Philosophische Fakultät

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18.02.2016

Neues Forschungsprojekt zu informellen Märkten nach dem Ende der Sowjetunion

VolkswagenStiftung fördert internationale Verbundforschung zum Handel abseits staatlicher Regulationen in Zentralasien und im Kaukasus

Tübinger Wissenschaftler haben für das Forschungsprojekt „Informal Markets and Trade in Central Asia and the Caucasus“ eine Förderung der VolkswagenStiftung in Höhe von rund 490.000 Euro eingeworben. Das internationale Projekt erforscht die Rolle lokaler Märkte und die Mobilität von Händlern und Waren im Kaukasus und in Zentralasien nach dem Zerfall der Sowjetunion. Auch die Nachbarregionen Nordpakistan und die autonome Region Xinjiang in Westchina beziehen die Forscher mit ein. Dafür arbeiten insgesamt 15 Wissenschaftler aus den Bereichen Sozial- und Kulturanthropologie, Geschichte und Politikwissenschaften aus Deutschland, Armenien, Georgien, Kasachstan, Kirgistan, Pakistan und der Schweiz zusammen. Koordiniert wird das Forschungsprojekt, das im April 2016 startet und bis 2019 läuft, von Dr. Susanne Fehlings von der Abteilung Ethnologie am Asien-Orient-Institut der Universität Tübingen.

War zur Zeit der UdSSR der Warenverkehr noch staatlich streng reglementiert, breiteten sich ab 1991 zahlreiche Märkte in den ehemaligen Sowjetstaaten aus. Sie werden in der Fachliteratur oft als informelle Märkte bezeichnet, da sie und die dort tätigen Händler von staatlichen Institutionen weder erfasst noch reguliert werden. Die ökonomischen Praktiken der Händler, wie zum Beispiel der Austausch und die Verteilung von Gütern, können daher nur schwer statistisch dargestellt werden. Aus diesem Grund untersucht das Projekt mit Hilfe ethnographischer Langzeitstudien, welche Formen die Märkte annehmen, wie sich die soziale Praxis dort gestaltet und wie Staatlichkeit und staatliche Rahmenbedingungen durch inoffizielle Praktiken ausgehandelt werden. Konkret interessieren sich die Forscher etwa dafür, welche mittel- und langfristigen Tauschbeziehungen gepflegt werden und wie die Händler mit staatlichen Restriktionen, Zollkontrollen und gesetzlichen Hürden umgehen.

Häufig basieren die geschäftlichen Beziehungen der Kleinhändler, privaten Unternehmer und Kunden auf einem persönlichen Netzwerk, verwandtschaftlichen Beziehungen oder einer gemeinsamen ethnischen Herkunft. „Auch wenn der Kundenkreis und das Warenvolumen einzelner Händler klein sind, ist der Einfluss des informellen Handels in seiner Gesamtheit nicht zu unterschätzen – Schätzungen zu Folge macht er beispielsweise in Armenien rund 35 Prozent des Bruttoinlandprodukts aus“, sagt Susanne Fehlings. „Die Märkte wachsen seit 1991, manche von ihnen, wie zum Beispiel der Dordoy Bazar in Bischkek in Kirgistan, gehören mittlerweile zu den größten Märkten Zentralasiens“.

Viele der Händler beziehen ihre Waren über die Landesgrenzen hinweg. So entsteht innerhalb der Gesamtregion Eurasien durch den informellen Handel ein reger wirtschaftlicher, aber auch kultureller Austausch. Ein weiteres Ziel der Wissenschaftler ist es, den Einfluss des neuen Wirtschaftssektors auf die Gesellschaft zu erforschen, der sich im Wandel sozialer Hierarchien, Identitäten und Werte niederschlägt. Während in Sowjetzeiten Händler zum Beispiel einen sehr geringen Status innehatten und ihre moralischen Werte in Frage gestellt wurden, gewinnen besonders erfolgreiche Händler heute an Prestige, das sie auch in politische Macht umsetzen können. Weniger erfolgreiche Händler, viele von ihnen Intellektuelle, die mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion in die Arbeitslosigkeit getrieben wurden, verbinden mit ihrer neuen Tätigkeit, zu der sie sich gezwungen sehen, dagegen etwa einen sozialen Abstieg.

Neben den Handelsbeziehungen innerhalb des Kaukasus und Zentralasiens nehmen die Wissenschaftler auch den Einfluss von drei anderen Ländern in den Blick: Russland, das immer noch enge wirtschaftliche, politische und kulturelle Beziehungen zu den ehemaligen Sowjetgebieten pflegt, China, in dem viele der global erhältlichen Waren angefertigt werden und das an Kasachstan, Kirgistan und Tadschikistan angrenzt, und die Türkei, die Hauptbezugsquelle für Fabrikwaren in der Region ist.

Kontakt:

Dr. Susanne Fehlings

Universität Tübingen

Asien-Orient- Institut

Telefon: +49 7071 29-73997

<link _blank>susanne.fehlings[at]ethno.uni-tuebingen.de

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