Die Weltkriege des 20. Jahrhunderts, so die Ausgangshypothese, stellten – dem Dreißigjährigen Krieg vergleichbar – einen solchen Einschnitt in der breitenwirksamen Kriegserfahrung dar, dass die überkommenen religiösen Gewissheiten im Zusammenhang des Krieges erneut zur Debatte standen. Bis weit in die Kreise derer, die sich dem konfessionellen Milieu des Katholizismus zugehörig fühlten, wurden zentrale religiöse Argumente unplausibel. Die Depotenzierung überkommener Gottesbilder im Kriegsgeschehen konnte nicht mehr vollständig durch eine kirchen- und institutionengebundene religiöse Semantik aufgefangen werden. So ging aus den beiden Weltkriegen letztlich eine breite Welle mentaler Säkularisierung, aber auch ein Umbau der religiösen Bezugssysteme hin zum Eklektizismus, zum Aberglauben oder zu ersatzreligiösen Formen hervor.
Diese der Untersuchung zugrunde liegende Hypothese geht davon aus, dass in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zwar zahlreiche Elemente des religiösen Kriegsdiskurses aus dem 17. Jahrhundert als religiöses Sinnangebot noch forttradiert wurden, dass sich diese jedoch mit der realen Erfahrung des Krieges, wie sie einzeln und in Gruppen gemacht wurde, zunehmend weniger vereinbaren ließen. Zudem standen während und nach den Weltkriegen alternierende Muster der religiösen oder quasireligiösen Kriegsdeutung zur Verfügung, die mit dem überkommenden Deutungskanon konkurrierten. Auf diese Weise verloren langfristig gelebte Gewissheiten bis in Kernbereiche des katholischen Milieus hinein schlagartig ihre Plausibilität oder wurden schleichend umgebaut. Das hatte weitreichende Konsequenzen für die gesellschaftliche Geltung des Religiösen überhaupt, so sehr man sich auch nach 1945 bemühte, ein religiös geprägtes Gesellschaftsmodell wiederzubeleben.
In einem ersten Schritt dieser Untersuchung wird nach dem den unmittelbaren Kriegsteilnehmern angebotenen Gottesbild gefragt, das ein religiöses Verstehen von Kriegserfahrungen und Kriegshandlungen ermöglichen sollte und das sich zusammenfügte aus biblischen und pastoralen Leitbildern und ihren religionspolitischen Zuschreibungen. Ein besonderes Augenmerk gilt der Rezeption und Anverwandlung solcher Sinnangebote in der Lektüre, der homiletischen und liturgischen Praxis und in Soldatenbriefen.
Ein zweiter Teilbereich der Untersuchung ist der religiösen Erfahrung derer gewidmet, die nicht unmittelbar an Kriegshandlungen teilnahmen, sondern die den Krieg als Zivilisten erfuhren und erlitten. Es geht um eine „dichte Beschreibung“ (Clifford Geertz) religiösen Lebens vor, in und nach den Kriegen in ausgewählten „Modellpfarreien“.
Drittens wird ein Forschungszugriff auf die Arbeit an Pastoralkonzepten in Nachkriegszeiten und ihren erfahrungsgeschichtlichen Horizont versucht. Es geht um das Bemühen der katholischen Kirche und kirchlicher Gruppen, unter Rückgriff auf die jeweilige Kriegserfahrung und Kriegsdeutung Pastoralkonzepte für die durch den Krieg geprägten Laien zu entwerfen. Damit geht es auch um die Reaktion auf die neuen politischen und gesellschaftlichen Gesamtlagen in den Nachkriegsgesellschaften der Weltkriege und um die Flexibilität und Anpassungsfähigkeit der sozialen Großgruppe „Katholizismus“ und um dessen Gesprächs- und Aufarbeitungskompetenz in als traumatisch erfahrenen historischen Umbruchsituationen. Im Mittelpunkt steht jeweils die Frage nach der Konsensfähigkeit bzw. dem Spaltungs- und Entfremdungspotential von Kriegserfahrung und deren Auswirkung für die Entwicklung kollektiver religiöser Identität.