Zum ersten Mal erhält ein Deutsch-Koreaner eine Koreanistik-Professur in Deutschland
INTERVIEW mit YOU JAE LEE, 6. April 2010
korientation-Vorstandsmitglied You Jae Lee tritt zu Beginn des Sommersemesters 2010 die Junior-Professur für Koreanistik an der Universität Tübingen an. Yellow Press gratuliert dem frisch berufenen Professor und hat sich mit ihm bei dieser Gelegenheit über Karrieren an der Uni und Perspektiven der Koreanistik in Deutschland unterhalten.
YP: Herzlichen Glückwunsch! Du bist der erste Koreanistik-Professor der Deutsch-Koreaner der 2. Generation in Deutschland. Wolltest Du schon immer Koreanistik-Professor werden? War das schon immer Dein “Traumberuf”?
You Jae Lee: Vielen Dank für die Glückwünsche. Zu Deiner Frage: Ja und Nein. Mein Traum war schon seit Beginn des Studiums, an der Universität zu lehren und zu forschen. Ich dachte damals, Hobby und Beruf zu verbinden und dabei sein eigener Chef zu sein, müsste schön sein. Aber eigentlich wollte ich Professor in Geschichtswissenschaften werden und nicht in Koreanistik. Das mit Koreanistik hat sich so ergeben.
YP: Gab es einen besonderen Anlass?
You Jae Lee: Während meines Studiums der deutschen Geschichte haben mich viele Kommilitonen und auch Professoren zur historischen Situation in Korea befragt. Da wurde mir bewusst, dass ich eigentlich über die deutsche Geschichte viel mehr wusste als über die koreanische. Seitdem habe ich mich mehr mit Korea befasst und auch meine Kenntnisse in Koreanistik vertieft.
YP: War der Karriere-Weg dorthin schwierig?
You Jae Lee: Wissenschaft ist heute unter den Jüngeren kein sehr beliebtes Berufsfeld. Es gibt selten einen sicheren Arbeitsplatz bis zur Professur. Wenige Stellen und kurze Verträge, die dazu nicht sonderlich gut bezahlt sind, sind typisch. Stipendien für die Promotion und Postdoc-Stellen gibt es wenige und sie sind zumeist auf zwei bis drei Jahre beschränkt. Und was danach kommt, weiß niemand. Der Weg des Wissenschaftlers ist prekär geworden. Das hat auch Folgen für die eigene Lebens- und Familienplanung. Mein Weg war ähnlich schwierig und durch Unsicherheiten gezeichnet. Ich hatte aber immer viel Glück und gute Mentoren und Förderer. An dieser Stelle möchte ich ausdrücklich meinen beiden Doktorvätern danken, deren Vertrauen und Unterstützung für mich sehr wichtig waren und sind!
YP: Wie ist Dein lebensgeschichtlicher und wissenschaftlicher Werdegang?
You Jae Lee: Ich bin Sohn koreanischer „Gastarbeiter“. Mein Vater kam als Bergarbeiter nach Deutschland. Die Familie zog nach, als ich noch Grundschüler war. Ich bin in Berlin aufgewachsen und dort auch zur Schule gegangen. Studiert habe ich an der Freien Universität Berlin, an der Humboldt-Universität zu Berlin und an der Seoul National University in Geschichtswissenschaften, Philosophie, Politologie und Koreanistik. Die Magisterarbeit habe ich über die DDR-Geschichte geschrieben und promoviert habe ich an der Universität Erfurt über die Kolonialgeschichte Koreas. Bevor ich die Professur in Tübingen angetreten habe, war ich wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fach Geschichtswissenschaften an der Freien Universität Berlin und in Japanologie und Koreanistik an der Universität Bonn.
Neben der Wissenschaft habe ich mich in der koreanischen Community sehr engagiert. In der koreanischen Kirche war ich lange Zeit als Sonntagsschullehrer, Jugendleiter und Dolmetscher ehrenamtlich tätig. Während des Studiums habe ich mit einigen den Verein Hangaram für Koreaner der zweiten Generation gegründet. Wir waren sehr aktiv und haben u.a. eine Zeitschrift mit demselben Namen herausgegeben. Ich denke, das hat damals eine große Wirkung gehabt und fand Nachahmer auch in anderen Teilen der Republik. Das war interessant zu beobachten, wie sich eine Gruppe formierte und eine eigene Identität entwickelte, die vorher kaum nach außen sichtbar war. Vor wenigen Jahren habe ich dann den Verein korientation mitgegründet, um über die Community hinaus als Deutsch-Koreaner in der deutschen Gesellschaft aktiv zu werden. Das erste und große Projekt zur koreanischen Migrationsgeschichte in Form einer Ausstellung haben wir vor kurzem in Berlin, Hildesheim und Bonn mit großem Erfolg gezeigt (Anm. d. Red: Gemeint ist die Ausstellung „Shared.Divided.United“, über die Kyoposhinmun bereits berichtet hat.).
Warum erzähle ich das? Für mich ist dieses migrantische Engagement in der Gesellschaft enorm wichtig, um auf das Potential der MigrantInnen aufmerksam zu machen. Gleichzeitig werden strukturelle Ungerechtigkeiten und gesellschaftliche Diskriminierungen benannt und diskutiert.
YP: Es ist eine verantwortungsvolle Stelle als Universitätsprofessor, die Du antrittst. Was sind Deine Pläne und Ziele an der Universität Tübingen bezüglich der Koreastudien?
You Jae Lee: Das stimmt. Die Verantwortung und Erwartungen sind enorm hoch. Korea hat in den letzten Jahrzehnten in Wirtschaft und Politik sehr viel an globaler Bedeutung dazu gewonnen. Die Entwicklung auf der koreanischen Halbinsel ist entscheidend für die Sicherheit in Ostasien. Dieser Umstand muss auch in der Wissenschaft entsprechenden Niederschlag finden. Ich habe zwar einen „kleinen Laden“ in Tübingen übernommen, das Fach Koreanistik soll jedoch vollwertig vertreten sein. Das heißt man kann einen Bachelor-Abschluß mit Hauptfach Koreanistik erwerben. Aber es gibt auch die Möglichkeit eines Masterstudiums mit Schwerpunkt Koreanistik und Promotion. Also, ab dem Wintersemester 2010/11 kann man in Tübingen Koreanistik als Hauptfach studieren. In der Lehre liegt der Schwerpunkt auf dem modernen Korea mit historischer Tiefenbohrung: Geschichte, Politik, Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur. Und schon die Master-Studenten sollen in die Forschung einbezogen werden, deren Schwerpunkt in der neueren und neuesten Geschichte liegt. Ich führe bereits jetzt zwei große Projekte zur Kolonialgeschichte und zur Ära des Kalten Krieges durch. Für beide Themenbereiche weist Korea globalgeschichtlich gesehen unglaublich interessante Besonderheiten auf, deren Erforschung sowohl theoretisch als auch methodisch bahnbrechende Ergebnisse verspricht. Ein Alleinstellungsmerkmal wird Tübingen durch seine Außenstelle in Korea haben. Wir planen, ein ein- bis zweisemestriges Auslandssemester an einer renommierten koreanischen Universität in den Bachelorstudiengang einzubauen. In einer zweiten Etappe soll auch über Doppelabschlüsse mit koreanischen Universitäten nachgedacht werden.
YP: Wie schätzt Du die Situation der Koreanistik in Deutschland generell ein?
You Jae Lee: Die Koreanistik in Deutschland gehört zu den sogenannten „Kleinfächern“, das sind Fächer, die insgesamt weniger als fünf Professuren aufweisen, wie z.B. Albanistik und Mongolistik. Das steht zu keinem Verhältnis zur politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bedeutung Koreas in der Welt und auch in Deutschland. Daher schätze ich Koreanistik als ein Fach ein, welches in nächster Zeit stark ausgebaut werden wird. Dahinter steckt jedoch kein Automatismus. Die weitere Entwicklung wird sehr davon abhängen, wie viel Nachfrage von Studierenden da sein wird, wie sehr koreanische Stiftungen und die deutsche Wirtschaft das Fach unterstützen werden, davon, wie viel Wille in der Universitätsleitung vorhanden ist und nicht zuletzt, welche Ergebnisse das Fach selbst liefern wird.
YP: Was müsste Deiner Ansicht nach getan werden, damit Koreanistik mehr an Relevanz gewinnt?
You Jae Lee: Fachlich muss Koreanistik aus der Nischenexistenz heraustreten und viel enger als bis jetzt mit anderen benachbarten Disziplinen zusammenarbeiten. Es reicht heute nicht, in den Regionalwissenschaften die Sprachen perfekt zu erlernen. Das wird vorausgesetzt, wenn es auch nicht selbstverständlich ist. Es reicht auch nicht, „nur“ Spezialist für Korea zu sein. Wichtiger ist für mich, einen theoretischen Zugang und ein methodisches Instrumentarium für die Koreastudien zu entwickeln, die kompatibel zu anderen Disziplinen sind. Nur so wird die Koreanistik ernst genommen und wird auch einen inhaltlichen Beitrag leisten können. Neben dieser Interdisziplinarität möchte ich Koreastudien sehr bewusst als ein transnationales Feld verstehen. Über ein nationalgeschichtlich verengtes Bild hinaus müssen die ostasiatische Region und deren weltgeschichtliche Verflechtungen in den Blick genommen werden. Das heißt, dass Koreastudien sich mit Koreas benachbarten Staaten und Regionen, aber auch mit scheinbar entfernten Ländern in ihrer Beziehung zu Korea beschäftigen müssen. Wenn ich ein Beispiel anführen darf, eine Beschäftigung mit Teilung und Kaltem Krieg in Korea bedeutet, zugleich einen Beitrag zur Kalten-Kriegsforschung in Deutschland zu leisten. Die Ergebnisse legen Vergleiche nahe, möglicherweise werden eurozentrische Weltbilder in Frage gestellt, und der Facettenreichtum der Kalten-Kriegs-Situation in der Welt wird beleuchtet. Das wäre eine mögliche Strategie, der Koreanistik mehr Relevanz zu verleihen, nämlich sich mehr und mehr zu öffnen.
YP: Würdest Du jüngeren Deutsch-Koreanern der 2. Generation empfehlen, Koreanistik zu studieren?
You Jae Lee: Ja, unbedingt! Ich denke, dass in dieser Gruppe ein großes Potential für die Koreanistik steckt. In den USA beobachten wir, dass die 2. Generation und koreanische Auslandsstudierende beim Ausbau der Koreastudien einen großen Beitrag geleistet haben. In Deutschland wird es wahrscheinlich in dem Maße nicht realisiert werden, aber das Potential sollte man erkennen und nutzen.
YP: Wie sind die Berufschancen nach dem Studium?
You Jae Lee: Die Berufschancen sehe ich sehr positiv. In der Wirtschaft gibt es zur Zeit einen großen Bedarf an Fachkräften mit Koreakompetenz. Sowohl bei den koreanischen Firmen in Deutschland als auch bei deutschen Firmen mit Handelsinteressen an Korea. Darüber hinaus bieten sich in Politik, Medien und internationalen Organisationen Möglichkeiten, mit einem Koreanistik-Abschluss einen Beruf zu ergreifen. Und wenn es auch im Moment weniger attraktiv erscheint, in der Wissenschaft gibt es einen großen Bedarf an Nachwuchswissenschaftlern.
Das Interview führte Sun-ju Choi.
nach oben