Zusammenfassung "Lebenslagen von Jugendstrafgefangenen"
Analysiert wurden in dem Forschungsprojekt die sozialen Lagen von Jugendstrafgefangenen. Dies beinhaltete eine aktuelle Bestandsaufnahme der Lebenslagen von Jugendstrafgefangenen, den Vergleich mit repräsentativen Stichproben von Jugendlichen und den Vergleich zweier Jugendstrafvollzugspopulationen im Längsschnitt.
Die zentrale empirische Basis des Forschungsprojektes bildeten drei Datensätze: ein Interviewdatensatz eines aktuellen Zugangsjahrgangs des baden-württembergischen Jugendstrafvollzugs von 2009/2010 (N=420), ein Aktenanalysedatensatz des Zugangsjahres 2009/2010 (N=420) und ein Aktenanalysedatensatz des Zugangsjahres 1991/1992 (N=423). Als repräsentative Vergleichsuntersuchungen, die eine Verortung im Gesamtsystem sozialer Ungleichheit ermöglichten, dienten insbesondere der Deutsche Jugendsurvey, das Sozio-ökonomische Panel und der Mikrozensus.
Analysiert wurden - den Vorgaben der sozialwissenschaftlichen Ungleichheitsforschung folgend - sowohl „harte“ sozio-ökonomische Dimensionen (z. B. Einkommen, Bildung, Wohnbedingungen) als auch Faktoren, die eine Beschreibung der sozialen Einbindung (z. B. Familie, Peers, Partnerschaft) und des Lebensstils (z. B. Freizeitverhalten, Suchtproblematik, Bedeutung von Religion) ermöglichen.
Die Bestandsaufnahme der Lebens- und Sozialisationsbedingungen ergab, dass unter den Jugendstrafgefangenen die sozial benachteiligten Bevölkerungsgruppen deutlich überrepräsentiert sind. Im Vergleich zur Normalbevölkerung entstammen Jugendstrafgefangene beispielsweise häufiger unvollständigen Familien, sie haben häufiger einen Migrationshintergrund, sie sind häufiger mit Arbeitslosigkeit im Elternhaus konfrontiert und sie verfügen seltener über eine abgeschlossene Schul- und Berufsausbildung.
Das Risiko für einen Jugendlichen aus einer sozial benachteiligten Familie ins Gefängnis zu kommen, ist somit signifikant größer als das Risiko für jemanden aus einer sozial privilegierten Familie. Die soziale Selektion geht jedoch nicht so weit, dass im Jugendstrafvollzug fast ausnahmslos Menschen aus den untersten sozialen Schichten vorzufinden sind. Extreme Randständigkeit ist nur bei einem kleinen Teil der Jugendstrafgefangenen zu beobachten. Bei den meisten Jugendstrafgefangenen ist vielmehr von Statusinkonsistenzen auszugehen: Defizite und Benachteiligungen in verschiedenen Lebensbereichen gehen einher mit Ressourcen und Stärken in anderen Bereichen.
Gravierende Zukunftsängste und Resignation lassen sich ebenfalls nur bei einer kleinen Minderheit feststellen. Das geringe Ausmaß subjektiver Exklusionserfahrungen ist auch Folge davon, dass die meisten Jugendstrafgefangenen in der Vergangenheit von verschiedensten sozialstaatlichen Interventionen erreicht wurden und sie mehrheitlich auch positive Erfahrungen mit Jugendhilfe und Sozialarbeit machten.
Eindeutig zeigen die Analysen, dass die sozialen Problemlagen der Jugendstrafgefangenen im Längsschnittvergleich zugenommen haben. Die Zunahme der sozialen Problemlagen bei den Jugendstrafgefangenen kann nicht allein mit dem allgemeinen Anstieg dieser Problemlagen in der Gesellschaft erklärt werden. Die Verschlechterung der Lebenslage ist auch als Folge einer veränderten Selektion in der Jugendstrafrechtspraxis zu interpretieren.
Weitere Analyseschwerpunkte bildeten die Themen Migrationshintergrund, die Karrieretypen Früh- und Spätstarter, die familialen Sozialisationsbedingungen, die Leistungsbiographien und der methodenkritische Vergleich der unterschiedlichen Datenquellen und Erhebungsformen.