SFB 923: "Bedrohte Ordnungen"
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) hat dem Antrag auf Einrichtung eines neuen Sonderforschungsbereichs (SFB) zum Thema "Bedrohte Ordnungen" im Mai 2011 zugestimmt. Der SFB 923 hat seine Arbeit zum 1. Juli 2011 aufgenommen. Sprecherhochschule ist die Universität Tübingen.
Weitere Informationen zum Aufbau, zur Forschungsfrage sowie zu den beteiligten Personen und Lehrstühlen finden Sie hier.
Der Lehrstuhl für Griechische Philologie (Prof. Dr. Irmgard Männlein-Robert) ist am SFB 923 mit insgesamt drei Teilprojekten beteiligt:
3. Förderphase 2019-2023
Projekt G01 (TP-Leitung I. Männlein Robert und V. Drecoll):
Platonismus und Christentum in der Spätantike: Literarische Strategien der Bedrohungskommunikation bei Porphyrios und Eusebios
Platonismus und Christentum werden im geplanten TP als synchron vorhandene Ordnungen im römischen Reich der Spätantike verstanden, die sich gegenseitig als Bedrohung wahrnehmen. Untersucht werden soll, wie sich die gegenseitige Bedrohungswahrnehmung auf die jeweilige Bedrohungskommunikation und die damit verbundene Neubestimmung der eigenen Ordnung, das re-ordering, auswirkt. Damit stellt das Teilprojekt eine Fallstudie zu der im Rahmenantrag beschriebenen synchronen Interdependenz dar. Das TP fokussiert auf zwei herausragende Akteure der beiden Ordnungen, den Platoniker Porphyrios und den christlichen Theologen Eusebios, die in einer Zeit aktiv waren, als noch nicht abzusehen war, welche der beiden Ordnungen sich langfristig und gesellschaftlich würde durchsetzen können, also die Zeit unmittelbar in Nähe der sog. ‚Konstantinischen Wende’. Zu beachten ist dabei besonders, dass wesentliche Texte des Porphyrios nur bei Eusebios überliefert und somit in die von diesem gesteuerte (christliche) Bedrohungskommunikation eingebettet sind. Die Akteursperspektive ist für die Bestimmung der synchronen Interdependenz besonders relevant, weil die jeweiligen literarischen Strategien der beiden Intellektuellen selbst als Handlungen zu verstehen sind. Beide betreiben ihre literarische Produktion a) im Rahmen des und in Bezug auf das sozio-kulturelle Gefüge des Imperium Romanum und b) in einem weit gefassten Verständnis von Philosophie bzw. Theologie als umfassender Welt-, Wissens- und Lebensordnung, die insbesondere ethische Orientierung und normative Grundannahmen bereithält. Mit Platonismus und Christentum kommen hier also nicht zwei abstrakte, nur auf metaphysische Postulate fokussierte Ordnungen in den Blick, sondern vor allem auf Handlungsorientierung abzielende Ordnungen, die in engem Bezug auf Lebensmodelle und Ethik in literarischer Produktion konstituiert werden. Das Teilprojekt will genauer untersuchen, wie sich die gleichzeitige und gegenseitige Wahrnehmung als Bedrohung auf das re-ordering auswirkt und welche Dynamiken und Prozesse dabei zu beobachten und auszudifferenzieren sind.
Ziel dieses TP ist es daher, anhand folgender Perspektiven neue Ergebnisse und Einsichten in die Prozesslogiken der gegenseitigen Bedrohungskommunikation zweier maßgeblicher Akteure zu gewinnen: 1) anhand der Untersuchung von Grenzverschiebungen, wie sie von beiden Seiten mit Blick auf die re-ordering-Strategien der eigenen Ordnung zu beobachten sind; 2) anhand der Beschreibung und Interpretation von Hierarchisierungsprozessen, wie sie sich innerhalb jeder der beiden bedrohten Ordnungen im Zuge des interdependenten re-ordering abzeichnen; 3) anhand von Identitätsnarrativen und Bedrohungstopoi, wie sie sich in der gegenseitigen Bedrohungswahrnehmung und – kommunikation in beiden Ordnungen herausbilden.
Von IMR betreute Teiluntersuchung 2 (Fabian Raßmann, Doc-Project):
Porphyrios in Eusebios’ Praeparatio evangelica (unter besonderer Berücksichtigung von De abstinentia II und Adversus Boethum)
Die Selbstdeutung des Menschen als Seele-Körper-Verbindung teilen Platonismus und Christentum. Die daraus folgenden Handlungsorientierungen zielen auf die Unabhängigkeit der Seele vom Körper und bieten dafür religiöse Praktiken und ethische Verhaltensweisen. Daher stehen nicht zufällig Seelenlehre und Befürwortung von Askese im Zentrum von Eusebios’ Reflexion darüber, inwiefern das Christentum dem Platonismus überlegen ist und inwiefern sich der als bedrohlich empfundene Geltungsanspruch von Porphyrios‘ Platonismus (und Kritik am Christentum) als widersprüchlich und labil erweist. In dieser TU soll die Bedrohungskommunikation des Eusebios im Zentrum stehen, der in seiner Praeparatio evangelica ausführlich Porphyrios’ Schrift De abstinentia (v.a. Buch II) sowie Adversus Boethum de anima nutzt (die Fragmente dieser Schrift sind allein bei Eusebios überliefert). De abstinentia stellt die bedeutendste philosophische Begründung des Vegetarismus sowie platonischer Askesepraktiken dar (Sorabji 1990; Martin 2018), in der die Verhältnisbestimmung von Seele und Körper eine entscheidende Rolle spielt. Die Fragmente der Schrift gegen Boethus sind sachlich und thematisch affin. Für die auf Bedrohungskommunikation fokussierte Analyse sind weitere Texte zur Psychologie des Porphyrios einzubeziehen, wie v.a. Cognosce te ipsum (F.272-275 Smith), Quod anima non sit entelecheia (F. 240 Smith), Symmikta Zetemata (F. 256-263 Smith), De virtutibus animae (F. 251-255 Smith) sowie De libero arbitrio (Fg. 268-271 Smith). Für die Analyse von De abstinentia II sind die philosophische Grundlegung in De abstinentia I (bes. Kapitel 27-41) und die von Eusebios zitierten Passagen aus De abstinentia IV mit zu berücksichtigen (Brisson 2012). Der Zitierkontext bei Eusebios und die dadurch intendierte Leserlenkung ist dabei ebenso zu untersuchen wie seine relativierende, polemische Deutung (Johnson 2014). Dabei zeichnet sich ab, dass Eusebios auch dort, wo er Porphyrios zustimmend zitiert, Grenzen markiert, von denen aus er die grundständige Überlegenheit der eigenen (christlichen) Ordnung entwickelt. Zugleich sind Porphyrios‘ ethische Vorstellungen von Seelenreinigung und Askese einzuordnen in die verschiedenen Ansätze der wenig vor 300 n.Chr. entstehenden christlichen Askesekonzepte. Ebenso sollen Porphyrios’ Ausdifferenzierung der traditionellen Opferpraktiken mit Blick auf seine Seelenlehre sowie das daraus resultierende Vegetarismus-Ideal untersucht werden. Die eigene (dezidiert christliche) Positionierung des Eusebios wird gerade mit Blick auf die zeitgenössische Diskussion um Sinn und Wert von Opfern zu analysieren sein. Das SFB-Modell erweist sich hier als fruchtbar, weil es die Polemik des Eusebios gegen Porphyrios in einen übergreifenden Ordnungskonflikt einschreibt. Der Bezug auf Lebensentwürfe und Ethik als Erlösungsmodelle (Simmons 2015) lässt die entsprechende Bedrohung durch die konkurrierende Ordnung als besonders virulent erscheinen.
2. Förderphase 2015–2019
Projekt G01 TU 1 (Christine Hecht)
Porphyrios und Eusebios über die Präsenz der Götter: Götterbilder und Orakel als Medien in nicht-christlicher Kultpraxis
Die Projekthomepage finden Sie hier.
Projekt G01 TU 2 (Lisa Neumann)
Jesus und Apollonios von Tyana als Leitbilder: Eusebios gegen den Christenfeind Hierokles
Die Projekthomepage finden Sie hier.
1. Förderphase 2011–2015
Projekt B01 (Dr. Laura Carrara)
Erdbeben als Bedrohung sozialer Ordnungen. Bedrohungskommunikation in Literatur – Bedrohungskommunikation als Literatur (5. Jh. v. Chr. – 6. Jh. n. Chr.)
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Projekt D01 (Dr. Matthias Becker)
Platonismus und Christentum. Philosophische und literarische Bedrohungskonstellationen in der Spätantike
Die Projekthomepage finden Sie hier.