Istrien als "Versuchsstation" des Kulturellen. Hybridität als (bedrohte) Ordnung
Projektlaufzeit | 2015-2019 |
Projektleitung | Prof. Dr. Reinhard Johler |
Wissenschaftliche Mitarbeiter:innen | Dr. Daniela Simon Francesco Toncich |
Die adriatische Halbinsel Istrien stand im 19. Jahrhundert mit ihrer sprachlichen, kulturellen und ethnischen Diversität wie kaum eine andere europäische Region stellvertretend für eine „hybride Kultur“ da. Schon die Sprachwissenschaftler und Volkskundler der Habsburgermonarchie verwendeten den Begriff „Hibridismus“, um die „Verschmelzung“ und „Vermischung“ der Bevölkerung in Istrien zu beschreiben. Von den intellektuellen Eliten mit den Phänomenen Indifferenz, Ambiguität, Assimilation und der Entstehung der regionalen Identität der „Istrianer“ in Verbindung gebracht, wurde „Hibridismus“ im wissenschaftlichen Diskurs als Bedrohung diagnostiziert. Auf der staatlichen Ebene wurde ihm ebenfalls entgegengewirkt, wenn er auch die Möglichkeit zur Entstehung des „Nationalösterreichers“ oder des „Istrianers“ offen legte. Hier zeigte sich „Hibridismus“ handlungsleitend und schlug sich in der Multikulturalitätspolitik nieder. Im Österreichischen Küstenland stieß jedoch der politisch propagierte Multikulturalismus auf nationale Ansprüche der italienischen, kroatischen und slowenischen Bevölkerung und förderte Konflikte entlang ihrer Assimilierungsbestrebungen. Der zunächst als intellektuelle Selbstalarmierung zu verstehende „Hibridismus“ konnte je nach den handelnden Akteursgruppen in der staatlichen, regionalen und kommunalen Ordnung Istriens als bedroht oder bedrohlich verstanden werden.
Das SFB-Teilprojekt distanziert sich vom deterministischen Charakter der ethnischen Gruppenbildung und betrachtet die Hybridisierungs- und Assimilationsprozesse als komplexe Interaktionsprozesse. Mit der Konzentration auf das dreigliedrige Ordnungsgefüge verfolgt es deshalb nicht die Frage, ob die durch „Hibridismus“ gesteigerte ethnisch-kulturelle Diversität Istriens eine Bedrohung für die drei Ordnungen war, sondern wer diese zu welcher Gelegenheit aus diesen Ordnungen heraus als bedrohend wahrgenommen bzw. propagiert sowie im Hinblick auf die eigene Ordnung reflektiert und welche Folgerungen daraus gezogen hat. Im Mittelpunkt der Analyse stehen die die Bedrohung begleitenden und diese strukturierenden re-ordering Prozesse und die Reflexion über die jeweils eigene Ordnung. Im ersten Teil der Untersuchung werden von Francesco Toncich das ethnografische Wissen und die Produktion von Differenz bzw. die „Klassifizierer“ wie Statistiker, Wissenschaftler, Museologen und Schriftsteller mit ihrer Wissensproduktion im Zeitraum 1850-1914 erforscht. Daniela Simon nimmt mit der zweiten Untersuchung den Zeitraum 1870-1914 in den Fokus und thematisiert mit der In/Differenz als politischer Handlungsanleitung, wie die ethnografisch hergestellten Differenzkategorien von Staat, Kirche und Vereinen in die gesellschaftliche Praxis über- und durchgesetzt wurden. Dies wird am Beispiel jener verfolgt, die in Istrien als hybrid, mehrfach zugehörig oder national indifferent beschrieben worden sind und daher als Bedrohung für das untersuchte Ordnungsgefüge als Ganzes gegolten haben.