Akteure der Stadt Tübingen

Gottlieb Olpp (1872-1950)

Gottlieb Olpp (1872-1950)

Wie eng die Stadt Tübingen schon zu Zeiten des Kolonialismus mit der Universität verwoben war, wird an einem Charakterkopf der Tropenmedizin deutlich: Prof. Dr. med. Gottlieb Olpp, 1872 als Sohn eines Missionars in Südafrika geboren, wird von Paul Lechler (vgl. Difäm) als Arzt und Missionsmann beschrieben, der mit seiner „fesselnden Begeisterung und starker Liebe für die ärztliche Mission“ (Difäm, 1934) beeindruckte. Olpp verschrieb sich der ärztlichen Mission, für die er viele Jahre in China tätig war, wo er in Zusammenarbeit mit der Rheinischen Mission (s.o.) ein Spital erbaute (Eck, 2020).  Olpp wird nach seiner Habilitation in der Tropenmedizin nicht nur Leiter des Tropengensungsheims in Tübingen (1916), sondern auch Direktor des Deutschen Instituts für ärztlichen Mission (Difäm, 1911). Olpp hat in Tübingen Spuren hinterlassen: er begründete er die Moulagensammlung der Tropenklinik, welche für Forschung und Lehre von der Difäm genutzt wurde. Die Wachsmodelle bzw. -abgüsse der von Krankheiten befallenen Körperteilen wurden im Jahr 2016 zusammen mit Stücken aus der Tübinger Universitäts-Hautklinik im Museum der Universität (MUT) ausgestellt.

Die Einschätzung der Person Olpp hängt stark davon ab, wie die Missionsarbeit an sich bewertet wird - als Aufzwängen von Glauben oder als medizinisch-fürsorgliche Arbeit.

August Pettinen (1857-1914)

Der finnische Missionar August Pettinen verstarb am 05. März 1914 und wurde auf dem Tübinger Stadtfriedhof, fernab seiner Heimat und seiner Wirkungsstätte im „Owamboland“, beigesetzt. Wie genau er nach Tübingen gelangte ist noch unklar. Bekannt ist, dass er Teil der Besprechungen mit der Rheinischen Mission zur Aufnahme der Owambomission im Juli 1891 gewesen ist. In dieser Zeit war auch die finnische Missionsgesellschaft in dem entsprechenden Gebiet in Namibia, welches Heimat des Volkes der Owambo ist, aktiv (Archiv- und Missionsstiftung der VEM 2016). Nach anfänglichen Startschwierigkeiten der rheinischen Mission mit dem Stamm der Ondonga, welche die Missionare zunächst bekämpften, ermöglichte es nur der plötzliche Tod des Häuptlings durch einen Schlaganfall den Missionaren, sich niederzulassen (Tönjes 1911). Die Rheinische Missionsgesellschaft bekam am 9. Juli 1870 Unterstützung durch die finnische Mission, die zu diesem Zeitpunkt nach einem neuen Arbeitsfeld suchte – und so kreuzten sich die Wege von August Pettinen und der Rheinischen Mission. Es kann vermutet werden, dass August Pettinen über eben diese Mission, welche eng mit der Difäm und dem Tropengenesungsheim zusammengearbeitet hat, nach Tübingen gelangte und hier verstarb. Ein großes Problem bei der geschichtlichen Aufarbeitung der Kolonialzeit ist der Eurozentrismus. Beinahe unser gesamtes Wissen über diese Periode stammt aus Büchern und Dokumenten oder von Bildern, die aus dem Blickwinkel eines Kolonialisten geschrieben oder aufenommen wurden. Auch die Bilder, die der Hobbyfotograf August Pettinen während seines Missionseinsatzes aufnahm, gehören dazu (Finnsih Heritage Agency 2020). Die Grabstätte des finnischen Missionars August Pettinen auf dem Stadtfriedhof ist ein Zeichen dafür, wie sehr die Tübinger Stadtund Kolonialgeschichte mit Geschehnissen überall auf der Welt verwoben war. Leider kann nicht jedes Einzelschicksal in all seinen Facetten nachgezeichnet werden, jedoch kann man vom großen Ganzen Rückschlüsse auf sie ziehen.

Ludwig Krapf (1810-1881)

Geboren in Derendingen besuchte Krapf das spätere Uhland-Gymnasium, damals eine Lateinschule. Mit 16 ging er zur Basler Mission, kehrte dann aber wieder nach Derendingen zurück, machte 1828 das Abitur und studierte danach in Tübingen Theologie. Nach dem Studium traf er Freunde aus Basel, wodurch er zum Missionsberuf zurückfand. Daraufhin wurde er von der kirchlichen Missionsgesellschaft von England als Missionar nach Abessinien (=Äthiopien) geschickt. Bei einem Zwischenstopp in Ägypten lernte er Arabisch. In Abessinien selbst stieß er nach mehreren Zwischenstationen auf die „heidnische“ Galla-Nation. Die Volksgruppen, die der äthiopisch-orthodoxen Kirche angehören hielt er für schwer missionierbar. Krapf stellte seltene äthiopische Schriften der Wissenschaft zur Verfügung. 1844 traf er in Sansibar ein, von wo er in Richtung Galla-Nation aufbrach, trotz der Warnung des Sultans von Sansibar. Mittels des Wannika-Volks an der Küste Ostafrikas lernte er Suaheli, legte eine Grammatik für eben diese Sprache fest und schrieb ein Wörterbuch. So konnte er die Mission im Hinterland fortsetzten. Im Jahr 1846 stieß der Assistent Rebmann aus Gerlingen zu ihm. Zusammen gründeten sie im Wannika-Dorf Rabbai Mpia (oder nur Rabai) bei Mombasa mit Erlaubnis des Häuptlings eine Missionsstation. Unbekannte Völker wurden jedoch positiv beschrieben, nämlich als achtungsvoll und neugierig. Zurück in Württemberg betrieb er Sprachstudien und publizierte seine Aufzeichnungen, womit das Europaweite Interesse an Erfahrungen aus Afrika bedienen wollte. Krapf wird eine Pionierstellung in der Erkundung des inneren Ostafrika zugesprochen. Mehrere Male noch kam Krapf nach Afrika (Rabai) um Kontakt mit Stammesoberhäupten im Hinterland pflegen. In Afrika litt Krapf oft am „Fieber“, weswegen er 1855 zur Erholung nach Europa zurückkehren musste. Über diese Zeit in Afrika schrieb er auch seinen Reisebericht von 1858. Seine Aufgabe bei der Missionierung war nach eigener Aussage eine vorbereitende: „Meine Aufgabe war mehr eine recognoscirende, vorbereitende, Stationen gründende, neue Sprachen auffassende, kurz mehr eine Bahn brechende.“ (Krapf 1858: S.5). Im Dorf Rabbai Mpia (bei Mombas-a), wo sich Krapfs Missionsstandort befand, lebte er unter der Bevölkerung. Jeder Bewohner konnte zu ihm kommen und ihm Fragen über alles Stellen. Krapf verband oft moralische Fragen mit seiner christlichen Missionsarbeit (Krapf 1858: S.310ff.). Die „heidnischen“ Stammesrituale bezeichnete er als „teuflisch“ und „dunkel“. Er wendete nie Gewalt gegen die Bewohner an, er leistete vor allem passiven Widerstand gegen ihre Feste und Versuche ihn in nicht-christliche Feste einzubinden.

Alfred Körbling (1889-1933)

Vor allem sein militärischer Werdegang lässt viel auf das Wesen und die Person Alfred Körbling schließen (Grewe 2019). Er wurde bereits in seiner Kindheit durch die militärischen Laufbahnen seines Vaters und seines Großvaters beeinflusst, sodass ihm schon als Kind militärische Werte beigebracht wurden (Mährle 2011). Er begann seine militärische Ausbildung bereits im Alter von dreizehn Jahren und wurde auf eigenen Wunsch als junger Offizier nach Deutsch-Ostafrika versetzt, wo er an zahlreichen Gefechten teilnahm. „Mit Beginn des Ersten Weltkriegs nahm Körbling an Einsätzen gegen (. . . ) [britische Einheiten] in Britisch-Ostafrika (. . . ) teil. Im Jahr 1916 erkrankte er an diversen Tropenkrankheiten, so dass er (. . . ) wegen Transportunfähigkeit den britischen Einheiten übergeben wurde“ (ebd.) und sich somit in Kriegsgefangenschaft befand. „Nach Aufenthalt in mehreren Lazaretten und Lagern (. . . ) [wurde] Körbling 1918 in ein britisches Kriegsgefangenlager auf Malta“ (ebd.) verlegt. Obwohl er nach Krankheit und britischer Kriegsgefangenschaft 1920 aus der Armee ausschied, kehrte er nach einem Studium an der Landwirtschaftlichen Hochschule Hohenheim 1927 in den Militärdienst zurück und leitete von da an „die Heeresfachschule für Landwirtschaft in Tübingen. Parteipolitisch schloss sich Körbling bereits (...) [während] der Weimarer Republik der NSDAP an" (Mährle 2011), „war Mitglied der Schutzstaffel und stieg in deren Reihen bis zum Sturmbannführer auf, was dem Rang eines Majors in der Reichswehr entsprach"(Grewe 2019). E stellt sich deshalb die Frage ob Körbling als Kolonialist oder als Nationalsozialist einzuordnen ist. Aus dem vorhandenen Material lassen sich keine direkten Hinweise auf Kriegsverbrechen, Rassismus oder zumindest rassistische Gedanken des Alfred Körbling auffinden. Körbling starb am 22. Juli 1933 in Tübingen an Herzlähmung (Mährle 2011).

Julius von Soden (1846-1921)

Als studierter Jurist machte von Soden den ersten Teil seiner Karriere im Zuge der deutschen Kolonialbestrebungen, der sich ein Zweiter als Politiker anschloss. 1846 in Ludwigsburg zur Welt gekommen, absolvierte er 1864 in Stuttgart sein Abitur. Diesem folgte ein Jurastudium, zuerst in Tübingen und später in Göttingen.  Als Jurist wechselte von Soden „in den diplomatischen Dienst: Von 1872 bis 1884 amtierte er als Konsul in zahlreichen Städten von Lima bis Guangzhou. 1885 wurde er dann erster Gouverneur von Kamerun“ (Brugger 2021). Die dort bereits in großem Maße vorhandenen unternehmerischen Strukturen schränkten seine politische Handhabe zunächst ein. Daher „zeigte er sich [beispielsweise] in der Schulpolitik besonders engagiert und gründete 1887 in Kamerun eine konfessionslose Regierungsschule"(ebd.) dessen Konzept er bereits in Daressalam in der Kolonie Deutsch-Ostafrika kennengelernt hatte. Auch wenn dies eine „Konkurrenz für die bereits etablierten kirchlichen Missionen“ darstellte (ebd.). Zudem hatte er bis 1891 das Amt des Oberkommissars von Togo inne. Hervorgerufen durch ungute Zustände in Deutsch-Ostafrika, wurde er aus Kamerun abberufen und ab 1891 in Deutsch-Ostafrika wieder zum ersten Gouverneur bestellt (Michels 2017). Auch hier fehlte es ihm „gegenüber dem Militär an Durchsetzungskraft, Kolonialverbrecher wie Carl Peters agierten weiter hinter dem Rücken des Gouverneurs“ (Brugger 2021). „1893 beendete Julius von Soden seinen Dienst in der Kolonie, wohl aufgrund wiederkehrender Gesundheitsprobleme“ (ebd.). Mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts begann nun auch Julius von Sodens politische Karriere in Deutschland selbst. Obwohl er sich im letzten Quartal seines Lebens vermehrt den Musen hingab, blieb er doch in den Kolonien präsent. So wurde er zum Beispiel „Anteilseigner und Aufsichtsratsmitglied einer Dachgesellschaft für Plantagen in Kamerun“ (ebd.). Trotz siebenjähriger Amtszeit als Gouverneur von Kamerun und Deutsch-Ostafrika, stellt sich die Rolle Julius von Sodens in der Erinnerung doch als eher unauffällig dar. Auch wenn „seine koloniale Amtsführung nicht von schwerwiegenden Gewaltexzessen geprägt"(ebd.) war, so ist „aus heutiger Perspektive (...) [doch] manches an seiner Amtsführung (...) [zu] kritisieren"(ebd.). „Er war Teil eines auf Unterdrückung basierenden Systems und verlieh diesem mit seinem Ziel weicher Dominanz einen zivilen Anstrich“ (ebd.). Obgleich er sich durch direkte Aktionen wohl nichts Größeres zu Schulden hat kommen lassen, trugen „Spitzenbeamte wie von Soden [doch] (...) zur kolonialen Durchdringung und Unterwerfung"(ebd.) der Indigenen bei. Wenn auch vermutlich unbeabsichtigt, so hatten solch historisch minderbelastete Protagonisten ebenso ihren Anteil an der Ausbeutung der Schutz- und Kolonialgebiete (ebd.). Nachdem er sich in seinen letzten Lebensjahren von seinen politischen Tätigkeiten weitgehend zurückgezogen hatte,  entschied er sich 1920 wieder in seiner alten Heimat Tübingen ansässig zu werden. Er starb am 3. Februar 1921, zwei Tage vor seinem 75. Geburtstag.

Oskar Hintrager (1871-1960)

Die Person des Dr. Oskar Hintrager kann in Bezug auf den deutschen Kolonialismus als ambivalenter Charakter bezeichnet werden. Zum einen bekleidete er während der Kolonialzeit hohe Positionen in Deutsch-Südwestafrika und kämpfte als Freiwilliger im Burenkrieg, zum anderen pflegte er persönliche Kontakte und Freundschaften mit in Deutschland lebenden Bürgern des heutigen Südafrikas (Ender 2022). 1871 als Kaufmannssohn in Reutlingen geboren, „besuchte [er] das evangelischen Seminar Maulbronn und das humanistische Gymnasium in Reutlingen, (...) [um] bis (...) September 1890 seinen Militärdienst (...) in Ulm" abzuleisten (ebd.). Darauf folgte ein Studium der „Rechtswissenschaften und [der] Volkswirtschaft an den Universitäten Tübingen, Berlin und Leipzig"(ebd.). Nach seiner Rückkehr an die Universität Tübingen im Jahr 1894 legte er dort die Höhere Justizdienstprüfung ab. Auf verschiedene Anstellungen im württembergischen Justizdienst folgte 1899 die Promotion an der Universität Tübingen. Seine daran anschließende Arbeitsstelle als stellvertretender Amtsrichter am Württembergischen Amtsgericht Riedlingen, gab er 1899 auf, um den Dienst im zweiten Burenkrieg anzutreten (ebd.). Die Positionen zu eben diesem Krieg und den Unabhängigkeitsbestrebungen der Buren waren im deutschen Kaiserreich gemischt. Auf seine Rückkehr nach Deutschland im September 1900 folgten kurze Tätigkeiten an württembergischen Amtsgerichten. Gleichzeitig hielt Hintrager Vorträge zum Freiheitskampf der Buren und unterstütze diesbezügliche Geldsammlungen. Zudem war er „Mitglied des Vorstandes der Münchner Buren-Centrale“ (Ender 2022), welche sich für eine Beendigung des Burenkriegs durch Friedensverhandlungen einsetzte (Loiperdinger 2006: 72). Aus Hintragers anfänglicher freiwilliger Teilnahme am Burenkrieg, war nun scheinbar ein Bestreben nach dessen Beendigung geworden. Anlässlich des Herero-Aufstandes in Deutsch-Südwestafrika, ließ er sich 1904 wieder in die Kolonie entsenden, wo er bis 1914 als Vertreter der jeweiligen Gouverneure fungierte (Kößler 2017: 338f.). Sein Wirken hat dort Spuren hinterlassen, so ist „im Windhoeker Stadtteil Pioneer’s Park (...) die Hintrager Street nach ihm benannt" (Ender 2022). In Bezug auf seine Tätigkeit in Deutsch-Südwestafrika im Allgemeinen und insbesondere dem dort von 1904-1908 stattgefundenen Völkermord an den Herero und Nama, kann Hintrager der Vorwurf der Untätigkeit gemacht werden. Vom Ausbruch des Ersten Weltkriegs in Australien überrascht, schlug er sich nach Deutschland durch und überstand dort den Krieg als Leutnant der Reserve und Nachrichtenoffizier (ebd.). Er trug auch nach den beiden Weltkriegen nicht zur Aussöhnung zwischen Deutschland und Namibia bei, sondern publizierte noch in der Nachkriegszeit seine populär kolonialistischen Positionen und Darstellungen zur Kolonialzeit in Deutsch-Südwestafrika (Kößler 2017: 338f.). Auch nach seiner Pensionierung als geheimer Regierungsrat im Jahr 1933 und bis zu seinem Tod im Jahr 1960, blieb Hintrager dem heutigen Namibia, und besonders Südafrika stets verbunden. Nachdem er sich „in seine Heimat nach Hirsau im Schwarzwald"(Ender 2022) zurückgezogen hatte, schrieb er dort unter Anderem die Bücher „Geschichte von Südafrika“ und „Südwest-Afrika in deutscher Zeit“ (ebd.). Dabei ist an der teilweise fehlenden Objektivität der Texte erkennbar, dass Hintrager zeitlebens eine Sympathie gegenüber den Buren und deren Vorstellungen über die Geschichte ihrer Territorien hegte.

Literatur