Ludwig-Uhland-Institut für Empirische Kulturwissenschaft

Grenzziehungen und Ordnungen in Istrien – National Indifferente, Flüchtlinge und Minderheiten in den 1990er Jahren (Arbeitstitel)

Erstbetreuer: Prof. Dr. Reinhard Johler

Während des 20. Jahrhunderts durchlebte die istrische Halbinsel demographische Veränderungen. Mit dem sogenannten ‚Exodus‘ (esodo) zwischen 1945 und 1954 verließ überwiegend die italienische Bevölkerung die Adria-Halbinsel. Nur wenige Jahre später gelangten im Zuge einer Arbeitsmigration aus den anderen Teilen Jugoslawiens – vorwiegend aus Bosnien und Herzegowina, Serbien und Montenegro – neue Bevölkerungsgruppen nach Istrien. Sie zog es vor allem in die Industriestädte nach Pula oder in die Bergarbeiterstadt Labin und ersetzten mitunter die aus der Emigration resultierende fehlende Arbeitskraft. Erst mit Ausbruch der Jugoslawienkriege in den frühen 1990er Jahren stoppte die Einwanderung von Arbeitern. Dafür gelangten zuerst kroatische Vertriebene und schließlich Flüchtlinge überwiegend aus den bosnischen Kriegsgebieten zu Tausenden nach Istrien.

Zur selben Zeit hatte sich die Istrianität (istrijanstvo) als regionale Ordnung und Identitätsnarrativ in Istrien etabliert. Dieses betrachtete Istrien als eine romanisch-slawische, mitteleuropäische Region mit einer slowenischen, italienischen und kroatischen und als autochthon bezeichneten Bevölkerung. Demzufolge schloss das Konzept der Istrianität sämtliche andere Nationalitäten aus. Die bilinguale Partei IDS-DDI (Istarski demokratski sabor – Dieta democratica istriana) übersetzte die Istrianität in ein politisches Programm und erzielte damit deutliche Wahlsiege in der istrischen Gespanschaft. Die Teiluntersuchung untersucht deshalb vor dem thematischen Hintergrund des SFBs 923 ‚Bedrohte Ordnungen‘ jene soziokulturellen Grenzziehungen zwischen den Bevölkerungsgruppen in Istrien, die durch die Exklusivität der Istrianität bedingt waren. Dies berücksichtigt zum einen die bosnischen Arbeiter und Kriegsflüchtlinge. Zum anderen leben bereits seit Jahrhunderten weitere Volksgruppen auf der istrischen Halbinsel. Das Küstendorf Peroj, nur wenige Kilometer von Pula entfernt, beheimatet seit dem 18. Jahrhundert eine montenegrinische, orthodoxe Mehrheit. Darüber hinaus existieren weiterhin Siedlungen der Istro-Rumänen im Osten Istriens als auch im Gebirge der Ćićarija. Doch Istrianität schloss nur im kroatischen Teil Bevölkerungsgruppen aus. In der slowenischen Küstenregion konnte das Konzept gar nicht Fuß fassen. Stattdessen vollzog sich als Folge der veränderten politischen Situation in den frühen 1990er Jahren ein Identitätswechsel der slowenischen Küstenbewohner, der exemplarisch für weitere Gruppen von ‚side switchers‘ hin zu national Indifferenten zu betrachten ist.

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