Der nachfolgende Quellenführer informiert u.a. über Aufbau und Inhalt sowie über Quellenkritik und Auswertungsmöglichkeiten von Vorlesungsmit- und -nachschriften (Text: Robin Wußler).
Im Bestand UAT S100, aber auch darüber hinaus in einigen Nachlässen, sind Vorlesungsmit- und -nachschriften enthalten. Während die Mitschriften von Studierenden (manchmal auch von Gasthörern) direkt während einer Vorlesung angefertigt wurden, sind die Nachschriften das Produkt einer Übertragung der Mitschriften in eine geordnete, saubere und stärker ausformulierte Form, häufig auch unter Beifügung zusätzlicher Informationen. Erstere sind deshalb in der Regel gekennzeichnet durch ein eher hektisches Schriftbild, viele Abkürzungen, wenige ausformulierte Sätze, viele Durchstreichungen und Korrekturen. Letztere dagegen zeichnen sich meistens durch ein sauberes Schrift- und Gesamtbild, stärker ausformulierte Sätze und wenige Abkürzungen aus. Des Öfteren finden sich Datumsangaben, die sich auf die Termine der Vorlesungssitzungen beziehen. Diese deuten tendenziell auf Vorlesungsmitschriften hin. Eine Gliederung, die sich nicht oder nicht direkt daran orientiert, etwa eine in Bücher und Kapitel, spricht eher für eine Nachschrift. Häufig lassen sich die Archivalien aber nicht eindeutig einem der beiden Typen zuordnen. Außerdem treten Mischformen auf, etwa Mitschriften, denen im Nachhinein weitere Informationen oder Kommentare beigefügt wurden. Die meisten Vorlesungsmit- und Nachschriften liegen in gebundener Form vor. Bei einigen handelt es sich um im Voraus gebundene Hefte, weshalb sich am Ende meist leere Seiten oder hineingelegte zusätzliche Seiten finden. Oft wurden im Gegensatz dazu aber lose Blätter beschreiben und im Nachhinein gebunden.
Die einzelnen Bände oder Hefte umfassen in der Regel eine oder mehrere Vorlesungen. Die Gliederung innerhalb der einzelnen Vorlesungen erfolgt häufig nach dem Datum der einzelnen Vorlesungstermine. Manchmal findet sich aber auch eine Einteilung in Bücher und Kapitel, die mit den Sitzungsterminen korrelieren kann, aber nicht muss. In der Regel übernahmen die Studierenden oder Gasthörer die Gliederung des Dozenten, bei einigen Nachschriften stößt man aber auf selbstständig entwickelte Einteilungen. Sofern in einem Band oder Heft mehrere Vorlesungen untergebracht wurden, hängen diese meistens zusammen. Oft findet man inhaltlich verwandte Vorlesungen oder diejenigen eines bestimmten Dozenten zusammengefügt, gelegentlich handelt es sich aber auch um alle besuchten Vorlesungen innerhalb eines oder mehrerer Semester. Während Vorlesungsmitschriften den Inhalt der Vorlesung zusammengefasst wiedergeben, gehen Nachschriften teilweise darüber hinaus, indem nicht in der Vorlesung enthaltene Informationen hinzugefügt sind. Diese können von einzelnen kleinen Ergänzungen bis hin zu ganzen Exzerpten von Literatur oder Vorträgen reichen, gelegentlich findet man auch Skizzen und Illustrationen. Bei den Mischformen, also Mitschriften, die im Nachhinein überarbeitet wurden, erscheinen die Zusätze in der Regel in Form von Einfügungen oder Ergänzungen am Seitenrand. In jedem Fall lohnt sich ein Abgleich mit den Vorlesungsmanuskripten des Dozierenden, sofern diese überliefert sind. Die meisten Vorlesungsmit- und -nachschriften im Universitätsarchiv Tübingen betreffen die Fächer Jura und Theologie, auch verschiedene Geisteswissenschaften sind breit vertreten. Wenige Exemplare sind dagegen aus den Naturwissenschaften und der Medizin überliefert.
Vorlesungsmit- und -nachschriften sind vor allem interessant, wenn man den Inhalt von Vorlesungen rekonstruieren möchte, von denen keine Manuskripte oder Ähnliches enthalten sind. So kann man die Lehre einzelner Personen analysieren, aber auch übergreifende Untersuchungen etwa über die Entwicklung bestimmter Fächer, Forschungsstände und Positionen anstellen. Allerdings gilt es zu beachten, dass bereits die Vorlesungsmitschriften nicht identisch mit der Vorlesung sind, da beim Mitschreiben stets eine Selektion der Informationen stattfindet und sich Fehler einschleichen können. Werden dann – insbesondere in den Nachschriften – noch ergänzende Informationen angefügt, entfernt sich die Schrift noch weiter von der eigentlichen Vorlesung. Da die meisten Vorlesungsmit- und Nachschriften in handschriftlicher Form vorliegen, sollte man zum Arbeiten damit über paläographische Fähigkeiten verfügen. Insbesondere in den oft hektisch verfassten Mitschriften kann das Schriftbild paläographisch sehr anspruchsvoll sein. Zudem finden sich teilweise ungewöhnliche Abkürzungen, die sich nur schwierig oder gar nicht auflösen lassen.
Die meisten Vorlesungsmit- und -nachschriften gingen durch Nachlässe und Schenkungen an das Universitätsarchiv, einige wurden aber auch in Antiquariaten aufgekauft oder fanden andere Wege in die Einrichtung. Sie sind also Teil der nichtamtlichen Überlieferung. Dass vor allem Exemplare aus den Fächern Theologie, Jura und den Geisteswissenschaften überliefert sind, lässt sich auch dadurch erklären, dass Schenkungen und Nachlässe vor allem von Angehörigen dieser Disziplinen an das Universitätsarchiv gelangen.