Homo contractualis / Recht als Kulturtechnik

Gefördert von 2011-2021 als Dilthey Fellowship der VolkswagenStiftung


Aktuelles

  • Vorbereitung des Themenbandes Recht als Kulturtechnik – Kulturtechniken des Rechts, hg. v. Rupert Gaderer, Sigrid G. Köhler, Florian Schmidt, erscheint voraussichtlich: Paderborn: Fink Verlag 2023.  
     
  • Weitere Publikationen in Vorbereitung (u.A.):
    Köhler, Sigrid G.: The Politics of Truth-Telling. Black Resistance and the Transatlantic World in Nessel-rode’s Drama Adaption of the Ziméo-Plot Zamor and Zoraide (1778) erscheint voraussichtlich 2023 in: Sarah Ad-ams, Jennifer Gibbs, Wendy Sutherland (Hgg.), Staging Slavery around 1800, London: Routledge (Manuskript liegt vor). 
    Schmidt, Florian: Rechtsgefühl, erscheint voraussichtlich 2023 in: Claudia Lieb, Peter Schneck u. Hania Siebenpfeiffer (Hg.), Handbuch Literatur und Recht, DeGruyter, Berlin/Boston (Manuskript liegt vor). 

Projektbeschreibung

Recht als Kulturtechnik zu betrachten bedeutet, Recht nicht so sehr als Gewaltmonopol des Staates oder als Umsetzung einer normativen Ordnung zu begreifen, sondern als Technik und Praxis der Regulierung und Formierung. In den Fokus rücken auf diese Weise die rechtlichen Praktiken, die den Menschen als (bürgerliches) Subjekt ermächtigen, wie auch die Techniken, die ihn regulieren, und schließlich die kulturellen und medialen ‚Orte‘ und Bedingungen der Implementierung dieser Techniken wie auch die ästhetischen und symbolischen Verfahren, welche die Implementierung begleiten und ermöglichen. Am Beispiel des Vertrags, des Rechtsgefühls und der Menschenrechte untersucht und beschreibt das Forschungsprojekt diese Funktionsweisen des Rechts als Kulturtechnik.

Teilprojekte

Homo contractualis (Sigrid G. Köhler)

Ziel des Teilprojekts ist es, die Relevanz des Vertrags für die Selbstbeschreibung des modernen Menschen und das Funktionieren der modernen, bürgerlichen Welt zu beschreiben. Dazu wurden kanonische Texte aus Literatur, Philosophie und Recht aus der Zeit um 1800 analysiert, die den ‚Homo contractualis‘ in je unterschiedlichen Situationen zeigen: in der Konfliktlösung durch Vertrag im Privaten, der gesellschaftlichen Vernetzung, der republikanischen Staatsgründung, der moralischen Regulierung seines Handelns (z.B. in der Ehe), der konsensual abgestimmten Verwendung von (Kommunikations-)Zeichen und schließlich der politischen (Um-)Deutung historischer Ereignisse als bürgerliche Vertragssituationen gegen die Restauration. Als ein wesentliches Forschungsergebnis konnte gezeigt werden, dass der privatrechtliche Vertrag um 1800 als Ermöglichungsfigur fungiert und reflektiert wird, die als operationalisierbare Handlungsform und damit als Kulturtechnik auch jenseits des Rechts menschliches Handeln reguliert und formiert. Wesentlich für das Moment der Selbstbindung durch Vertrag ist, so ein weiteres zentrales Forschungsergebnis, ein Gefühl für Moral und Recht. Dieses nicht-rationalisierbare Moment des Vertrags erklärt, warum eine vermeintlich rationale Figur wie der Vertrag gerade auch in romantischen Texten zu finden ist und warum die Ästhetik, d.h. die Wahrnehmung, Vermittlung und Darstellung des kontraktualen Akts für das Gelingen des Vertrags so wichtig ist.  

Das Teilprojekt ist abgeschlossen. Eine Reihe von Aufsätzen liegt vor, die Buchpublikation ist in Vorbereitung (s. u. Publikationen). 

Rechtsgefühl als Selbstgefühl (Sigrid G. Köhler / Florian Schmidt)

Das Teilprojekt erarbeitet die Formierung des Konzepts ‚Rechtsgefühl‘ im 18. Jahrhundert und erschließt dessen Relevanz für unterschiedliche Diskurse und Rechtsbereiche. Dabei konnte gezeigt werden, dass der Begriff und vor allem das Konzept ‚Rechtsgefühl‘ bereits weit vor Kleists Michael Kohlhaas, dem üblicherweise genannten Erstnachweis, nachweisbar ist, nämlich u.a. bereits im Naturrecht des 17. Jahrhunderts: Die Aufklärung konzipiert den ‘Menschen’ als vernünftiges und empfindsam fühlendes Wesen und macht ihn zugleich zum Ausgangspunkt der Konzeptualisierungen von Recht und Staat. Das Rechtsgefühl erlaubt es also, Staatsbürger und Rechtssubjekt als fühlende Menschen zu beschreiben. Aus dieser Vorgeschichte erklärt sich die Omnipräsenz des Rechtsgefühls um 1800, die das Teilprojekt systematisch mit Blick auf diskursive Orte, Rechtsgebiete und literarische Darstellungsverfahren kartiert hat. Grundannahme des Projektstrangs war, dass das Rechtsgefühl als eine Figur der Subjektivierung funktioniert und auf gouvernementale Regierungstechnologien bezogen ist. Diese reichen also in die Subjektkonstitution mit hinein, um ihre Wirksamkeit zu entfalten, umgekehrt macht das Subjektverständnis Formen und Strategien des Regierens plausibel, die ohne Zwang auskommen. 

Das Teilprojekt ist abgeschlossen. Im Rahmen der Projektarbeit sind eine Monographie, ein Themenband sowie zahlreiche Aufsätze entstanden (s.u. Publikationen). 

Menschenrecht (Sigrid G. Köhler / Florian Schmidt)

Im Rahmen dieses Teilprojekts werden unterschiedliche Dimensionen und Faktoren untersucht, die zur Formierung eines modernen Menschenrechtsbegriffs im ausgehenden 18. Jahrhundert beigetragen haben, darunter der Nexus von Menschenrecht und Gefühl, die mediale Formierung der Menschenrechte in der Journalliteratur des 18. Jahrhunderts und die literarische Erfindung von Menschenrechtsreden vor 1789. Ein thematischer Fokus des Teilprojekts lag auf der Analyse literarischer Texte und insbesondere von Dramen, die im Kontext der Debatte um die Abschaffung von Versklavung und Sklavenhandel entstanden sind und nicht nur eine anti-koloniale, sondern auch eine rassismuskritische und völkerrechtliche Ebene der Menschenrechtsdebatten im 18. Jahrhundert offenlegen, die in den naturrechtlichen Konzeptualisierungen im 18. Jahrhundert in der Regel fehlen.  

Im Rahmen dieses Teilprojekt ist eine Reihe von Aufsatzpublikationen sowie ein Themenband entstanden, s.u. Publikationsliste).  

Forensische Verfahren (Tobias Lebens)

Untersucht wird in diesem Teilprojekt am Beispiel von narrativen Texten zu den postjugoslawischen Kriegen, wie forensische Verfahren die Gegenwartsliteratur bestimmen. Das Teilprojekt geht von der These aus, dass literarische Texte sich gegenwärtig selbst oft im Modus der Recherche oder Erforschung präsentieren und dazu auf kriminalistische Techniken rekurrieren, welche normalerweise die Rekonstruktion von Verbrechen leiten. Es analysiert, wie Kriegsberichterstattungen bzw. die literarische Vermittlung von Kriegsberichten ihren Weg in die literarische Darstellung finden und wie literarische Texte auf der Suche nach den ‚Wahrheiten‘ des Krieges die mediale Bild- und Informationsproduktion kritisch reflektieren. Voraussichtlicher Abschluss des Teilprojekts 2023 

Recht als Kulturtechnik (Sigrid G. Köhler / Florian Schmidt)

Ziel dieses Teilprojekts ist es, die Forschungsergebnisse der einzelnen Teilprojekten systematisch zu reflektieren und zu verbinden, denn das ‚Recht‘ hat sich in den unterschiedlichen Teilprojekten als diskursiver und medialer Operator erwiesen, der gerade auch jenseits des Rechts mit eminent subjekttheoretischer Relevanz wirkt. Aus kulturwissenschaftlicher Perspektive lässt sich diese Funktion im Rekurs auf die aktuelle, medienwissenschaftlich ausgerichtete Kulturtechnikforschung konzeptualisieren, die dazu jedoch um drei Dimensionen erweitert werden muss: um eine konzeptuelle, welche die Integration intellektueller Techniken ermöglicht, um eine perspektivische, welche die kulturtechnische Formierung des Subjekts einschließt und schließlich eine politische, welche es ermöglicht, Kulturtechniken auch als Regierungs-, Regulierungs- und Machttechnologien zu begreifen. Recht als Kulturtechnik zu beschreiben, bedeutet das Recht als Medium der Unterscheidung zwischen Natur und Kultur zu begreifen, die von ihm bereitgestellten operationalisierbaren Handlungsformen zu analysieren und nach seinen Bindungsmodi zu fragen. These des Teilprojekts ist, dass die durch das Recht bereitgestellten Handlungsformen ihre Wirkmächtigkeit gerade auch darin zeigen, dass sie migrieren können, also jenseits im engeren Sinne juridischer Kontexte wirken, wie sich nicht zuletzt in der Analyse von sozialen, kulturellen, medialen und literarischen Beispielen zeigt.  

Die Publikation eines Themenbandes zum Recht als Kulturtechnik ist in Vorbereitung. (Für Aufsatzpublikationen s.u. die Publikationsliste). 


Archiv

Tagungsorganisationen

2021: Recht als Kulturtechnik, zus. mit Rupert Gaderer. Programm

2017: Wie kommen die Rechte des Menschen in die Welt?, zus. mit Niels Werber und Matthias Schaffrick. Programm

2014: Recht fühlen, zus. mit Sabine Müller-Mall und Sandra Schnädelbach. Programm