6.-10. Mai 2024 Prag (Exkursionsbericht)
Über das Teach@Tübingen Programm konnte der tschechische Historiker Dr. Martin Pácha zwei Semester am Institut für Osteuropäische Geschichte und Landeskunde lehren und forschen. Zusammen mit Prof. Dr. Klaus Gestwa organisierte er eine Exkursion nach Prag, um 16 Studierenden des Fachbereichs Geschichtswissenschaft vor Ort spannende Einblicke in die Geschichte, Kultur und Politik seiner Heimatstadt in der Mitte Europas zu ermöglichen. Nach einer turbulenten Anreise mit Bahn und Bus traf sich die Exkursionsgruppe am Abend des 6. Mai in eine Studierendenkneipe nahe der Unterkunft in einem ruhigen Viertel Prags. Dort konnten wir uns noch einmal besser kennenlernen, außerdem wurden letzte organisatorische Dinge besprochen.
Der zweite Exkursionstag startete an der Philosophischen Fakultät der Karls-Universität mit studentischen Inputs zum Schriftsteller Franz Kafka sowie zur jüdischen und deutschen Kultur in Prag. Anschließend erhielten wir eine Führung durch das historische jüdische Viertel Prags. Heute befinden sich in den zahlreichen Synagogen interessante Museen. Die Führung begann mit dem Besuch der ältesten erhaltenen Synagoge Europas, der Altneu-Synagoge. Von dort aus ging es weiter zur Maisel-Synagoge, in der sich heute eine Ausstellung zum jüdischen Leben in Böhmen befindet. Als nächstes besuchten wir die Pinkas-Synagoge. Sie dient heute zugleich als Mahn- und Trauerstätte. Ihre Innenwände sind mit den Namen aller namentlich bekannten tschechischen Opfer der Shoah beschrieben. An die Pinkas-Synagoge schließt sich direkt der alte jüdische Friedhof Prags mit seiner Fülle von Grabsteinen an, über den wir zur Klausen-Synagoge gelangten, in der sich eine Ausstellung zu jüdischen Festen und Bräuchen befindet. Das letzte Ziel der Führung war der prachtvolle Bau der Spanischen Synagoge, die nur etwa 150 Jahre alt ist. Bei der Besichtigung der Synagogen und Museen erfuhren wir viel über das blühende jüdische Leben in Prag vor der Shoa und über das jüdische Erbe der Stadt.
Am Nachmittag besuchten wir das Franz-Kafka-Museum, das wir nach einem Gang über die weltbekannte Karls-Brücke erreichten. Auf engem Raum vermittelte das Museum gute Eindrücke in das Leben Kafkas. Thematisiert werden seine Kindheitserfahrungen, seine Beziehung zu seinem Vater und sein Werdegang. Die Exponate vermittelten anschaulich die Prägungen des bekannten Schriftstellers. Besonders interessant für uns war, wie sehr die Auseinandersetzung mit der jüdischen Kultur Prags das Leben und Werk Kafkas beeinflusste. Das Museum fängt auch die urbane Lebenswelt im Prag zu Beginn des 20. Jahrhunderts anschaulich ein. Sie war geprägt vom Aufstieg der Moderne sowie von zahlreichen gelehrten und künstlerisch-kreativen Persönlichkeiten, die in Kontakt zu Kafka standen. Abends machten wir einen Spaziergang auf dem Vyšehrad. In der mittelalterlichen Burganlage hoch über der Moldau befindet sich heute unter anderem ein schöner Park. Die sozialistische Architektur des Kongresszentrums, zu dem wir anschließend spazierten, steht im starken Kontrast zu dem mittelalterlichen Ambiente des Vyšehrad.
Den nächsten Exkursionstag begannen wir mit einem Gang durch den Letna-Park, um von dort einen schönen Blick auf Prag und unser nächstes Ziel in Vitkov zu werfen. Im Letna-Park befindet sich der Pavillon, der während der Weltausstellung 1958 in Brüssel die tschechoslowakischen Exponate beherbergt hatte und anschließend in Prag wiederaufgebaut worden war. Die Architektur dieses Gebäudes wirkte auf uns erstaunlich modern. Angekommen am Nationaldenkmal auf dem Vitkov-Hügel gab uns Herr Pácha zu Füßen der Statue des Hussitenkämpfers Jan Žižka eine kurze Einführung in die Geschichte der Hussiten. In der Gedenkhalle des Nationaldenkmals befindet sich eine Ausstellung zur tschechischen Geschichte, die wir besichtigten. Im Untergeschoss dieses Museums konnten wir auch das ehemalige Mausoleum aufsuchen, in dem für einige Jahre der mumifizierte Leichnam des ersten kommunistischen Präsidenten der Tschechoslowakei, Klement Gottwald, aufgebahrt worden war.
Die Abendrunde begannen wir auf dem Hradschin, dem Burgberg Prags. Von unseren Kommilitoninnen und Kommilitonen erfuhren wir mehr über das Münchener Abkommen, die Zeit des Zweiten Weltkriegs und das Massaker der Wehrmacht im tschechischen Dorf Lidice. Der Spaziergang über den Hradschin führte uns unter anderem am prunkvollen Schwarzenberg-Palast vorbei. Im Windschatten des Veitsdoms beendeten wir nach einem Rundgang um die Burg den Tag mit weiteren studentischen Inputs.
Den Donnerstag begannen wir am Rudolfinum, ein im Stil der Neorenaissance errichtetes Konzert- und Galeriegebäude, das nach dem kunstliebenden Kaiser Rudolf II. benannt wurde. Heute beherbergt es die Tschechische Philharmonie. Nachdem uns zwei Kommilitoninnen die Geschichte der Karls-Universität erläutert hatten, stieß der Prager Bohemist und Germanist Václav Petrbok zu uns. Er führte uns durch die Prager Altstadt, die uns trotz der Touristenmassen sehr gut gefiel. Auf dem Weg ins historische Zentrum machten wir am Clementinum halt, dem ehemaligen Sitz des Jesuitenordens und mittlerweile Heimat der Tschechischen Nationalbibliothek sowie Sitz mehrerer wissenschaftlicher Institute. Unsere Vormittagstour endete am Neuen Nationalmuseum, das am zentralen Wenzelsplatz liegt. In der Nähe des Denkmals für die Selbstverbrennung des Studenten Jan Palach erfuhren wir aus zwei studentischen Beiträgen mehr zum Prager Frühling 1968 und der Samtenen Revolution 1989.
Am Nachmittag trafen wir in der Philosophischen Fakultät der Karls-Universität den Dekan und Historiker Jan Randák. In seinem Vortrag erfuhren wir mehr über Erinnerungsorte in Prag und wie diese in historischen Reiseführern aus dem 19. und 20. Jahrhundert besprochen und dargestellt wurden. In der anschließenden Diskussion erörterten wir zentrale Aspekte der historischen Tourismusforschung und den Umgang mit der multikulturellen Vergangenheit Prags, die mit einfachen nationalen Narrativen kaum angemessen zu beschreiben ist. Den Abend ließen wir gemeinsam mit Jan Randák, Václav Petrbok und einigen tschechischen Promovierenden mit einem gemeinsamen Restaurantbesuch ausklingen. Das Abendessen war eine gute Gelegenheit, um noch einmal miteinander ins Gespräch zu kommen.
Nach den abwechslungsreichen und lehrreichen Exkursionstagen reisten wir am Freitag, den 10. Mai, ab und hatten auf der Rückfahrt viel Zeit, um uns über die vielen neuen Erfahrungen auszutauschen. Martin Páchas großes Verdienst ist es, dass er uns mit der sorgsam vorbereiteten Exkursion und seinen vielen erhellenden Erklärungen einen bleibenden Eindruck von seiner Heimatstadt vermittelt hat. Dem Förderverein dankt die Exkursionsgruppe herzlich für die großzügige finanzielle Unterstützung.
Amelie Dörrer, Antonia Eger, Enes Eschweiler, Wilhelm Röper, Daniel Schneider, Sophie Charlotte Wittmann und Sophie Hinz