Institut für Theoretische Physik

Quantenfeldtheorie und Teilchenphysik

Das Standardmodell der Teilchenphysik

Das Ziel der Teilchenphysik ist es, den Aufbau aller Materie aus einer universellen Theorie fundamentaler Bausteine und ihrer Wechselwirkungen zu erklären. Den gegenwärtigen Stand der Forschung auf diesem Gebiet fasst das Standardmodell der Teilchenphysik zusammen, zu dem alle Kräfte außer der Gravitation gehören (in den Tabellen unten dennoch mit aufgeführt). Die Materieteilchen sind Fermionen (Fermion = jegliches Teilchen mit halbzahligem Spin) und haben Spin=1/2. Sie können in drei Familien gruppiert werden, die wiederum in Quarks und Leptonen aufgeteilt werden:

 

Praktisch alle Materie auf der Erde setzt sich aus den beiden Quarks der ersten Familie (Up-Quark u und Down-Quark d) sowie dem Elektron e zusammen. Aus kosmologischen Gründen vermutet man allerdings im interstellaren Raum große Mengen bisher unbekannter (dunkler) Materie. Ein Sonderfall ist das Higgs-Boson, das im Standardmodell für die Erzeugung von Masse verantwortlich ist. Es wurde als einziges Teilchen des Standardmodells trotz intensiver Suche bisher experimentell noch nicht nachgewiesen. (Auch das Graviton, das die Gravitationskraft vermittelt, wurde bisher noch nicht gefunden, wird aber nicht zum Standardmodell der Teilchenphysik gezählt.)


Alle Kräfte im Standardmodell werden durch Eichtheorien beschrieben. Dies sind Feldtheorien, die strukturelle Ähnlichkeiten zur Elektrodynamik aufweisen. Allerdings sind die Eichtheorien im Standardmodell nicht klassische Feldtheorien sondern Quantenfeldtheorien: Ähnlich wie man von der klassischen Mechanik durch Quantisierung zur Quantenmechanik kommt, wird das klassische Feld der Quantisierungsprozedur unterworfen und man erhält eine Quantenfeldtheorie. Dabei nimmt das Kraftfeld selbst Teilchencharakter an und die Wechselwirkung kommt somit durch den Austausch von Eichbosonen (Boson = jegliches Teilchen mit ganzzahligem Spin) zustande, z.B. Photonen und Gluonen; s. Tabelle oben.

 

Die Starke Wechselwirkung

In unserer Gruppe erforschen wir insbesondere eine der vier Grundkräfte, die Starke Wechselwirkung. Diese stärkste Kraft in der Natur ist verantwortlich für die Bindung von Quarks in die beobachteten Hadronen. Hadronen sind gerade diejenigen nicht-elementaren Teilchen, die der Starken Wechselwirkung unterworfen sind. Sie bestehen aus Quarks, die von den Gluonen zusammengehalten werden. Die Starke Kraft wird durch die Quantenchromodynamik (QCD) beschrieben. Diese ist eine Eichtheorie, ähnlich der Elektrodynamik; im Gegensatz aber zur Elektrodynamik, wo es nur eine Sorte Ladung gibt (die mit positivem oder negativem Vorzeichen auftreten kann), gibt es in der QCD drei Sorten Ladungen, die als Farben bezeichnet werden, z.B. Rot, Grün und Blau.

Den Eichtheorien liegt immer eine bestimmte Symmetrieoperation zugrunde, deren Anwendung die physikalischen Ergebnisse unverändert lässt. Es liegt also eine gewisse Redundanz vor. Die QCD ist auf der Eichsymmetrie mit der Lie-Gruppe SU(3) als Symmetriegruppe aufgebaut, im Gegensatz zur Elektrodynamik, der die Gruppe U(1) zugrunde liegt. Während in der Elektrodynamik die Kraftteilchen oder Eichbosonen, die Photonen, selbst keine Ladung tragen und daher keine Kräfte aufeinander ausüben (zwei Lichtstrahlen durchdringen einander wechselwirkungsfrei), tragen die Austauschteilchen der QCD, die Gluonen, selbst eine Farbladung, sodass sie untereinander wechselwirken. Dies verleiht der Starken Kraft eine Reihe ungewöhnlicher Eigenschaften:

Chirale Symmetriebrechung und dynamische Massenerzeugung

Während etwa das Up- und das Down-Quark eine Ruhemasse von nur wenigen Megaelektronenvolt (MeV) haben (Massen werden als Ruheenergieen angegeben, gemäß E=mc²), sind die aus ihnen zusammengesetzten Teilchen, wie die Protonen und Neutronen, etwa um einen Faktor 100 schwerer. Der Grund dafür ist, dass durch die Starke Wechselwirkung zwischen den Quarks Masse dynamisch erzeugt wird. Der überwiegende Teil der Masse der uns bekannten Materie im Universum, die von den Protonen und Neutronen ausgemacht wird, hat seinen Ursprung also nicht in der Wechselwirkung mit dem Higgs-Boson, sondern ist ein Effekt der Starken Kraft. Dabei wird gleichzeitig die sog. chirale Symmetrie gebrochen, die die "Händigkeit" der Quarks beschreibt.

Asymptotische Freiheit

Ein zentrales Merkmal der QCD ist die asymptotische Freiheit: Trotz der Bezeichnung "Starke Wechselwirkung" wird die Starke Kraft bei sehr hohen Energien beliebig klein. Das bedeutet, dass die Wechselwirkung zwischen zwei Quarks im Limes unendlich hoher Energien verschwindet; die Quarks sind "asymptotisch frei". Rechts ist die Stärke der Wechselwirkung αs gegen die Energie in Gigaelektronenvolt (GeV) aufgetragen.

Da in der Quantenphysik hohe Energien und damit hohe Impulse einer kleinen De-Broglie-Wellenlänge entsprechen, bedeutet die asymptotische Freiheit auch, dass die Quarks sich auf kleinen Abständen wie freie Teilchen verhalten. Sie sind also innerhalb der von ihnen gebildeten Hadronen frei. Erst wenn sie sich weiter voneinander entfernen wollen, wird die Starke Kraft wirklich stark und hält die Quarks zurück, s. nächster Abschnitt. Die Erforschung der asymptotischen Freiheit wurde 2004 mit dem Nobelpreis gewürdigt.


Farbeinschluß (Confinement)

Das Gegenstück zur asymptotischen Freiheit ist der Farbeinschluss oder Confinement: Bei niedrigen Energien und Impulsen gewinnt die Starke Kraft immer mehr an Stärke. Wiederum bedeuten niedrige Impulse große Abstände, sodass die Starke Kraft zwischen den Quarks für große Abstände immer stärker wird.

Rechts ist das Potential zwischen zwei Quarks als Funktion über dem Abstand gezeigt: Das Potential steigt bei großen Abständen linear an, die Kraft bleibt somit konstant anstatt abzunehmen. Dies ist völlig konträr zu allen anderen Kräften, die wir kennen, da diese bei wachsenem Abstand immer kleiner werden. Das hat zur Folge, dass man unendlich viel Energie bräuchte, um die Quarks zu separieren, die natürlich nicht zur Verfügung steht. Die Quarks sind somit dauerhaft aneinander gebunden, die Farbladungen, die sie tragen, sind in die Hadronen eingeschlossen. Dieses Phänomen heißt Farbeinschluss oder Confinement.

Von den Hadronen, d.h. den aus Quarks zusammengesetzten, der Starken Wechselwirkung unterworfenen Teilchen, gibt es zwei Typen: Die Baryonen, die aus drei Quarks zusammengesetzt sind, und die Mesonen, die aus einem Quark-Antiquark-Paar bestehen. In der Sprache der Farbladungen ausgedrückt sind beide Typen von Hadronen "weiß", da die Baryonen aus drei Quarks bestehen, die rot, grün und blau sind, also zusammengesetzt weiß, während die Mesonen z.B. aus einem blauen und einem "anti-blauen" Quark bestehen, also zusammengesetzt ebenfalls weiß sind. Alle freien, nicht in Hadronen vorkommenden Teilchen sind also "weiß"; es wurden experimentell bisher weder freie Quarks noch andere Typen von Hadronen gefunden, die Farbe tragen.

Was passiert, wenn man versucht, die Quarks voneinander zu trennen, ist im Bild rechts im Fall eines Mesons dargestellt. Zwischen dem Quark und dem Anti-Quark bildet das Gluonfeld einen Flussschlauch aus. Nimmt der Abstand zwischen den Quarks weiter zu, wird es energetisch günstiger, aus dem Vakuum ein Quark-Antiquark-Paar zu erzeugen, der Flussschlauch reißt ab (Stringbreaking). Aus dem Meson erhält man also nicht etwa zwei freie Quarks, sondern man bekommt zwei Mesonen. Experimentell kann man das Auseinanderziehen der Quarks im Teilchenbeschleuniger durchführen, indem man Teilchen auf die Mesonen schießt.

Da die Kraft bei großen Abständen sehr groß wird, unterscheidet sich das System maximal von einem schwach wechselwirkenden und ist somit mathematisch sehr schwer zu behandeln. Das Confinement aus der QCD herzuleiten ist bisher noch nicht gelungen und ist eines der sog. Millennium-Probleme. Diese oben beschriebenen Phänomene der QCD bei großen Abständen, insbesondere das Confinement, bilden das Hauptarbeitsgebiet unserer Arbeitsgruppe.

 

Phänomenologische Erklärungen

Ein Ansatz, die oben beschriebenen Phänomene zu erklären, ist das Bild des dualen Supraleiters: In einem gewöhnlichen Supraleiter vom Typ II werden magnetische Felder zu engen Flussschläuchen zusammengedrückt, s. Bild unten. Gäbe es magnetische Monopole, so würde sich zwischen ihnen ein magnetischer Flussschlauch ausbilden, der an den Monopolen enden würde.

Das Vakuum, d.h., der Grundzustand der QCD ähnelt einem Supraleiter. Die den gewöhnlichen elektrischen und magnetischen Feldern entsprechenden Felder in der QCD heißen chromo-elektrisches und chromo-magnetisches Feld, da die Ladungen als Farben bezeichnet werden. Sie bilden zusammen das Gluon-Feld. Außerdem sind im dualen Supraleiter die Rollen der Felder vertauscht: So bilden sich zwischen den Farbladungen der Quarks hier chromo-elektrische Flussschläuche aus, nicht magnetische Flussschläuche wie im gewöhnlichen Supraleiter.

Der farbelektrische Flussschlauch zwischen den Quarks ähnelt den (magnetischen) Abrikosov-Vortices in Typ-II-Supraleitern, wo der Meißner-Effekt durch die Kondensation elektrischer Cooper-Paare hervorgerufen wird. Es ist daher naheliegend, für die QCD einen dualen Meißner-Effekt mit Kondensation chromo-magnetischer Monopole zu postulieren.

Chromo-magnetische Monopole können in Computersimulationen nachgewiesen werden, und die Unterdrückung von Monopolen zerstört in diesen Simulationen das Confinement. Dies spricht für die Monopole als Ursache des Confinements. Andererseits deuten Berechnungen der Energiedichte eher auf wirbelförmige, schlauchartige Freiheitsgrade (Vortices) der Dicke ∼0.5⋅10-15 m im Grundzustand des Gluonfeldes hin. Der Zusammenhang kann durch die (idealdünnen) Zentrumsvortices als grobe Lokalisierung der zugrundeliegenden echten Vortices hergestellt werden.

Das Zentrumsvortex-Bild wurde zunächst nur in Computersimulationen auf einer diskretisierten Raumzeit (s. nächster Abschnitt) verifiziert. Es konnte jedoch gezeigt werden, dass das Ergebnis der Simulationen auch in der Kontinuumsfeldtheorie Bestand hat und viele Eigenschaften der QCD auf einfache Weise erklärt.

 

Gittersimulationen

Eine in unserer Arbeitsgruppe angewandte Methode, um aus der QCD observable Größen zu berechnen, ist die Simulation auf (Groß-)rechnern. Hierbei wird die Raumzeit zunächst in ein kubisches, endlich ausgedehntes Gitter diskretisiert und somit werden die unendlich vielen Freiheitsgrade, die ein Feld besitzt, auf eine große (∼108) aber endliche Zahl reduziert. Die Quarkfelder sitzen hierbei an den Gitterpunkten, während die Gluonfelder die Verbindungsstücke zwischen den Gitterpunkten besetzen, s. Bild unten.

In der Ein-Teilchen-Quantenmechanik berechnet man Erwartungswerte observabler Größen, indem man ein Integral über den Ortsraum ausführt, d.h., man mittelt den Wert der Observablen über alle möglichen klassischen Positionen des Teilchens. In der Quantenfeldtheorie wird analog dazu der Wert der Observablen über alle möglichen klassischen Feldkonfigurationen gemittelt. Dies entspricht der Berechnung eines sehr hochdimensionalen Integrales, dessen Dimension von der Anzahl der Gitterpunkte bestimmt wird.

In der Gittersimulation geschieht dies mit Hilfe des Monte-Carlo-Verfahrens. Dabei handelt es sich um ein statistisches Verfahren, das ein sehr breit gefächertes Anwendungsgebiet innerhalb wie außerhalb der Physik besitzt und das insbesondere für die Berechnung hochdimensionaler Integrale die bevorzugte Methode darstellt. Hierbei wird eine sehr große Anzahl von Feldkonfigurationen auf dem Gitter durch einen Zufallsgenerator erzeugt. Für jede dieser Konfigurationen wird der Wert der betrachteten Observablen bestimmt und die Werte am Ende gemittelt.

 

Der Variationszugang in Coulomb-Eichung

Eichtheorien wie der QCD liegt eine Symmetrieoperation zugrunde, deren Anwendung die physikalischen Ergebnisse nicht ändert. Dieser Prozess ist einer Koordinatentransformation ähnlich: So ändert der Übergang von kartesischen Koordinaten zu Kugelkoordinaten nichts an den physikalischen Ergebnissen der Rechnung; jedoch kann je nach Problemstellung das eine oder andere Koordinatensystem Vorteile haben, z.B. sind sphärisch symmetrische Probleme in Kugelkoordinaten erheblich leichter zu behandeln. Dasselbe gilt im Fall der Eichtheorien, weshalb man für die Eichsymmetrie häufig ein bestimmtes "Koordinatensystem" wählt, um Rechnungen auszuführen. Dieser Prozess heißt Eichfixierung.

In unserer Gruppe wählen wir als "Koordinatensystem" hauptsächlich die Coulomb-Eichung, die hier dieselbe Bedeutung hat wie in der entsprechende Begriff der Elektrodynamik. In dieser Eichung wird sodann das aus der Quantenmechanik bekannte Variationsprinzip angewandt: Dort macht man einen Ansatz für die Wellenfunktion z.B. eines Elektrons, berechnet damit den Erwartungswert des Hamiltonoperators und minimiert diesen Erwartungswert. Damit erhält man eine Näherungslösung für den Grundzustand der betrachteten Theorie.

In unserem Fall verläuft das Verfahren völlig analog: Es wird ein Ansatz für das Grundzustands-Wellenfunktional der QCD gemacht. Dieses ist ähnlich einer Wellenfunktion: Von der Wellenfunktion wird jeder Position eines Teilchens, z.B. eines Elektrons, eine komplexe Zahl zugeordnet; vom Wellenfunktional wird jeder klassischen Feldkonfiguration eine komplexe Zahl zugeordnet. Mit diesem Wellenfunktional wird der Erwartungswert des Hamiltonoperators gebildet und dieser Energie-Erwartungswert minimiert. Das Ergebnis ist eine Näherung für den Grundzustand oder das Vakuum der QCD, aus dem man die oben beschriebenen Phänomene ablesen kann.

Man erhält: