Institut für die Kulturen des Alten Orients

Die Särge des Imeni und der Geheset aus Dra‘ Abu el-Naga - Textzeugen am Übergang von Sargtexten und Totenbuch

Die Nekropole von Dra‘ Abu el-Naga befindet sich auf der Westseite des Nils im heutigen Luxor/Ägypten. Ihre besondere Bedeutung beruht auf ihrer Lage direkt gegenüber des großen Amuntempels von Karnak auf dem Ostufer des Nils, was sich auch in der epochenübergreifenden Bestattungstätigkeit in diesem Areal widerspiegelt. Die Nekropole wurde nahezu kontinuierlich vom Mittleren Reich bis in die koptische Zeit genutzt, es ließen sich sogar einige Könige und deren Gemahlinnen dort bestatten. Im Umfeld der Pyramide des Nub-Cheper-Re-Intef, einem der letzten Könige/Herrscher der 17. Dynastie, befindet sich das Schachtgrab K03.4, das 2003 bei Grabungsarbeiten des Deutschen Archäologischen Instituts Kairo (DAIK) entdeckt und innerhalb von zwei aufeinander folgenden Kampagnen freigelegt wurde (Abb. 1). Am 21.10.2004 wurde der Eingang zur Sargkammer freigelegt, in der neben weiteren Gegenständen der einstigen Bestattung auch die Särge des Imeni und der Geheset in nahezu dem Zustand aufgefunden wurden, wie sie ca. 3700 Jahre zuvor deponiert worden sind (Abb. 2). Bis auf kleinere Zerstörungen, die auf die Einbringung der Särge und eine moderne Beraubung zurückgehen, sind die beiden Holzsärge, die als Ensemble aus innerem und äußerem Sarg ineinandergestellt verwendet wurden, in einem sehr guten Zustand.

Aufgrund der Keramikfunde wird die Bestattung in den Zeitraum zwischen der zweiten Hälfte der 12. Dynastie und dem ersten Drittel der 13. Dynastie datiert, also zwischen etwa 1870 und 1740 v. Chr. Der äußere Sarg war für einen Richter namens Imeni vorgesehen, der jedoch nie in diesem Sarg bestattet wurde (Abb. 3). Stattdessen wurde dieser zu einem späteren Zeitpunkt als äußerer Sarg für den entsprechend kleineren Sarg seiner Frau Geheset genutzt (Abb. 4). Diese Umwidmung ist durch zwei Inschriften auf seinen Außenseiten dokumentiert worden. Der äußere Sarg des Imeni überrascht jedoch nicht nur durch seine untypische äußere Gestaltung, die möglicherweise einen Steinsarkophag imitiert, sondern vor allem durch die innere Dekoration.

Alle vier Wände sowie die Unterseite des Deckels und der Boden sind – nahezu perfekt erhalten – in Bemalung meisterhafter Qualität verziert worden (Abb. 5). Allein visuell beeindrucken die Farbenpracht und die Detailfreude in der Ausführung (Abb. 6). Zu einem singulären und herausragenden Objekt der Zeitgeschichte macht den Sarg des Imeni jedoch die Art der inneren Gestaltung, allen voran das Textgut.

Auf allen vier Innenwänden befindet sich oben jeweils eine horizontale Textzeile (ornamental texts) mit einer Opferformel und darunter mindestens ein Register mit einem Objektfries. Im unteren bzw. untersten Bereich wurde dann ein bis zum Boden reichendes Textfeld mit vertikalen Textkolumnen angebracht. Lediglich die Ostwand weicht von diesem Schema ab. Dort findet sich am Kopfende die Wiedergabe des Augenpaares mit der Scheintür darunter. Daran schließt die Abbildung eines Opfertisches mit Opferliste im unteren Bereich an (Abb. 7). Auf dem Deckel werden zwei Textblöcke von einer zentralen Textkolumne getrennt und von einer Farbleiter umgeben (Abb. 8). Der Boden ist ebenfalls in zwei Textblöcke aufgeteilt (Abb. 9). Diese werden sowohl in der Mitte als auch an den Seitenrändern von einem Band aus Wasserlinien separiert. Die Farbe der Hieroglyphen, die in einem Schriftduktus mit teilweise kursiven Zeichen angebracht wurden, ist üblicherweise schwarz, es gibt jedoch Hervorhebungen von Spruchtiteln und Floskeln in Rot (rubra).

Die Texte thematisieren die Versorgung des Verstorbenen im Jenseits durch Opfergaben, seine Verklärung sowie den Aufstieg des Verstorbenen zum Himmel und seine Aufnahme in die Göttergemeinschaft. Außerdem sind eine Reihe von Verwandlungssprüchen vorhanden, die dem Verstorbenen z. B. das Annehmen einer Reiher- oder Perlhuhngestalt ermöglichen sollen. Abgerundet wird das Textprogramm durch Sprüche, die die Abwehr von Schlangen und anderem Kleintier thematisieren und damit den Schutz des Verstorbenen und seines Leichnams beschwören.

Die einzelnen Texte stellen Auszüge aus allen drei großen ägyptischen funerären Corpora dar. So handelt es sich bei den Inschriften um eine Mischung aus Pyramidentexten, Sargtexten, aber auch Kapiteln des altägyptischen Totenbuches. Einige der Totenbuchkapitel auf dem Sarg des Imeni besitzen Vorgängertexte im Corpus der Sargtexte. Erst eine genaue Analyse der einzelnen Texte, die Aufgabe des Projektes sein wird, kann Erkenntnisse darüber liefern, ob es sich noch um Sargtexte oder doch bereits Totenbuchkapitel handelt. Teilweise befinden sich auf dem Sarg des Imeni jedoch auch solche Kapitel des Totenbuches, die keine Bezeugung unter den Sargtexten besitzen. Zudem sind Sprüche vorhanden, die weder unter den Sargtexten, noch im Totenbuch präsent sind. Gleichzeitig lässt sich bei einigen Sargtexten und Totenbuchkapiteln eine starke Abweichung zu den bereits bekannten Quellen feststellen, die auf eine starke Überarbeitung hindeutet.

Somit liegt der Schluss nahe, dass es sich hier um Texte handelt, die in einer Phase der Redaktion angebracht wurden, und damit um Zeugnisse einer Zwischenstufe aus der Anfangszeit des Totenbuches. Dies bedeutet für die unbekannten Texte, dass sie womöglich zu denjenigen gehören, die es in Folge der thebanischen Rezension des Totenbuches eben nicht in dieses geschafft haben. Diese Schlussfolgerung ließe sich mit einer Datierung des Sarges in die zweite Hälfte der 12. Dynastie bzw. das erste Drittel der 13. Dynastie vereinbaren, ist aus dieser Zeit doch bereits eine kleine Gruppe von Särgen bekannt, die aus einer Phase der Textarbeit zu stammen scheint. Es handelt sich dabei um die Särge L1Li, S8X, M2NY und den Sarg des Imeni aus Asiut. Diese späte Gruppe von Särgen des Mittleren Reiches ist zeitlich vor den üblicherweise als primäre Textzeugen des Totenbuches bekannten Särgen wie beispielsweise dem der Königin Mentuhotep oder der Mumienmaske der Satdjehuti anzusiedeln und zeichnet sich durch ein Textgut mit zahlreichen „neuen“ Texten sowie bereits bekannten Sprüchen der Sargtexte in einer Überarbeitung aus, die bereits auf das Totenbuch hindeutet. Teilweise sind also bereits Kapitel belegt, die unter den Sargtexten noch nicht vorhanden waren, dafür dann aber im Totenbuch überliefert sind. Auch die Tatsache, dass die frühen Textzeugen des Totenbuches bislang im königlichen Kontext verankert sind, wirft Fragen zur Herkunft, Funktion und Stellung des Imeni sowie seiner Datierung auf.

Damit liegt mit dem Sarg des Imeni eine überaus spannende Quelle für die Entwicklung eines der bedeutendsten ägyptischen funerären Textcorpora vor, mit deren Hilfe essentielle Fragen hinsichtlich der Verbreitung und Entwicklung von Textgut neu überdacht werden können.

Projektleitung: Dr. Mareike Wagner
Förderung: Deutsche Forschungsgemeinschaft
Kooperationspartner: DAI Kairo, Dr. Daniel Polz
Fotos: Peter Windszus