Arbeitstitel: „Unsichtbare Bauten. Präsenz, Wahrnehmung und Wirkung immaterieller Architektur in Rom“
Betreuer: Prof. Dr. Mischa Meier, Prof. Dr. Richard Posamentir
Das Erscheinungsbild einer Stadt verändert sich unablässig. Architektur wird geplant, fertiggestellt, zerstört, wiederhergestellt, umgebaut und überbaut. Bauvorhaben werden verwirklicht, aber auch abgeändert, aufgegeben oder nie begonnen. Folglich stellt das gegenwärtige Aussehen einer Stadt nur eine Momentaufnahme und eine Möglichkeit unter vielen dar. Architektur, die zu einem Zeitpunkt sichtbar ist, kann zu anderen Zeiten unsichtbar sein – und umgekehrt. Doch der wissende Betrachter ist sich mancher dieser unsichtbaren Bauten bewusst und bezieht daher ausgehend von der eigenen Gegenwart auch Architektur der vergangenen, zukünftigen und ›anderen‹ Stadt in sein Stadtbild mit ein. Er blickt nicht nur auf die Stadt wie sie ist, sondern auch wie sie war, sein wird, hätte und würde sein können. In seiner Vorstellung überlagert sich so die Architektur mehrerer Zeitschichten und formt ein vielzeitiges Stadtbild.
In meiner Dissertation untersuche ich diese zeitliche Vielschichtigkeit von Stadtbildern im antiken Rom. Der Fokus richtet sich dabei auf die Autoren der späten Republik bis mittleren Kaiserzeit (von Cicero bis Iuvenal), da sich in dieser Zeitspanne in Rom eine umfassende politische wie urbanistische Transformation vollzog, die sich auch darauf auswirkte, wie architektonische Zeitverhältnisse und die Vielzeitigkeit der Stadt wahrgenommen und beschrieben wurden.
Aus einer kulturgeschichtlichen Perspektive wird folgenden Fragen nachgegangen: Wann und warum schrieben die antiken Autoren über Architektur jenseits der gegenwärtigen Stadt? Wie wurde die Architektur verschiedener Zeitschichten von ihnen beschrieben und zueinander in Bezug gesetzt? Welche Wechselwirkungen bestanden zwischen diesen Stadtbildern und Zeitvorstellungen, den jeweiligen Kontexten der Autoren sowie zeitgenössischen Entwicklungen und Diskursen? Basierend auf einer umfassenden Materialsammlung werden ausgewählte Beschreibungen zunächst in Fallstudien untersucht und dann übergreifend ausgewertet, verglichen, eingeordnet und interpretiert. Für die Untersuchung der architektonischen Zeitschichten und Zeitverhältnisse wird dabei ein neues Modell entwickelt und angewandt, das sich künftig auch auf andere Städte und Epochen übertragen lässt.
Inhaltlich soll diese Arbeit aufzeigen, dass Architektur auch jenseits des gegenwärtig Gebauten eine große Wirkmacht in Diskursen entfalten konnte, dass die Stadt Rom von den antiken Autoren als zeitlich vielschichtig wahrgenommen und beschrieben wurde und dass diese vielzeitigen Stadtbilder und Zeitvorstellungen in zeitgenössischen Kontexten entstanden und wiederum auf diese zurückwirkten. Damit möchte dieses Projekt eine innovative Perspektive auf die Denkweisen und Deutungsmuster im spätrepublikanischen und kaiserzeitlichen Rom eröffnen und auf das kulturgeschichtliche Potential der Untersuchung von antiken Zeitvorstellungen hinweisen.