„Aus der Wurstküche?“ – Ein Bericht aus der Praxis der Strafgesetzgebung des Bundes
Weit mehr als 50 Personen fanden sich am Montagabend, dem 13.11.2023, im Hörsaal 9 in der Neuen Aula ein, um Frau Dr. Monika Becker bei ihrem Vortrag zuzuhören. Die Leiterin des Referats für strafrechtliche Bekämpfung der Wirtschafts-, Computer, Korruptions- und Umweltkriminalität im Bundesministerium der Justiz gewährte unter dem Titel „Aus der Wurstküche?“ einen Einblick in die Praxis der Strafgesetzgebung des Bundes. Der Vortrag fand im Rahmen des Kriminologisch-Kriminalpolitischen Arbeitskreises (KrimAK) statt.
Wer sich über den Titel des Vortrags gewundert hatte, wurde zu Beginn aufgeklärt. Er spielt auf ein Zitat an, das angeblich von Otto von Bismarck stammen soll: „Gesetze sind wie Würste, man sollte besser nicht dabei sein, wenn sie gemacht werden.“
Becker erklärte, ihr Beruf sei es, Gesetze zu entwerfen, jedoch könnten und würden sie und ihre Kolleg:innen nie „Autorschaft“ für diese beanspruchen. Ihre Arbeit finde hinter den Kulissen statt.
Wer bestimmt, ob ein Gesetz entworfen werden soll? Woher kommt die Expertise? Welchen Einfluss haben internationale Akteure und welchen hat die Rechtswissenschaft? Diesen Fragen ging die Referentin in ihrem Vortrag nach.
Anhand des Computerstrafrechts erläuterte die Referentin anschaulich die Rolle der Länder beim Anstoß von Gesetzesvorhaben. So habe die Justizministerkonferenz der Länder im Herbst 2021 der Bundesregierung den Auftrag erteilt zu prüfen, ob das „Cyberstrafrecht“ grundlegend überarbeitet werden müsse.
Daneben könnten Anstöße auch aus dem Koalitionsvertrag kommen. Auch in diesem finde sich eine Passage zum Computerstrafrecht, die allerdings in eine andere Richtung deute als die Vorschläge der Justizministerkonferenz. Während letztere implizit auf eine Verschärfung abzielten, setzt der Koalitionsvertrag in einem Teilbereich eher nicht auf das Strafrecht: So soll das Identifizieren und Melden von Sicherheitslücken durch sogenanntes „Ethical Hacking“ in Zukunft rechtssicher legal möglich sein.
Becker nannte auch internationale Einflüsse auf das Computerstrafrecht. So zum Beispiel die Budapest Konvention des Europarates. Zudem sei auch eine UN-Konvention in Planung. Diese solle im Januar fertiggestellt werden, laut der Referentin ein ambitioniertes Vorhaben. Dem aktuellen Entwurf seien lange und schwierige Verhandlungen vorausgegangen. Immer wieder habe es Auseinandersetzungen darüber gegeben, was genau unter Computerkriminalität falle. So sei es zum Beispiel ein Anliegen eines Staates, auch den mittels Internets vermittelten Ehebruch als Straftat in die Konvention aufzunehmen, was für viele andere Länder keine Option sei. Wichtig sei zudem, dass keine grenzüberschreitende Verfolgung politischer Betätigung als „Terrorismus“ möglich sei, weshalb sich Deutschland dafür einsetze, dass dieser nicht in die Konvention aufgenommen werde.
Der EU als für die deutsche Gesetzgebung wichtigstem internationalen Akteur widmete sich die Referentin anhand des Umweltstrafrechts. In harmonisierten Rechtsfeldern werde auch die dazu gehörige Verfolgung von Verstößen gegen dort geregelte Ge- und Verbote mehr und mehr durch die EU vorgegeben.
Die EU-Gesetzgebung sei jedoch nicht immer unproblematisch. Neben unterschiedlichen Vorstellungen z.B. des „Ultima ratio“-Gedankens und unterschiedlichen Sanktionsregimes der Mitgliedstaaten spiele auch die Sprachbarriere dabei eine Rolle. So fänden die Verhandlungen gerade im Trilog in den meisten Fällen auf Englisch statt, was nach dem Brexit nur noch von Irland als Muttersprache beherrscht werde, wodurch die meisten Teilnehmenden sich in einer fremden Fachsprache ausdrücken müssten. Dazu kämen rechtsvergleichende Schwierigkeiten durch die Verwendung von scheinbar eindeutigen Fachbegriffen: So sei es keineswegs selbstverständlich, dass mit dem Wort „Vorsatz“ alle das gleiche Rechtskonzept verbünden. Zudem fänden die Verhandlungen nicht selten unter Zeitdruck statt. Dies führe häufig zu unbefriedigenden Ergebnissen. Nach Becker müsse man sich daher die Frage stellen, ob in diesem Verfahren gute Gesetze zustande kommen könnten oder ob solche nicht gerade verhindert würden.
Als weiteren internationalen Akteur, der vor allem im Bereich des Geldwäschegesetzes auftrete, benannte die Referentin die OECD und deren Unterorganisation FATF (Financial Action Task Force). Die FATF veröffentlicht regelmäßig Listen mit den Ländern, die ein hohes Geldwäscherisiko aufweisen. Die Angst vor diesen Listen könne zu einer überbordenden Gesetzgebung zur Geldwäsche führen.
Mit der Frage „Und wo bleibt die Wissenschaft?“ kam Becker zum Ende ihres Vortrages. Die Antwort fiel ernüchternd aus: Die Rolle der Rechtswissenschaft sei leider gering. Zwar würden Sachverständige zum Beispiel bei Anhörungen im Rechtsausschuss angefragt, jedoch seien die Meinungen vieler Abgeordneter zuvor schon festgelegt.
Anschließend stellte sich die Referentin Fragen aus dem Publikum, das ihren Vortrag gebannt verfolgt hatte. Die Rolle von Expertenkommissionen hatte Becker in ihrem Vortrag zum Teil als „schwierig“ bezeichnet. Besonders problematisch sei es, wenn diese lange, eventuell sogar über den Zeitraum einer Legislaturperiode hinaus, bis zum Abschluss ihrer Arbeiten bräuchten und das politische Momentum so verfehlten. Das Problem sei dabei nicht die Qualität der Expert:innen, sondern die Schnelllebigkeit der Politik. Auf Nachfrage aus dem Publikum nannte sie als Beispiel die Kommission zur Reform des Sexualstrafrechts. Diese sei zwar sehr hervorragend besetzt gewesen, habe aber letztlich zu lange gebraucht, um ihre Ergebnisse vorzulegen. In dieser Zeit sei das Sexualstrafrecht aus aktuellen Anlässen mehrmals – unsystematisch – reformiert worden, da der Gesetzgeber nicht die Geduld gehabt habe, auf das Ergebnis zu warten.
Franca Leutloff