Das Vorliegen von Ereignishaftigkeit ist ein wichtiges Kriterium zur Unterscheidung narrativer und nicht-narrativer Texte.
Von Erzählungen im engeren Sinne kann man mit Schmid (2014, 1–6) dann sprechen, wenn ein Text (a) eine vermittelnde Erzählinstanz aufweist und wenn er (b) zudem mindestens eine Zustandsveränderung enthält. Erzählwürdig sind vor allem Zustandsveränderungen, die einen ereignishaften Charakter haben. Aber was ist aus narratologischer Sicht ein Ereignis? Klar ist, dass beide Kategorien eng miteinander verbunden sind. So gilt mit Schmid: "Jedes Ereignis impliziert eine Zustandsveränderung, aber nicht jede Zustandsveränderung bildet ein Ereignis" (2014, 14). Ein Ereignis kann man deshalb als eine Zustandsveränderung definieren, die eine oder mehrere zusätzliche Bedingungen erfüllt.
Bereits seit der frühen Theoriediskussion gibt es die Ansicht, dass Ereignishaftigkeit (d.h. die Bedingungen, die eine bloße Zustandsveränderung zu einem Ereignis im engeren Sinne machen), sowohl eine binäre als auch eine skalare Eigenschaft von Texten ist. Das heißt, Texte können entweder Ereignisse aufweisen oder nicht, und diese können graduell unterschiedlich stark ausfallen. Für Lotman hängt der Eintritt eines Ereignisses maßgeblich mit einer damit einhergehenden (räumlichen) Grenzüberschreitung zusammen (Lotman 1993, 329–340). Die Grenze, so Lotman, stehe in literarischen Texten oft sinnbildlich für andere, nichträumliche Gegensätze, die symbolisch, moralisch oder ideologisch augmentiert sind, innerhalb des Textes aber über die Kategorie des Raums verhandelt werden. Als ein skalares Kriterium gilt ihm die Wahrscheinlichkeit einer Grenzverletzung: “Je geringer die Wahrscheinlichkeit ist, dass ein bestimmtes Ereignis eintritt (d. h. je mehr Information die Mitteilung darüber enthält), desto höher rangiert es auf der Skala der Sujethaftigkeit" (Lotman 1993, 336). In Anschluss an Lotman hat Schmid (2014, 14–23) fünf Kriterien formuliert, deren (skalierbare) Gegebenheit Ereignisse von reinen Zustandsveränderungen abhebt: Relevanz, Imprädiktabilität, Konsekutivität, Irreversibilität, Non-Iterativität. Ein Ereignis liegt demnach vor, oder ist in dem Maße besonders stark oder schwach ausgeprägt, wie die darin enthaltene Zustandsveränderung vorhersehbar, intensiv, folgenreich, unumkehrbar oder einmalig ist. Im antiken Epos haben erzählerische Bauformen wie Seestürme, Kampfszenen und Unterweltsbesuche beispielsweise einen hohen Grad an Ereignishaftigkeit, da sie den oder die Protagonisten mit lebensbedrohlichen, außergewöhnlichen oder unumkehrbaren Situationen konfrontieren. Ein typisches Beispiel ist auch das Bad der Diana im dritten Buch von Ovids Metamorphosen, das durch den plötzlich eintretenden Actaeon gestört – und dieser daraufhin als Strafe in einen Hirsch verwandelt wird. Beim Eintritt in die Höhle der badenden Göttin (intravit, 3.177) überschreitet Actaeon eine 'heilige' Grenze und löst damit ein für ihn folgenschweres Ereignis aus.