Juristische Fakultät

31.08.2023

„Wo sich Mittelalter und Moderne begegnen – Vom Reiz der Kirchenrechtsgeschichte“

Coronabedingt fast vier Jahre nach seinem Antritt, begrüßte Prof. Dr. Stephan Dusil zahlreiche Gäste zu seiner Antrittsvorlesung am 14. Juli 2023. Mit der Auswahl des Themas „Wo sich Mittelalter und Moderne begegnen – Vom Reiz der Kirchenrechtsgeschichte“ gewährte er dem Publikum einen spannenden Einblick in sein Fachgebiet und plädierte gegen dessen vermeintlichen Bedeutungsverlust.

Vor einem vollen Hörsaal 9 der Neuen Aula hieß Prof. Dr. Jens-Hinrich Binder, Dekan der Juristischen Fakultät, alle Gäste, Kollegen und Studierenden im Namen der Fakultät herzlich willkommen und stellte den Redner vor. Dessen Amtsantritt in Tübingen folgte auf Stationen an verschiedenen deutschen Universitäten, die Habilitation an der Universität Zürich, einen Aufenthalt am Pontifical Institute of Mediaeval Studies in Toronto (Canada) sowie als Professor an der KU Leuven (Belgien), begleitet von anderen Forschungsaufenthalten und Gastdozenturen im Ausland. Prof. Binder führte auch die zahlreichen Auszeichnungen an, die Prof. Dusil im Laufe der Jahre verliehen wurden.

Unter Beifall übernahm sodann Prof. Dusil selbst das Podium und bedankte sich für die lobenden Worte. Er begann seinen passionierten Vortrag über das Thema „Wo sich Mittelalter und Moderne begegnen – Vom Reiz der Kirchenrechtsgeschichte“, indem er zunächst über das Fortwirken mittelalterlicher Normen und Wissensstrukturen bis in die Moderne sprach. Als Beispiel führte er den Weg des konfessionellen Eherechts bis hin zur Zivilehe ab 1875 an. Daneben erläuterte er auch weitere Fußspuren des Kirchenrechts im geltenden Recht, die sowohl im Öffentlichen als auch im Straf- und Zivilrecht vorzufinden seien. Wichtige Grundsätze wie „pacta sunt servanda“ oder bestimmte Regeln zum Besitzschutz seien maßgeblich unter Einfluss des kanonischen Rechts entwickelt worden.

Anschließend gewährte der Referent dem Publikum einen Einblick in die Rezeption des Mittelalters und deren Rolle als Erinnerungsort im 19. Jahrhundert, insbesondere während des Kulturkampfs.  Bismarcks Ausspruch „Seien Sie außer Sorge, nach Canossa gehen wir nicht – weder körperlich noch geistig“ diente ihm als Beispiel für die Instrumentalisierung des Mittelalters im 19. Jahrhundert.

Zur Sprache kamen auch weitere Themen und Perspektiven der Forschung während des Kulturkampfes und die Frage, ob Kirchenrechtler als Tendenzwissenschaftler zu begreifen seien. Prof. Dusil veranschaulichte diese enge Verbindung am Beispiel von Emil Friedbergs Ideen und Denkansätzen zur Grenzziehung zwischen Staat und Kirche sowie Rudolf Sohms Ausarbeitungen zum Verhältnis der kirchlichen Trauung zur Zivilehe.

Der Referent betonte bei seinen Ausführungen allerdings, dass bei der rechtsgeschichtlichen Betrachtung dieser Themen das Bewusstsein von der Zeitgebundenheit der jeweiligen Debatten essenziell sei. Dies sei besonders wichtig, wenn man die Erforschung des mittelalterlichen Kirchenrechts unter Perspektivenbildungen des 19. Jahrhunderts betrachte. Daraufhin beschrieb er spezifische Schwierigkeiten bei dem Schreiben einer Historiographiegeschichte des Kirchenrechts. Ein Problem liege beispielsweise darin, dass die Kanonistik nicht im selben Maße wie die Germanistik oder Romanistik reflektiert aufgearbeitet worden sei. Des Weiteren seien Quelleneditionen mittelalterlicher Texte durch die Fragestellungen des 19. Jahrhunderts angeregt worden. Zudem sei die Forschung des 19. Jahrhunderts von einem hohen Interesse an Verfälschungen und Fälschungen getrieben worden. Damit erweisen sich aber, so Prof. Dusil, viele Grundannahmen der Forschung als zeit- und zweckgebunden, die es zu aufzudecken und zu erforschen gilt.

Zusammenführend beschrieb Prof. Dusil, wie die Faszination für dieses Rechtsgebiet dem in den aktuellen Debatten erfahrenen Bedeutungsverlust gegenüberstünde. Die Säkularisierung des Staates habe eine deutliche Marginalisierung dieses Themas zur Folge, so dass kirchenrechtsgeschichtliche Debatten als überholte Debatten klassifiziert würden. Um dieser Kritik entgegenzuwirken, sei es daher wichtig, Verbindunglinien in die Gegenwart zu schaffen und politische Brüche und Verwerfungen klar zu kennzeichnen.

Im Anschluss an den Vortrag folgte ein Empfang in dem repräsentativ eingerichteten „Kleinen Senat“ der Neuen Aula.

Weitere Informationen zu Prof. Dusil und seinem Lebenslauf finden Sie hier.

Laura Anger 

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