sympathisiert der Autor mit der Wahlmonarchie. Hier wie auch an andernorts („Die Klage des Friedens“, 1517) betont Erasmus die Verwerflichkeit von Kriegen, die den Fürsten nur im äußersten Notfall erlaubt sein sollen.
Das Exemplar der UB Tübingen (Signatur: Ec 57.4) enthält ein sehr schön gestaltetes Titelblatt mit Holzschnitt und viele handschriftliche Randbemerkungen eines früheren Besitzers.
Literatur:
- Ferdinand Geldner: Die Staatsauffassung und Fürstenlehre des Erasmus von Rotterdam, Vaduz 1965 (Sign.: 7 A 7518);
- Anton J. Gail (Hrsg.): Fürstenerziehung. Die Erziehung eines christlichen Fürsten / Erasmus von Rotterdam, Paderborn 1968; Wilhelm Ribhegge: Erasmus von Rotterdam, Darmstadt 2010 (Sign.: 50 A 4969)