Methodenzentrum

Qualitative Methoden und interpretative Sozialforschung

Leitung: Prof. Dr. Ursula Offenberger

Der Arbeitsbereich Qualitative Methoden und interpretative Sozialforschung entwickelt in Forschung und Lehre einerseits ein eigenständiges Profil und versteht sich andererseits als Ort, an dem die an der Fakultät breit vertretene Expertise für interpretative Verfahren gebündelt und weiterer Austausch und Vernetzung gefördert werden sollen. Eine Übersicht über aktuelle Lehrveranstaltungen finden Sie auf dem Alma-Portal bei den Angeboten des Methodenzentrums.

 

Profil des Arbeitsbereiches

Der Schwerpunkt eigener methodisch-methodologischer Auseinandersetzung liegt in pragmatistischer Sozialforschung. Ausgehend von der Annahme einer „unerhörten Aktualität“ (Hans Joas) des amerikanischen Pragmatismus als genuiner Philosophie der Neuzeit wird nach der philosophischen, wissenschafts-, sozialtheoretischen und forschungspraktischen Bedeutung pragmatistischer Maximen für empirische und theoretische Sozialforschung gefragt. Besonderes Interesse (methodologisch und forschungspraktisch) gilt der Tradition der Grounded Theory und ihrer aktuellen Weiterentwicklung zur Situationsanalyse im Anschluss an Adele Clarke. Diese zeichnet sich durch eine Vermittlung von pragmatistischen und poststrukturalistischen Perspektiven aus und integriert Konzepte und Theoriebestände aus den Science, Technology and Medicine Studies in das methodologisch-konzeptionelle Repertoire. Damit ist ein Rahmen gespannt, der die reflexive Zuwendung zu Praktiken und Effekten wissenschaftlicher Wissensproduktion sowohl einfordert als auch ermöglicht. Der performative Charakter von Methoden gerät in den Blick – als Methoden und Techniken sozialwissenschaftlicher Erkenntnis, die ihre Gegenstände, ihre Probleme und ihre Lösungen stets (mit) hervorbringen. Weiterführende Hinweise zu Grounded Theory und Situationsanalyse

Methodische Praxis versteht sich so immer schon als eine Politik der Re-Präsentation – ein genuin politisches Unterfangen, das Fragen wissenschaftlicher Wissensproduktion nicht zuletzt mit Fragen demokratischer Praxis und der Verantwortlichkeit von Forschung und Forschenden verbindet. Vor einem solchen Hintergrund gewinnen auch ‚kritische‘ Projekte wie zum Beispiel feministische oder postkoloniale Wissenschaftstheorien an Bedeutung und werden im Arbeitsbereich des Methodenzentrums für qualitativ-interpretative Verfahren auf ihre Implikationen hin befragt, etwa mit Blick darauf, was es bedeutet, „situiertes Wissen“ (Donna Haraway) und damit spezifische Formen von Objektivität, verstanden als „Objektivität von Perspektiven“ (George Herbert Mead) zu produzieren.

In diesem Sinne werden im Rahmen von Lehrveranstaltungen Projekte performativer Sozialforschung entwickelt (siehe unten).

Spring and Summer Schools

Weitere Informationen zu den Tübinger Spring- und Summer Schools zu Themen der qualitativen Sozialforschung finden Sie hier

 

Förderung von Austausch und Vernetzung qualitativ-interpretativ Forschender

In allen Instituten der Fakultät wird u.a. mit qualitativ-interpretativen Verfahren geforscht, u.a.: Ethnographie, Dokumentarische Methode der Interpretation, Bild-, Video-, Diskurs-, Narrationsanalysen, Biographieforschung, Qualitative Inhaltsanalyse oder Grounded Theory/Situationsanalyse. Forschende der WiSo-Fakultät sind an verschiedenen Verbünden beteiligt, etwa dem Graduiertenkolleg „Doing Transitions“ des Instituts für Erziehungswissenschaft, dem Promotionsverbund „Die Persistenz einer Kultur der Zweigeschlechtlichkeit“ des Zentrums für Gender- und Diversitätsforschung, dem Promotionskolleg „Rechtspopulistische Sozialpolitik und exkludierende Solidarität“, sowie in einigen Teilprojekten des Sonderforschungsbereichs „Bedrohte Ordnungen“.

Zukünftige Kooperationsveranstaltungen mit dem Methodenzentrum zielen darauf ab, die in diesen Verbünden erkennbare gesammelte Expertise auch darüber hinaus für methodisch-methodologische Debatten an der Fakultät anschlussfähig zu machen. Weiterhin sind Kolleginnen und Kollegen seit 2011 zu einem Netzwerk für qualitative Methoden und interpretative Forschung zusammengeschlossen (Quali-Net), das eng mit dem Methodenzentrum kooperiert, etwa durch die Organisation von Netzwerktreffen und Vortragsreihen (z.B. zu Gütekriterien interpretativer Sozialforschung). Ebenso besteht eine Vernetzung zu anderen Methodenzentren in der D-A-CH-Region.

 Von zentraler Bedeutung für die Unterstützung der interdisziplinären Forschungsinfrastruktur der Fakultät sind die „Schools Qualitativ Forschen“, die das Methodenzentrum zweimal jährlich in Kooperation mit Qualinet und den Instituten für Soziologie und Erziehungswissenschaft ausrichtet. Die in diesem Rahmen angebotenen Methodenworkshops mit renommierten ExpertInnen aus dem In- und Ausland bilden neben den erwähnten Verbünden eines der Herzstücke des universitätsweiten postgradualen Angebotes für fortgeschrittene qualitative Forschungsmethoden. Sie genießen einen ausgezeichneten Ruf im deutschsprachigen Raum, und der Fokus der Summer School auf Schreiben in der Qualitativen Forschung bildet ein Alleinstellungsmerkmal.

Eng verzahnt mit diesen „Events“ sind die fortlaufenden Angebote des Methodenzentrums zur curricularen und außercurricularen Lehre, Beratung und Fortbildung für qualitativ-interpretative Verfahren. Hochschuldidaktisch orientiert sich die Lehrkonzeption am Prinzip des dialogischen Lernens, Kleingruppen ermöglichen intensive Orientierung an den Bedürfnissen und Interessen der Teilnehmenden. Angeboten wird neben Einführungsveranstaltungen auf deutsch und englisch u.a. eine fortlaufende Projektberatung in Form von Werkstätten zur Datenanalyse, welche für qualitativ-interpretative Forschungsprojekte ein wichtiges Mittel der prozessualen Validierung von Ergebnissen bilden.

E-Learning-Modul: Grundlagen qualitativer Sozialforschung und Entwicklung von Forschungsdesigns

Mithilfe dieses e-Learning-Moduls können Sie sich selbstständig und zeitlich unbegrenzt die Grundlagen der Qualitativen Sozialforschung und der Entwicklung qualitativer Forschungsdesigns erarbeiten. Das Modul setzt sich aus kurzen Input-Videos mit Präsentationen zum Nachlesen, Literaturhinweisen und Übungen, die Sie selbst zu Hause durchführen können, zusammen.

Bei diesem e-Learning-Modul handelt es sich um ein Angebot des Arbeitsbereichs Qualitative Methoden und interpretative Sozialforschung des Methodenzentrums der Universität Tübingen, das im Rahmen eines gleichnamigen Blockseminars von JProf. Dr. Ursula Offenberger im Frühjahr 2020 entstanden ist und in im Rahmen des vom Land Baden-Württemberg geförderten Projekts ‚Studienstart‘ in Zusammenarbeit mit der ESIT-Methodendozentur umgesetzt wurde. Die Umsetzung des Seminars als e-Learning-Modul erfolgte durch Janine Müller und Maik-Andres Schwarz unter Anleitung von Maja Urbanczyk.

 

Das Lernmodul ist zugänglich unter: https://vitruv.uni-tuebingen.de/ilias3/goto_pr01_crs_6795.html

 

Performative Sozialforschung

Performative Sozialforschung arbeitet häufig mit künstlerischen Mitteln, um wissenschaftliche Ergebnisse einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich und deren Relevanz auch über intellektuelles Verstehen hinaus erfahrbar zu machen. Am Arbeitsbereich Qualitative Methoden wird die Lehre zur Geschichte der Methoden empirischer Sozialforschung mit dem Entwickeln performativer Projekte verbunden: 2019/20 wurde ein Webcomic erstellt, 2024/25 wird ein Theaterstück erarbeitet (s.u.) und im Februar 2025 mehrmals aufgeführt werden. Wenn nach der Bedeutung von Jane Addams und den Siedlerinnen von Hull House oder nach W.E.B. DuBois gefragt wird, so geht es in den Projekten jeweils um Frauen und Schwarze als vergessene Klassiker der empirischen Sozialforschung. Deren wegweisende Beiträge für die Methodenentwicklung werden in den Mittelpunkt gerückt, und es wird nach geschlechtlichen und rassifizierenden Ausschlüssen in der Sozialwissenschaft gefragt.

In dem Webcomic-Projekt, das im Dezember 2020 mit dem Lehrpreis der Universität Tübingen ausgezeichnet wurde, geht es darum, sozialwissenschaftlichen Seminarstoff einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen und auf unterhaltsame Weise zu informieren. Inhaltlich wird die Geschichte von Pionierinnen der US-Sozialforschung erzählt. Der Webcomic wurde von einem interdisziplinären Team erarbeitet und erhielt den Lehrpreis der Universität Tübingen für das Jahr 2020. In dem Masterseminar "Chicagoer Pragmatismus in Theorie und Praxis: Ursprünge empirischer Sozialforschung in den USA" vom Wintersemester 2019/20 entwickelten Ursula Offenberger und ihre Studierenden gemeinsam das Konzept für einen Webcomic. Im Mittelpunkt steht dabei eine Form von Sozialforschung, in der Sozialwissenschaft, Politik und praktische Sozialarbeit noch nicht getrennt waren, sondern eine Einheit bildeten. Außerdem geht es um wegweisende Beiträge von Frauen zur Geschichte der Sozialwissenschaft – eine Perspektive, die sich in den gängigen Klassikerkanones häufig nicht widerspiegelt.

Der Webcomic wurde mit Unterstützung einer Illustratorin fertiggestellt und wird seit Dezember 2020 in Etappen veröffentlicht. Ziel des Projekts ist dabei einerseits Seminarteilnehmerinnen und -teilnehmern zu ermöglichen, mit kreativen Schreibtechniken zu experimentieren. Andererseits soll das Produkt bei anderen Studierenden das Interesse für die Geschichte der Sozialwissenschaften wecken. Die Comicszenen werden mit Hyperlinks zu vielfältigen Quellen angereichert, zum Beispiel mit Originaltexten, Bildern und Videos.

Das gesamte Projekt lässt sich erkunden unter:

https://digital-humanities.uni-tuebingen.de/webcomics/pragmatism-reloaded/

sowie bei Instagram: https://www.instagram.com/pragmatism_reloaded/

Ein Beitrag in der Zeitschrift "FQS/ Forum Qualitative Sozialforschung" findet sich hier: https://www.qualitative-research.net/index.php/fqs/article/view/3946

Gender und Diversity in den Anfängen empirischer Sozialforschung - ein Theaterprojekt

Im Wintersemester 2024/25 erarbeiten Studierende am Methodenzentrum ein Theaterstück, das am Semesterende aufgeführt wird. Es geht um die Anfänge empirischer Sozialforschung in den USA und nimmt insbesondere die Bedeutung des afro-amerikanischen Soziologen W.E.B. DuBois und des Forscherinnenkollektivs im Chicagoer Hull House in den Blick. Deren Beiträge zur Disziplingeschichte und zur Methodenentwicklung wurden lange vernachlässigt und rücken aus einer intersektionalen Perspektive inzwischen verstärkt in den Blick. 

Herzliche Einladung, im Rahmen der Aufführungen über Rassismus und Sexismus in Vergangenheit und Gegenwart nachzudenken! Die Aufführungen finden am 7., 8. und 9. Februar 2025 jeweils um 19 Uhr im Fichtehaus in der Herrenberger Strasse 40 in Tübingen statt. Der Eintritt ist frei.