Institut für Kriminologie

Ziele und Forschungsprogramm

Ziel der Studie ist die Untersuchung der Bedingungen und Hintergründe, die zum Abbruch einer kriminellen Karriere im späten Jugend- bzw. jungen Erwachsenenalter führen. Wir untersuchen dazu die aktuellen Lebenssituationen von mehrfachauffälligen Jugendlichen und Heranwachsenden, die von den Jugendkammern oder Jugendschöffengerichten des Landgerichtsbezirks Stuttgart zu einer Jugend- oder Freiheitsstrafe von mindestens 10 Monaten verurteilt wurden und deren Strafe oder Strafrest zur Bewährung ausgesetzt wurde.

Die Gesamtdauer des Projektes ist auf insgesamt sechs Jahre geplant. Diese lange Projektdauer erscheint nötig, um den gesamten Zeitraum eines erhöhten Rückfallrisikos, der nach einschlägigen Untersuchungen mindestens 5 Jahre beträgt, zu erfassen.

Ziel der ersten Projektphase ist es, den Verlauf und die Ausgestaltung des Abbruchprozesses innerhalb der ersten Jahre nach der Verurteilung vor den Jugendgerichten zu analysieren. Das Hauptaugenmerk richtet sich dabei auf die Delinquenzentwicklung (offiziell registrierte und selbstberichtete Delinquenz) der Jugendlichen, die Veränderungen im Bereich des Selbstbilds und der Lebensentwürfe, die Veränderungen der materiellen Ressourcen sowie die Veränderungen der sozialen Einbindungen.

Neben einer deskriptiven Erfassung der Lebenssituation der Abbrecher ist es das ausdrückliche Ziel des geplanten Projektes, das Ausbleiben einer erneuten Straffälligkeit trotz in der Vergangenheit gezeigter verfestigter delinquenter Verhaltensmuster zu untersuchen.

Unsere zentrale Arbeitshypothese besagt, dass es dann zu einem Abbruch der kriminellen Karriere kommt, wenn es qualitative Veränderungen in den sozialen Bindungen und damit verbunden einen Anstieg der informellen sozialen Kontrolle gibt. Diese Hypothese ist abgeleitet aus dem "social bonding"-Modell von Sampson und Laub (1993). Entsprechend dieser theoretischen Ausrichtung kommt der Analyse der aktuellen persönlichen Beziehungen zu Freunden, Familie oder Partner und der aktuellen Einbindung in Arbeit oder Bildungseinrichtungen die entscheidende Rolle für die Erklärung der Abbruchprozesse zu.

Weitere theoretische Orientierungspunkte der geplanten Abbrecher-Studie bilden verschiedene Teilerklärungen aus verschiedenen neueren, vor allem in der angloamerikanischen Kriminologie diskutierten Theorieansätze, die z.T. problemlos in ein "social bonding"-Modell integrierbar sind. Das soll heißen, dass die gesuchte theoretische Weiterentwicklung nicht in einem "Zusammenfügen" von Theorieansätzen bestehen kann oder gar soll. Vielmehr wollen wir zentral von einem interaktiven Bonding-Modell auf der Grundlage der Arbeiten von Sampson/Laub ausgehen und dieses um Elemente aus anderen Theorien anreichern.

  • Der Abbruch einer kriminellen Karriere ist die Folge einer veränderten Kosten-Nutzen-Kalkulation: Die Kosten im privaten Bereich, die durch eine weitere Straftat drohen, wie z.B. die Freundin zu verlieren, von den Eltern aus der Wohnung gewiesen zu werden, sich die beruflichen Perspektiven zu verbauen etc., übersteigen für die Jugendlichen den möglichen Nutzen einer Straftat. Zudem steigen mit jeder weiteren Straftat die möglichen Kosten in Form strafrechtlicher Sanktionen. Besonders bei Jugendlichen durch das Jugendstrafrecht, aber auch bei Heranwachsenden durch den Übergang ins Erwachsenenstrafrecht drohen für jede weitere Straftat längere Haftaufenthalte bzw. härtere Sanktionen. Mit diesem veränderten Kosten-Nutzen-Kalkül verbunden ist auch die Frage nach der Wirkung der vorausgegangenen strafrechtlichen Sanktionen auf die Jugendlichen: Geht von ihnen eine abschreckende Wirkung aus, die von weiteren Straftaten abhält? Stellen sie ein Resozialisierungshindernis dar? Kann der Verzicht auf Widerruf der Bewährung bei erneuter Straffälligkeit in der Bewährungszeit und die Umwandlung in veränderte Bewährungsauflagen einen Ausstiegsprozess befördern? Welche Rolle kommen solchen Verfahren zu und wie werden sie von den Jugendlichen wahrgenommen?
  • Der Abbruch ist Folge der Statuspassage von der Jugendrolle zur Erwachsenenrolle. Durch die mit einer solchen Statuspassage verbundenen Veränderungen im Selbstbild findet eine Distanzierung von der Rolle des Jugendlichen u.a. dadurch statt, dass der Heranwachsende sich von delinquentem Verhalten distanziert und die Normbefolgung gerade Ausdruck des "Erwachsenwerdens" darstellt.
  • Der Integration in den Arbeitsprozess im Positiven bzw. der Arbeitslosigkeit im Negativen kommt besondere Bedeutung für einen erfolgreichen Verlauf der Bewährung und somit für einen Abbruchprozess zu. Diese besondere Bedeutung für den Bewährungserfolg rührt daher, dass einerseits die Arbeitswelt nach wie vor die zentrale Institution zur Verteilung ökonomischer Ressourcen, aber auch sozialer Wertschätzung (Status, Prestige) ist, andererseits aber gerade vormals straffällige oder gar inhaftierte Jugendliche besondere Probleme auf dem derzeitig sehr "engen" Arbeitsmarkt haben.
  • Zudem fragen wir nach der Bedeutung von staatlichen oder intermediären Institutionen wie der Bewährungshilfe, den "street workern" oder der Jugendgerichtshilfe. Werden diese Institutionen als Kontrollinstanzen betrachtet oder als Hilfs- und Unterstützungsangebote? Greifen die bestehenden offiziellen Hilfsangebote oder gehen diese Angebote an den realen Bedürfnissen der Jugendlichen vorbei?
  • In Anlehnung an die Unterscheidung von "crime" und "criminality" von Gottfredson und Hirschi (1992) wollen wir der These nachgehen, ob eine Beendigung der offiziell registrierten Delinquenz einhergeht mit einer Beendigung anderer Formen sozial abweichenden Verhaltens, oder ob es mit dem Ende der offiziell registrierten Delinquenz nur zu einer Verlagerung der sozialen Auffälligkeit kommt, wie Gottfredson und Hirschi behaupten.

Da es insgesamt sehr wenige überzeugende theoretische Erklärungsversuche, aber auch wenige empirische Arbeiten gibt, die Abbruchprozesse im späten Jugend- und jungen Erwachsenenalter auch jenseits der offiziellen Delinquenzentwicklung untersuchen, liegt ein Schwerpunkt des Projektes in der konkreten Erfassung der Integrationsprozesse in den verschiedenen Lebensbereichen. Eine Rekonstruktion der spezifischen Interaktionen zwischen Individuum und den relevanten Personen, aber auch zwischen Individuum und den relevanten Institutionen, ist ein wichtiger Schritt bei der Auflösung des beklagten "black-box"-Charakters. Eine theoretische Ausrichtung, die die Einbindung des Individuums in sein soziales Umfeld zur Erklärung von abweichenden bzw. konformen Verhalten heranzieht, ist notwendigerweise darauf angewiesen, diese Einbindungen detailliert zu erfassen. Ziel der Studie wird es demnach auch sein, die Abbruchprozesse möglichst präzise nachzuzeichnen und typische Verlaufsformen herauszuarbeiten.

Das insgesamt eher dürftige Angebot an empirischen Arbeiten und theoretischen Erklärungen für Abbruchprozesse krimineller Karrieren bestimmt die Methodenwahl. Angesichts der geringen Elaboration der einzelnen Theorieansätze ist ein methodisches Vorgehen angezeigt, das weniger auf die Überprüfung als vielmehr auf die Ausarbeitung, Modifikation oder Ergänzung theoretischer Konzepte abzielt. Wir entschieden uns deshalb für ein qualitativ-exploratives Vorgehen, bei dem die "subjektive Welterfahrung" der Jugendlichen im Zentrum steht.

Unsere zentrale Erhebungsmethode ist das "problemzentrierte Interview" (Flick 1991, Lamnek 1988). Diese Erhebungsmethode ist offen gegenüber den Relevanzsystemen und Deutungsmustern der Befragten. Andererseits ermöglicht sie jedoch auch die Eingrenzung auf bestimmte Problembereiche der sozialen Realität, die mit bestimmten theoretischen Konzepten verbunden sind.

Die Exploration von Erfahrungen, Handlungen, Interaktionen und Bedeutungszuweisungen mittels einer solchen Kombination von Erzählen und Fragen wird ergänzt durch eine Befragung der jeweils für den Probanden zuständigen Bewährungshelferin bzw. des Bewährungshelfers, durch eine Analyse der Gerichtsakten und die Auswertung von Bundeszentral- und Erziehungsregisterauszügen . Die Bewährungshelferbefragungen und die Aktenanalysen dienen dabei als weitere unabhängige Quellen zur Rekonstruktion der Ereignisse und Biographien (z.B. Delinquenzgeschichte, sozio-ökonomischer Hintergrund etc.), sie ermöglichen aber auch die unter labeling-theoretischen Überlegungen sehr interessante Gegenüberstellung von Fremdwahrnehmung in offiziellen Akten und Eigenwahrnehmung durch den Probanden. Die Bundeszentral- und Erziehungsregisterauszüge erlauben eine Kontrolle des Legalverhaltens für den Zeitraum in dem die Probanden nicht mehr der Bewährungshilfe unterstellt sind.

Das Sample

Das Sample besteht aus 56 jungen Straftätern, die wiederholt strafrechtliche Auffälligkeiten zeigten, die von den Jugendkammern oder den Jugendschöffengerichten des Landgerichtsbezirks Stuttgart zu mindestens 10 Monaten Jugend- oder Freiheitsstrafe verurteilt wurden, und als Folge dieses Urteils der Bewährungshilfe unterstellt wurden.

Ausgeschlossen aus der Untersuchung ist der Teil der ausländischen Straftäter, die nicht seit ihrer Kindheit (Einschulungsalter) in Deutschland lebten. Dieses Ausschlusskriterium betrifft auch "Aussiedler". Hintergrund für diesen Ausschluss ist vor allem der unterschiedliche kulturelle Hintergrund, der den Beginn wie auch den Ausstieg aus schwerer Jugendkriminalität zu einem Sonderfall mit eigenen Erklärungsmustern macht, und somit die Suche nach typischen Verlaufsmustern eher erschwert.

Ein weiteres Kriterium für die Selektion unserer Untersuchungspopulation betraf die regionale Ausdehnung der Untersuchung. Wir entschieden uns aufgrund der räumlichen Nähe, aber auch aufgrund des großstädtischen Charakters sowie der zahlreichen persönlichen Kontakte der Antragsteller für den Landgerichtsbezirk Stuttgart. Der Landgerichtsbezirk Stuttgart bietet für unser Untersuchungsdesign gute Vorraussetzungen: Er umfasst das Kerngebiet des Ballungsraumes "Mittlerer Neckar" und hat nach Mannheim die höchste Kriminalitätsdichte in Baden-Württemberg. Dieses Einzugsgebiet ermöglichte es uns, eine genügend große Anzahl von Jugendlichen zu selektieren, die die oben genannten Kriterien für schwere Jugendkriminalität erfüllen.

Im Gegensatz zu unseren ursprünglichen Überlegungen stellte sich bei der Analyse der Geschäftsbücher der Jugendkammern und bei den Vorgesprächen mit den Bewährungshelferinnen und Bewährungshelfern heraus, dass das Selektionskriterium "strafrechtliche Mehrfachauffälligkeit" unproblematisch ist. Die weitaus meisten der Jugendlichen, die vor den Jugendkammern und Jugendschöffengerichten zu 10 Monaten Freiheitsentzug verurteilt werden, haben eine deutliche Vorstrafenbelastung aufzuweisen. Bevor es zu einem Strafmaß von mindestens 10 Monaten Freiheitsentzug kommt, haben die jugendlichen Straftäter in der Regel schon verschiedene Sanktionsmaßnahmen, beispielsweise eine Einstellung des Verfahrens, einen Verweis, einen Wochenendarrest etc. durchlaufen.

Unsere Voruntersuchungen haben zudem gezeigt, dass der Altersschwerpunkt der zu untersuchenden Probanden zwischen 17 und 22 Jahren liegt. Die wenigen jugendlichen Straftäter, die deutlich jünger sind und unsere Kriterien bezüglich der Schwere der gezeigten Auffälligkeit erfüllten, wurden nicht berücksichtigen, um die Varianz des Alters möglichst gering zu halten. Die verbleibende Varianz hinsichtlich der Vergangenheit unserer Probanden stellt kaum ein Problem dar, denn unser Erkenntnisziel ist nicht die Identifikation von Zusammenhängen früher Belastungsfaktoren oder individuellen Defiziten mit Abbruch oder Rückfall, um so möglicherweise mehr oder weniger valide Kriterien für eine Prognose zu liefern. Ziel der Studie ist nicht zu untersuchen, ob, sondern wie die Vergangenheit auf aktuelle Bindungen, Wahrnehmungen, Selbstbilder und Handlungen hineinwirkt.

Aus dieser Grundgesamtheit - männliche mehrfachauffällige Jugendliche zwischen 17 und 22 Jahren, die seit ihrer frühen Kindheit in Deutschland leben und von den Jugendkammern oder den Jugendschöffengerichten des Landgerichtsbezirk Stuttgart zu einer Jugend-/Freiheitsstrafe von mindestens 10 Monaten verurteilt wurden - rekrutiert sich die Gruppe der "Abbrecher", die im Zentrum dieser Untersuchung stehen.

Da aus datenschutzrechtlichen, aber auch aus ethischen Gründen eine erste Kontaktaufnahme mit straffälligen Jugendliche nur in dem Zeitraum zu vertreten ist, in dem sie in Folge ihrer Straftat noch mit den offiziellen Sanktionsinstanzen in Kontakt stehen, entschieden wir uns für einen Zugang über die Bewährungshilfe. Der Zugang über diese Institution bot sich an, da mit Ausnahme der Vollverbüßer alle jugendlichen Straftäter, die vor den Jugendkammern oder den Jugendschöffengerichten verurteilt werden, entweder unmittelbar oder nach einer Strafrestaussetzung der Bewährungshilfe unterstellt werden. Die Vorteile dieses Vorgehens bestehen zudem in einer relativ unproblematischen Kontaktaufnahme mit den Probanden und in den zu erwartenden Zusatzinformationen über die Probanden und deren soziales Umfeld.

Entsprechend dem unterschiedlichen Zugang zur Bewährungshilfe unterscheiden sich unsere Probanden hinsichtlich der Art der bisherigen Sanktionserfahrungen: im Sample sind sowohl Probanden vertreten, die längere Zeit in Haft verbrachte, als auch Probanden, die keinerlei Hafterfahrung haben. Eine solche Mischung ermöglicht es zudem auch, nach den Konsequenzen der Hafterfahrung für das Selbstbild und die soziale Interaktion der Probanden zu fragen, sowie ihre Bedeutung für einen Ausstieg aus der Kriminalität zu beleuchten.

Aus methodischen und inhaltlichen Gründen entschieden wir uns für ein zweigeteiltes Sample und ein ebensolches methodisches Vorgehen: Eine erste Gruppe umfasst jugendliche Straftäter, die am Beginn des zweijährigen Bewährungszeitraumes stehen und prospektiv untersucht werden sollen. Eine zweite Gruppe umfasst jugendliche Straftäter, die am Ende des zweijährigen Unterstellungszeitraumes stehen und in diesem Zeitraum nicht erneut straffällig wurden. Der zweijährige Bewährungszeitraum soll für diese zweite Gruppe retrospektiv und von dort ausgehend der nachfolgende Zeitraum prospektiv erfasst werden.

Die erste Gruppe, junge Straftäter, die am Beginn ihres zweijährigen Unterstellungszeitraumes stehen, wurde ausgewählt, um prospektiv den Weg aus schwerer Jugendkriminalität zu verfolgen. Wie Spieß (1986) in seiner Untersuchung zeigte, werden gerade in der Anfangsphase der Unterstellungszeit viele der Weichen gestellt, die für eine erfolgreiche Bewährung und damit für den "Einstieg in den Ausstieg" aus schwerer Jugendkriminalität entscheidend sind. Eine wissenschaftliche Erfassung dieser ersten Monate ohne retrospektive Verzerrung ist gerade für eine Untersuchung, die den Abbruchprozess nicht nur auf der Ebene bloßer Korrelationen darstellen, sondern die dabei stattfindenden Interaktionen und kognitiven Prozessen nachvollziehen will, unerlässlich.

Mit diesem prospektiven Design sind jedoch zwei Probleme verbunden:

  • Innerhalb eines dreijährigen Projektzeitraumes können diese Prozesse maximal zwei Jahre lang verfolgt werden. Obwohl die Ereignisse in den ersten Monaten des Bewährungszeitraumes, wie die Studie von Spieß zeigt, über den Rückfall des weitaus größten Teils der Bewährungsprobanden entscheiden, ist ein Zeitraum von ein bis zwei Jahren zu kurz, um zuverlässige Aussagen über Abbruch oder Rückfälligkeit zu machen. Wir werden demnach sicherlich eine Anzahl "falscher Positiver" unter unseren Probanden haben, d.h. Probanden, die bis zum Ende des Bewährungszeitraumes ohne Widerruf bzw. Rückfall bleiben und somit von uns als Abbrecher gehandelt werden, die aber nach dem Ende der Bewährungszeit erneut straffällig werden. Außerdem kann davon ausgegangen werden, dass aufgrund des größeren Entdeckungsrisikos, aber auch aufgrund der zu erwarteten größeren strafrechtlichen Konsequenzen (Widerruf der Bewährung) das Legalverhalten in der Bewährungszeit ein anderes ist als in der Zeit danach.

  • Hinsichtlich ihres Legalverhaltens nach einem Urteil sind drei Gruppen zu unterscheiden: Erstens Probanden, die keine weitere Verurteilung mehr erhalten und somit als "radikale" Abbrecher bezeichnet werden können. Zweitens Probanden, die zwar erneut straffällig werden, aber gemessen an Schwere und Intensität der Straftaten einen deutlichen Trend zur Abschwächung zeigen. Diese Probanden können als "schleichende" Abbrecher bezeichnet werden. Und drittens Probanden, die erneut straffällig werden, und auch hinsichtlich der Schwere oder Intensität der Straftaten keine Tendenz zum "Ausstieg" aus ihrer Karriere zeigen. Wenngleich unser Interesse vor allem den ersten beiden Gruppen der "Abbrecher" gilt, sind aber alle drei Gruppen in dem prospektiv zu untersuchenden Teilsample vertreten. Welcher Proband welcher Gruppe angehört, steht jedoch zu Beginn der Untersuchung nicht fest, so dass alle Probanden untersucht werden müssen.

Da das qualitativ-explorative Vorgehen bei einer engen Ressourcenkalkulation nur eine sehr begrenzte Anzahl von Interviews zulässt, wir jedoch nur mit ungefähr 50% Abbrechern an allen eingangs untersuchten Probanden rechnen können, wurde das prospektive Design durch einen retrospektiven Teil ergänzt. Wir untersuchen dazu den Abbruchprozess bei Probanden, die am Ende eines "erfolgreich" durchlebten zweijährigen Bewährungszeitraumes stehen. Ausgehend von dieser retrospektiven Erfassung wird der nachfolgende Zeitraum, in dem die Probanden nicht mehr der Bewährungshilfe unterstellt sind und zumindest teilweise keinerlei Bewährungsauflagen mehr unterliegen, prospektiv erfasst.

Trotz einer retrospektive Verzerrung hat dieses Teilsample den Vorteil, dass ein dreijähriger Risikozeitraum untersucht werden kann. Zudem ist für diese Gruppe aufgrund der Straffreiheit in den ersten beiden Jahren auch für die nachfolgenden Jahre ein größerer Anteil von Abbrechern zu erwarten.

Sowohl das Problem des zu kurzen Untersuchungszeitraumes als auch das Problem der relativ geringen Anzahl von Abbrechern im prospektiv erhobenen Sample lassen sich zudem durch eine Fortsetzung des Projekts um einen weiteren Dreijahreszeitraum lösen. Es wäre dann nicht nur möglich, das Verhalten der prospektiv erfassten Abbrecher über einen längeren Zeitraum (ca. fünf Jahre nach dem Stuttgarter Urteil) zu untersuchen, sondern die Analyse auch um die bis dahin zu erwartende Abbruchprozesse der "Rückfälligen" zu ergänzen.


Literatur

Flick, U. (Hrsg.) (1991). Handbuch qualitative Sozialforschung: Grundlagen, Konzepte, Methoden und Anwendungen. München

Gottfredson, M. & Hirschi, T. (Hrsg.). (1990). A General Theory of Crime. Stanford: Stanford University Press.

Lamnek, S. (1988). Qualitative Sozialforschung (Band 1: Methodologie). München u.a.

Sampson, R. J. & Laub, J. H. (1993). Crime in the Making: Pathways and Turning Points Through Life. Cambrigde and London: Harvard University Press.

Spieß, G. (1986). Soziale Integration und Bewährungserfolg: Aspekte der Situation nach Haftentlassung und ihre Bedeutung für die Legalbewährung. In H. Kury (Hrsg.), Prognose und Behandlung bei jungen Rechtsbrechern. Ergebnisse eines Forschungsprojekts (Band 26, S. 511?579). Freiburg: Eigenverlag.