Ur- und Frühgeschichte und Archäologie des Mittelalters

Im Rahmen des interdisziplinär ausgerichteten Forschungsprojekts wird seit Mitte 2020 in enger Kooperation mit dem Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart und verschiedenen lokalen Partnern die mittelalterliche Herrschaft Greifenstein und die von dieser vom späten 12. bis ins mittlere 14. Jahrhundert geprägte Kulturlandschaft im Gebiet des oberen Echaztals unweit von Reutlingen interdisziplinär untersucht.

Mit den seit der zweiten Hälfte des 12. Jhs auftretenden und bis in das späte 14. Jh. agierenden Greifensteinern lässt sich am Nordrand der Schwäbischen Alb eine Herrscherfamilie fassen, deren Geschichte den Raum um das obere Echaztal tiefgreifend prägte. Zunächst im Dienste der Pfalzgrafen von Tübingen, später in dem der Württemberger, verstanden die Greifensteiner es erfolgreich eine kleinräumige, offenbar gut ausgebaute Adelsherrschaft um die Orte Pfullingen, Unterhausen und Holzelfingen zu errichten. Deutlich zeichnet sich eine Verfügungsgewalt über mehrere Burganlagen ab; ebenso lassen sich Verbindungen zu klerikalen Niederlassungen verschiedener Art erkennen. Nach einer Blütezeit im 13. Jh. scheint die Herrschaft Greifenstein nach den Verheerungen des Reichskriegs 1311 und damit einhergehenden gewaltsamen Auseinandersetzungen mit der nahen Reichsstadt Reutlingen im 14. Jh. zunehmend unter Druck geraten zu sein. In der Folge finden sich Vertreter der Familie auch in entfernteren Regionen, wie Oberschwaben, dem Bodenseeraum oder der heutigen Schweiz, wo sie teils hohe politische und klerikale Ämter erringen konnten.

Bezogen auf die hieraus abzuleitende und bislang wohl unterschätzte, auch überregionale Bedeutung der Familie, stellt sich der vorhandene Forschungsstand vergleichsweise spärlich dar und eine moderne Bearbeitung fehlt völlig. Oft werden Sagen und lokale Überlieferungen hierzu weit mehr zitiert als die tatsächlich vorhandenen historischen Quellen. Weiterhin stehen detailliertere archäologische Untersuchungen der dortigen Burgen sowie anderer Elemente der Greifensteiner Kulturlandschaft bislang aus. Gerade solche erscheinen aber umso notwendiger, da insbesondere die Lokalforschung hier ein weitreichendes und bewusst konzipiertes „Greifensteiner Burgensystem“ postuliert. Tatsächlich bietet die vorhandene Ausgangslage, die eine topografisch zusammenhängende Burgengruppe sowie ein deutlich erkennbares lokales Herrschaftsgefüge im Hoch- und Spätmittelalter innerhalb einer kleinräumigen Tallandschaft erkennen lässt, die hervorragende Gelegenheit, eine exemplarische und auch überregional relevante Untersuchung einer solchen kleinräumigen Burgenregion durchzuführen. Hierbei können neben dem „Standort Burg“ im engeren Sinne auch weitreichende Zusammenhänge zwischen Burg und Kulturlandschaft im Sinne eines „Ressourcengefüges“ untersucht werden. Auch die ökonomische und soziokulturelle Wechselwirkung zwischen Adelsherrschaft und umgebender Kulturlandschaft lässt sich unter anderem anhand der gut belegbaren Nutzung des Flusses Echaz, mehrerer „Greifensteiner“ Waldbezirke oder auch dem Ringen um die Kontrolle der Verkehrswege, bezüglich derer vor allem die aufstrebende Reichsstadt Reutlingen seit dem 13. Jh. in Konkurrenz trat, gut nachvollziehen.

Innerhalb des interdisziplinären Forschungsprojektes wird die Geschichte und Archäologie der Herrschaft Greifenstein umfassend aufgearbeitet. Bislang nicht bearbeiteten historischen Quellen werden systematisch erschlossen und ausgewertet. Anhand archäologischer und bauhistorischer Methoden erfolgt eine Untersuchung der Greifensteiner Burgengruppe und weiterer damit in Zusammenhang stehender Objekte. Von besonderem Interesse sind hierbei nicht zuletzt einige „strittige“, bislang nicht mit Sicherheit nachgewiesene Burgenstandorte sowie die erkennbaren Kommunikationslinien zwischen den verschiedenen Orten der Greifensteiner Herrschaftsausübung. 

Neben der bewusst interdisziplinär angelegten Herangehensweise ist das Projekt auch konzeptionell weit gefasst. Durch die Einbindung verschiedenster Akteure von Beginn an wurde eine Schnittstelle zwischen wissenschaftlicher Forschung und einer breiteren Öffentlichkeit geschaffen. Die Präsentation der Ergebnisse an eine breite Öffentlichkeit erfolgt auf mehreren Vermittlungsebenen. 

Ausführliche Informationen zum Projekt finden sich unter: www.greifenstein-projekt.de


Archäologische Untersuchungen 2020 – 2024

Erste archäologische Untersuchungen erfolgten in Zusammenarbeit mit dem Landesamt für Denkmalpflege im Sommer 2020 an verschiedenen Objekten der Greifensteiner Herrschaft. Eine erste Grabungskampagne fand im September des Jahres am „Brudersteig“, einer in der Forschung bislang kaum bekannten mutmaßlichen Klosterwüstung bei Unterhausen statt. Die hierbei erfassten Funde und Befunde lassen nicht nur einen offenbar beachtlichen Baubestand sowie eine gehobene Ausstattung erkennen, die weit über die bisherige Einschätzung der Anlage als bescheidene Waldklause hinausreichen, sondern legen darüber hinaus den Verdacht nahe, es könne sich um eine potentielle Eigenklostergründung des lokalen Adels handeln. Mit einer zweiten Grabungskampagne wurden die dortigen Forschungen 2022 fortgesetzt. Im Sommer und Herbst 2021 fanden zwei Grabungskampagnen an der bis dato wenig bekannten Burgstelle Stahleck statt. Zuletzt wurde eine bislang nicht gesichert nachweisbare Burgstelle am sogenannten Burgstein bei Holzelfingen im Herbst 2022 und Frühjahr 2023 archäologisch untersucht, wobei unter anderem ein Set hochwertiger Spielfiguren des 12. Jhs. geborgen wurde. Ergänzt wurden die Grabungsarbeiten durch bauhistorische Forschungen an den Kirchen in Unterhausen, Holzelfingen und Honau sowie durch gezielte Untersuchungen der Greifensteiner Kulturlandschaft, etwa mit Fokus auf Waldnutzung oder die mittelalterliche und frühneuzeitliche Verkehrswegeinfrastruktur. Die durchgeführten Arbeiten waren in Zusammenhang mit Lehrveranstaltungen eng in die universitäre Lehre eingebunden und erfolgten stets in enger Zusammenarbeit mit den regionalen Kooperationspartnern.

Ausstellungsprojekt „Ausgegraben! Ritter und Burgen im Echaztal“

Vorläufiger Höhepunkt des projekteigenen Vermittlungskonzepts war zuletzt im Sommer 2024 die mit einer großen Museumsveranstaltung gekoppelte Eröffnung der Ausstellung „Ausgegraben! Ritter und Burgen im Echaztal“ im historischen Schlössle in Pfullingen. Die Ausstellungsinhalte wurden mit Studierenden im Rahmen von Lehrveranstaltungen erarbeitet und vor Ort gemeinsam mit verschiedenen lokalen Projektpartner umgesetzt. Begleitend fand eine große Museumsveranstaltung statt, welche die Projektarbeit innerhalb einer breiten Öffentlichkeit sichtbar machte. greifenstein-projekt.de/ausgegraben/

Publikationen

M. Kienzle, M. Foth, L. Werther, Die Reichsstadt Reutlingen und die adeligen Herren von Greifenstein. Archäologisch-historische Überlegungen zum materiellen Niederschlag von Konkurrenz und Koexistenz im 13. und 14. Jahrhundert, in: Stadt in der Geschichte. Tagungsband zur 59. Arbeitstagung des Südwestdeutschen Arbeitskreises für Stadtgeschichtsforschung (im Druck).

M. Kienzle/L. Werther/M. Foth/T. Unland/C. Biesenthal/J. Scheschkewitz, Auf den Spuren der Edelfreien von Greifenstein im oberen Echaztal, Archäologische Ausgrabungen in Baden-Württemberg 2022 (2023), 322-326. https://greifenstein-projekt.de/wp-content/uploads/2024/08/AABW-2022_322-326.pdf

M. Kienzle, Von Hohlwegen und Altstraßen – ein Gelände-Survey im Zellertal, Verein zur Förderung der Archäologie des Mittelalters Schloss Hohentübingen e.V. (Hrsg.), Informationen zur Archäologie des Mittelalters 21, 2022, 12-14. https://greifenstein-projekt.de/wp-content/uploads/2024/07/M.-Kienzle_Von-Hohlwegen-und-Altstrassen_Informationen-zur-Archaeologie-des-Mittelalters-21-2022.pdf

M. Foth/M. Kienzle/J. Scheschkewitz/L. Werther, Ausgrabungen in der ehemaligen Burg Stahleck bei Lichtenstein-Holzelfingen, Archäologische Ausgrabungen in Baden-Württemberg 2021 (2022), 343-346. https://greifenstein-projekt.de/wp-content/uploads/2023/01/AABW2021_342-346.pdf

M. Foth/M. Kienzle/J. Scheschkewitz/L. Werther, Erste Ausgrabungen an der vermuteten Klosterwüstung im Gewann „Brudersteig“, Mitteilungsblatt der Gesellschaft für Archäologie in Württemberg und Hohenzollern e.V. 2, 2022, 11-13. https://www.gesellschaft-archaeologie.de/files/gfa-media/downloads/Mitteilungsbl%C3%A4tter/GfA_Mitteilungsblatt_2022-2_WEB.pdf

M. Foth/M. Kienzle/H. von der Osten/L. Werther, Erste Ausgrabungen in der vermuteten Klosterwüstung „Brudersteig“ bei Lichtenstein-Unterhausen. Archäologische Ausgrabungen in Baden-Württemberg (2020), 310-313. https://greifenstein-projekt.de/wp-content/uploads/2022/02/AABW2020_310-313.pdf

Presseberichte (Auswahl)