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15.02.2024

Wie das Schaumkraut Sprengkraft aufbaut

Schotenfrüchte bewirken ihre eigene Explosion – Team der Universität Tübingen und des MPI für Pflanzenzüchtungsforschung entdeckt Mechanismus bei Pflanzen, der an einen Muskel erinnert.

Behaartes Schaumkraut (Cardamine hirsuta)

Das Behaarte Schaumkraut gehört zu den Pflanzen, die ihre Samen zur effektiven Verbreitung wie Geschosse in alle Richtungen schleudern. Nun hat ein Forschungsteam entdeckt, dass diese Art dafür einen bisher unbekannten Mechanismus verwendet, der wie eine Art Muskel wirkt und in den Schoten für die Kontraktion und Explosion verantwortlich ist. Dr. Gabriella Mosca vom Zentrum für Molekularbiologie der Pflanzen der Universität Tübingen war eine Hauptautorin der Studie, die unter der Leitung von Dr. Angela Hay vom Max-Planck-Institut (MPI) für Pflanzenzüchtungsforschung in Köln stand. Sie wurde im Fachmagazin Current Biology veröffentlicht.

Das Behaarte Schaumkraut (Cardamine hirsuta) ist eine einjährige Pflanze, die bis zu 30 Zentimeter groß wird. „Die Samen sitzen in Schoten, die aus zwei langen Klappen bestehen. Wenn die Samen reif sind, rollen sich die Klappen blitzschnell ein und beschleunigen die Samen auf erstaunliche Geschwindigkeiten – bis zu zehn Meter pro Sekunde“, berichtet Angela Hay.

Druckaufbau in den Zellen

Dr. Gabriella Mosca und Dr. Ryan Eng, die Erstautoren der Studie, entdeckten, dass die Schoten den Wachstumsprozess ihrer eigenen Zellen nutzen, um das ganze Gewebe zusammenzuziehen und dabei ausreichend Druck für die Explosion aufzubauen. „Dass das Dehnungswachstum zu einer Kontraktion des Gewebes führen soll, wirkt widersprüchlich, doch unter bestimmten Bedingungen kann das eine zum anderen führen“, sagt Mosca.

Während des Wachstums verändert sich nicht nur die Größe der Zellen in der Schote, sondern auch ihre Form, abhängig von der Anordnung der winzigen Zellulosefasern in der Zellwand. „Diese Fasern sind wie Stahlkabel, die sich kaum strecken lassen. So bleibt der Zelle nichts weiter übrig, als rechtwinklig zu den Zellulosefasern weiterzuwachsen“, erklärt Mosca. „In den explosiven Schoten sind die Zellulosefasern in den Zellen so angeordnet, dass diese beim Wachsen eine spezifische Form annehmen, die durch den Zellinnendruck eine Kontraktion des ganzen Gewebes bewirken. Das ist ähnlich wie bei einem Muskel von Mensch oder Tier, der sich kontrahiert.“

Computermodell der Zellwand

Optimiert werde der Prozess durch das Muster der Zellulosefasern in der Zellwand, die kreuz und quer verlaufen. „Wenn die Zellen mit gekreuzt statt parallel angeordneten Zellulosefasern wachsen, bauen sie umso mehr Kraft auf“, sagt Mosca. Sie setzt hinzu: „Die kreuz und quer verlaufenden Zellulosefasern in den Zellwänden der Schoten mögen aussehen wie zufällig verteilt. Tatsächlich ist das Muster aber entscheidend für die Funktion des Schleudermechanismus.“

Bei der Studie kamen Live-Cell-Imaging-Verfahren zum Einsatz und quantitative Methoden, um das Zellwachstum zu messen. Darüber hinaus entwickelte Mosca in Zusammenarbeit mit Dr. Richard Smith vom John Innes Centre für diese Studie ein Computermodell der vielschichtigen Struktur pflanzlicher Zellwände. Dieses Modell ist Teil einer von ihnen entwickelten Software namens MorphoMechanX, mit der pflanzliche Mechanismen und das Pflanzenwachstum untersucht werden können. Das Modell kann nun in weiteren Untersuchungen zur Biomechanik der Pflanzen und in der Zellwandforschung eingesetzt werden.

Für die Forscherinnen Angela Hay und Gabriella Mosca werfen die Ergebnisse auch weitere Fragen auf. „Wir wollen verstehen, wie sich in der Zellwand während des Wachstums der Schaumkrautschote die Mikrotubuli koordiniert umorientieren. Davon hängt der Schleudermechanismus ab“, sagt Hay. Mikrotubuli sind Strukturhelfer in der Zelle, die eine Art Schienensystem bilden, um den Aufbau der Zellulosefasern zu leiten. „Außerdem konnten wir in den Filmen vom Schleudervorgang der Schoten festhalten, dass sich alle Schotenklappen bei der Explosion in der gleichen räumlichen Anordnung aufrollen. In meiner Arbeitsgruppe an der Universität Tübingen möchte ich weiter erforschen, über welchen Mechanismus das koordiniert wird“, sagt Mosca.

Publikation:

Gabriella Mosca, Ryan C. Eng, Milad Adibi, Saiko Yoshida, Brendan Lane, Leona Bergheim, Gaby Weber, Richard S. Smith, and Angela Hay: Growth and tension in explosive fruit. Current Biology, https://doi.org/10.1016/j.cub.2024.01.059  

Kontakt: 

Dr. Gabriella Mosca
Universität Tübingen
Zentrum für Molekularbiologie der Pflanzen
gabriella.moscaspam prevention@zmbp.uni-tuebingen.de

Dr. Angela Hay
Max-Planck-Institut für Pflanzenzüchtungsforschung
Vergleichende Entwicklungsgenetik
Carl-von-Linne-Weg 10, 50829 Köln
Telefon +49 221 5062 108
hayspam prevention@mpipz.mpg.de  

Pressekontakt:

Eberhard Karls Universität Tübingen
Hochschulkommunikation
Dr. Karl Guido Rijkhoek
Leitung

Janna Eberhardt
Forschungsredakteurin
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