Allgemeine Infos
Wer vom Bahnhof kommend den Fußweg in die Stadt nimmt, dabei den Europa-Platz überquert, dann am Anlagensee und am Uhland-Denkmal vorbei über eine schmale Brücke in die auf der Neckarinsel gelegene Platanenallee gelangt, der steht vor einer historischen Häuserfront, einem dichten, zwischen Stiftskirche und Schloß terrassenförmig aufsteigenden Gewirr altstädtischer Giebel, Fenster, Dächer und Erker, das sich seit vierhundert Jahren im still fließenden Wasser spiegelt. Ein Anblick, der einst den spätromantischen Dichter Mörike veranlaßte, wie er selbst sagt, »unwillkürlich die Hände zu falten«. Besonders auffallend ist zwischen Tübinger Stift und Hölderlinturm ein langgestrecktes, altrosa getünchtes Gebäude mit symmetrisch gegliederter Fassade, burgunderfarbenen Fensterläden, Frontgiebel und Walmdach: die Burse, das Domizil der Philosophischen Fakultät der Universität Tübingen.
»Bursa«, so ist in Zedlers Universallexikon von 1733 zu lesen, »heißt eigentlich Beutel, in denen mittleren Zeiten aber ein kleines Collegium oder Hauß auf Universitäten, darinnen sich etliche Studenten aufhielten, welche deswegen bursales' und noch heutigen Tags Bursche' genennet werden.«
Im Innern der Burse bestimmen lange Flure den Charakter des Gebäudes. Hier begegnen sich Studierende, Lehrende und Angestellte der Fakultät auf ihrem Weg in die einzelnen Seminar-, Bibliotheks- und Verwaltungsräume. Die rückwärtigen Fenster der Burse gehen nach Norden auf die stille Clinikumsgasse und die gegenüberliegende Stützmauer für die Häuser der höhergelegenen Münzgasse mit den alten Universitätsgebäuden und dem Karzer. In östlicher Richtung, zur Neckarbrücke und zum Österberg hin, sieht man den Hölderlinturm, die Alte Aula und die Stiftskirche, deren Glockenschläge zu jeder Viertelstunde zur Burse herübertönen. Nach Süden geht der Blick auf den in unmittelbarer Nähe gemächlich strömenden Neckar, auf dem im Sommer die Stocherkähne vorbeiziehen und auf die Baumriesen der zweihundert Jahre alten Platanenallee. Nach Westen hin ist hoch über dem Neckar das Schloß zu sehen und in enger Nachbarschaft eine der Geburtsstätten des deutschen Idealismus, das Tübinger Stift, mit dem sich die Namen Hegel, Hölderlin und Schelling verbinden, ein Triumvirat, dessen Einfluß auf den heutigen Lehrplan der Burse also ganz naheliegend erscheint.
Das erste Jahrhundert
Das stattliche Gebäude, das nach der rückwärtigen Clinikumsgasse hin zweigeschossig ist, an der Frontseite aber mit vier Stockwerken in eine imposante Höhe ragt, ist mit seinen mehr als fünfhundert Jahren so alt wie die Universität selbst. Es diente zunächst als Internat für Studienanfänger, die sich hier an den »unteren Fakultäten« einer Grundausbildung unterziehen mußten und dabei zusammen mit ihren Professoren aus einer vom Landesfürsten aufgefüllten »Börse« lebten.
Gelehrt wurden die »septem artes liberales«: Grammatik, Logik, Rhetorik, Arithmetik, Geometrie, Astronomie und Musik. Nur wer in diesen »freien«, das heißt nicht unmittelbar auf praktische Anwendung bezogenen, Wissenschaften den »Magister artium« erlangte, konnte zum Studium an den drei »oberen Fakultäten«, Medizin, Jura oder Theologie, zugelassen werden.
Für die zeitweise bis zu 130 Scholaren galt ein strenges Reglement. Die Statuten von 1508 verbieten den freien Ausgang in die Stadt. Besonders nach dem Abendläuten durfte niemand ohne Erlaubnis das Gebäude verlassen. Wer es dennoch wagte und erwischt wurde, mußte für zwei Wochen in den Karzer. Verboten waren weiterhin Würfelspiel, Trinkgelage und tätliche Angriffe auf Professoren. Sommers wurde um fünf Uhr aufgestanden, im Winter erst um sechs. Nach gemeinsamer Morgenandacht begann der Unterricht, der sich bis zur Mittagszeit hinzog. Bei Tisch rezitierte ein Vorleser lateinische Schriften. Auch außerhalb des Unterrichts mußte, überwacht von eigens dafür eingeteilten »Lupi«, als Umgangssprache das Lateinische praktiziert werden. Das eigenwillige Idiom, das unter diesen Umständen tatsächlich gesprochen wurde, muß allerdings, soviel wissen wir aus den scharfzüngigen Bemerkungen Heinrich Bebels, dem Schwäbischen näher gestanden haben als irgendetwas anderem.
Zu den großen Lehrern der frühen Jahre gehören Jakob Locher (1471-1528), genannt Philomusus, der Sebastian Brants »Narrenschiff« ins Lateinische übersetzte, und der Humanist Nikodemus Frischlin (1547-1590), der 1568 Professor in Tübingen wurde und sich als Autor von Komödien einen Namen machte. Ihre Blütezeit erlebte die Burse unmittelbar nach der Universitätsgründung, die in eine Zeit größter politischer, religiöser und gesellschaftlicher Umwälzungen fiel.
An der Wende vom Mittelalter zur Renaissance entwickelt das aufstrebende Bürgertum in den Städten mit den neuen Produktionsformen auch ein neues Selbstbewußtsein. Das europaweit aufkommende humanistische Denken kämpft gegen die religiösen Glaubensbarrieren der Scholastik und stellt soziale und politische Ordnungen in Frage. Damals macht Graf Eberhard im Barte, Graf zu Württemberg und Mömpelgard, mit seiner Universitätsgründung das große Weinbauerndorf zur kleinen Universitätsstadt, »deren Schönheit, Fruchtbarkeit und Gesundheit lieber mit Augen angeschauet als von uns empfohlen werden mag«, wie es in seiner Gründungsurkunde vom 3. Juli 1477 heißt.
Auf Anregung seiner humanistisch gebildeten Ratgeber beruft der Ren-naissancefürst nur angesehene akademische Lehrer, die zuvor an italienischen und französischen Universitäten erfolgreich tätig waren. Aus Florenz, Padua, Bologna und Paris bringen sie ein neues, undogmatisches Denken nach Tübingen, das an der Burse als präreformatorischer Geist des Humanismus zur Entfaltung kommt. Ein bildungsorientiertes Menschenbild drängt auf freie Selbstbestimmung und auf moralische Verbindlichkeit eines ohne Dogmatik erworbenen Wissens. In den neu übersetzten Texten der Antike, in Polemiken, Dialogen und Briefen wird eine unerhört kraftvolle Sprache erprobt.
Diese glanzvolle Aufbruchphase an der Burse dauert von 1497, als der von Kaiser Maximilian mit dem Dichter-Lorbeer bekränzte »Poeta laureatus« Heinrich Bebel (1472-1518) die poetische Lektur übernimmt, bis 1522, dem Todesjahr Johannes Reuchlins (geb. 1455), einem der fortschrittlichsten Gelehrten des 16. Jahrhunderts, der Griechisch und Hebräisch unterrichtet. Reuchlin wohnt in der Handwerkergasse »unter der Burs«, wo heute ein steinerner Löwe an der Hausfassade an den streitbaren, dem Judenhaß entgegentretenden Hebraisten erinnert. Johannes Reuchlin ist der Großonkel von Philipp Melanchthon (1497-1560), der von 1512 bis 1518 hier lebt, lernt und lehrt, bevor er einem Ruf an die Universität Wittenberg folgt, wo er bald Luthers Aufmerksamkeit auf sich lenkt und dessen wichtigster Mitstreiter wird. Heute erinnert eine Steintafel an den großen Humanisten, der an der Burse über aristotelische Philosophie, die griechischen und lateinischen Klassiker las und aus diesen Quellen zusammen mit seinen Studenten jene neuartigen Perspektiven entwickelte, die dazu beitrugen, eine »neue Zeit« heraufzuführen.
Zwei Treppen für zwei Traditionen
Wie sich ein lebendiger Grundsatzstreit des philosophischen Denkens in einer Gebäudestruktur manifestieren kann, das zeigen die beiden separaten Eingänge der Burse, die durch zwei in gegenläufiger Richtung angelegte Treppen erreichbar sind. Diese architektonische Pointe geht zurück auf den frühneuzeitlichen Universalienstreit, der in Tübingen dazu führte, daß man die Burse von oben bis unten durch eine im Gebäude errichtete Mauer in zwei Hälften unterteilte und für die auseinanderführenden »Wege«, die Via antiqua und die Via moderna, jeweils einen separaten Eingang schuf, links für die »Nominalisten«, rechts für die »Realisten«. Erst als mit der Reformation weiter ausgreifende und umwälzende Konflikte aufbrachen, wurde die Mauer wieder entfernt. Die beiden Eingänge aber sind geblieben, ein Denkmal für in unversöhnlichem Streit liegende Auffassungen von Wissenschaftlichkeit - ein Streit, der auch heute keineswegs als geschlichtet gelten kann.
Die Via antiqua wurde vertreten von den sogenannten Realisten (von »res« im Sinne von Sache), die davon ausgingen, daß in unseren Begriffen etwas Sachhaltiges von den Dingen selbst repräsentiert ist. Die Dinge selbst erscheinen als Besonderungen des Allgemeinen', so daß durch entsprechende Begriffsanalyse den Dingen auf ihren allgemeinen Grund zu kommen ist. Die Via moderna oder der Nominalismus konnte diese auf Platon zurückgehende Konzeption nicht akzeptieren und ging stattdessen davon aus, daß alles, was wir begrifflich fassen, letztlich nur Namen in Gestalt willkürlich gesetzter Bezeichnungen sind, in denen sich kein Wesen der Dinge spiegelt. Die Wesenheiten der Dinge in Gestalt der Universalien erscheinen hier nur als Konstrukte unseres Verstandesvermögens und besitzen keine eigenständige Wirklichkeit. Indem der Nominalismus die Erkenntnis nicht auf dem Prozeß eines sich entfaltenden Denkens beruhen läßt - eines Denkens, das sich immer schon mit seiner Sache vermittelt weiß -, er vielmehr seine »Einsichten« von Allgemeinem auf die »experientia«, auf die Erfahrungen mit existierenden Ein-zeldingen gründet, verhilft er im Laufe der Jahrhunderte dem naturwissenschaftlichen Denken mit zum Durchbruch. Und dieser »neue Weg«, der sich geistesgeschichtlich mit der Lehre des Wilhelm von Ockham (1285-1350) verbindet, wird in Tübingen durch Gabriel Biel (1418-1495), einen der bedeutendsten Theologen seiner Zeit, vermittelt. Auch Biel wurde von Graf Eberhard berufen, allerdings nicht als akademischer Lehrer, sondern als Vertreter einer modernen Frömmigkeitsrichtung, der Devotio moderna. Und in dieser Eigenschaft wurde er zunächst Gründungsprobst der »Brüder vom Gemeinsamen Leben« und erst 1482 akademischer Lehrer an der Burse.
Aber auch die Via antiqua wurde durch repräsentative Lehrer vertreten, die sich in Tübingen weniger an der Lehre des Thomas von Aquin orientierten, als vielmehr an dem Franziskanertheologen Johannes Duns Scotus, der den Beinamen »doctor subtilis« trug. Der bedeutendste unter ihnen war Konrad Summenhart (1455-1502), ein im scholastischen Sinne äußerst unkonventioneller Denker, der alles für in möglichen Welten existierend hielt, was keinen logischen Widerspruch enthält, und auf dieser Grundlage an der Bursa Lehrinhalte vermittelte, die die festgefügten Denkschemata der Spätscholastik durchbrachen.
Dieses »freie« Denken wird aber schon 1534 durch die inWürttemberg durchgesetzte Reformation keineswegs gestärkt, sondern im Gegenteil wieder eingeschränkt, weil im lutherischen Aufstand gegen die Autorität der Römischen Kirche alle akademischen Lehrer - in Württemberg strenger als anderswo - auf den neuen Glauben verpflichtet werden. Tübingen entwickelt sich immer mehr zu einem Zentrum der protestantischen Orthodoxie, so daß die philosophische Spekulation hier bald keine Basis mehr hat. Statt dessen kommen nun die Einzelwissenschaften auf, die mit ihrem Akzent auf der »experientia« dem protestantischen Geist eher entsprechen und damit jenen Aufbruch vorbereiten, aus dem dann im 19. Jahrhundert die technischen Universitäten hervorgehen mit einem neuen, nunmehr außerhalb der Artistenfakultät angesiedelten Fächerkanon.
Im einzelnen sind hier Chemie, Physik, Ingenieurwissenschaften, Militärwesen, Logistik, Staatswirtschaft usw. zu nennen - »unfreie Künste«, die sich durch ihren obligatorischen Praxisbezug nicht mehr als »artes liberales« betreiben lassen. In Tübingen ist es vor allem die Astronomie, die hier eine große, wiederum mit der Burse verbundene Tradition begründet: zunächst mit dem großen Lehrer Petrus Apianus (1495-1552), Johannes Stöffler, der den ersten Lehrstuhl bekommt, dann Michael Maestlin, der noch nicht wagt, das Kopernikanische System öffentlich zu vertreten, und natürlich sein faustischer Schüler Johannes Kepler (1571-1630), der seinerseits befreundet ist mit Wilhelm Schickard (1592-1635), dem Erfinder der ersten Rechenmaschine und einem der führenden Hebraisten und Orientalisten seiner Zeit.
Vom Behelfslazarett zum klassizistischen Spital
In der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts kommt es zum großen Einbruch des Dreißigjährigen Krieges, an dessen Folgen auch die Burse schwer zu tragen hat. Wo einst ein neuartiges Denken Lehrende und Lernende verband, werden jetzt geflohene Bauern und kriegsgefangene Franzosen einquartiert - Erschwernisse, von denen sich die Burse auch nach dem Krieg nicht recht erholen kann. Immer häufiger kommt es zu Unregelmäßigkeiten im Lehrbetrieb. Bestechungsskandale, Intrigen und Al-ko-holexzesse sind an der Tagesordnung. Selbst die Professoren kommen ihrer Trinkfreudigkeit wegen ins Gerede. In der Öffentlichkeit nimmt das Ansehen der Burse schweren Schaden.
Den Niedergang im Inneren spiegelt ein rapide fortschreitender baulicher Verfall. Zudem bekommt die Burse in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts empfindliche Konkurrenz von der Hohen Karlsschule in Stuttgart, deren Gründer, der absolutistische Herzog Karl Eugen (1728-1793), die Beschäftigung mit alten Sprachen für obsolet hält und statt dessen die praktischen Seiten der Bildung wie zum Beispiel das Militärwesen besser zur Geltung gebracht sehen will. Es kommt teils unter Druck, teils aus freien Stücken zu einer starken Abwanderung nach Stuttgart, so daß in Tübingen bald nicht einmal mehr zweihundert Studenten eingeschrieben sind. Die Burse steht vor der Schließung, zu der es aber nicht kommt, weil nach dem Tode des Herzogs die Karlsschule aufgehoben wird. Deren prominentester Schüler, Friedrich Schiller (1759-1805), kommt im März 1794 für einige Tage nach Tübingen, wo er in der baufällig gewordenen Burse bei seinem Lehrer Jakob Friedrich Abel (1751-1829) zu Gast ist, den man nach Auflösung der Karlsschule nach Tübingen versetzt hat. Indessen, der wirtschaftliche Niedergang der einst angesehenen Lehranstalt scheint unaufhaltsam. Um 1800 gilt es sogar als Armutszeugnis, hier zu wohnen.
Die Zahl der in der Burse lebenden und also auch zahlenden Studenten bleibt stark rückläufig, und schließlich muß sie ganz geschlossen werden. Den Plänen, das mittlerweile über dreihundert Jahre alte Gebäude zu »abandonnieren«, entgeht die Burse nur deshalb, weil der amtierende Universitätskanzler und Professor der Medizin Ferdinand Autenrieth (1772-1835) 1805 die baufällige Burse übernimmt und den spätmittelalterlichen Fachwerkbau zum ersten Klinikum der Universität umbauen läßt. Dabei erhält die Burse mit dem halbrunden Fenster im Frontgiebel und dem Walmdach ihr klassizistisches, die Symmetrie betonendes Aussehen, das sie im Urteil der Zeitgenossen zu einem der schönsten Gebäude der Stadt macht.
Ort des Geistes und großer Geister
Springen wir an dieser Stelle ein oder zwei Jahrzehnte zurück und flechten ein Wort zum Evangelischen Stift, zu den »Stiftlern« - zu denen ja Hegel, Hölderlin und Schelling in dieser Zeit gehörten - und deren Beziehung zur Universität ein. Im Evangelischen Stift gab es fünf Jahrgänge, die sogenannten Promotionen. Jede Promotion war »durchloziert« und jede nach ihrem Primus benannt. Hegel etwa gehörte zur Renzischen Promotion, Schelling war Primus, das heißt, es gab eine Schellingsche Promotion. Die beiden untersten Jahrgänge - die Novizen und die Kandidaten - studierten Philosophie an der Universität. Nach zwei Jahren wurde man zum »doctor seu magister philosophiae« promoviert, man nannte sich aber Magister, nicht Doktor. In einem Rescriptum des damaligen Rektors der Universität erfährt man hierzu: »Es ist Unser ernstlicher Befehl, daß die neu ankommenden studiosi, wenigstens die von Unserem Herzogtum, ad facultates superiores nicht admittiert werden, bis sie den nötigen Grund, wo sie ihn nicht schon mitbringen, in lectionibus philosophiam moralem et metaphysicam studieret, und dieserwegen entweder disputando ein specimen abgeleget, oder doch sonsten dem decano der oberen Fakultät ein glaubwürdiges Zeugnuß von dem de-cano philosophico vorgezeiget haben werden.«
Nach dem Magisterexamen begann das dreijährige theologische Studium, an dessen Ende das kirchliche Konsistorialexamen in Stuttgart stand. Wer dann keine Stelle als Repetent im Stift, als Schloßprediger, Stiftssubbibliothekar, Vikar oder Hauslehrer fand, konnte zunächst als »Senior« ins Stift zurückkehren bzw. dort bleiben und etwa die Aufsicht über eine Stube übernehmen. Der Ephorus des Stifts war zugleich Professor an der Universität. Zu Hegels Studienzeit war es Christian Friedrich Schnurrer, ein Gräzist und bedeutender Orientalist, der zusammen mit Gottfried Ploucquet, später mit dem bereits erwähnten Jakob Friedrich Abel (Theoretische Philosophie), mit August Friedrich Bök (Praktische Philosophie) und Friedrich Rösler (Geschichte) zur Philosophischen Fakultät gehörte. Dem Ephorus des Stiftes waren als Superattendenten oder Inspektoren je ein Professor der Theologie und der Philosophie beigegeben, den Superattendenten dienten wiederum zehn Repetenden.
Die Vorlesungen fanden in der Regel vormittags zwischen 8 und 11 Uhr (publicum) und nachmittags zwischen 14 und 17 Uhr (privatum) statt. Die Stipendiaten belegten - wie ein zeitgenössischer Kritiker zu berichten weiß - die universitären Veranstaltungen oft nur, um aus dem Stift herauszukommen und »ihre besten Stunden mit Vagiren oder gar in Wirthshäussern oder andern verdächtigen Orthen unter vielfältig verübenden gröblichen Excessibus zuzubringen«.
Wieder Philosophie!
Zurück zur Burse, zu Autenrieth und seiner rasch prosperierenden Universitätsklinik. Hier wurden nicht allein Kranke und Schwangere versorgt, sondern zudem die erste psychiatrische Krankenabteilung Deutschlands eingerichtet, in der auch Friedrich Hölderlin als einer der ersten Patienten eine »Behandlung« erfuhr. Weil Autenrieth für seine Klientel mehr Licht, Luft und Sonne haben wollte, ließ er die gegenüberliegenden Häuser, Scheuern und Werkstätten kurzerhand abreißen. Seither öffnet sich vor der Burse der kleine freundliche Platz, der auf der Neckarseite durch die Reste der Stadtmauer begrenzt wird. Damals wurden hier die Platanen gepflanzt, die heute die Burse überragen und den nach Süden gelegenen Arbeitszimmern einen natürlichen Schatten spenden.
Damals, zu Beginn des 19. Jahrhunderts, emanzipierten sich auch die Naturwissenschafen aus den Kategorien geisteswissenschaftlicher Betrachtung. Durch den rasanten Erkenntnisfortschritt und dank der neu gewonnenen Möglichkeiten der Diagnose und Therapie erwies sich das Klinikum bald als zu klein. Deshalb wurden vor den Toren der Stadt neue Krankenhäuser errichtet, und die einzelnen Abteilungen verließen nach und nach die Burse, bis nur noch die Abteilung für Geburtshilfe übrig blieb. Diese überließ, nachdem im Gebärsaal die Decke eingestürzt war, nach der Renovierung der Zahnmedizin das Feld, bis auch sie einen zweckdienlicheren Neubau beziehen konnte.
Eine fünf Jahre währende Generalüberholung ließ die Burse innen völlig neu entstehen, so daß dann 1972 Studierende und Lehrende der Philosophie und der Kunstgeschichte an diesen Ort der »freien Künste« zurückkehren konnten.
Vor ihrem Einzug in die Burse hatten die Philosophen ihren Hauptsitz direkt neben der Stiftskirche in der Alten Aula, einem nicht weniger traditionsreichen Universitätsgebäude. Dort war ihr wichtigster Seminarraum der hohe und helle, mit Parkett ausgelegte »Tanzsaal«, der in den fünfziger und sechziger Jahren zugleich für universitäre Feierlichkeiten und kleinere gesellschaftliche Veranstaltungen genutzt wurde.
Zu den universitären Ereignissen gehörten die Veranstaltungen von Otto Friedrich Bollnow, Ernst Bloch und Walter Schulz, die durch ihre Arbeit der aktuellen philosophischen Zeitströmung einen jeweils charakteristischen Akzent verliehen und das internationale Renomee der Universität Tübingen nach dem Krieg entscheidend mitprägten. So vertrat Otto Friedrich Bollnow (1903-1991) eine »Fortentwicklung« der Hermeneutik aus der Schule Wilhelm Diltheys und eine philosophische Anthropologie, die sich intensiv mit den philosophischen Grundlagen der Pädagogik auseinandersetzte. Hier führte Bollnow die Linie seines Vorgängers Eduard Spranger (1882-1963) unmittelbar weiter.
Der große Vermittler der Geschichte der Philosophie, gerade auch gegenüber einem breiteren Publikum, war Walter Schulz. Seine Vorlesungen wurden zu Hunderten von Hörern aller Fakultäten besucht, die er dadurch zu beeindrucken verstand, daß er, auf dem Katheder auf und ab gehend und dabei gestikulierend, völlig frei über Platon, den Deutschen Idealismus, Nikolaus Kusanus oder Wittgenstein »las«. Seine Publikationen von »Die Vollendung des Deutschen Idealismus in der Spätphilosophie Schellings« (1955) bis hin zu »Philosophie in der veränderten Welt« (1972), aber auch die späteren geschichtlich-systematischen Untersuchungen zur Ethik und Ästhetik wurden »Longseller« in der philosophischen Literatur der letzten Jahrzehnte.
Zu den großen populären Lehrern gehörte auch Ernst Bloch (1885-1977), der sich Anfang der 60er Jahre aufgrund der politischen Schwierigkeiten in Leipzig nach einem Gastvortrag entschloß, in Tübingen zu bleiben, wo er dann gleichsam in persona die Legitimation besaß, sich mit einer undogmatischen Lesart des Marxismus zu befassen. Seine Lehrtätigkeit fiel in eine zunehmend politisch aufgeladene Zeit. Alarmiert durch den Auschwitz-Prozeß machte man sich an die Befragung der Vätergeneration. Zusätzlich polarisierte der Vietnam-Krieg die Fronten, und als dann im Juni 1967 in Berlin der Student Benno Ohnesorg während einer Demonstration gegen den Besuch des Schahs erschossen wurde, kam es auch in Tübingen zu Unruhen und Streiks.
Das gesamte studentische Leben politisierte sich durch die Agitation der linken Studentengruppen. Tausende folgten ihren Demonstrationsaufrufen gegen das als reaktionär verschrieene »Establishment«. Und natürlich richteten sich die Proteste auch gegen die traditionelle Ordinarienuniversität und ihre Institutionen. Dabei ging es vor allem darum, linke Positionen in die offiziellen Lehrveranstaltungen einzubringen. Wo das nicht gelang, wurden studentische Parallelveranstaltungen abgehalten, so daß man teilweise an einer alternativen Universität studierte. Diese Veranstaltungen endeten nicht einfach nach der üblichen Zeit, es gehörte vielmehr ganz selbstverständlich dazu, sie in der Art eines platonischen Symposions bis in die frühen Morgenstunden hinein fortzusetzen. Es wurde ungeheuer viel gelesen - und nicht allein linke Theorie. In bohèmehaften Zirkeln gehörte die Philosophie zum »Lebensstil«, und wer sich in Literatur und Musik nicht auskannte, disqualifizierte sich.
Bloch wurde damals rasch zu einer internationalen Figur im philosophischen Leben, nicht zuletzt auch durch die berühmt gewordene Vorlesung, die den Ort der Handlung im Titel führt: die »Tübinger Einleitung in die Philosophie« mit ihren Eingangsworten: »Ich bin. Aber ich habe mich nicht. Darum werden wir erst.« Weithin bekannt war sein Oberseminar, das immer dienstags um 20 Uhr in jenem Tanzsaal der Alten Aula stattgefunden hat und ähnlich wie die Vorlesung von Walter Schulz eine ganz eigene Tübinger Institution war. Die Menschen drängten in dieses Seminar, wobei allerdings eine persönliche Anmeldung bei seinem Assistenten erforderlich war.
Blochs Auftritt selbst war geradezu ein Ritual. Er kam mit dem Taxi von der Neckarhalde her über die Münzgasse angefahren, stets in Begleitung seines Assistenten und seiner Frau. Der Einzug des Meisters in den Saal folgte immer derselben Dramaturgie: Zuerst kam sein Assistent gewissermaßen als sein Herold, dann kam Bloch selbst und hinter ihm Karola Bloch. Der Ablauf des Seminars sah vor, daß zunächst ein Referat gehalten wurde, über das man anschließend diskutierte. Bloch hörte sich das alles an und ergriff erst in der letzten Viertelstunde das Wort, wobei er sprach, wie er schrieb, das heißt in seinem assoziativen und geradezu expressionistischen Gestus.
Mit Klaus Hartmann, dem Nachfolger Otto Friedrich Bollnows, mit Rüdiger Bubner, der die Nachfolge von Walter Schulz angetreten hatte, und mit Josef Simon, der den Lehrstuhl III an der Philosophischen Fakultät innehatte, fand die Hegel-Renaissance in der deutschen Philosophie eine ihrer stärksten universitären Manifestationen. Dies geschah gegen Ende der siebziger und in den achtziger Jahren. Mit Wolfgang Schadewaldt - um an einen anderen Traditionsstrang anzuknüpfen - hatte die Altphilologie in Tübingen einen ihrer prominentesten Vertreter dieses Jahrhunderts. Aus dem Kreis seiner Schüler gingen auch für die Philosophie fruchtbare Impulse aus, die zur sogenannten »Tübinger Platonschule« führten. Verbunden ist diese weltweit bekannte Interpretationsrichtung vor allem mit den Namen Hans Joachim Krämer (Philosophische Fakultät) und Konrad Gaiser (Kulturwissenschaft-liche Fakultät). Diese Linie wird durch den Nachfolger Gaisers, Thomas A. Szlezák, der auch Mitglied der Philosophischen Fakultät ist, unmittelbar weitergeführt.
Die Tübinger Philosophische Fakultät zeichnete sich schon immer durch eine Konzentration auf klassische Themen der abendländischen Philosophie aus. Sieht man auf das heutige Bild, setzt sich diese Tradition fort: In Lehre und Forschung bestimmen die Philosophie der Antike, die des Deutschen Idealismus und die Praktische Philosophie in ihrer ganzen Breite das Profil der Philosophischen Fakultät. Daß dabei die Philosophische Anthropologie, die Religionsphilosophie, die Wissen-schaftstheorie, die Philosophie der Logik, die Hermeneutik Gadamers und Heideggers und die sprachanalytische Philosophie angelsächsischer Tradition - um nur einige Richtungen und Strömungen herauszugreifen - in Forschung und Lehre gleichermaßen zu Wort kommen, zeigt die Vielfalt, die Lebendigkeit und die Offenheit der Philosophischen Fakultät in ihrer gegenwärtigen Gestalt.
Die deutsche Sprache ist neben der griechischen diejenige, in der die meisten bedeutsamen Schriften der europäischen Philosophie verfaßt wurden. Aus diesem Grund legt die Philosophische Fakultät Wert darauf, dem wachsenden weltweiten Interesse an Forschungs- und Studienaufenthalten ausländischer Universitätsdozenten, Doktoranden und Studenten in Tübingen Rechnung zu tragen. Gerade mit der Öffnung der mittel- und osteuropäischen Länder sieht sich die Philosophische Fakultät aufgrund ihres Namens und ihrer Ausrichtung - neben den immer schon bestehenden Beziehungen zu ostasiatischen und nordamerikanischen Ländern - einem stetig zunehmenden Interesse an Forschungsaufenthalten von Dozenten und Doktoranden aus diesen Regionen gegenüber. Bleibendes Interesse der Fakultät ist es, die internationalen Kontakte sowohl hinsichtlich der Lehre wie auch der Forschung zu intensivieren. Stellvertretend seien hier nur die gemeinsamen Veranstaltungen mit dem Internationalen Zentrum der Universität Tübingen (Tagungen, Kolloquien, Finanzierung von Studienaufenthalten ausländischer Dozenten, Internationales Doktorandenkolloquium) genannt.
Philosophische Arbeit ist - hierin der des Künstlers verwandt - traditionell und aus guten Gründen Arbeit des Einzelnen, sie ist Wissensschöpfung durch den Einzelnen, mithin »Einzelfor-schung«. Daß diese Einzelforschung aber vom vielfältigen Gespräch mit Anderen lebt und Verbindung zu anderen »Gebieten« und deren philosophischer Grundlage sucht, liegt ebenso in der Natur der Sache. Die interdisziplinären Kontakte der Tübinger Philosophie sind im Gegensatz zu vielen anderen Instituten in Deutschland zahlreich. Sie sind durch sogenannte »Kooptationen« institutionalisiert, so mit der evangelischen Theologie (Eberhard Jüngel, Institut für Hermeneutik) und der katholischen Theologie (Georg Wieland, Abteilung für philosophische Grundfragen der Theologie), der Gräzistik (Thomas A. Szlezák), der Informatik (Peter Schroeder-Heister, Professur für Logik und Sprachphilosophie), der Biologie (Eve-Marie Engels, Lehrstuhl für Ethik in den Bio-wis-sen-schaften) und der Rechtswissenschaft (Otfried Höffe, Kooptation bei der Juristischen Fakultät). Auf dem Gebiet der Ethik und der Praktischen Philosophie ist die Zusammenarbeit mit dem interdisziplinär und interfakultär angelegten »Zentrum für Ethik in den Wissenschaften« und dem dort angeschlossenen Graduiertenkolleg (Reiner Wimmer) zu nennen. Intensive interdisziplinäre Arbeit findet in Form gemeinsamer Lehrveranstaltungen und wissenschaftlicher Kolloquien mit der Literaturwissenschaft, der Klassischen Philologie und der Theologie statt (Günter Figal), ebenso mit der modernen Sprachwissenschaft (Manfred Frank) und der Rechts- wie auch der Politikwissenschaft (Otfried Höffe).
1477 gründete der junge Graf Eberhard im Barte und spätere Herzog von Württemberg die Universität Tübingen und gab ausdrücklich der »Hohen Gemeinen Schule« auf: »helfen zu graben den Brunnen des Lebens, daraus von allen Enden der Welt unversieglich geschöpft werden mag tröstliche und heilsame Weisheit zur Erlöschung des verderblichen Feuers menschlicher Unvernunft und Blindheit.« Aus dieser Zeit sind in der Burse, einem der Gründungsgebäude, drei stattliche Eichensäulen erhalten geblieben. Die fünfhundert Jahre alten Zeitzeugen stehen jetzt in der Eingangshalle. Ihre geschnitzten Holzkapitelle zeigen Wappen und Schriftbänder. Dort ist auch der Wahlspruch des Universitätsgründers zu lesen »Attempto«, »Ich wag' es!« - eine Ermutigung für jeden, der dieses Gebäude betritt.
Text: Michael Schwelling Für Anregungen und Hinweise sei folgenden Personen gedankt: Herrn Dietmar Koch, Herrn Matthias Schatz, Herrn Wolfgang Urban, Herrn Prof. Dr. Volker Schäfer, Herrn Prof. Dr. Walter Schulz und Herrn Dr. Wischnath.
Verwendete und empfohlene Literatur zur Burse und zur Stadt Tübingen
Klaus Beyrer (Hg.): Die Reise nach Tübingen: Stadtansichten zwischen 1700 und 1850, Tübingen 1987
Werner Boßhardt: Zur Geschichte der Tübinger Burse, in: attempto, 137 - 144
Werner Boßhardt: Alte Inschriften in der Burse, in: attempto, Heft 43/44, 1972, S. 16 - 23
500 Jahre Eberhard-Karls-Universität Tübingen. Die Universiät Tübingen von 1477 bis 1977 in Bildern und Dokumenten. Gesammelt, bearbeitet und herausgegeben im Auftrag des Universitätspräsidiums und des Senats der Eberhard-Karls-Universität Tübingen von Hansmartin Degger-Hauff und Wilfried Setzler, Tübingen 1977;
Hansmartin Degger-Hauff: Beiträge zur Geschichte der Universität Tübingen 1477 bis 1977, Tübingen 1977
Heinrich Ferdinand Eisenbach: Beschreibung und Geschichte der Stadt und Universität Tübingen, Tübingen 1822
Ingrid Gamer-Wallert und Gabriele Steffen (Hrsg.): Tübingen. Eine Stadt und eine Universität, Tübingen 1995
Joachim Hahn und Hans Mayer: Das Evangelische Stift in Tübingen. Geschichte und Gegenwart - Zwischen Weltgeist und Frömmigkeit, Stuttgart 1995
Johannes Haller: Die Anfänge der Universität Tübingen 1477 - 1537, 2 Bde., Stuttgart 1927 u. 1929
Helmut Hornbogen: Tübinger Dichter-Häuser. Literaturgeschichten aus Schwaben, Tübingen 1989
Walter und Inge Jens: Die kleine große Stadt Tübingen. Fotos von Stefan Moses und Joachim Fest, Stuttgart 1981
Walter Jens: Eine deutsche Universität: 500 Jahre Tübinger Gelehrtenrepublik, (6. Aufl.) München 1993
Karl Klüpfel: Geschichte und Beschreibung der Universität Tübingen, Neudruck der Ausgabe Tübingen 1849, Aalen 1977
Detlef Lembke: Die neue alte Burse, in: attempto, Heft 43/44, 1972, S. 24 - 31
Mechthild Lemcke und Christa Hakenesch: Hegel in Tübingen, Tübingen o. J.
Marbacher Magazin, Sonderheft 11/1978: Hölderlin in Tübingen (bearbeitet von Werner Volke), Marnach 1983
Wilfried Setzler: Tübingen. Auf allen Wegen Neues entdecken. Ein Stadtführer, Tübingen 1997
Volker Schäfer: Fünf Jahrhunderte Tübinger Burse: eine Ausstellung des Universitätsarchivs Tübingen aus Anlaß der Wiedereinweihung der Alten Burse, 28. April - 1. Mai 1972, Tübingen 1972
Volker Schäfer (Hg.): Bausteine zur Tübinger Universitätsgeschichte, Tübingen 1984
Volker Schäfer: Die Tübinger Burse von 1480 - 1537, in: attempto, Heft 43/44, 1972, S. 3 - 15
Manfred Schmid: Wiedergeburt des Geistes: die Universität Tübingen im Jahre 1945. Eine Dokumentation, Tübingen 1985
W. Schöllkopf: Stimmung äußerst demokratisch, in: Bausteine zur Tübinger Universitätsgeschichte, Folge 2, S. 81-105, Tübingen 1984
Benigna Schönhagen: Tübingen unterm Hakenkreuz. Eine Universitätsstadt in der Zeit des Nationalsozialismus. Beiträge zur Tübinger Geschischte, Bd. 4, Stuttgart 1991
Jürgen Sydow (Hg.): Bilder zur Geschichte der Stadt Tübingen, Tübingen 1980
Gert Ueding (Hrsg.): Tübingen: eine Städte-Lesebuch, Frankfurt/M 1990
Alt Tübingen: Bilder einer schwäbischen Stadt, Text Jürgen Sydow, Tübingen 1987
„ ... helfen zu graben den Brunnen des Lebens“. Historische Jubiläumsausstellung des Universitätsarchivs Tübingen, Tübingen 1977
Eine Stadt des Buches. Tübingen 1498-1998, Tübingen 1998
Das andere Tübingen. Kultur und Lebensweise der Unteren Stadt im 19. Jahrhundert, herausgegeben im Auftrag der Tübinger Vereinigung für Volkskunde, Tübingen 1978
Das Bildfries "Utopia" im Raum X in der Burse
Zum "Jahr der Geisteswissenschaften 2007" hat die Adolf Würth GmbH & Co. Kg mit Sitz in Künzelsau dem Philosophischen Seminar einen Bildfries des Stuttgarter Künstlers Ulrich Bernhardt gestiftet.
Prof. Dr. Michael Heidelberger, stellvertretender Direktor des Philosophischen Seminars, eröffnete die feierliche Enthüllung mit den Worten: "Ein gutes Kunstwerk hat immer auch mehrere Dimensionen zu bieten." In der Tat wirkt das Werk auf mehreren Ebenen. Der Betrachter steht einer neun Meter langen Fotografie gegenüber, die als Grundlage einen 360°-Blick auf eine karge und doch bewohnte Landschaft bietet und die zudem das gegenüberliegende Neckarufer zu spiegeln scheint. Darüber sind sozialutopische Texte von Abbé Morelly über Karl Marx bis Jean-Jacques Rousseau gelegt, die die Internationalität der Sozialutopie unterstreichen. Als dritte Lage erscheinen Texte und Fotografie hinter verschiedenfarbigen Filtern. Ein kräftiges Rot etwa oder ein blasses Blau.
Der in Stuttgart lebende Künstler und Autor Ulrich Bernhardt musste einen langen Weg gehen, bis er die Idee zu diesem Bildfries hatte. Von einem Freund in das kleine griechische Bergdorf Ambelakia gelockt, entdeckte er dort die Wiege eines demokratisch-sozialistischen Gesellschaftsmodells. Vor etwa 200 Jahren gründeten die vielen kleineren Färbereibetriebe des Ortes eine Genossenschaft, um sich als ein Betrieb gegen Konkurrenz von außen zu schützen. Die Gemeinschaft bot erstmals ihren Arbeitern Gewinnbeteiligung durch Aktien an und förderte so den Zusammenhalt untereinander. Die Ideale von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit bestimmten das Konzept einer freien und gerechten Wirtschaft. Das Stadtbild profitierte und es entstanden Kirchen, ein Bischofspalast, Theater, eine Bibliothek und eine eigene Universität, die im Laufe der Zeit berühmte Wissenschaftler, Dichter und Politiker hervorbrachte. Die Recherche nach dieser Lebensform und ihrer Verfassung gestaltete sich nach Angeben des Künstlers als kompliziert. Bernhardt suchte in griechischen, französischen und Wiener Archiven und stellte zu seinem Erstaunen fest, dass er der Erste war, der die Siegel der gebündelten Dokumente aufbrach. Fasziniert von der Idee der Ambelakioten, interessieren ihn als Künstler jedoch nicht nur die historischen Zusammenhänge dieser sozialen Utopie, sondern vor allem die Form die Form deren Darstellung in der heutigen Gesellschaft. So sollten Texte verschiedener Sozialutopisten vor dem Hintergrund der Ambelakischen Landschaft zu einem Ganzen zusammenwachsen.