Institut für Astronomie & Astrophysik

H.E.S.S.

H.E.S.S. ist ein System aus mehreren abbildenden Cherenkov-Teleskopen, das Gammastrahlung im Bereich von 100 GeV untersucht. Der Name H.E.S.S. ist ein Akronym für High Energy Stereoscopic System und wurde auch zur Erinnerung an Victor Hess vergeben, der 1936 den Nobelpreis in Physik für die Entdeckung kosmischer Strahlung erhielt.

Als das Teleskop 2004 in Betrieb ging, war es eines der ersten Instrumente weltweit das Quellen kosmischer Gammastrahlung räumlich auflösen konnte. Es steht in einer Höhe von 2000 m in der Nähe des Gamsberges in Namibia, eine der trockensten Regionen der Erde, die sich besonders gut für Himmelsbeobachtungen eignet.

H.E.S.S. wurde in zwei Phasen aufgebaut. Während der ersten Phase des Projektes bestand H.E.S.S. aus vier 12 m Cherenkov-Teleskopen, die im Dezember 2003 in Betrieb gingen. Offiziell eingeweiht wurde das Projekt am 28. September 2004.

Die zweite Phase, auch bekannt als H.E.S.S. II, begann im Juli 2012 mit der Erweiterung des Systems durch ein deutlich größeres 28 m Teleskop (CT5). Dadurch wurden der Energiebereich, die Winkelauflösung und die Empfindlichkeit des Instrumentes erheblich erhöht.

Funktionsprinzip der Teleskope

H.E.S.S. beobachtet Gammastrahlung. Wenn diese sehr energiereiche elektromagnetische Strahlung auf die Erdatmosphere trifft, löst sie dabei einen sog. Teilchenschauer mit einer Vielzahl an geladenen Teilchen aus. Diese Teilchen sind immer noch so energiereich, dass sie sich schneller als Licht in der Atmosphäre bewegen können (Licht breitet sich in der Luft langsamer als im Vakuum aus). Außerdem regen geladene Teilchen andere Atome und Moleküle beim Passieren zum Aussenden von Lichtwellen an.

Was dann passiert ist sehr ähnlich zu dem, was bei Flugzeugen beobachtet wird, wenn ihre Geschwindigkeit die Schallgeschwindigkeit übersteigt: die einzelnen Wellen überlagern sich zu einer Front, was bei Flugzeugen zum Überschallknall führt. Bei Teilchenschauern spricht man von Cherenkov-Strahlung, ein Lichtblitz, der einige Milliardstel einer Sekunde dauert, zu kurz, um vom menschlichen Auge erfasst zu werden. Die Spiegel von H.E.S.S. und ihre Hochgeschwindigkeitskameras hingegen können diese Strahlung abbilden. Ein Bild wird aufgenommen, das die Richtung der Luftschauer und damit auch die Richtung zur Quelle des Gamma-Photons zeigt.

Die Intensität des Bildes ist ein Maß für die Energie der Photonen. Wenn nur ein Teleskop einen Teilchenschauer beobachtet, ist es schwierig die Geometrie des Schauers und die genaue Ursprungsrichtung zu bestimmen. Meistens werden deshalb mehrere Teleskope miteinander kombiniert und diese erlauben eine stereoskopische Bestimmung der Luftschauergeometrie.

Im Fall von H.E.S.S. befinden sich die vier 12 m Teleskope in einem Viereck mit 120 m Seitenlänge und das 28 m Teleskop steht in der Mitte. Jedes Teleskop kann um zwei Achsen gedreht werden, sodass Objekte am Nachthimmel automatisch verfolgt werden können. Ein Video der Helmholtz Alliance For Astroparticle Physics demonstriert die Beweglichkeit der Teleskope.

Die 12 m Teleskope sind jeweils aus 382 Spiegeln mit 60 cm Durchmesser zusammengesetzt und erreichen eine Gesamtspiegelfläche von 108 m². Das 28 m-Teleskop dagegen besteht aus 875 hexagonalen Spiegeln mit 90 cm Durchmesser und hat eine Gesamtspiegelfläche von 614 m². An jedem Spiegel sind zwei sog. Aktuatoren angebracht, Motoren, die eine Fernkontrolle der Spiegel erlauben. Vor jeder Beobachtung werden die Spiegel automatisch ausgerichtet, um die Abbildung des beobachteten Objektes zu optimieren.

Wissenschaftliche Ziele

Das H.E.S.S. II-System hat eine, gegenüber dem aus vier 12 m Teleskopen bestehenden H.E.S.S. I Array, deutlich verringerte Energieschwelle (< 0.1 TeV) für die Detektion von TeV-Photonen. Im Energiebereich von ~0.1 bis 1 TeV ist die Empfindlichkeit etwa um einen Faktor zwei höher als bei H.E.S.S. I. Diese Eigenschaften machen H.E.S.S. II insbesondere für zeit-variable Quellen interessant, für deren Entdeckung im TeV-Bereich bzw. detaillierte Untersuchung die Empfindlichkeit der bisherigen Instrumente (Cherenkov-Teleskope sowie der Fermi-Gammasatellit) nicht ausreichte.

Relevante (bekannte) Objektklassen für solche Untersuchungen sind aktive Galaxienkerne, gamma-ray Bursts, sowie galaktische Binärsysteme. Darüber hinaus erlaubt die verringerte Energieschwelle sowohl den extragalaktischen Horizont für TeV-Beobachtungen zu größeren Rotverschiebungen zu erweitern, als auch Quellen zu untersuchen, deren spektraler Abbruch („cutoff“) gerade im ~50 GeV-Bereich liegt (z.B. magnetosphärische Emission von Pulsaren). Bei höheren Energien (0.1-1 TeV) erlaubt die Empfindlichkeit detaillierte morphologische Studien ausgewählter Quellen, die bisher aufgrund der benötigten Beobachtungszeit nicht realisierbar waren, wie zum Beispiel Supernova-Überreste (engl. supernova remnant, SNR).

IAAT Beteiligung

Die Abteilung Hochenergieastrophysik am Institut für Astronomie und Astrophysik Tübingen (IAAT) ist seit 2005 Mitglied der internationalen H.E.S.S. Kollaboration.

Das IAAT beteiligt sich an folgenden Aufgaben:

  • Ausrichtung, Testen und Kalibrierung der Spiegel.
  • Entwicklung der elektronischen Ansteuerung der Aktuatoren.
  • Datenanalyse und Simulationen von H.E.S.S. Daten.

Aktuatoren- und Spiegelentwicklung

Für das Großteleskop CT5, welches im Juli 2012 in Betrieb ging, hat Tübingen die elektronische Ansteuerung der Verfahreinheiten (Aktuatoren) für die 875 Spiegelsegmente entwickelt.

Das Institut hat die Montage und Verkabelung der Aktuatoren am Spiegelträger übernommen, und ist in Zusammenarbeit mit dem Max-Planck-Institut für Kernphysik (MPIK) in Heidelberg für die Ausrichtung der Spiegelsegmente verantwortlich. Die automatische Ausrichtungstechnik (Elektronik und Software) wurde am IAAT entwickelt (Schwarzburg 2012, Gottschall et al. 2015).

Darüber hinaus sind am Institut die rund 1.000 Spiegelsegmente auf ihre Reflexionseigenschaften untersucht sowie mit den Aktuatorhalterungen beklebt worden, bevor die Spiegel nach Namibia verschifft wurden.

Datenanalyse und Simulationen

Das IAAT ist an der Datenanalyse und an den Simulationen von H.E.S.S. beteiligt. Es werden vor allem SNRs und Doppelsternsystem untersucht.

In den letzten Jahren wurde zum Beispiel untersucht, ob zwei H.E.S.S.-Quellen, die nah beieinander liegen, möglicherweise auch kausal zusammenhängen (Cui et al. 2016). Die eine Quelle, der Supernova-Überrest HESS J1731-347, produziert starke Gamma- und Röntgenstrahlung, wogegen die größere und noch unbekannte Quelle HESS J1729-345 eine viel schwächere Strahlung aussendet. Die zweite Quelle befindet sich an gleicher Stelle wie aus Radiobeobachtungen bekannte Molekularwolken. Forscher am IAAT haben über Simulationen gezeigt, dass der Supernova-Überrest sehr wahrscheinlich noch dabei ist, zu expandieren, und dass die schwächere Quelle dadurch erzeugt werden kann, dass hochenergetische Kosmische Strahlung, die vom Supernova-Überrest abgestrahlt wurde, mit den benachbarten Molekularwolken wechselwirkt.

Weitere Analysen von H.E.S.S. Daten am IAAT haben in den letzten Jahren erlaubt, eine besseres Verständnis des Ursprungs der TeV-Strahlung zu bekommen (Capasso et al. 2016). So wurde die Morphologie der TeV-Strahlungsemissionsregion mit nie da gewesener Genauigkeit untersucht. Damit konnte die TeV-Strahlungsregion mit der Verteilung des Gases in den Molekularwolken verglichen werden, und so das Szenario der Wechselwirkung von Kosmischer Strahlung mit Molekularwolken weiter bestätigt werden.

Ein weiteres Beispiel der Analyse von H.E.S.S. Daten am IAAT ist die Entwicklung einer neuen Methode, die es erlaubt, neue sog. SNR shells (Schalen), die TeV-Strahlung emittieren, zu entdecken (Gottschall et al. 2016). Diese Methode, die gegen vier bekannte Quellen getestet wurde, hat zu der Entdeckung von 3 SNR-shell Kandidaten geführt.

Letztes Update 08/2018: Eva Laplace, Inga Saathoff, Chris Tenzer