Institut für Erziehungswissenschaft

Diskursiver Unterricht

Eine Alternative zum Frontal- und zum individualisierten Unterricht

Im gängigen Unterricht werden Lösungsversuche von Schüler:innen unmittelbar durch die Lehrkraft als richtig oder falsch bewertet. Diese simple Anleitungsform führt zumeist nicht zu einem vertieften Lernen (Helmke, 2022). Verzögert man dagegen diese Bewertung, kann durch das argumentative Für und Wider für unterschiedliche Lösungen unter den Schüler:innen eine produktive Dynamik entfacht werden. Dabei dienen falsche Antworten als „Sparringspartner“ für die richtige Antwort, sodass nicht nur bestimmt wird, was richtig und was falsch ist, sondern auch, warum das Richtige richtig und das Falsche falsch ist. Dies führt zu einem vertieften Verständnis der Gegenstände. Die Initiierung und Begleitung solcher diskursiven Aushandlungsprozesse bedürfen einer anderen Beobachtungs- und Handlungsweise der Lehrkräfte und anderen Aufgabenstellungen. Notwendig sind jedoch keine räumlichen Anordnungen, keine motivierteren Schüler:innen, keine kollektive Abstimmung im Kollegium oder sonstigen Großreformen. Notwendig ist zunächst das Unterlassen der fortwährenden Bewertung von Schülerbeiträgen als richtig oder falsch (Goldmann 2025).
Das Versprechen des diskursiven Unterrichts ist, viele pädagogische und didaktische Forderungen bedienen zu können:

  • Ein vertieftes Lernen, weil über die Argumentationen die Konzepte und Ideen hinter dem Faktenwissen mitverhandelt und darüber aufgeklärt werden.
  • Eine wertschätzende Fehlerkultur, da Fehler nicht vermieden, sondern im Gegenteil gesucht werden, da sie notwendige Gegenhorizonte sind, um zu verstehen, warum das Richtige richtig ist.
  • Eine höhere Berücksichtigung heterogener Lernlagen, weil die wertschätzende Aufmerksamkeit systematisch zu denen geht, die noch nicht verstanden haben.
  • Einüben von Demokratie, weil stets Konsens angestrebt und das Verstehen der Anderen und ihrer Verstehensweisen eingeübt wird.
  • Eine Bewältigung tieferliegender Herausforderungen der Digitalisierung, weil die Begleitung diskursiven Lernens ein Verstehen von Schüler:innen und Situationen erfordert, das keine Künstliche Intelligenz leisten kann und vermutlich nie erwerben wird, und nur solche Formen auch zukünftig noch universitär ausgebildete Lehrkräfte umfassend legitimiert (Goldmann i.E.).

Der diskursive Unterricht ist ein universeller Ansatz, der für alle Fächer und alle Jahrgangsstufen geeignet ist. Im Fach Mathematik wurde er bereits in Klassen über die gesamte Grundschulzeit genutzt und hat erfolgreich Schüler:innen zum Abitur geführt (Kaune, 2003; Winkel, 2012).

 

Literatur
Goldmann, D. (i.E.): Wenn der KI-Tutor kommt. Didaktik in postdigitalen Zeiten. In: Journal für Allgemeine Didaktik, H. 1.
Goldmann, D. (2025): Diskutieren als unterrichtliche Erziehung. In: Weber-Spanknebel, M., Türstig, J. & M. Brinkmann (Hrsg.): Praxen des Erziehens – Zugänge zum Allgemeinen der Erziehungswissenschaft. Wiesbaden: Springer VS.
Helmke, A. (2022). Unterrichtsqualität und Professionalisierung: Diagnostik von Lehr-Lern-Prozessen und evidenzbasierte Unterrichtsentwicklung. Kallmeyer.
Kaune, C. (2003). Unterrichtsqualität: Die Rolle von Diskursivität für „guten“ gymnasialen Mathematikunterricht. Der Mathematikunterricht, 49(1), 173–180.
Winkel, K. (2012). Entwicklungsmechanismen von Metakognition im mathematischen Unterrichtsdiskurs der Grundschule: Ein designbasierter Unterrichtsversuch über vier Schuljahre. Verl. Dr. Hut.

Leseempfehlungen
Goldmann, D. (i.E.): Eine postheroische Didaktik. Systemtheoretische und philosophische Grundlegungen einer unstetigen Lehrweise (Workingpaper auf RG).
Goldmann, D. (2024): Zur Anbahnung diskursiven Unterrichts in der Grundschule. Theoretische und empirische Anregungen zur Begründung und Etablierung einer postheroischen Lehr-Lern-Form. In: Zeitschrift für Grundschulforschung.  https://doi.org/10.1007/s42278-024-00196-3 
Goldmann, D. (2024): Auf der Suche nach dem naheliegend Falschen. Unterrichtstheoretische Anregungen zur Konstruktion und Verwendung verstehensorientierter Aufgaben (Workingpaper auf RG).
Goldmann, D. (2023): "Vom Kopf auf die Konflikte stellen" - Grundzüge einer ‚rekonstruktiven‘ Didaktik (Workingpaper auf RG).