Noch vor den für einen kommunikativ angelegten Kongress obligatorischen Namensschildchen begrüßte ein QR-Code die Teilnehmenden des 3. BRU-Bildungskongresses am vergangenen Donnerstag, 9. Dezember 2019 im Erbacher Hof in Mainz. Der Code zusammen mit einer schützenden vierstelligen Zahlenkombination führte die Teilnehmenden auf eine Umfrage über ihre Erwartungshaltungen zum Kongress, zu dem sie eben ankamen, und steht rückblickend beispielhaft für eine der zentralen Fragen beim Kongress: Wie können wir digitale Medien inhaltlich passend und datenschutzgerecht für gelingende Lehr-Lern-Beziehungen im RUabS/BRU einsetzen?
Die Kongress-Veranstalter bibor, EIBOR, KIBOR und die Abteilung Religionspädagogik an der Philosophisch-Theologische Hochschule Sankt Georgen nahmen die Teilnehmenden vielfach mit in eine digitalisierte Welt: Nach der digitalen Ankommens-Befragung gab es lediglich Namensschilder und Teilnahmebestätigungen analog, die Tagungsmappe sowie das Feedback zum Kongress waren digital abrufbar und wurden passgenau per Mail erinnert. Dazu gab es schon am Empfang Login-Codes fürs Tagungshaus-W-Lan. Dass dieses Netz zwischendurch durch die knapp 150 Teilnehmenden so gut ausgelastet war, dass die Verbindung zum digitalen Überraschungsgast aus dem rpi, Jörg Lohrer, fast nicht zustande kam, gehört wohl genauso zu unserer „digitalisierten Welt“ wie dass der persönliche Login automatisch für zwei Geräte vorgesehen war – viele waren selbstverständlich mit Smartphone und Tablet bzw. Laptop unterwegs.
Ob wir das Innenleben unserer digitalen Gerätschaften verstehen müssen, um uns in einer digitalisierten Welt bewegen zu können, stellte Prof. Dr. Dr. h.c. Friedrich Schweitzer, Leiter des EIBOR, in seinen einführenden Thesen in Frage. Noch vor einigen Jahren sei man davon ausgegangen, dass es diese Hardwarekompetenz brauche.
Prof. Dr. Ralf Lankau, Hochschule Offenburg, schärfte den Blick für unsere Begriffs- und Softwarewahl. So gebe es schlichtweg keine „Künstliche Intelligenz (KI)“, sondern eben nur automatisierte Datenauswertungsprozesse. Und der Religionsunterricht werde auch nicht digitalisiert, sondern durch digitale Medien ergänzt. Tatsache seien aber die „big five“ der Unternehmen aus dem Silicon Valley, auf deren Software meistens zurückgegriffen werde: Amazon, Google, Facebook, Apple und Microsoft. Damit unterwerfe man sich auch deren kommerzieller Digitalisierungs-Logik. Lankau skizzierte neben diesem US-amerikanischen sowie dem chinesischen digitalen Weg alternativ einen europäischen, dritten Weg: datensparsam, dezentral, föderal bzw. lokal und durch unser Rechtssystem bestimmt – Digitales als „res extra commercium“. Kleinteilige Lernstandsmessungen und die Ausrichtung von Unterricht und Bildungspolitik darauf entsprächen dem nicht. Um auch dem Datenschutz gerecht zu werden, brauche es an Schulen Edge statt Cloud Computing. Die Geräte, mit denen wir arbeiten, müssten wir zumindest soweit verstehen, um unserer Verantwortung gerecht zu werden.
Prof. Dr. Frank Thissen, Hochschule der Medien Stuttgart, schärfte den Blick für das „Medium“ Relilehrer*in: Lernen brauche vor allem positive Emotionen und Beziehungen. Dr. Axel Fuhrmann, Geschäftsführer der Handwerkskammer Düsseldorf, wies auf die in Sachen digitale Medien oft umgekehrten Lehr-Lern-Verhältnisse hin: Wir hätten die erste Generation, in der Ältere von Jüngeren lernten. MD Klaus Lorenz aus dem Kultusministerium Baden-Württemberg machte den Datenschutz in Schulen stark und verwies darauf, dass es bei der in Baden-Württemberg geplanten und noch nicht umgesetzten Lernplattform „Ella“ gerade auch darum gehe: Wegen des Datenschutzes werde nicht einfach eine bestehende Plattform der angesprochenen „big five“ verwendet. Lorenz hält es allerdings für demokratisch bedenklich, dass sich staatlich gerade offensichtlich kein geeignetes System entwickeln lasse.
Bei acht verschiedenen Foren hatten die Teilnehmenden Gelegenheit, sich mit unterschiedlichen Aspekten der Digitalisierung im Bereich der religiösen Bildung an Beruflichen Schulen vertieft auseinanderzusetzen. Andreas Ziemer vom PTI Drübeck stellte „Tools für neue Methoden im BRU“ vor, Prof. Dr. Frank Thissen sein Konzept „Learners as Designers im Religionsunterricht“. Jörg Lohrer von rpi-virtuell war online zugeschaltet und präsentierte „Mit rpi-virtuell im BRU arbeiten“. Unter dem Titel „Digitale Medienkompetenz für Lehrerinnen und Lehrer“ gaben Prof. Dr. Oliver Ruf, zusammen mit der Studierenden Theresa Kiefer und Alexandra Wörn vom EIBOR, „Impulse zur Mediennutzung“. Einen Vorschlag zur kritischen Auseinandersetzung im Umgang mit digitalen Medien gaben Margit Metzger vom PTZ Stuttgart und Christina Krause vom EIBOR mit dem Forum „Ethik für das digitale Leben“. Monika Marose vom bibor Bonn gab Impulse zum „Digital trauern“. Rebecca Nowack und Stefan Lemmermeier stellen das KIBOR-Projekt „Remember – Erinnerungslernen im Netz“ vor. Im Forum „Mensch 4.0 – Maschine 4.0“ stellten David Hummel und Simone Hiller, beide vom KIBOR, kompetenzorientierte und binnendifferenzierte Unterrichtsmaterialien mit digitalen Anteilen vor.
Prof. Dr. Ilona Nord vom Institut für Evangelische Theologie und Religionspädagogik an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg machte mit eindrücklichen Fotos von den Papstwahlen 2005 und 2013 auf eine offensichtliche Wende in der Verbreitung und Nutzung von Smartphones und Tablets aufmerksam: Während 2005 beim abendlichen Blick auf den Balkon im Vatikan im Vordergrund vor allem dunkle Rücken zu sehen sind, leuchtet dem Betrachter 2013 ein Meer aus Smartphone- und Tablet-Bildschirmen entgegen, mit denen das Geschehen dokumentiert und in die Welt verbreitet wurde. Im Reformationsjubiläumsjahr 2017 bot der Segensroboter „BlessU2“ seine Dienste an – zwei Beispiele dafür, wie digitalisierte religiöse Praxen Wahrnehmungen veränderten.
Der digitale Schlussakkord mit Prof. Dr. Detlef Buschfeld, Berufs- und Wirtschaftspädagoge an der Universität Köln und Sachverständiger in der Enquete-Kommission „Berufliche Bildung in der digitalen Arbeitswelt“, zeigte, dass der Prozess der Digitalisierung auch politische Entscheidungen und politische Verantwortung braucht.
Ein inspirierender Tag voller kritischer sowie ermutigender Impulse zur Digitalisierung von Lebenswelt, Schule und Unterricht – und gleichzeitig nicht zu kurz kommenden Möglichkeiten zu analoger Vernetzung und persönlichem Austausch.
Simone Hiller (KIBOR)