Ludwig-Uhland-Institut für Empirische Kulturwissenschaft

Humor in sozialen Bewegungen 1975-86: Dis-ordering und re-ordering durch affektive Strategien der Diagnose und Mobilisierung

Projektlaufzeit 2015-2019 (1. Förderphase)
Projektleitung Prof. Dr. Monique Scheer

Die Forschung zu Emotionen in sozialen Bewegungen im Teilprojekt F06 des SFB 923 „Bedrohte Ordnungen“ hat sich bisher vor allem mit den ernsten und negativen Gefühlen (Angst, Wut, Scham) beschäftigt; erst in neuester Zeit hat sie sich dem ‚Spaß‘ zugewandt. Deshalb will dieses Teilprojekt nach der Vorgeschichte der neueren ‚Spaß-Demos‘ fragen, nach der Präsenz und Funktion des Humors in Protestbewegungen der 1970er und 80er Jahre.

Die Ausgangsthese lautet: Nicht nur Angst und Wut, sondern auch der Humor ist ein wichtiger Kommunikationsmodus im Protest, sowohl aufgrund der Möglichkeiten der Ordnungsthematisierung, die er eröffnet, als auch aufgrund der Emotionen, die er mobilisiert. Mit Humor werden sowohl die Bedrohungsquelle benannt (Diagnose) als auch Protestierende vergemeinschaftet und zum Handeln bewegt (Mobilisierung), aber vermutlich in anderer Weise als über negative Emotionen. Humor kann subversiv wirken, die Machtverhältnisse auf den Kopf stellen, die Ordnung selbst bedrohen; er sorgt aber auch für die Kohäsion der Gruppe. Die Untersuchung wird nach Humor, Ironie und Satire in der populär produzierten Bedrohungskommunikation suchen, und zwar in Szene-Publikationen (Text/Diskurs) und auf der Straße in Protestaktionen (Performanz/Praxis).

Dabei werden der Humor und das Lachen als emotionale Praxis thematisiert, da die kognitive Dimension des Witzes nicht von der Körperpraxis des Lachens grundsätzlich getrennt werden soll. Das ‚Ansteckungspotential‘ des Lachens – so die These – stellt eine wichtige Grundlage für die Mobilisierung in sozialen Bewegungen dar. Das Projekt verbindet also die volkskundliche Humorologie mit der neueren sozialwissenschaftlichen Forschung zu Emotionen in sozialen Bewegungen.

Um die spezifische Funktion des Humors herausarbeiten zu können, werden zwei Teile der Neuen Sozialen Bewegungen zwischen 1975 und 1986 vergleichend untersucht, die je eine andere Bedrohungsquelle diagnostizieren und somit unterschiedliche Bewältigungspraxen bzw. Strategien entwickeln: die Friedens- und Antiatomkraftbewegung einerseits und die Frauenbewegung andererseits. Die erste identifizierte die Kernkraft als existenzielle Bedrohung, setzte v.a. auf Angst, konnte aber auch sekundär bedrohend gegenüber ihren politischen Gegnern agieren. Die Frauenbewegung setzt hier die Akzente umgekehrt: Sie will primär die Geschlechterordnung bedrohen. Sekundär thematisierte sie aber auch das Bedrohtsein von Frauen. Die Frage ist also, inwiefern diese kontrastierenden Perspektiven (Bedrohte vs. Bedrohende) unterschiedliche Nutzungsweisen, Bedeutungen und Funktionen des Humors bedingen. Sie ist eingebettet in der Frage nach affektiven Strategien der Protestmobilisierung in der Blütezeit des Alternativmilieus.

Für beide Bewegungen gilt die Hypothese, dass der Humor sowohl entlastende, subversive und gemeinschaftsbildende Funktionen erfüllte – in unterschiedlichen Gewichtungen, deren Vergleich Teil der Analyse sind wird. Auch der Verlauf – z.B. von eher subversivem Lachen zu mehr gemeinschaftsförderndem Lachen – wird zu analysieren sein.

Humorvolle Emotionspraktiken sind kognitiv und performativ, deshalb können sowohl schriftliche und bildliche als auch rituelle und körperliche Kommunikationsformen untersucht werden, die ja im Protestgeschehen ineinander übergehen: Plakate werden gebastelt, Reden gehalten und Lieder gesungen, die Freude und Lachen verursachen sollen. Bilder und Sprüche werden veröffentlicht oder an öffentlichen Stellen dauerhaft angebracht, um besichtigt und gelesen zu werden: das Protest-Lachen soll ja das Protest-Geschehen überdauern. Das Lachen in der Situation des Protests und der Humor, der im Umfeld, vor und nach den Protestereignissen verbreitet wird und vorbereitend oder habitualisierend wirkt, sollen zusammen untersucht werden. Beide Ebenen sind Teil der Emotionsgeschichte des Protestmilieus der 1980er Jahre: Worüber hat man (regelmäßig im Alltag und in der Situation der Kundgebung usw.) gelacht und Witze gemacht – und worüber konnte nicht gelacht werden? Wurden bestimmte Witze sanktioniert? Von wem? Konflikte und Aushandlungsprozesse, die sich am Humor entzündet haben, sollen Aufschlüsse über den Verlauf und Wandel der Bedrohungskommunikation geben.

Projekthomepage des SFB 923