Betrüger und ihre Täuschungstechniken – Ein Forschungsbericht
Vortrag von Prof. Dr. Christian Thiel (Universität Augsburg)
Am 22.11.2021 fand der erste Vortrag im Rahmen des Kriminologisch-Kriminalpolitischen Arbeitskreises (KrimAK) im Wintersemester 2021/22 statt. Dabei berichtete Herr Prof. Dr. Christian Thiel (Universität Augsburg) in einem hybriden Format vor über 40 Personen in Hörsaal 9 sowie weiteren 70-80 Interessierten, die parallel über Zoom zugeschaltet waren. Thema war sein DFG-finanziertes Forschungsprojekt mit dem Titel „Zur Herstellung von Täuschung und Vertrauen beim Betrug“, das sich eingehend mit Betrügern und ihren Täuschungstechniken beschäftigt. Dieses Vorhaben leitet Thiel seit 2017 an der Universität Augsburg.
Thiel begann seinen Vortrag mit einem kleinen historischen Überblick über Betrügereien in der Vergangenheit. Methodisch stützte sich der Vortragende u.a. auf offene Interviews mit Tätern, aber auch mit Experten, auf Beobachtungen sowie „Feldmaterialien“ wie etwa die Auswertung von Strafverfahrensakten. Eine vorangehende Literaturanalyse ergab, dass Betrug bisher kein sehr beliebtes Forschungsthema gewesen sei. Dies führte Thiel darauf zurück, dass über den Betrug eher stereotype Vorstellungen von leichtgläubigen, gierigen und unvorsichtigen Opfern sowie gerissenen, geltungssüchtigen Tätern im Umlauf seien. Beides träfe nach der Ansicht Thiels jedoch nur teilweise zu; so machte er deutlich, dass es kein typisches Opfer eines Betruges gebe. Forschungsleitende Frage sei für ihn gewesen, wie und warum Betrug funktioniere.
Daran anknüpfend ging Thiel auf die sogenannten Maschen von Betrügern ein. Viele Maschen seien nicht neu. Stattdessen würden nur bewährte und effektive Techniken weiterentwickelt und an die Zeit angepasst. Somit wiederholten sich auch viele Elemente der Täuschung, deren Grundprinzip gleich sei. Als Beispiel führte Thiel den Identitätsdiebstahl in all seinen Formen an. Sodann stellte Thiel ein eigenes Modell des Betruges vor. Dabei wies er darauf hin, dass der Betrug soziologisch eigentlich ein ungleicher Tausch sei, auf den sich der Getäuschte aufgrund einer erfundenen Wirklichkeit, die ihm vom Betrüger vorgespiegelt wird, einlasse. Hierfür sei der Täter auf ein Umformen der Wirklichkeit angewiesen, sodass er immer am Puls der Zeit sein müsse. Dies werde auch gerade jetzt in der Corona-Pandemie wieder deutlich. Nach seinem Modell bestünde ein Betrug aus drei relevanten Aspekten.
Zunächst sei das auch von vielen Betrügern selbst so bezeichnete „Spiel“ zu nennen. Hierbei adressiere der Betrüger in vielfältigen Varianten die Wünsche seiner Opfer und zeige ihnen einen Weg zur Realisierung auf. Dies gehe beispielsweise in Form eines Wettstreits (Hütchenspieler) oder der Maskierung (bei wertlosen Gütern). Wichtig sei hierbei auch, sich ein passendes Opfer für „das Spiel“ auszusuchen. Der nächste Baustein liege in der „Inszenierung“. Diese diene dazu, durch verschiedene Modi das „Spiel“ zu beglaubigen und damit Vertrauen zu schaffen. Dies könne ganz unterschiedlich, durch Information oder Informationskontrolle (sachlich) oder auch durch soziale Beziehung, geschehen. Am Ende stünde die „Aktion“, die auf eine Handlung abziele. Diese könne sich sowohl als eine bewusste Vermögensverfügung als auch eine unbewusste Gewahrsamslockerung darstellen. Der Betrüger verfüge hierbei über verschiedene Modi zur Forcierung seines Handelns, wie die Persuasion oder das „Ruhigstellen“ seines Opfers. Zu beachten sei in diesem Zusammenhang auch die Frequenz der Täuschungen und die Verschleierung eines Vermögenstransfers. Die verschiedenen Aspekte der Anatomie eines Betruges verdeutlichte Thiel anschließend anhand eines eingängigen Beispiels in Form eines Autokaufs ohne Bezahlung, das er passend mit Originalzitaten aus einem Interview unterlegte.
Zusammenfassend forderte der Referent anhand eines Zitates von Erasmus von Rotterdam dazu auf, den Betrug wie ein Handwerk anzusehen. Er enthalte verschiedene Techniken und solle nicht romantisiert werden. Man solle sich ihm „sezierend“ nähern. Seinen Vortrag schloss Thiel mit der Feststellung, dass der Betrug im 21. Jahrhundert die zentrale Verbrechensform sei und auch bleiben werde.
In der anschließenden Fragerunde, an der sich Zuhörerinnen und Zuhörer sowohl online als auch im Hörsaal beteiligten, wurden unter anderem Fragen der Prävention, der Resozialisierung von Betrügern, aber auch der Umgang mit besonders leichtgläubigen Opfern aufgegriffen. In diesem Rahmen betonte der Referent, dass man nach seiner aus der Studie gewonnenen Erfahrung besonders durch Gespräche mit anderen verhindern könne, selbst Opfer eines Betrugs zu werden.