Institut für Soziologie

RESEARCH IN BRIEF

Aktuell - 12/2024

Re-name the Streets. Toponymic Struggles and Civic Belonging in Murcia (Spain) and Johannesburg (South Africa)

Manuel Dieterich, Damián Omar Martínez, Boris Nieswand

Bei toponymischen Streits handelt es sich um Auseinandersetzungen bezüglich der Benennung von Straßen, Plätzen oder Orten, die als nicht (mehr) angemessen empfunden werden. Ausgehend von einer moralökonomischen Perspektive untersucht dieser Artikel Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen den Auseinandersetzungen um Straßennamen in der spanischen Stadt Murcia und der südafrikanischen Metropole Johannesburg.
Es zeigt sich, dass toponymische Auseinandersetzungen auf mehr verweisen, als die unmittelbar zur Disposition stehenden Benennungen. So geht es den Beteiligten um ihre jeweilige bürgerschaftliche Zugehörigkeit (civic belonging), die sie durch die Beibehaltung oder Änderung der Benennung gefährdet sehen. In den Auseinandersetzungen wird ein Paradox deutlich: So müssen alle Beteiligten moralische Güter wie Inklusivität, Fairness und Neutralität heraufbeschwören – egal, ob sie für einen Wandel oder die Verteidigung des Status quo eintreten. Gleichzeitig gerät die Bezugnahme auf diese Werte in den Verdacht, nur in instrumenteller Absicht zu erfolgen, was oftmals der anderen Seite vorgeworfen wird. Dennoch führen toponymische Kämpfe in den untersuchten Fällen teilweise zu inklusiveren Lösungen, als ursprünglich von den Akteuren erwartet. Toponymische Streits weisen also durchaus ein inkludierendes Potenzial auf, auch wenn sie konflikthaft ausgetragen werden.
Der Artikel basiert auf mehrmonatigen ethnographischen Feldforschungen in beiden Städten, einschließlich teilnehmender Beobachtung, qualitativer Interviews, Online-Ethnographie sowie einer Analyse von Zeitungsartikeln und politischen Dokumenten. 

journals.sagepub.com/doi/10.1177/14661381241269638

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11/2024

Wie die wahrgenommene Qualität der formalen Kinderbetreuung Normen in Bezug auf die Nutzung von Kindertageseinrichtungen und elterliche Erwerbstätigkeit prägt: Experimentelle Evidenz aus Deutschland

Marie-Fleur Philipp, Silke Büchau, Pia Schober, Viktoria Werner, C. Katharina Spiess

Nicht nur die Quantität, sondern auch die Qualität der formalen Kinderbetreuung für Kleinkinder ist zunehmend Gegenstand politischer Reformen. In dieser experimentellen Studie wird untersucht, wie eine hypothetische Verbesserung der wahrgenommenen Qualität von Kinderbetreuungseinrichtungen normative Urteile über die Nutzung von Kindertagesseinrichtungen und die Arbeitszeiten von Eltern mit kleinen Kindern in Deutschland beeinflusst. Die Analyse basiert auf theoretischen Konzepten von Betreuungsidealen und Bicchieris Theorie zu sozialen Normen. Die empirische Grundlage ist ein faktorielles Umfrageexperiment, das 2019/2020 im Deutschen Familienpanel (pairfam) durchgeführt wurde, um die zugrundeliegenden Normen zu Kinderbetreuung und Erwerbsarbeitsteilung für ein Paar mit einem 15 Monate alten Kind unter verschiedenen Kontextbedingungen zu messen. Es wurden ordinale logistische und lineare Mehrebenenregressionen mit 5.333 Befragten durchgeführt. Im Durchschnitt führt eine hohe hypothetische Qualität der Betreuungseinrichtung für Kleinkinder dazu, dass die Befragten eine stärkere Nutzung der formalen Kinderbetreuung und längere Arbeitszeiten für Mütter und Väter von etwa einer Stunde pro Woche empfehlen. Befragte mit eher egalitären Geschlechterrolleneinstellungen, Befragte mit Hochschulbildung, gebürtige Deutsche und Eltern reagieren tendenziell stärker auf eine höhere Betreuungsqualität, indem sie sich verstärkt für eine Ganztagsbetreuung aussprechen. Die Ergebnisse weisen durchgängig auf die Relevanz einer hohen Qualität für die Steigerung der Akzeptanz von formaler Kinderbetreuung hin.

10/2024

Dr. Cansu Civelek, Global Encounters Fellow

Die Entstehung einer „Modellstadt in der anatolischen Steppe“: Überspringende Effekte der räumlichen Fixierung in Eskişehir, Türkei

Der vorherrschende Neoliberalismus hat unterschiedliche Auswirkungen auf Städte. Diese reichen von schnellem Wachstum bis hin zu allmählicher Entmachtung. Anstatt die neoliberale Urbanisierung als einen festen, vorbestimmten Prozess zu betrachten, diskutiere ich die Möglichkeit von Sprüngen bei der Neupositionierung von Städten. Insbesondere untersuche ich den Neupositionierungsprozess von Eskişehir als Reaktion auf die Entmachtung, wobei ich den Schwerpunkt auf die „räumliche Fixierung“ lege. Anstatt passive Empfänger der Neoliberalisierung zu sein, konnten die lokalen herrschenden Eliten politische Handlungsfähigkeit entwickeln, um der Entmachtung nicht nur entgegenzuwirken, sondern auch daraus Kapital zu schlagen. Zur Überwindung finanzieller und politischer Zwänge, die für die räumliche Lösung entscheidend sind, nutzte der Bürgermeister von Eskişehir multiskalare Vernetzungsstrategien und symbolische Wiederbelebungen zu bestimmten historischen Zeitpunkten. Dementsprechend versuchte die von der Mitte-Links-Oppositionspartei regierte Stadtverwaltung von Eskişehir, die Stadt als eine Hochburg des Säkularismus mit dem Anspruch der Europäisierung und Modernisierung neu zu definieren. Sie führten das „Eskişehir-Modell“ als Gegenentwurf zur städtischen Vision der regierenden AKP ein, die auf einer islamistisch-nationalistischen Agenda beruht. Diese Mechanismen zeigen, dass ideologisch-politische Auseinandersetzungen auf nationaler Ebene den lokalen Führungseliten als Chance dienen können, der Entmachtung entgegenzuwirken. Wie die ethnografische Untersuchung zeigt, hatten diese Mechanismen nicht nur sprunghafte Auswirkungen auf die Neupositionierung und Förderung der politischen Macht, sondern auch auf die Auflösung bestehender Ungleichheiten, Disparitäten und Segregation unterhalb des berühmten Eskişehir-Modells.

 

08/2024

Rise of populism: Identity threats as an explanation in relation with deprivation and cultural fear

Eine Zunahme populistischer Strömungen bedroht die liberalen Demokratien auf allen Kontinenten der Erde. Dieser Artikel führt die These bedrohter sozialer Identitäten als einen neuen Erklärungsansatz für die aufkommende Verbreitung populistischer Einstellungen ein und testet diesen Ansatz erstmals quantitativ. Wir untersuchen dabei, inwiefern Indikatoren einer bedrohten sozialen Identität populistische Einstellungen direkt erklären und zusätzlich noch die Effekte von Indikatoren von etablierten Erklärungsansätzen – die ökonomisch orientierte Modernisierungsverliererthese (MVT) und die Cultural Backlash These (CBT) – beeinflussen. Zur Überprüfung unserer Forschungsfragen nutzen wir Daten, die wir im Rahmen des Projekts „Corona-Krise und berufliche Anerkennung“ erheben konnten. Da es keine bekannten Versuche bislang gab, die Anerkennung dieser sozialen Identitäten zu quantifizieren, entwickelten wir im Zuge der Erhebung Items zur Messung der sozialen Anerkennung von Berufs- und Klassenidentitäten.
In unseren multivariaten Regressionsanalysen erweisen sich alle vier Indikatoren einer bedrohten sozialen Identität – Anerkennung der sozialen Schicht, Anerkennung der eigenen Berufsgruppe, Anerkennung einer ost- oder westdeutschen Identität, anomische Identitätsunsicherheit – als signifikante Prädiktoren populistischer Einstellungen. Basierend auf Strukturgleichungsmodellen können wir außerdem feststellen, dass Indikatoren bedrohter sozialer Identitäten zudem Antezedentes von Indikatoren der MVT und CBT sind. Insgesamt schließen wir aus unseren Ergebnissen, dass die These bedrohter sozialer Identitäten einen wichtigen zusätzlichen Erklärungsansatz zum Aufkommen populistischer Einstellungen darstellt. Einerseits erklärt er per se sowohl theoretisch als auch empirisch die Entstehung populistischer Einstellungen und andererseits kann er dazu beitragen, die Erklärungslücken bisheriger Ansätze zu füllen.

Babst, A., Groß, M. und Lang, V. (2024): Rise of populism: identity threats as an explanation in relation with deprivation and cultural fear. Journal of Political Research Quarterly. doi.org/10.1177/10659129241246213

 

07/2024

Occupational recognition during the Covid-19 pandemic: differences between occupational groups and the association with compliance with infection control measures

Dieser Beitrag thematisiert zwei Forschungsfragen. Erstens untersuchen wir, ob bestimmte Berufsgruppen Veränderungen hinsichtlich ihrer Anerkennung während der Covid-Krise erfuhren. Zweitens analysieren wir, ob berufliche Anerkennung die Compliance mit Infektionsschutzmaßnahmen fördern kann. Dabei unterscheiden wir zwischen einer Mikroebene der Job-Anerkennung und Compliance im unmittelbaren Arbeitsumfeld auf der einen Seite und einer Makroebene der Anerkennung der Berufsgruppe und der generellen Akzeptanz von Infektionsschutzmaßnahmen auf der anderen Seite.
Um die Forschungsfragen zu beantworten, wurden im BMAS- und FIS-geförderten Projekt „Corona-Krise und berufliche Anerkennung“ Daten von mehr als 2.200 Personen in zwei „Wellen“ im Februar und März 2021 – also ziemlich genau ein Jahr nach Ausbruch der Pandemie in Deutschland eigens zu diesem Zwecke gesammelt.
Beschäftigte in Gesundheits-/Pflegeberufen sowie in „Basisarbeit“ (Tätigkeiten, die keine Qualifizierung erfordern, aber systemrelevant sind) berichten einen Anerkennungszuwachs seitens der Gesellschaft währende der Pandemie, nehmen insgesamt aber nach wie vor das geringste Ausmaß an Anerkennung wahr. Diese Berufsgruppen empfinden zudem die politische Anerkennung als gering und halten ihren Beruf für unterbezahlt.
Zudem zeigt sich, dass berufliche Anerkennung einen positiven Einfluss auf die Compliance mit Infektionsschutzmaßnahmen hat. Institutionenvertrauen erweist sich als wichtigster Mediator dieses Zusammenhangs. Während die unmittelbar erfahrene Anerkennung im direkten Arbeitsumfeld den größten Einfluss auf die Compliance am Arbeitsplatz und damit auf die Mikroebene hat, erweist sich die Anerkennung der Berufsgruppe als relevant für die Akzeptanz von Schließungen öffentlicher Einrichtungen und Einschränkungen sowie die Impfbereitschaft.

Babst, A., Groß, M. und Lang, V. (2023): Occupational recognition during the Covid pandemic: differences among occupational groups and the association with compliance with infection control measures. Zeitschrift Für Sozialreform 69, Nr. 4: 329–57. doi.org/10.1515/zsr-2022-0112

06/2024

Moser, S. J., & Schlechtriemen, T. (2024). ‚Wir durften halt irgendwie nicht suchen‘. Die ‚verlorene Generation’ in der COVID-19-Pandemie. Indes, 11(3), 63-71.

Dem Alltagsverständnis nach hat jene(r), der_die etwas verliert, für gewöhnlich am Ende ‚weniger‘.  Wie aber stehen die Dinge, wenn es sich beim Abhandengekommenen um etwas in der Zukunft Liegendes handelt? Ist es möglich weniger von dem zu haben, was man noch nicht hat? Und was passiert, wenn weder klar ist, was verloren wurde, noch wer eigentlich die Verlierer sind? Diese Fragen sind relevant für die jungen Menschen, die im Kontext der Corona-Pandemie als ‚verlorene Generation‘ bezeichnet wurden. Die Fremdbeschreibung von SchülerInnen und Studierenden als ‚verlorene Generation‘ zirkulierte ab dem Frühjahr 2020 in Medien und politischen Debatten über Schulschließungen und Online-Lehre. Die unzureichende Vermittlung von Lerninhalten könnten Defizite zur Folge haben, die sich auch noch Jahre später als beeinträchtigend erweisen könnten. Implizit folgte diese Fremdbeschreibung der Logik einer arbeitsmarktlichen Verwertbarkeit der zukünftigen Erwachsenen.
Anhand der Analyse von Gruppendiskussionen, die mit Studierenden geführt wurden, möchten wir den Fremdbeschreibungen der jungen Menschen ihre Selbstbeschreibungen entgegenstellen. Ohne Zweifel verloren Jugendliche in der Hochzeit der Pandemie vieles. Jedoch erhält ihr ‚Weniger‘ eine andere Stoßrichtung als jene, die sich hinter dem Label ‚verlorene Generation‘ verbirgt: nicht schlechtere Arbeitsmarktchancen stehen im Mittelpunkt, sondern der Verlust von Sozialkompetenz, deren Auswirkungen sie noch heute spüren. Außerdem fühlen sie trotz der ihren unterstellten digital nativeness eine Digitalmüdigkeit bzw. Analogdurst; Folgen der einjährigen Online-Lehre sowie der temporären Verlegung der Sozialkontakte in den virtual space.

05/2024

Wer sollte die Arbeitszeit reduzieren? Experimentelle Evidenz zur Relevanz der Unterstützung von Teilzeitarbeit durch den Arbeitgeber für Arbeitszeitnormen für Paare mit kleinen Kindern
Marie-Fleur Philipp, Silke Büchau & Pia Schober


Diese experimentelle Studie untersucht, wie eine hypothetische Unterstützung von Teilzeitarbeit durch den Arbeitgeber die Arbeitszeitnormen für Mütter und Väter mit kleinen Kindern in Deutschland beeinflusst. Sie erweitert frühere Studien, indem sie sich auf den Paarkontext konzentriert und beispielsweise die Wechselwirkungen mit dem Verdienstpotenzial jedes Partners untersucht. Die Analyse basiert auf dem Capabilities Approach in Kombination mit einer Perspektive auf Geschlecht als soziale Struktur. Ein faktorielles Befragungsexperiment wurde im Rahmen des deutschen pairfam-Panels durchgeführt. Es wurden lineare und multinomiale logistische Mehrebenenregressionen mit 5.856 Befragten durchgeführt. Eine hypothetische Unterstützung durch den Arbeitgeber erhöht in ähnlicher Weise die Empfehlungen für eine reduzierte Arbeitszeit von Müttern und Vätern und unterstützt Modelle, in denen beide Teilzeit arbeiten. Bei Paaren, die sich gegensätzlichen Anreizen in Form von relativem Einkommen oder Aufstiegschancen und der Unterstützung von Teilzeitarbeit durch den Arbeitgeber gegenübersehen, scheinen die vorherrschenden Geschlechternormen die traditionalisierenden Zwänge zu verstärken und den de-traditionalisierenden Einfluss abzuschwächen. Befragte mit eher egalitären Geschlechtervorstellungen reagieren stärker auf die väterliche Unterstützung durch den Arbeitgeber.
Die Studie wurde Ende 2023 in Social Politics: International Studies in Gender, State & Society veröffentlicht. (https://doi.org/10.1093/sp/jxad034)

04/2024

The Effect of Social Recognition on Support for Climate Change Mitigation Measures
Stephanie Jütersonke und Martin Groß


Die Begrenzung des menschengemachten Klimawandels gehört zu den größten Herausforderungen der Gegenwart. Damit die Konsequenzen der Erderwärmung perspektivisch bewältigt werden können, fordern führende Klimaschutzinstitutionen die schnelle und konsequente Einführung von Klimaschutzmaßnahmen. Deren Umsetzung kann jedoch nur mit Unterstützung der Öffentlichkeit gelingen und ist in der Vergangenheit in mehreren Fällen am Widerstand der Bevölkerung gescheitert. Angesichts der Dringlichkeit des Anliegens sind Einflussfaktoren auf die Unterstützung von Klimaschutzmaßnahmen Gegenstand zahlreicher aktueller Forschungsartikel, die jedoch bislang keine erschöpfende Erklärung dafür bieten konnten, warum Menschen Maßnahmen unterstützen – oder eben nicht. Diese Studie erweitert den Forschungsstand, indem sie mit sozialer Anerkennung einen neuen Erklärungsfaktor vorstellt, der auch den Einfluss bereits etablierter Erklärungsfaktoren für die Unterstützung von Klimaschutzmaßnahmen erklären kann.  Auf Grundlage von Daten aus einem für die deutsche Wohnbevölkerung repräsentativen Online-Survey (n = 3046) wird der Einfluss von Anerkennung für die Zugehörigkeit zu einer Generation und sozialen Schicht auf Einstellungen zu Klimaschutzmaßnahmen untersucht. Dabei wird berücksichtigt, dass der Einfluss von Anerkennung zwischen verschiedenen Generationen und Schichten unterschiedlich sein kann und Bezug auf bereits bekannte Einflussfaktoren genommen. Ergebnisse aus linearen Regressionen und Strukturgleichungsmodellen zeigen, dass der Einfluss sozialer Anerkennung auf die Unterstützung von Klimaschutzmaßnahmen zwischen Generationen variiert und dass die subjektive Einschätzung der eigenen finanziellen Lage, solidarische Einstellungen und das Vertrauen in Institutionen und andere wichtige Mediatoren des Einflusses von Anerkennung darstellen. Die wichtigsten Mechanismen sind die Stärkung von Institutionenvertrauen und solidarischen Einstellungen durch soziale Anerkennung.
Die Studie wurde im Dezember 2023 in Sustainability veröffentlicht: doi.org/10.3390/su152316486

 

 

03/2024

Sebastian J. Moser

"Jeder stribt für sich allein"

Eine Rezension zu „Vie, vieillesse et mort d’une femme du peuple“ von Didier Eribon

12/2023

Day care availability and awareness of gendered economic risks: how they shape work and care norms
Silke Büchau, Marie-Fleur Philipp, Pia S. Schober, C. Katharina Spiess

 

Familienpolitische Maßnahmen stellen nicht nur Geld, Zeit und Infrastruktur für Familien zur Verfügung, sondern vermitteln auch normative Annahmen darüber, was in Bezug auf bezahlte Arbeit und Familienbetreuung als wünschenswert oder akzeptabel angesehen wird. In dieser Studie wird konzeptionell und empirisch untersucht, wie das Priming von Befragten mit kurzen, medienberichtsähnlichen Informationen zu bestehenden Ansprüchen auf Kinderbetreuung und zu den wirtschaftlichen Folgen einer Unterbrechung der Erwerbstätigkeit von Müttern persönliche normative Urteile über elterliche Betreuungsarrangements verändern kann. Darüber hinaus wird untersucht, ob sich diese Effekte zwischen Gruppen von Befragten unterscheiden, von denen angenommen wird, dass sie sich in ihrem Grad der Betroffenheit durch die Informationen sowie in ihrem Vorwissen unterscheiden. Der theoretische Rahmen basiert auf dem Konzept der normativen politischen Rückkopplungseffekte (Soroka und Wlezien, 2010; Gangl und Ziefle, 2015) in Kombination mit der Theorie sozialer Normen (Bicchieri, 2017) und Theorien zur menschlichen Kognition (Evans und Stanovich, 2013). Die Studie basiert auf einem vollständig randomisierten Umfrageexperiment kombiniert mit einem Vignettenexperiment in Welle 12 des deutschen Familienpanels (pairfam). Sie wendet lineare und ordinale logistische Regressionen mit cluster-robusten Standardfehlern auf eine Stichprobe von 5.783 Befragten an. Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Information der Befragten über die Kinderbetreuungspolitik und die langfristigen wirtschaftlichen Risiken einer Unterbrechung der Erwerbstätigkeit von Müttern die Akzeptanz der intensiven Nutzung von Kinderbetreuung in der gesamten Stichprobe und insbesondere bei Müttern mit Kindern unter dem Einschulungsalter erhöht. Bei kinderlosen Frauen und Müttern mit Kindern im Schulalter steigt die Zustimmung zu einer längeren Erwerbstätigkeit der Mütter. Die Normen in Bezug auf die Arbeitszeiten der Väter werden durch die Informationen in diesem Umfrageexperiment weitgehend nicht beeinflusst.
Die Studie wird demnächst online im Journal of European Social Policy veröffentlicht.

10/2023

Tübinger Global Urbanities Research Netzwerk (G-TURN)  
 
Seit 2022 haben sich mehrere Forscher am Institut für Soziologie und an der gesamten Universität Tübingen zusammengeschlossen, um eine thematische Forschungsgruppe zu bilden, in der sie ihre Arbeit zum sozialen Wandel in Städten weltweit diskutieren. Im Jahr 2023 wurde dies als Global-Tübingen Urbanities Research Network (G-Turn) formalisiert.
G-Turn entsteht zu einem Zeitpunkt, an dem das Interesse an der Dynamik des städtischen Lebens in den Sozialwissenschaften stark zunimmt. Bislang wurde die Stadtforschung meist durch regionale Schwerpunkte kanalisiert und geprägt (z. B. auf Städte in einem Land oder auf (einem Teil) eines Kontinents (Nordafrika, Ostasien, Westeuropa ...). Trotz jahrzehntelanger Forderungen nach einem stärker interdisziplinären Ansatz zur Erforschung komplexer sozialer Objekte wie Städte bleiben die Stadtstudien in der Regel auf bestimmte Fachgebiete beschränkt. Dies kann das Potenzial für eine breit angelegte Theoriebildung zum städtischen Wandel über den sozialen Raum und die Zeit hinweg einschränken. G-Turn steht für unsere Bemühungen, die geografischen und disziplinären Grenzen zu überwinden.  


Globalisierung und Ausweitung der Stadtforschung
Das wachsende G-Turn-Netzwerk umfasst nun Forscher, die urbane Erfahrungen in und auf der ganzen Welt untersuchen (Großbritannien, Chile, Frankreich, Deutschland, Indien, Marokko, Südafrika, Südkorea...) und aus allen Sozialwissenschaften kommen (momentan aus der Anthropologie, Ethnologie, Geographie, Geschichte, Literatur, Soziologie, Stadtforschung...).  
Durch eine jährliche öffentliche Vortragsreihe bietet G-Turn einen Raum für Stadtforscher, um empirische Feldforschung in einer vergleichenden Perspektive auszutauschen, mit dem Ziel, sich verändernde Ordnungen des städtischen Lebens herauszuarbeiten und Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen den verschiedenen Studien zu identifizieren. Der interdisziplinäre Rahmen fördert die kritische Bewertung verschiedener methodischer Instrumente zum Verständnis und zur Erklärung des städtischen Lebens (Ethnographie, Lebensgeschichten, Fotos, Film...). Parallel dazu werden Workshops für die Mitglieder des Netzwerks organisiert, um sich mit kritischen urbanen Studien, relationalem Komparativismus und dem Dialog mit Konzepten aus post-sozialistischen/post-kolonialen/de-kolonialen Studien auseinanderzusetzen.  
Kurz gesagt, G-Turn spiegelt das Ziel wider, ein urbanes Forschungszentrum in Tübingen zu schaffen, das zur zeitgenössischen Re-Dynamik der kritischen Stadtforschung beiträgt.  


Vortragsreihe 2022-2023 - Urbanität in globaler Perspektive
Im ersten Jahr des im Entstehen begriffenen Netzes wurde eine Vortragsreihe organisiert, in der Wissenschaftler, die sich mit Städten in Südkorea (Seoul, Yewon Lee), Südamerika und Südafrika (Johannesburg - Richard Ballard; Chile, Johannesburg - Manuel Dietrich, Damian Omar Martinez und Boris Nieswand; Lateinamerika, Javier Ruiz-Tagle), Indien (Delhi - Bani Gill) und Frankreich (Marseille - Claire Bullen) befassen, empirische Ergebnisse und allgemeinere Überlegungen zur Urbanität austauschten. Der Fokus auf Urbanität (im Gegensatz zu Urbanisierung) spiegelt das Interesse der Mitglieder an sozialen Interaktionen wider - und insbesondere an moralischen Gemeinschaften und moralischen Werten. Die städtische Erfahrung wurde sehr breit interpretiert, wobei die sich verändernden sozialräumlichen sozialen Beziehungen und die sich wandelnden und umstrittenen materiellen, rechtlichen, räumlichen und symbolischen Strukturen, in denen diese Beziehungen stattfinden, erfasst wurden.


Vortragsreihe 2023-2024 - Urbanität in globaler Perspektive: Krisen, Wandel und Kontinuität
Die zweite Vortragssreihe setzt den Fokus auf Urbanität fort, spiegelt aber die zeitgenössische Sorge über das Zusammentreffen mehrerer "Krisen" wider. Die Referenten wurden eingeladen, sich mit der Komplexität globaler urbaner Transformation(en), dem Wechselspiel zwischen Wandel und Kontinuität und den verschiedenen Arten und Weisen zu befassen, in denen "das Urbane" über verschiedene zeitliche, räumliche und ideologische Rahmen hinweg mit "Krisen" in Verbindung gebracht wird. Nach Beiträgen über Lebensmittelbanken und Armut in deutschen Städten (Timo Sedelmeier) und urbane Kämpfe und Lebenswelten in Brasilien (Hermílio Santos) stehen weitere Vorträge auf dem Programm:  
 
•    Theresa Jäckh, 'Urbanität im mittelalterlichen Mittelmeerraum. The Case of Muslim Palermo" (Donnerstag, 2. November 2023, 16-18 Uhr, Großer Übungsraum 101, Hegelbau)
•    Polina Manolova, Die Produktivität der städtischen 'Nicht-Orte'. Arbeitsmigration und Widerstand in Marxloh, Deutschland (Donnerstag, 30. November 2023, 16-18 Uhr, Großer Übungsraum 101, Hegelbau).
 
Alle sind herzlich eingeladen, an den öffentlichen Vorträgen mit anschließendem Umtrunk und Fragerunde teilzunehmen.  
Weitere Informationen finden Sie auf der G-Turn-Website  
Wenn Sie an einer Mitgliedschaft im Netzwerk interessiert sind, senden Sie bitte eine E-Mail an claire.bullen@uni-tuebingen.de oder bani.gill@uni-tuebingen.de.

09/2023

Eine Zeit großen Wandels: Wie Eltern, Freunde und Klassenkameraden die Einstellung Jugendlicher zur geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung prägen

Laia Sánchez Guerrero, Pia S. Schober & Maaike van der Vleuten

Eltern spielen eine entscheidende Rolle bei der Bildung der Einstellungen ihrer Kinder zur geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung. Es ist jedoch nur wenig darüber bekannt, inwieweit der Einfluss der Eltern auf die Einstellungen ihrer Kinder während der Adoleszenz zugunsten der Gleichaltrigen abnimmt. In dieser Studie wird untersucht, wie die geschlechtsspezifischen Überzeugungen von Eltern, Freunden und Klassenkameraden die Einstellungen von Jugendlichen zur geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung in Schweden, Deutschland, England und den Niederlanden beeinflussen. Sie erweitert frühere Forschungsarbeiten, die vorwiegend die Eltern-Kind-Übertragung untersucht haben. Die Analyse stützt sich auf 4645 Kinder (bei Welle 1: Mage = 14,9, SDage = 0,67, Frauen = 50%) aus einer Längsschnittstudie über Kinder von Einwanderern in vier europäischen Ländern. Regressionsanalysen der Veränderungen in den Einstellungen innerhalb einer Person zeigen, dass Jugendliche im Alter von 15 bis 16 Jahren im Durchschnitt egalitärer werden und ihre eigenen Überzeugungen deutlich an die ihrer Eltern, Freunde und Klassenkameraden anpassen. Bei gegensätzlichen Überzeugungen neigten die Jugendlichen dazu, sich stärker denjenigen anzupassen, die egalitärere Ansichten vertraten, was möglicherweise mit den weiter verbreiteten Normen des Egalitarismus zusammenhängt. Die Ergebnisse zeigen eine große Ähnlichkeit der Anpassungsprozesse in den verschiedenen Ländern und unterstützen eine vielschichtige Konzeptualisierung von Geschlecht als soziale Struktur, die Geschlechterideologien prägt. Die Studie wurde im Juli 2023 bei Journal of Youth and Adolescence publiziert:
A Time of Great Change: How Parents, Friends, and Classmates Shape Adolescents’ Attitudes towards the Gender Division of Labor | SpringerLink

08/2023

"Geschlechtstypische Berufswünsche von Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund: Die Rolle von Geschlechterideologien, Bildungsspirationen und berufsbezogenen Wertvorstellungen"

Ludovica Gambaro, Janna Wilhelm und Pia S. Schober

Die geschlechtstypische Berufswahl von Jugendlichen trägt zur beruflichen Segregation und so zur Aufrechterhaltung von Geschlechterungleichheiten bei. Aus soziologischer und psychologischer Perspektive entwickeln Jugendliche Berufswünsche basierend auf ihren geschlechtsspezifischen Überzeugungen und arbeitsbezogenen Werten. Bisher haben aber nur wenige Studien den Einfluss dieser Wertorientierungen auf geschlechtstypische Berufswünsche untersucht. Auch gibt es wenige Erkenntnisse über geschlechtstypische Berufswünsche von Schüler:innen mit Migrationshintergrund im Vergleich zu denen der Mehrheitsschüler:innen – obwohl diese einen immer größeren Anteil ausmachen. Unsere Studie betrachtet deshalb die Unterschiede in den geschlechtstypischen Berufswünschen von Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund im Alter von etwa 16 Jahren. Außerdem wurde untersucht, wie geschlechtstypische Berufswünsche der verschiedenen Gruppen mit verschiedenen Wertorientierungen zusammenhängen: Geschlechterideologien, Bildungsambitionen und berufsbezogene Wertvorstellungen, speziell der Wichtigkeit ein hohes Einkommen zu haben, anderen zu helfen und Probleme zu lösen. Die Analyse stützt sich auf eine repräsentative Erhebung in England, Deutschland, den Niederlanden und Schweden mit 8.574 Jugendlichen, darunter 1.510 Mädchen und 1.336 Jungen mit Migrationshintergrund. Mittels multinomialer logistischer Regressionen wurde der Zusammenhang mit Berufswünschen geschätzt, die auf Grundlage des Frauenanteils als maskulin, integriert, feminin oder ultrafeminin eingestuft wurden. Die Ergebnisse zeigen, dass Jungen und Mädchen mit Migrationshintergrund weniger geschlechtstypische Berufe anstreben als ihre Altersgenossen der Mehrheitsbevölkerung. Bei Mädchen wären diese Unterschiede noch größer, wenn sie nicht durch die traditionelleren Geschlechterideologien von Mädchen mit Migrationshintergrund reduziert würden. Was die Mediatoren betrifft, so deuten unsere Ergebnisse darauf hin, dass ehrgeizigere Bildungsaspirationen diese Unterschiede teilweise erklären können. Die Studie wurde im Juni 2023 bei Frontiers of Sociology veröffentlicht: doi.org/10.3389/fsoc.2023.1161131.

 

06/2023

Zusammen mit Annerose Böhrer (FAU Erlangen) und Heta Tarkkala (Univerity of Helsinki) hat Marie-Kristin Döbler den Artikel „Facemasks, material and metaphors“ in The Sociological Review veröffentlicht. Das Besondere an dieser Publikation ist das Zusammenspiel aus Texten und Bildern. Anhand von drei illustrierten „Maskengeschichten“ erklären die Autorinnen und die Künstlerin Susi Vetter (https://www.instagram.com/susivetter/), wie Geschichten dazu beitragen, mit Krisen umzugehen, Sinn zu stiften bzw. ganz allgemein Erfahrungen zu verarbeiten: Was und wie wir über das (Nicht-)Tragen von Masken, ihre Qualität, Wirksamkeit erzählen, wie wir darüber diskutieren, wer sie wann warum trägt, wer sie geschenkt bekommt und wer sie bezahlen muss, etc. ist wichtiger Teil unserer persönlichen, sozialen und kulturellen Ver- und Aufarbeitung der Pandemie.
Das Projekt wurde von der Dr. Hans Riegel-Stiftung unterstützt."
Der Artikel ist online Open Access verfügbar https://journals.sagepub.com/doi/full/10.1177/00380261231161970.

 

Weiterführende Informationen zum Masken-Projekt finden Sie hier: www.soziologie.phil.fau.de/faces-of-masking/

Zusätzlich entsteht aktuell, ebenfalls in Kooperation mit der Illustratorin, ein digitaler (Wissenschafts-)Comic (https://www.stadt-null.de/ bzw. www.soziologie.phil.fau.de/fruehling-in-stadt-0-ein-partizipativer-wissenschaftscomic/)

05/2023

Von Erfahrungen zu Zahlen: Zur Herstellung von internationalen Statistiken zu Behinderung

Hannah Bennani (2023): From experiences to numbers: the production
of international disability statistics, Disability & Society, DOI: 10.1080/09687599.2022.2162859

Der Ruf nach international vergleichbaren Daten ist in dem aktuellen Diskurs zu Behinderung allgegenwärtig. Die „Washington Group Short Census Questions“ (WGSQ) stehen für einen besonders einflussreichen Versuch, einen standardisierten Ansatz zur Herstellung von Statistiken zum Thema Behinderung zu verankern. Wie „misst“ der Fragebogen „Behinderung“? Wie übersetzen Statistiken zu Behinderung die Vielfalt gelebter Erfahrungen in „objektive“ Zahlen? Aus der Perspektive von Quantifizierungssoziologie und disability studies fokussiert dieser Beitrag die sozialen Praktiken der Herstellung von Statistiken, die zur Herstellung der sozialen Differenzkategorie „Behinderung“ beitragen. Nach einer Kontextualisierung des Begriffs "Behinderung" in den Diskursen internationaler Organisationen werden mittels Dokumentenanalyse die Empfehlungen statistischer Experten
zur Definition, Operationalisierung, Datenerhebung und -verarbeitung rekonstruiert. Die Analyse zeigt, wie binäre kategoriale Grenzen in diesem Prozess (wieder) eingeführt und sukzessive objektiviert werden. Sie legt den den WGSQ zugrundeliegenden risikobasierten Ansatz offen, der von einem sozialen Modell von Behinderung abweicht.

Zentrale Ergebnisse
• Internationale Organisationen wie die Vereinten Nationen verwenden Statistiken, um aufzuzeigen, dass Menschen mit Behinderungen nicht die gleichen Möglichkeiten haben wie andere.
• Oft scheint es so, als bildeten Statistiken Wirklichkeit einfach ab. Der Artikel hingegen zeigt, dass die Herstellung von Statistiken auf vielfältigen Diskussionen, Entscheidungen und Handlungen aufruht.
• Der Beitrag nimmt genauer einen Fragebogen in den Blick, der von internationalen Expert*innen entwickelt wurde. Er schaut, wie Menschen als „Person mit Behinderung” oder „Person ohne Behinderung“ klassifiziert werden.
• Heute stimmen viele Personen und Organisationen darin überein, dass gesellschaftliche Barrieren sind, die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Einschränkungen behindern. Dennoch bildet der Fragebogen diese soziale Dimension nicht ab.
• Die Forschung ist relevant, weil sie zeigt, dass Statistiken nicht neutral sind und einen Einfluss auf die Leben von behinderten Menschen haben.

03/2023

Marie-Fleur Philipp, Silke Büchau, Pia S. Schober, C. Katharina Spieß

Elternzeitpolitik, Konsequenzen der Inanspruchnahme und Veränderungen in Einstellungen: Evidenz eines Umfrageexperiments

Diese Studie bietet eine theoretische Konzeptualisierung und neue empirische Evidenz zu normativen Einflüssen von Familienpolitiken, indem untersucht wird, wie Priming mit Elternzeitpolitik bezogenen Informationen normative Überzeugungen bezüglich der Aufteilung der Elternzeit in Deutschland verändern kann. Zu diesem Zweck wurde ein Umfrageexperiment in zwei Wellen des repräsentativen GESIS Panels in 2019 und 2020 implementiert. Die Befragten erhielten einen von drei kurzen evidenzbasierten Informationsprimern über 1) die langfristigen Einkommensrisiken von mütterlichen Erwerbsunterbrechungen, 2) die nicht-signifikanten Lohneinbuße von Vätern oder 3) die zunehmende Inanspruchnahme von Elternzeit durch Vätern in Deutschland oder wurden der Kontrollgruppe zugeordnet, die keine weiteren Informationen erhalten hat. Im Anschluss haben die Befragten die Aufteilung der Elternzeit in vier hypothetischen Paaren bewertet. Die Daten wurden mithilfe von OLS-Regressionen mit einer zeitverzögerten abhängigen Variable basierend auf einer Stichprobe von 5.362 Vignetten und 1.548 Befragten analysiert. Bemerkenswerterweise hängen die Effekte von allen drei Priming-Konditionen signifikant von der Einkommenskonstellation in den hypothetischen Paaren ab. Unsere Ergebnisse zeigen darüber hinaus stärkere Priming-Effekte, wenn die Befragten Informationen zu Einkommensrisiken erhalten haben im Vergleich zu Informationen zu der steigenden Inanspruchnahme durch Väter. Kinderlose Befragte haben ihre normativen Urteile der Elternzeitaufteilung nach dem Priming stärker verändert als Eltern.

 

02/2023

Bennani, Hannah (2022): Behinderung klassifizieren. Zur Kontingenz und Normativität von Körperbewertungen in der International Classification of Functioning, Disability and Health.

Österreichische Zeitschrift für Soziologie (2022) 47:247–268.

Behinderung klassifizieren. Zur Kontingenz und Normativität von Körperbewertungen in der International Classification of Functioning, Disability and Health


Der Beitrag adressiert Körperbewertungen am Beispiel der Klassifizierung von „Behinderung“. In seinem Zentrum steht die International Classification of Functioning, Disability and Health (ICF), die die Weltgesundheitsorganisation 2001 veröffentlichte. Eine Besonderheit der Klassifikation besteht darin, dass sie von einem bio-psycho-sozialen Modell von Behinderung ausgeht. Dieses verortet Behinderung nicht nur in körperlichen Schädigungen, sondern auch in deren Interaktion mit gesellschaftlichen Barrieren. Während die Klassifikation meist aus anwendungsbezogener Perspektive adressiert wird, interpretiere ich die ICF als Artefakt, das „Behinderung“ nicht nur messbar macht, sondern als soziales Phänomen (mit)hervorbringt: Die Klassifikation etabliert eine kontingente Bewertungsordnung, über die Bewertungskriterien differenziert, Bewertungsobjekte konstituiert und Bewertungsregeln definiert werden. Der Beitrag rekonstruiert diese Bewertungsordnung auf der Grundlage von inhalts- und sequenzanalytischen Verfahren in zwei Schritten. In einem ersten Schritt fokusssiert er die kategoriale Ordnung der ICF. Mithilfe der Detailanalyse ausgewählter Kategorien und Komponenten legt er die Kontingenz und Normativität der kategorialen Ordnung offen. Er zeigt, wie über Auswahl, Anordnung und Definition „Körper“ als unterscheidbare Bewertungsobjekte konstituiert und Erwartungen an „Körper“, „Gesellschaftsmitglieder“ und „Gesellschaften“ transportiert werden. In einem zweiten Schritt arbeitet der Beitrag am Beispiel einer ICF-basierten, standardisierten Dokumentationshilfe heraus, wie über Bewertungsoperationen verkörperte Un/Fähigkeiten als soziale Tatsachen hergestellt werden. Der Beitrag kombiniert Klassifikations- und Bewertungssoziologie mit disability studies und gibt Einblicke in soziale Praktiken der Klassifikation von Behinderung.
Schlüsselwörter Bewertungssoziologie · Körper · Behinderung · Klassifikation · International Classification of Functioning, Disability and Health

12/2022

Das Lehrforschungsprojekt "Umgang mit Stigmatisierung und Missachtungserfahrungen" auf dem Kongress der Deutschen Gesellschaft für Soziologie 2022

Diskriminierung wird in unserer Gesellschaft als illegitime Form der Ungleichbehandlung empfunden und wir empören uns gerne, wenn wir von einer solchen erfahren. Es scheint dabei ganz klar zu sein, wann es sich um eine Diskriminierung handelt: Wenn eine Person aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Personenkategorie benachteiligt wird. Doch ist es tatsächlich immer so eindeutig, wann eine Diskriminierung vorliegt? Wie kommen Personen überhaupt zu der Einschätzung, dass eine erlebte Ungleichbehandlung mit einer (oder einer Verschränkung mehrerer) ihnen zugeschriebenen Personenkategorie(n) zusammenhängt und es sich somit um eine Diskriminierung und nicht um eine „legitime“ Andersbehandlung (z.B. aufgrund unterschiedlicher Leistung) handelt?
Unter anderem mit dieser Frage beschäftigen wir uns in unserem aktuell laufenden Lehrforschungsprojekt (LfP), das Teil der Masterstudiengänge „Soziologie: Diversität und Gesellschaft“ und „Soziologie mit Schwerpunkt empirischer Sozialforschung“ ist. Das von Prof. Dr. Marion Müller und Dr. Sebastian Moser geleitete LfP (Titel: „Umgang mit Stigmatisierung und Missachtungserfahrungen“) läuft seit dem Wintersemester 2021/22. Auf Basis qualitativer Interviews und Gruppendiskussionen beschäftigen sich vier einzelne Forschungsgruppen innerhalb des LfP mit den Diskriminierungserfahrungen von transgeschlechtlichen Personen, Hausmännern, Frauen sowie mit der Arbeit von Antidiskriminierungsstellen.
Auf dem diesjährigen Kongress der Deutschen Gesellschaft für Soziologie bekamen wir in der Sektionsveranstaltung „Teilhabe marginalisierter Gruppen in polarisierten Gesellschaften“ die Möglichkeit, erste Ergebnisse des LfP vorzustellen. Unter dem Thema „Mikrosoziologische Analysen migrantischer Marginalisierungs- und Diskriminierungserfahrungen“ stellten wir gemeinsam mit unseren Dozierenden Ausschnitte aus unseren bisher geführten Interviews und erste Interpretationen vor. In der daran anschließenden Diskussion bekamen wir von den Zuhörer*innen hilfreiche Anregungen und Rückmeldungen dazu. Dabei empfanden wir es als sehr motivierend, dass wir - obwohl es sich bei unserer Forschung „nur“ um ein Lehrforschungsprojekt handelt - die Möglichkeit hatten, eigene Forschungsergebnisse vor interessiertem Publikum zu präsentieren und mit anderen Wissenschaftler*innen auf Augenhöhe zu diskutieren.
Auch über die Vorstellung unseres Projekts hinaus, war der Besuch des DGS-Kongresses für uns eine bereichernde Erfahrung, die die Breite des Faches Soziologie erfahrbar machte. In unterschiedlichen Ad-Hoc-Gruppen, Sektionsveranstaltungen und Vorlesungen durften wir spannende Einblicke in diverse Forschungsprojekte und aktuelle theoretische Debatten erhalten, z.B. zu Themen wie Männlichkeit und Körperlichkeit, Wohnungslosigkeit und Klimawandel. Dabei konnten wir unter anderem Vorträge von bekannten Soziolog*innen aus ganz Deutschland hören, deren Namen man sonst nur aus der Seminarliteratur kennt.
Für uns alle war die Teilnahme an dem Kongress und die Vorstellung eigener (vorläufiger) Forschungsergebnisse eine spannende Erfahrung und wir würden allen wissenschaftlich interessierten Studierenden empfehlen, eine solche Möglichkeit wahrzunehmen.

Elena Erstling, Christina Lim, Karin Shima, Alicia Protze

11/2022

Hillmert, S., Kopecny, S., Reimer, M. (2022). Qualität des Hochschulstudiums: Messkonzepte und Datenquellen im Vergleich. In: Brandt, G., de Vogel, S. (Hg.) Survey-Methoden in der Hochschulforschung . Higher Education Research and Science Studies. Springer VS, Wiesbaden.
DOI: doi.org/10.1007/978-3-658-36921-7_9

Merkmale der akademischen Studienqualität werden in unterschiedlicher Art und Weise und für verschiedene Zwecke empirisch erhoben. Oft werden individuelle Bewertungen aus Befragungen aggregiert und als Merkmale zur Charakterisierung von Studiengängen oder anderen institutionellen Einheiten bis hin zu ganzen Hochschulen verwendet. Unser Beitrag widmet sich der Frage, ob, wie und mit welchen Konsequenzen solche Aggregationen vorgenommen werden können und inwieweit aggregierte Informationen aus anderen Datenquellen die vorhandenen Befragungsdaten ergänzen können. Hierzu werden Bewertungen von zwei zentralen Aspekten der Studienqualität – Qualität der Betreuung und Studienorganisation – sowie die Studienzufriedenheit aus einer Absolvent*innenstudie (BAP) und einem Hochschulranking (CHE) über dieselben Organisationseinheiten einander gegenübergestellt. Zusätzlich werden Informationen aus der amtlichen Hochschulstatistik einbezogen. Analysiert werden die Objektivität individueller Angaben, die Variation der Bewertungen innerhalb institutioneller Kontexte und zwischen ihnen, die direkte Übereinstimmung zwischen unterschiedlichen Datenquellen sowie die Konsistenz von weiteren Ergebnissen, welche auf diesen beruhen. Die Analysen zeigen u. a., dass Individualangaben trotz beträchtlicher Variation verlässliche Mittelwertschätzungen erlauben und die verfügbare Varianz von Kontextmerkmalen stark vom Aggregationsniveau abhängt. Das Ausmaß der Übereinstimmung zwischen Datenquellen wird dabei maßgeblich vom jeweiligen Datentyp bestimmt. Wir diskutieren Implikationen für die gängige Praxis des Umgangs mit derartigen Daten.

Den Volltext finden Sie hier
link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-658-36921-7_9

 

10/2022

Mit Traditionen brechen?
Der Einfluss elterlicher Trennung auf die Geschlechterideologien von Jugendlichen in Großbritannien

Marie-Fleur Philipp, Ludovica Gambaro and Pia S. Schober

Vor dem Hintergrund einer zunehmenden Deinstitutionalisierung von Familien prüft unsere Studie, ob elterliche Trennung oder Scheidung den Wandel zu egalitäreren Geschlechterideologien von Kindern fördert und damit zur „Genderevolution“ beiträgt.  Ausgehend von einem konzeptuellen Rahmen, der Gender als soziale Struktur versteht und mit sozialen Mechanismen auf Basis der sozial-kognitiven Theorie der Geschlechtsentwicklung integriert, beleuchten wir, ob ein potentieller Einstellungseffekt der elterlichen Trennung auf die Restrukturierung der elterlichen Aufteilung der Erwerbs- und Familienarbeit nach der Trennung zurückzuführen ist. Obwohl Trennung und Scheidung zunehmend verbreitete Erfahrungen im Leben von Kindern sind, hat sich die bisherige Forschung zu Gendersozialisation zumeist auf biologische Zweielternfamilien konzentriert. Die wenigen Befunde zu Unterschieden in Geschlechterideologien von Kindern zwischen Familienformen, die es bisher gibt, beziehen sich zumeist auf Querschnittsdaten aus den USA.
Auf Basis von Längschnittsdaten der UK Millennium Cohort Study, analysieren wir unter Verwendung von Panelregressionsmodellen mit Fixen Effekten die Wirkung von elterlichen Trennungsereignissen auf die Veränderung der Geschlechterideologien von 6,577 Jugendlichen im Alter von 11 bis 14 Jahren. Unsere Ergebnisse zeigen, dass männliche Jugendliche nach einer elterlichen Trennung signifikante Veränderungen hin zu egalitäreren Geschlechterideologien berichten. Für weibliche Jugendliche findet sich dieser Effekt nicht. In Übereinstimmung mit dem Restrukturierungsargument deuten weitere Analyse darauf hin, dass die Einstellungsänderungen bei männlichen Jugendlichen vor allem in Trennungsfamilien zu finden ist, in denen die Söhne sehr häufigen Kontakt mit den Vätern haben und in denen die Väter vor der Trennung selten die alleinige Verantwortung für die Kinderbetreuung hatten.  

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06/2022

Gute Hilfe - Schlechte Hilfe? Normative Ordnungen im Kontext der Geflüchtetenhilfe

von Mona Haddada und Karlotta Otto im Rahmen des Lehrforschungsprojektes "Diversität und Migration in der Stadt. 5 Years after" unter der Leitung von Prof. Dr. Boris Nieswand

 

Professionelle Dienstleistung, zivilgesellschaftliches Engagement oder Systemkritik? Spätestens seit der Migrationsbewegungen in dem Sommer 2015 hat sich die Geflüchtetenhilfe in Deutschland ausdifferenziert und professionalisiert. Was als „gute oder schlechte Hilfe“ gilt befindet sich dabei in einem ständigen Aushandlungsprozess und geht oftmals mit moralischen Bewertungen einher. In einem dreisemestrigen, ethnografischen Lehrforschungsprojekt unter der Leitung von Prof. Dr. Boris Nieswand rekonstruierten wir die normativen Ordnungen, auf die in der Geflüchtetenhilfe in der Bewertung von Hilfe zurückgegriffen werden. In einer Mittelstadt in Baden-Württemberg führten wir teilnehmende Beobachtungen durch und ca. 40 leitfadengestützte Interviews mit Akteur*innen der lokalen Geflüchtetenhilfe – sowohl mit als auch ohne Fluchterfahrung. Dabei galt unser besonderes Augenmerk lokalen Wohnprojekten. Im Anschluss an Rainer Forst und Luc Boltanski arbeiteten wir anhand der der Problembeschreibungen unserer Gesprächspartner:innen drei normative Ordnungen heraus: (1) Integrationismus, (2) Humanitarismus und (3) Repräsentationskritik. Diese zeigten sich jeweils dominant in drei miteinander verbundenen institutionalisierten Bereichen der Geflüchtetenhilfe, die wir in (a) professionelle Hilfe, (b) zivilgesellschaftliches Engagement und (c) Aktivismus aufteilen. Anhand der Interviews wird deutlich, wie diese normativen Ordnungen das Feld der Geflüchtetenhilfe prägen, wie sie mit einander konkurrieren, gegeneinander ausgespielt oder in Einklang gebracht werden.

05/2022

Steffen Hillmert, Viktoria Bauer, Sarah Engelhardt, Lisa Köstlmeier und Viktoria Werner:

Zur Legitimität gruppenspezifischer Förderung beim Hochschulzugang – Ergebnisse einer experimentellen Vignettenstudie

Der Aufsatz ist im Rahmen eines vor kurzem abgeschlossenen empirischen Lehrforschungsprojekts an unserem Institut entstanden, das sich mit Fragen von Bildung und Gerechtigkeit beschäftigt hat. Im vorliegenden Surveyexperiment sollten die Befragten über mögliche Verfahrensanpassungen beim Studienzugang entscheiden, etwa ob Studienbewerber*innen beispielsweise aufgrund ihres Migrationshintergrunds, ihrer sozialen Herkunft oder Anstrengung jeweils einen Bonus oder Malus auf die Zulassungsnote angerechnet bekommen sollen. Die Ergebnisse zeigen, dass klassische Dimensionen sozialer Bildungsungleichheit tendenziell in Richtung einer Kompensation berücksichtigt werden. Damit gibt es Hinweise auf eine gewisse Legitimität von Maßnahmen im Sinne positiver Diskriminierung beim Hochschulzugang.

Hillmert, Steffen, Bauer, Viktoria, Engelhardt, Sarah, Köstlmeier, Lisa & Werner, Viktoria (2022): Zur Legitimität gruppenspezifischer Förderung beim Hochschulzugang – Ergebnisse einer experimentellen Vignettenstudie. Schweizerische Zeitschrift für Soziologie, 48 (1): 107-135.

Volltext unter: www.doi.org/10.2478/sjs-2022-0006

03/2022

Kopecny, Silvia & Hillmert, Steffen (2021): Place of study, field of study and labour-market region: What matters for wage differences among higher-education graduates?. Journal for Labour Market Research (2021) 55:19.


In dieser Studie haben wir uns mit den Arbeitsmarkterträgen von HochschulabsolvenInnen beschäftigt. Dabei standen die Struktur und das Ausmaß von Lohnunterschieden zwischen AbsolventInnen unterschiedlicher Hochschulen in Deutschland im Fokus. Im vorliegenden Artikel fragen wir, wie groß diese Unterschiede sind und in welchem Verhältnis sie zum Studienfach und zu regionalen Arbeitsmärkten stehen. Auf Basis einer Kohorte des Absolventenpanels des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) zeigen die Ergebnisse von kreuzklassifizierten random effects Modellen ein erhebliches Maß an Lohnvariation in Abhängigkeit der Alma Mater. Allerdings lässt sich diese Variation vollständig durch strukturelle Merkmale erklären: Selektionseffekten von individuellen Merkmalen (z.B. der vorausgegangenen Schulleistung) kommt dabei nur geringe Relevanz zu, während regionale Arbeitsmärkte durchaus von Bedeutung sind. Insbesondere aber stehen die Lohnunterschiede mit Studienfächern in Verbindung.

Den Volltext finden Sie hier / Find the full article here

DOI: 10.1186/s12651-021-00301-4

02/2022

Goldacker Kristina, Wilhelm Janna, Wirag Susanne, Dahl Pia, Riotte Tanja & Prof. Schober Pia: „Geteilte Elternzeit, glücklichere Elternpaare? Elternzeit und Beziehungszufriedenheit in Deutschland“ (erschienen im Januar 2022 in Journal of European Social Policy)


Im Rahmen des Lehrforschungsprojekts im Masterstudium haben wir zusammen mit Prof. Pia Schober untersucht, wie sich Veränderungen in der Elterngeldpolitik sowie die Inanspruchnahme von Elternzeit auf die Beziehungszufriedenheit heterosexueller Paare auswirken. Der Fokus lag dabei auf Deutschland als Land mit einer Geschichte familialistischer Politik und langer Elternzeit, das vor Kurzem einen bedeutenden Politikwechsel vollzogen hat. Die daraus entstandene Studie leistet einen wichtigen Beitrag zur bisherigen Forschung, indem sie die Auswirkungen der Dauer der Elternzeit von Müttern und Vätern auf die Beziehungszufriedenheit beider Partner untersucht und dabei zwischen der Dauer der alleinigen, der gemeinsamen und der gesamten Elternzeit unterscheiden. Auf Basis von Daten des deutschen Beziehungs- und Familienpanels (pairfam) wurden zwei verschiedene methodische Ansätze verfolgt. Zuerst wurden Fixed-Effects-Regressionsmodelle (n = 1046 Paare) gerechnet, um die Auswirkungen der Elternzeitdauer auf die Beziehungszufriedenheit von Müttern und Vätern in den ersten Lebensjahren des Kindes zu untersuchen. Dann wurden anhand exogener Variationen infolge der Elterngeldreform 2007 – die die bezahlte Elternzeit für Mütter verkürzte und Anreize für die Inanspruchnahme von Elternzeit durch Väter schuf – Difference-in-Differences-Analysen (n = 1403 Paare) durchgeführt, um die Auswirkungen der Reform auf die Beziehungszufriedenheit von Eltern mit dreijährigen Kindern zu untersuchen. Die Fixed-Effects-Modelle zeigen eine durchgängig negative Auswirkung der Elternzeitdauer der Mutter, insbesondere der allein genommenen Elternzeit, auf die Beziehungszufriedenheit sowohl der Mütter als auch der Väter. Es wurden keine signifikanten Auswirkungen der Dauer der väterlichen Elternzeit festgestellt. Der Difference-in-Differences-Ansatz ergab einen positiven Reformeffekt auf die Beziehungszufriedenheit der Mütter. Zusammengenommen deuten diese Ergebnisse darauf hin, dass die Verkürzung der mütterlichen Elternzeit im Rahmen der Reform einen größeren Einfluss auf die Beziehungsqualität von Paaren hatte als die relativ kurze Elternzeit, die die meisten Väter seit der Einführung des individuellen Elternzeitanspruchs nehmen.

Babst Axel, Gehrig Franziska, Prof. Dr. Groß Martin, Hofmann Elias, Dr. Lang Volker & Schuler Gabriel: Weitere Befunde aus dem BMAS-FIS-Projekt „Corona-Krise und berufliche Anerkennung“

 

Seit Pandemiebeginn ist die öffentliche Akzeptanz der staatlich geregelten Infektionsschutzmaßnahmen, die teilweise tief in den Alltag und das soziale Leben eingreifen, wichtige Basis zum Gelingen der Pandemiebekämpfung. Mit dem Ziel, eine hohe Anzahl an Infektionen und daraus resultierende schwere oder gar tödliche Krankheitsverläufe und eine Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern, wurden erstmals seit Bestehen der Bundesrepublik weitreichende Einschränkungen des öffentlichen Lebens und der individuellen Freiheiten umgesetzt.

Vor dem Hintergrund der Ausbreitung der hochansteckenden Omikron-Variante hat die Diskussion um politische Interventionen zur Vermeidung von Kontakten und Erhöhung der Impfbereitschaft ein weiteres Mal an Brisanz gewonnen. Insofern ist es gerade jetzt von besonderem Interesse, Möglichkeiten und Wege zu identifizieren, die für die Akzeptanz der Maßnahmen sorgen. Im Rahmen des BMAS-FIS-geförderten Projekts „Corona-Krise und berufliche Anerkennung“ war dies eine der zentralen Fragestellungen: Erhöht berufliche Anerkennung die Akzeptanz von politisch beschlossenen Infektionsschutzmaßnahmen?

Zwar sind unsere Daten mittlerweile fast ein Jahr alt, doch zur Untersuchung einer gerade aktuellen, praktisch relevanten Fragestellung sehr geeignet: Inwiefern trägt soziale Anerkennung dazu bei, dass politisch beschlossene Infektionsschutzmaßnahmen von der Bevölkerung akzeptiert und unterstützt werden? Antworten hierzu finden sich im aktuellen, fünften Teil des Ergebnisberichts unseres Projekts.

01/2022

Ludovica Gambaro, Anthony Buttaro Jr., Heather Joshi, Mary Clare Lennon: Beeinflusst die Wohnmobilität die Entwicklung der fünfjährigen Kinder? Eine vergleichende Studie von Kindern, die in US-amerikanischen und britischen Städten geboren wurden

Wohnmobilität ist eine häufige Erfahrung bei sehr kleinen Kindern, wird jedoch als eine Quelle der Störung für die Entwicklung eines Kindes angesehen. Mobilität kann ihre eigenen direkten Konsequenzen haben oder die Fähigkeiten und Schwachstellen von Familien widerspiegeln. In dieser gemeinsam mit Kollegen des UCL Social Research Institute (UK) und des CUNY Graduate Center (USA) durchgeführten Studie untersuchten wir den Zusammenhang zwischen Wohnortwechsel und verbalen und verhaltensbezogenen Bewertungen von Kindern im Alter von 5 Jahren. Im Gegensatz zu früheren Studien verglichen wir zwei Länder, basierend auf der Studie Fragile Families and Child Wellbeing in den USA (N=bis zu 1.820) und einer städtischen Teilstichprobe der britischen Millenniums-Kohortenstudie (N=bis zu 7.967). Da sich Familien, die umziehen, wahrscheinlich unterscheiden von denjenigen, die nicht umziehen, haben wir inverse Wahrscheinlichkeitsgewichtung angewendet, um beobachtbare Auswahlverzerrungen im Zusammenhang mit der Wohnmobilität zu minimieren und weiter auf eine Vielzahl von Familienmerkmalen und Veränderungen zu achten, die häufig mit Umzügen einhergehen, zum Beispiel Trennung der Eltern oder Arbeitsplatzverlust. Ein besonderes Merkmal dieser Studie ist die Kategorisierung von Umzügen auf der Grundlage der Art der Nachbarschaft, aus der und in die Familien ziehen, indem Längsschnittdaten auf individueller Ebene mit Messungen der sozioökonomischen Zusammensetzung der Nachbarschaft verknüpft werden. Die Ergebnisse zeigen, dass Wohnumzüge für Kinder nicht zwangsläufig schädlich sind. In beiden Ländern resultieren die schlechteren Ergebnisse einiger Umzüge nicht aus Umzügen an sich, sondern aus dem Kontext, in dem sie stattfinden.

12/2021

Das Kommunikationsverhalten von Paaren und die geschlechtsspezifische Aufteilung der Familienarbeit im Übergang zur Elternschaft

von Silke Büchau, Pia S. Schober und Dominik Becker, Universität Tübingen & Bundesinstitut für Berufsbildung

Die Mehrheit der Paare beabsichtigt, die Arbeitsteilung nach der Geburt ihres ersten Kindes beizubehalten (Institut für Demoskopie Allensbach, 2019; Müller, Neumann, & Wrohlich, 2013). In der Praxis verstärkt der Übergang zur Elternschaft jedoch häufig geschlechtsspezifische Ungleichheiten (Kühhirt, 2012), die in den Jahren nach der Geburt eines Kindes tendenziell fortbestehen (Grunow et al., 2012; Kühhirt, 2012). Die vorliegende Studie untersucht das konzeptionelle Argument, dass eine konstruktive und explizite Paarkommunikation geschlechtsspezifische Ungleichheiten bei der Aufteilung der Familienarbeit verringern kann. Anhand von 314 Ersteltern aus dem deutschen Familienpanel (pairfam) untersuchen wir mit Hilfe von Wachstumskurvenmodellen, ob die Merkmale der Partner vor Geburt des ersten Kindes die Aufteilung von Hausarbeit und Kinderbetreuung zum Zeitpunkt der Geburt und in den Folgejahren erklären. Nach Kontrolle von Geschlechtereinstellungen und ökonomischen Ressourcen der Partner ist die Häufigkeit der positiven Kommunikation des Mannes mit einer stärkeren Beteiligung des Vaters an der Hausarbeit und der Kinderbetreuung verbunden. Allerdings dämpft weder das positive Kommunikationsverhalten der Männer noch das der Frauen die Verschiebung hin zu einer traditionelleren Aufteilung von Hausarbeit und Kinderbetreuung in den ersten Jahren nach der Geburt des Kindes. Die Häufigkeit der negativen Kommunikation beider Partner korreliert nicht mit der Aufteilung der Familienarbeit.

11/2021

Berührt sein von Léo Coutellec, Sebastian J. Moser und Hartmut Rosa
Ethik, Epistemologie und Politik der Affekte in Krisenzeiten

Müssen wir das Wasser erst am Halse spüren, bevor die ökologische Krise uns zum Handeln motiviert? Oder wäre es auch möglich, dass wir uns, ohne selbst hungrig zu sein, aktiv und gemeinschaftlich gegen eine stetige Zunahme der sozialen Ungleichheiten stellen? Ist es möglich von Krisen so berührt, so affiziert zu werden, dass wir uns für und mit anderen engagieren, jenseits von Slogans oder der öffentlichen Proklamation von Werten, sondern mit Leib und Seele? Dieses Dossier will einen Beitrag zur Konstruktion eines ethischen, epistemologischen und politischen Horizonts der Affekte in Krisenzeiten leisten. Wie können die Werte, die für uns verteidigungswürdig sind, mit unserem Körper beziehungsweise all unseren Sinnen in Resonanz treten und so Handeln induzieren? Wie können Werte auch in den Institutionen zum Ausdruck kommen, deren Logik unser tägliches Handeln bestimmt und die gleichzeitig für diese Werte unempfindlich oder "stumm" sind? Mit anderen Worten: Wie können Affekte zur Entstehung eines sozialen und politischen Bandes beitragen?

10/2021

Netzwerke, Straßen und sozialräumlich Unterschiede:
Vergleich der sozialen Beziehungen in Städten rund um das Mittelmeer (Dr. Claire Bullen)

Ab September 2021 beginne ich in Marseille, Frankreich, die erste Phase einer vergleichenden Studie über den städtischen Wandel im Mittelmeerraum. Dabei werde ich ethnografische Forschung (einschließlich teilnehmender Beobachtung und lebensgeschichtlicher Interviews, unterstützt durch Fragebögen, Archivrecherche und Fotografie) entlang einer zwei Kilometer langen "Straße" durchführen, die sich vom Hafen von Marseille in Richtung relativ prestigeträchtiger Wohnviertel erstreckt und an einem stigmatisierten Stadtviertel hinter dem Hauptbahnhof von Marseille vorbeiführt.
    Seit Mitte der 1990er Jahre wurde ein Ende dieser Straße, das dem Hafen von Marseille am nächsten liegt, in ein zentrales Geschäftsviertel (Central Business District, CBD) umgewandelt, das unter dem Namen „Euroméditerranée“ Stadtumbau bekannt ist. Das Stadtbild ist geprägt von modernen Büros, internationalen Hotelketten, großen Kultureinrichtungen und bewachten (und geschlossenen) Wohnblocks. Am anderen Ende der Straße wurden ehemalige heruntergekommene Häuser, die für die Bourgeoisie von Marseille im 19. Jahrhundert gebaut worden waren, durch die Kommunalpolitik und die Investitionen der wachsenden "kreativen Klasse" von Marseille nach und nach "gentrifiziert". Der mittlere Teil der Straße wird allgemein als segregiert und verarmt beschrieben; in diesem Teil der Straße konkurriert das maghrebinische Arabisch mit dem Französischen auf den Bürgersteigen.
    Ziel dieser Untersuchung ist es, die sich wandelnde Zusammensetzung, Struktur und Relationalität sozialer Netzwerke von Stadtbewohnern entlang dieser kontrastreichen Straße in Marseille zu erforschen, um besser zu verstehen, wie sozialräumliche Unterschiede in ungleichen Machtverhältnissen erzeugt, dargestellt und erlebt werden.
    Die "Straße" hat in der Stadtforschung eine lange Geschichte. Straßen dienen oft als Schauplätze für mikrosoziologische Analysen städtischer Sozialitäten, von Zivilität und Solidarität bis hin zu Angst und Gewalt (Anderson 1999; Roulleau-Berger 2004, Whyte 1943), oder als Fenster zu "städtischen Kulturen" (Geschke 2009; Hohm 1997). Da Straßen naturgemäß verschiedene soziale Räume und Maßstäbe miteinander verbinden und überschneiden (Roncayolo 1996), sind sie ein hervorragender Ausgangspunkt, um die Komplexität des städtischen Lebens auf eine Art und Weise zu analysieren, die es vermeidet, sich auf offizielle Formen der Aufteilung der Stadt zu verlassen (Verwaltungsgrenzen, Wohnungsbesitz, Volkszählungsdaten und sozioökonomische Profile), und die eine größere Sensibilität für lokale Orte und Bedeutungsbildungsprozesse ermöglicht (vgl. Fournier und Mazzela 2004; Miller 2005; Hall 2015).
    Entlang dieses Weges werde ich verschiedene soziale Netzwerke mithilfe von semistrukturierten Interviews, lebensgeschichtlichen Interviews und teilnehmender Beobachtung untersuchen. Ich stütze mich dabei auf den von der Manchester School of Social Anthropology entwickelten Ansatz der sozialen Netzwerke (Evens und Handelman 2006). Dies ermöglicht es mir, Verbindungen herauszuarbeiten, die Menschen miteinander verknüpfen, die nicht durch Konzepte wie Nachbarschaft, Verwandtschaft, Klasse oder ethnische Zugehörigkeit miteinander verbunden sind, während ich gleichzeitig verschiedene und sich verändernde Status und Formen der Einbindung von Individuen in lokale, nationale und transnationale soziale Felder (Freundschaftsbande, Vereinigungen usw.) untersuche (Nieswand 2012).
    Die Herausforderung der städtischen Ethnografie besteht immer darin, von Interaktionen auf der Mikroebene zu Prozessen und Strukturen auf der Makroebene überzugehen. In diesem Projekt wird der Begriff "Mittelmeer" als analytisches Prisma verwendet, das es mir ermöglicht, den Austausch auf Straßenebene in denselben Rahmen zu stellen wie stadtweite, nationale, transnationale und globale politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Machtbeziehungen.
    Im alltäglichen Sprachgebrauch kann das Wort Mittelmeer einfach als Bezeichnung für die geografische Lage eines Ortes in Bezug auf die Wasserfläche zwischen Europa, Afrika und Asien verstanden werden. Der Begriff ruft jedoch auch viele soziale oder kulturelle Bedeutungen und Werte hervor, sowohl positive - zum Beispiel, wenn er für eine Form von grenzüberschreitender Offenheit und Formen des Kosmopolitismus steht - als auch negative, wenn er zum Beispiel für "zu viel Einwanderung" und/oder Chaos, Degradierung und "Andersartigkeit" verwendet wird (elhariry und Talbayev 2018). Das vorherrschende Verständnis davon, was und wo das Mittelmeer ist und welche Werte mit mediterranen Menschen und Orten assoziiert werden, wurde historisch durch die europäische Kolonialisierung und die anhaltenden ungleichen Machtverhältnisse zwischen Nord und Süd geprägt. Neuere kritische Überlegungen untersuchen das Mittelmeer jedoch als Idee und Ort, von dem aus man sich dezentrieren und "Alternativen" zu eurozentrischen und rassistischen Erzählungen über die Region anbieten kann (Bermant 2017; Giaccaria und Minca 2011; Proglio 2018).      
In Marseille werden mit der Straße, die ich untersuchen werde, sowohl negative als auch positive Vorstellungen vom Mittelmeer verbunden. Bei der Durchführung dieser Untersuchung werde ich besonders darauf achten, wie die Bedeutung und der Wert des Mediterranen in den untersuchten sozialen Netzwerken in den Vordergrund treten und wieder verschwinden. Meine These ist dass die Zweideutigkeit des Begriffs, seine historisch-kontingenten sozialen Geografien und seine zeitgenössische Relevanz das Nachdenken über die Machtdynamiken, die die städtischen Beziehungen in Marseille prägen, sehr produktiv machen können.
In einer zweiten Phase dieses Projekts, die für 2023-26 geplant ist, soll eine ähnliche Studie in einer Stadt am südlichen Mittelmeer im Maghreb durchgeführt werden. Der Zweck, eine "nördliche" und eine "südliche" "Mittelmeerstadt" in denselben Rahmen zu bringen, besteht darin, binäre Auffassungen von Afrika/Europa, Süden/Norden, (post)kolonisiert/kolonisiert, barbarisch/zivilisiert usw. in Frage zu stellen und einen innovativen vergleichenden und relationalen methodischen Rahmen zu entwickeln, der zur Theorie des sozialen Wandels in Städten rund um das Mittelmeer und anderswo auf der Welt beitragen kann.

 

09/2021

Forschungsprojekt: Wandel beruflicher Anerkennung im Kontext der Corona-Pandemie

von: Axel Babst und Dr. Volker Lang

 

Mit dem Schlagwort „Systemrelevanz“ wurden während der Corona-Pandemie Berufsgruppen einerseits von staatlicher Seite kategorisiert - und davon ausgehend Ausnahmegenehmigung und Restriktionen erteilt - und andererseits gesellschaftliche Debatten zur Bedeutsamkeit dieser Berufe angestoßen. Knapp anderthalb Jahre nach Einführung der ersten Infektionsschutzmaßnahmen gegen eine Ausbreitung des COVID 19-Virus in Deutschland stellt sich nun die Frage, inwiefern die Unterscheidung anhand des Kriteriums „Systemrelevanz“ die Wahrnehmung und Einstellungen von verschiedenen Berufsgruppen unterschiedlich beeinflusst.
Unser vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales gefördertes Forschungsprojekt „Berufliche Anerkennung im Kontext der Corona-Pandemie“ liefert hierzu erste Erkenntnisse hinsichtlich der wahrgenommenen Belastung, beruflichen Anerkennung sowie Einhaltung von und Zustimmung zu Infektionsschutzmaßnahmen für die deutsche Erwerbsbevölkerung. So zeigen die Daten von zwei im Februar und März 2021 durchgeführten Online-Befragungen, dass das Kriterium der Systemrelevanz tatsächlich maßgeblich dazu beiträgt, inwiefern sich verschiedene Berufsgruppen derzeit anerkannt fühlen oder nicht und ob sie während der Pandemie eine Verbesserung oder eine Verschlechterung ihrer beruflichen Anerkennung wahrgenommen haben. Besonders sticht dabei die Gruppe der sogenannten „Basisarbeiter*innen“ hervor – Beschäftigte in Tätigkeiten, die einerseits als systemrelevant klassifiziert werden und andererseits kein oder nur ein sehr geringes Qualifikationsniveau erfordern. Erwerbstätige in Basisarbeit berichten ein höheres Maß an Belastung, gleichzeitig aber auch eine Verbesserung ihrer beruflichen Anerkennung. Allerdings geht diese verbessert wahrgenommene Anerkennung nicht mit der Wahrnehmung einer entsprechenden Berücksichtigung bei politischen Unterstützungsmaßnahmen für einzelne Berufsgruppen im Zuge der Corona-Pandemie einher.
Wie sich berufliche Anerkennung auf die Compliance zu Infektionsschutzmaßnahmen auswirkt sowie detaillierte Ausführungen zu den weiteren zentralen Ergebnissen sind im Ergebnisteil der Webseite des Projekts zu finden – viel Spaß bei der Lektüre: https://uni-tuebingen.de/de/197507

07/2021

‘Legitimate yet Unwanted? Tracing the Localised Pathways of Incorporation of EU Mi-grants in Two German Cities’
Forscherin: Dr. Polina Manolova


Jüngere akademische Debatten sind zum Konsens gekommen, dass „Freizügigkeit“ in der EU zur Herausbildung eines neuartigen Migrationssystems geführt hat, in dem vorübergehende und zirkuläre grenzüberschreitende Mobilitäten Vorrang vor Integration und langfristiger Niederlassung haben. Politische und mediale Diskurse haben die Ankunft von bulgarischen und rumänischen (EU2) Migrant*innen in Westeuropa und insbesondere in Deutschland als „Sozialhilfetourismus“ und „Armutsmigration“ dargestellt und dabei die Belastungen hervorgehoben, die die Ansprüche von Migrant*innen auf sozioökonomische Eingliederung für nationale soziale Sicherungssysteme sowie lokale Infrastrukturen und Ressourcen verursachen können. Dieser politische Widerstand gegen das Freizügigkeitsprinzip hat mehrere regulatorische Neuerungen zur Beschränkung des Zugangs zu Sozialhilfe und Aufenthaltstiteln herbeigeführt, wodurch einer beträchtlichen Anzahl von EU2-Bürger*innen die Mobilität, Freizügigkeit und das Recht auf Niederlassung aberkannt werden.   Obwohl öffentliche Berichte über die prekäre sozioökonomische Lage osteuropäischer Migrant*innen in westlichen Staaten zunehmen, sind Analysen zu kontextuellen Faktoren der strukturellen Eingliederung von Migrant*innen unzureichend und sind meist in „klassischen“ Integrationsparadigmen und politikwissenschaftlichen Ansätzen angesiedelt. Eingehende empirische Studien zu Lebenssituationen und grenzübergreifenden Praktiken der Eingliederung von EU-Migrant*innen liegen bisher nicht vor. Dieses Projekt soll diese Lücke schließen, indem es die urbanen Eingliederungspfade bulgarischer Migrant*innen in zwei nahe gelegenen, aber unterschiedlich großen deutschen Städten untersucht, Frankfurt am Main und Lollar. Ziel ist es, aus einer emischen Perspektive nachzuzeichnen, wie sich formell vorgesehene Integrationsmodi und Erfahrungen der Eingliederung in den drei miteinander verknüpften Bereichen Beschäftigung, Sozialwesen und öffentliche Verwaltung zueinander verhalten. Um die formellen und eher verdeckten Mechanismen aufzuzeigen, durch die mobile EU-Bürger*innen zu „Migranten“ mit eingeschränkten Rechten gemacht werden, entwickelt das Projekt eine innovative theoretische Perspektive aus zwei Hauptrichtungen. Erstens baut es auf „klassische“ Forschung zur strukturellen Eingliederung auf und verbindet sie mit jüngeren Konzepten der kritischen Grenzregime- und „citizenship“-Forschung, um die Rekonfiguration von „migration governance“ auf nationaler und lokaler Ebene zu konzeptualisieren und analytisch zu entschlüsseln. Zweitens werden Einblicke der Integrations- und Transnationalismusforschung kombiniert, um Eingliederung als dynamischen und räumlich differenzierten Prozess greifbar zu machen. Der methodische Rahmen des Städtevergleichs ermöglicht dabei die Analyse von „Lokalität“ als untergeordnete Stufe in einem vielschichtigen „migration governance“-System und als Kontext, in dem Migrant*innen auf (trans-)lokale Netzwerke und Unterstützungsinfrastrukturen zugreifen. Ferner bietet der Vergleich von Städten mit sehr unterschiedlicher globaler Bedeutung und Machtposition Einblicke darin, wie die relationale Produktion von Lokalität die Möglichkeiten und Hindernisse, innerhalb derer Migrant*innen ihre Eingliederung verhandeln, unterschiedlich beeinflusst.  
Dieses Projekt wird derzeit von der Deutschen Forschungsgemeinschaft im Rahmen des Moduls "Eigene Stelle" begutachtet. Ergebnisse aus vorläufigen und früheren analogen Forschungen können in den JEMS und Movements gefunden werden.

06/2021

Bennani, H., Müller, M. „Who are we and how many?“ – Zur statistischen Konstruktion globaler Personenkategorien. Köln Z Soziol (2021). https://doi.org/10.1007/s11577-021-00747-x

Ausgehend von der Annahme, dass Personenkategorien in internationalen Statistiken nicht nur sichtbar gemacht, sondern auch (mit-)erzeugt, reproduziert und objektiviert werden, fragt der Beitrag danach, wie genau Zahlen über personale Differenzierungen mit einem globalen Geltungsanspruch zustande kommen. Datengrundlage sind Dokumente aus internationalen Organisationen zu den entsprechenden politischen Entscheidungen sowie technische Anweisungen und Methodenhandbücher mit Erhebungsempfehlungen. Mithilfe einer wissenssoziologisch inspirierten Detailanalyse werden die üblicherweise nicht mehr sichtbaren Schritte der Quantifizierung anhand ausgewählter Beispiele (u. a. „Alter“, „Geschlecht“, „Ethnizität“, „Behinderung“) rekonstruiert: angefangen bei der begrifflichen Standardisierung personaler Merkmale, über ihre Operationalisierung und Festlegung von Indikatoren bis hin zur Aggregation der Einzelfälle zu Zahlen auf Weltebene. Dabei werden sowohl die Spannungen sichtbar, die zwischen der möglichst differenzierten Erfassung verschiedener Personen und der enormen Komplexitätsreduktion von Zahlen bestehen, als auch die Herausforderungen der Etablierung eines globalen Äquivalenzraumes. Der Beitrag verbindet damit vor allem Fragen der Kategorisierungs- und Quantifizierungsforschung und liefert innovative Einsichten darüber, wie genau kategoriale Differenzierungen zwischen Menschen in Zahlen transformiert und mit Objektivität versehen werden.
link.springer.com/article/10.1007/s11577-021-00747-x

04/2021

Forschungsprojekt "Bedrohung und Diversität im urbanen Kontext. Ethnisch heterogene und ungleiche Stadtteile im Globalen Süden", Dieterich, M. & Martinez, D.

Unser Forschungsprojekt ‚Bedrohung und Diversität im urbanen Kontext. Ethnisch heterogene und ungleiche Stadtteile im Globalen Süden‘ ist Teil des von der DFG geförderten Sonderforschungsbereiches 923 Bedrohte Ordnungen an der Universität Tübingen. Die Leitung des Projekts unterliegt Boris Nieswand und die beiden Mitarbeiter Damian Martinez und Manuel Dieterich untersuchen jeweils ethnografisch in Santiago de Chile und Johannesburg, wie sich alltägliche Bedrohungskommunikation auf das Verhältnis der BewohnerInnen in ethnisch und sozial heterogenen Nachbarschaften auswirken. Die Fallauswahl der Nachbarschaften in den beiden Städten erfolgte aufgrund der Heuristik der urbanen Diversitätskonfigurationen, die in der vorigen Phase des Projekts in Frankfurt a.M. und Murcia (Spanien) entwickelt wurde. In den Städten wird jeweils eine Konfiguration von zwei angrenzenden Nachbarschaften untersucht, wobei sich die beiden Gebiete hinsichtlich der Dimensionen 1.) Stadtteilmorphologie, 2.) ethnische Komposition und 3.) soziale Ungleichheit unterscheiden. Im Fall von Santiago de Chile handelt es sich um die Konfiguration der Nachbarschaften Lo Hermida und Peñalolén Alto, in Johannesburg um Soul City und Mindalore. Lo Hermida ist aus Landbesetzungen entstanden und eine informelle Siedlung, genauso wie Soul City. Peñalolén Alto und Mindalore sind hingegen Nachbarschaften der Mittelklasse, die auch teilweise in gated communities leben. Die Leitfragen, welche wir mit unseren Ethnografien beantworten möchten, drehen sich um den Zusammenhang von lokaler Diversitätskonfiguration (Wahrnehmung und Ausagieren der Differenzen), Bedrohungskommunikationen (was als (lokales) Problem adressiert wird) und Prozessen des re-ordering (Reaktionen auf die thematisierten Bedrohungen). Durch unseren transnationalen Projektaufbau und die sich daraus ergebenden Vergleichsmöglichkeiten zielen wir darauf ab, tiefergehende Einsichten hinsichtlich folgender Fragen zu erhalten:  
1.) Welche Rolle spielen Unterschiede in der lokalen Diversitätskonfiguration der Stadtteile? So ist etwa in Santiago de Chile die Differenzkategorie Klasse aufgrund historischer Entwicklungen (Pinochet-Diktatur und ‚Wiege‘ des Neoliberalismus) zentral im Gegensatz zu ‚race‘ als Leitdifferenz in Johannesburg mit historischen Wurzeln im Apartheid-Regime. Allerdings sind diese Kategorisierungen nicht automatisch die situationsrelevanten, weshalb wir versuchen, für unterschiedliche Bedrohungen die jeweils damit einhergehenden kategorialen Grenzziehungsprozesse herauszuarbeiten. Daraus ergibt sich die zweite Frage:
2.) Inwiefern sind Unterschiede zwischen Bedrohungstopoi relevant für das re-ordering? Je nachdem, ob sich die Bedrohungskommunikation beispielsweise auf die Verschiebung von Dominanzverhältnissen zwischen Etablierten und Zugezogenen in der Nachbarschaft bezieht, auf die Bedrohung für Leib, Leben und Besitz durch Kriminalität oder Naturkatastrophen oder auf die unzureichende Bereitstellung von Infrastruktur wie Straßen, (Ab-)Wasser, Elektrizität, etc. durch den Staat, finden sich sehr unterschiedliche Antwort-Reaktionen darauf. Im Zusammenspiel unterschiedlicher Bedrohungsdiagnosen und Antwortreaktionen aktualisieren sich jeweils andere Differenzkategorien. Die unterschiedlichen Bedrohungen führen deshalb zu situativen Verschiebungen der lokalen Diversitätskonfiguration. Daran schließt die dritte Frage an:
3.) Wie wirken sich unterschiedliche Verhältnisse von staatlicher Durchdringung bzw. Informalisierung oder Privatisierung von Ordnungsfunktionen auf das re-ordering aus? So finden sich in den Nachbarschaften etwa einerseits Versuche der Selbsthilfe in Form von Nachbarschaftswachen gegen Kriminalität, Suppenküchen gegen Hunger und Armut oder Nachbarschaftskomitees zur Diskussion und Entscheidungsfindung. Andererseits gibt es ebenso Versuche der Skandalisierung der staatlichen Vernachlässigung in Form von Protesten, Petitionen oder der Formierung von Interessensgruppen wie Parteien.

03/2021

Projekt „Geschlechterdifferenzen in familialen Übergangsphasen. Ethnografische Analysen von Elternwerdung, Trennung und Auszug des Kindes.“, M. Döbler, J. Gerstewitz, M. Müller & N. Zillien. Universität Gießen & Universität Tübingen

 

Das Projekt „Geschlechterdifferenzen in familialen Übergangsphasen. Ethnografische Analysen von Elternwerdung, Trennung und Auszug des Kindes.“ wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert und in Kooperation mit Nicole Zillien und Julia Gerstewitz von der Universität Gießen von Marion Müller und Marie-Kristin Döbler durchgeführt. Während sich die erste Förderperiode auf den Übergang in die Elternschaft konzentrierte, wenden wir uns nun der Auflösung der Familie im Fall von Trennung oder Scheidung und dem Auszug der Kinder („Empty Nest“) zu. Diese drei Übergangsphasen und Veränderungen verstehen wir als liminale Phasen. Diese werden durch den Verlust von Eigenschaften des bisherigen ‚Zustands‘, das Fehlen zukünftiger/neuer Eigenschaften oder auch die Ungewissheit, welche Eigenschaften dies überhaupt sein werden, gekennzeichnet. Damit folgen wir Prämissen und Erkenntnissen der anthropologischen Initiations- und Ritualtheorie sowie der soziologischen Lebenslaufforschung, die diesen familienbiographischen Transformationen eine besondere Notwendigkeit zur Veränderung zuschreiben. Wir gehen ferner davon aus, dass liminale Phasen als Kristallisationspunkt für (Neu-)Aushandlungen der Beteiligten und als Vergrößerungsglas für Forscher fungieren. Wir vermuten folglich, dass die Fokussierung dieser Phasen Licht auf die Fragen wirft, warum Geschlechterdifferenzen sich hartnäckig als dominantes Ordnungsprinzip des Familienlebens erweisen und wie dadurch unterschiedliche Zuschreibungen und Praktiken weiblicher und männlicher Elternschaft gerechtfertigt und legitimiert, motiviert und begründet werden.

 

Bisher überwiegend makrosoziologisch orientierter Lebenslaufforschung ergänzend, nehmen wir entsprechende Prozesse auf der Mikroebene in den Blick. Wir untersuchen, wie die familiären Übergangsereignisse und ihre Folgen im Alltag von konkreten Individuen in physischer Ko-Präsenz erlebt, inszeniert und möglicherweise (neu) verhandelt, aber auch wie sie in vermittelter Kommunikation über Internet oder Massenmedien diskutiert werden. Dazu führen wir (Online-)Ethnographien durch und analysieren hermeneutisch eine Vielzahl unterschiedlicher Materialien: Beobachtungen von Geburtsvorbereitungskursen und Familiengerichtsverfahren, narrative Interviews mit Eltern, die sich getrennt haben oder deren Kinder von zu Hause ausgezogen sind, sowie Internetforen und Ratgeber, die sich mit Schwangerschaft, Geburt, Trennung/Scheidung und dem Übergang in das sogenannte Empty Nest beschäftigen. Unser Ziel ist es, über das Material hinweg Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu identifizieren, vor allem aber die verschiedenen Lebenslaufübergänge vergleichend zu betrachten. Ein besonderes Interesse richtet sich dabei auf die geschlechterdifferenzierten Zuschreibungen und Praktiken in Bezug auf:

(1) Aufteilung von Betreuung und Erwerbstätigkeit,

(2) Eltern-Kind-Beziehung und Wohlbefinden des Kindes,

(3) Legitimationsmuster der elterlichen Geschlechtsunterschiede und

(4) den Körper.

02/2021

Babst Axel, Gehrig Franziska, Prof. Dr. Groß Martin, Hofmann Elias, Dr. Lang Volker & Schuler Gabriel: Forschungsprojekt - Wandel beruflicher Anerkennung im Kontext der Corona-Pandemie

 

Welche Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus sind notwendig und welche davon werden von der Bevölkerung akzeptiert? Vor dieser Frage stehen unsere Gesellschaft und die Politik insbesondere in den Wintermonaten der Corona-Pandemie. Das vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales geförderte Projekt „Berufliche Anerkennung im Kontext der Corona-Pandemie“ verfolgt zwei Zielsetzungen, um sich der zweiten dieser beiden grundsätzlichen Fragen anzunähern. Erstens wird untersucht, wie die Anerkennung der eigenen beruflichen Tätigkeit in verschiedenen Berufsgruppen – speziell in den sogenannten „systemrelevanten Berufen“ – wahrgenommen wird und ob sich die empfundene Anerkennung während der Pandemie verändert hat. Zweitens untersucht das Projekt, wie gesellschaftlich akzeptiert oder aber belastend die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie wahrgenommen werden und wie diese Wahrnehmungen mit der Aberkennung der beruflichen Tätigkeit im Zusammenhang stehen. Sorgen Defizite in der wahrgenommenen Anerkennung für eine verringerte Zustimmung zu geltenden Corona-Maßnahmen? Zur Erörterung dieser Fragen werden zwei quantitative Online-Befragungen durchgeführt. Die Stichprobe besteht dabei aus mindestens 3.000 Befragten. Dabei handelt es sich um Erwerbstätige und auch Nicht-Erwerbstätige, die seit Beginn der Krise im Februar 2020 ihre Arbeit verloren haben. Neben der wahrgenommenen beruflichen Anerkennung und der Compliance zu Infektionsschutzmaßnahmen werden Informationen zur sozioökonomischen Stellung, Persönlichkeitsmerkmalen und politischen Einstellungen der Befragten erfasst.

 

Interessenten sind eingeladen der Webseite des Projekts einen Besuch abzustatten.

01/2021

Moser Sebastian J. & Schlechtriemen Tobias (2020): Sozialfiguren der Corona Pandemie. Ein Aufschlag, in: KWI-Blog, 16.11.2020, DOI: https://doi.org/10.37189/kwi-blog/20201116-0900

 

Die Corona-Pandemie und die mit ihr einhergehenden Maßnahmen haben weltweit den Alltag der Menschen grundlegend verändert. Noch ist nicht absehbar, wie lange dies so bleiben wird, wir befinden uns in einer unsicheren Zwischenzeit. In solchen Zeiten betreten Sozialfiguren die gesellschaftliche Bühne. Sie verkörpern in figurativer Form, welche gesellschaftlichen Erfahrungs- und Problemlagen den alltäglichen Umgang mit der Pandemie prägen und ermöglichen uns als Gesellschaft eine Verständigung darüber.

Patient 0, Hamsterkäufer, Virologen, Landesväter oder Maskenverweigerer – dies sind die Figuren, die auf dem Blog des Kulturwissenschaftlichen Instituts Essen zur Darstellung kommen. An ihnen interessiert das Gesellschaftliche, das sich in den Geschichten dieser menschlichen Figuren verdichtet. Kulturwissenschaftler verschiedener disziplinärer Herkunft eröffnen mit ihren sozialfigurativen Skizzen auch hinsichtlich der Schreibstile und Beschreibungsformen einen Experimentierraum.

 

Den Volltext finden Sie hier.

12/2020

Johannes Giesecke, Martin Groß & Stefan Stuth (2020): Berufliche Schließung und Lohnungleichheit: Wie berufliche Schließungseffekte zwischen Arbeitnehmergruppen variieren. KZfSS Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 72, 157 - 195 (2020). DOI: 10.1007/s11577-020-00677-0

 

Berufliche Schließung etabliert, verändert und verstärkt institutionelle Barrieren, die den Zugang zu Berufen regeln. Damit beeinflusst berufliche Schließung auch den Prozess der Lohndeterminierung im Arbeitsmarkt, wie jüngere Studien auch für Deutschland mehrfach nachgewiesen haben. Allerdings geht diese Forschung in der Regel von der Annahme aus, dass berufliche Schließung alle Inhaber eines Berufs in der gleichen Weise bevor- oder benachteiligt. Im Gegensatz dazu zeigt dieser Aufsatz, dass sich berufliche Schließung für verschiedene Arbeitnehmergruppen in unterschiedlicher Weise auswirkt. Mit den Daten der Verdienststrukturerhebung 2006 unterscheiden wir neun Arbeitnehmerprofile (drei Bildungsgruppen in drei unterschiedlichen Karrierestufen), für die wir jeweils mittels eines zweistufigen Multilevelregressionsmodells den Effekt von fünf Schließungsmechanismen (Credentialismus, Standardisierung, Lizensierung, Repräsentation durch Berufsverbände und Repräsentation durch Berufsgewerkschaften) auf die mittleren Löhne in den Berufen untersuchen. Unsere Ergebnisse zeigen, dass sich die Effekte beruflicher Schließung in der Tat zwischen Arbeitnehmergruppen unterscheiden. Wir können zeigen, dass sich Schließungseffekte zwischen Karrierestufen unterscheiden. Beispielsweise zahlt sich die Repräsentation durch Berufsverbände besonders für Arbeitnehmer in späteren Karrierestufen aus. Die Quellen der beruflichen Schließung sind zwischen Berufen ungleich verteilt und bevorteilen Arbeitnehmer mit tertiären Bildungsabschlüssen stärker als Arbeitnehmer mit beruflichen Bildungsabschlüssen. Credentialismus verhilft vor allem den Arbeitnehmern mit tertiären Abschlüssen zu Einkommensvorteilen. Allerdings weisen unsere Analysen auch auf komplexe Interaktionen zwischen Credentialismus und Standardisierung hin, die weitere Untersuchungen erfordern, welche das Zusammenspiel von individuellen Arbeitnehmercharakteristiken und den unterschiedlichen Quellen beruflicher Schließung offen legen.

 

Den Volltext finden Sie hier.

11/2020

Weber, Hannes, Schwenzer, Marc & Hillmert, Steffen (2020): Homophily in the formation and development of learning networks among university students. Network Science, 2020.

DOI: 10.1017/nws.2020.10

Die persönlichen Lernnetzwerke von Studierenden können eine wertvolle Ressource für den Erfolg an der Hochschule darstellen. Sie bieten eine Möglichkeit der akademischen und persönlichen Unterstützung und stellen auch Informationsquellen etwa bezüglich Prüfungen oder Hausaufgaben dar. Während Freundschaftsnetzwerke zwischen Studenten bereits recht ausgiebig untersucht worden sind, ist über die Entstehung und Entwicklung von Lernbeziehungen viel weniger bekannt. Wir untersuchen die Determinanten von persönlichen Lernnetzwerken mithilfe einer eigenen Panelstudie von Studierenden im ersten und zweiten Studienjahr. Alle Studierenden in der Studie waren im gleichen Studiengang eingeschrieben und gaben auf Basis einer Liste der Mitstudierenden Auskunft über Bekanntschaften und Lernpartnerschaften. In der Analyse sozialer Netzwerke ist es traditionell eine wichtige Frage, ob die Tendenz, Beziehungen gerade mit Personen mit ähnlichen Merkmalen aufzunehmen, eher auf Präferenzen („gewählte Homophilie“) oder eher auf selektive Gelegenheiten („induzierte Homophilie“) zurückzuführen ist. Theoretisch erwarten wir zunächst eine latente Präferenz auch für homophile Lernpartnerschaften in Bezug auf Attribute wie Geschlecht, akademische Leistung und soziale Herkunft. Empirisch schätzen wir dann seit kurzem verfügbare zeitbezogene Exponential Random Graph Modelle (TERGM), um die bereits vorhandene Netzwerkstruktur zu kontrollieren und Änderungen der Lernbeziehungen zwischen den Studierenden zu untersuchen. Die Ergebnisse zeigen, dass insbesondere bei männlichen Studierenden gleichgeschlechtliche Beziehungen heterogenen Beziehungen vorgezogen werden, während die Chancen für die Bildung von Beziehungen zwischen Studierenden mit unterschiedlichen akademischen Fähigkeiten eher gering sind. Soziale Herkunft erweist sich als ein wesentlicher Faktor im Querschnitt, scheint jedoch für die Ausbildung neuer (starker) Beziehungen im Verlauf des Studiums weniger wichtig zu sein.

Den Volltext finden Sie hier.

09/2020

Waiting: Taking Care of the present

No. 9 of the Revue française d’éthique appliquée, edited by Sebastian J. Moser and Daniel Dreuil

Our present is characterized by acceleration and the compulsion to act immediately. Against these imperatives, this edition of the Revue française d’éthique appliquée invites us to think about waiting, hesitation and pausing as an ethical resource. Waiting, a temporal experience of everyday life, is sometimes characterized by hope and even the expected happiness of the expected event. At the same time, however, there is also uncertainty and anxiety. These two dimensions of heteronomy range from discomfort to extreme fear. People who are waiting for a doctor's diagnosis after an examination, residents of care houses or asylum seekers who are waiting for their status to be legalized are just a few examples of the state of uncertainty that waiting puts us in. Waiting is a moral experience: it braces our practical relationship with the world by hindering our ability to make autonomous decisions. As a result, the question arises of how we can take care of waiting.

Available here in French

*** französische Version ***

En attente: Prendre soin du présent

No. 9 de la Revue française d’éthique appliquée, coordonné par Sebastian J. Moser et Daniel Dreuil 

Face à l’impératif de la vitesse et de l’action immédiate de notre époque, ce numéro propose de réfléchir sur l’attente comme ressource éthique. L’attente, expérience temporelle de la vie quotidienne, se teinte parfois d’espérance et même du bonheur anticipé de l’événement attendu mais peut être chargée d’incertitude et d’appréhension. Ces deux dimensions d’hétéronomie vont de l’inconfort jusqu’à l’extrême angoisse, celle des personnes engagées dans un parcours d’examens en vue d’un diagnostic, celle des demandeurs d'asile dans l'attente d'un refuge, etc. L’attente est bien une expérience morale: elle met entre parenthèses notre rapport pratique au monde en entravant l’activité libre. Dès lors, comment prendre soin de l’attente?

Disponible ici en française

*** deutsche Version ***

Wartend: Achtsam gegenüber der Gegenwart

Nr. 9 der Revue française d’éthique appliquée, herausgegeben von Sebastian J. Moser und Daniel Dreuil

Unsere Gegenwart ist geprägt von Beschleunigung und dem Zwang zu sofortigem, unverzüglichem Handeln. Gegenüber diesen Imperativen lädt die Ausgabe der Revue française d’éthique appliquée dazu ein, über das Warten, das Zögern und Innehalten als eine ethische Ressource nachzudenken. Das Warten, eine zeitliche Erfahrung des Alltags, ist manchmal von Hoffnung und sogar vom erwarteten Glück des erwarteten Ereignisses geprägt. Gleichzeitig aber haftet ihm auch Unsicherheit und Besorgnis an. Diese beiden Dimensionen der Heteronomie reichen von Unbehagen bis zu extremer Angst. Menschen, die nach einer Untersuchung auf die Diagnose des Arztes warten, Bewohner von Alten- oder Pflegeeinrichtungen oder Asylbewerber, die auf eine Legalisierung ihres Status warten, sind nur einige Beispiele für den Schwebezustand, in den das Warten uns versetzt. Warten ist eine moralische Erfahrung: Es setzt unsere praktische Beziehung zur Welt in Klammern, indem es unsere Fähigkeit zu autonomem Entscheiden behindert. Infolgedessen stellt sich die Frage, wie wir uns um das Warten kümmern können.

In französischer Sprache hier verfügbar

08/2020

Ausgangspunkt des gerade erst angelaufenen Projekts ist die Beobachtung, dass das „Personal“ der Weltgesellschaft als immer „diverser“ beschrieben wird. Aus einer wissenssoziologischen Perspektive fragen wir danach, wie globale Personenkategorien – etwa „Frauen“, „Menschen mit Behinderungen“ oder „indigene Völker“ - im Kontext der internationalen Politik hergestellt und institutionalisiert werden, aber auch wie und warum das bei manchen Kategorien nicht klappt oder sie vergessen werden. Dabei verstehen wir solche kulturellen Differenzierungen von Menschen mit globaler Reichweite nicht als „natürliche“ Unterscheidungen der Sozialwelt, sondern als höchst voraussetzungsvolle und daher eher unwahrscheinliche soziale Prozesse, in deren Verlauf kategoriale Ähnlichkeiten jeweils über die Grenzen von (ersten, zweiten, dritten) Welten, Regionen, Staaten und Kulturen hinweg festgestellt und als relevant eingestuft werden müssen. Wir gehen davon aus, dass globale Personenkategorien zentrale Strukturelemente der Weltgesellschaft sind und als Globalisierungsmechanismen fungieren: Indem Menschen sich selbst und andere weltweit als Angehörige derselben Kategorien beschreiben, entsteht ein globaler Beobachtungsraum, innerhalb dessen Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen Personen weltweit festgestellt werden können. Trotz aller anderen Unterteilungen wird die Welt durch diese geteilten Zugehörigkeiten als gemeinsame Sozialwelt wahrnehmbar. Vor diesem Hintergrund untersuchen wir, wie genau und unter welchen Bedingungen es gelingt (bzw. misslingt), Personenkategorien als legitime politische und rechtliche Unterscheidungen zu etablieren. Wie verfestigen sie sich (oder eben nicht), und mit Hilfe welcher Mechanismen wird ihre Reichweite erfolgreich globalisiert? Wer sind die an diesen Prozessen beteiligten relevanten AkteurInnen? Und was sind die Bedingungen für eine erfolgreiche Institutionalisierung und Globalisierung von Personenkategorien?

Dazu nehmen wir sieben Fallbeispiele in den Blick, deren jeweiligen Institutionalisierungs- und Globalisierungsgeschichten rekonstruiert und verglichen werden: „sex/gender“, „race“, „refugees/migrants“, „people with disabilities“, „indigenous people(s)“, „poor people“ und „LGBTI people“. Die Analysen basieren erstens auf ausgewählten Textdokumenten nationaler und internationaler Organisationen, zweitens auf Leitfaden-gestützten Interviews mit ExpertInnen und ZeitzeugInnen und – da wir eine besondere Relevanz unmittelbarer Interaktionen für die Durchsetzung kategorialer Differenzierungen vermuten – drittens auf ethnografischen Untersuchungen in UN-Gremien und sozialen Bewegungen.

Das Projekt ist in mehrfacher Hinsicht innovativ und leistet einen wichtigen Beitrag zu aktuellen Forschungskontexten: So wird die Forschung zu „Humandifferenzierungen“ (Hirschauer) erstmals um eine globale Perspektive und die Weltgesellschaftsforschung um eine kategoriale Sichtweise erweitert. Außerdem werden globale Prozesse der Kategorienbildung erstmalig aus einer interaktionstheoretischen Perspektive untersucht.

see also

Anthology: “Observing and comparing globally. Sociological world society studies”

Authors: Hannah Bennani (ed.), Martin Bühler (ed.), Sophia Cramer (ed.), Andrea Glauser (ed.)

From the collection World Society Studies

Ob Künstlerinnenrankings, Getreideklassifikationen oder das Erfassen von Zwangsarbeit – Praktiken des globalen Beobachtens und Vergleichens sind aus weltgesellschaftlichen Zusammenhängen kaum noch weg zu denken. Doch wie sind solche Verfahren entstanden? Wie werden Vergleiche kommuniziert und mit welchen Folgen? Die Beiträge des Bandes geben detaillierte Einblicke in das vielfältige Zusammenspiel von Vergleichspraktiken und Weltgesellschaft.

Link zum Sammelband

05/2020

The just gender pay gap in Germany revisited: The male breadwinner model and regional differences in gender-specific role ascriptions
Prof. Dr. Martin Groß

 

Es ist weithin bekannt, und Gegenstand zahlreicher Untersuchungen, dass Frauen unter gleichen Arbeitsbedingungen durchschnittlich weniger verdienen als Männer. Weniger bekannt ist allerdings, dass dieser „Gender Pay Gap“ (GPG) weithin als gerecht betrachtet wird – auch von Frauen. In einer kürzlich veröffentlichten Studie in Resarch on Social Stratification and Mobility untersuchen Volker Lang und Martin Groß, wie diese Lücke im „gerechten Einkommen“ zu erklären ist. Sie verwenden dabei eine Vignetten-Studie, die im Rahmen des bevölkerungsrepräsentativen SOEP – Pretestes von 2008 durchgeführt wurde. Ausgangspunkt ist die Hypothese, dass vor allem das „männliche Ernährermodell“ für diese Gerechtigkeitslücke verantwortlich ist. Unter dieser Annahme ist davon auszugehen, dass insbesondere die Frage, ob Kinder im Haushalt vorhanden sind, einen erheblichen Einfluss auf das „gerechte Gender Pay Gap“ (gGPG) hat. Auf der Basis von 26.650 Gerechtigkeitseinschätzungen, abgegeben von 1066 Personen, können Lang und Groß nachweisen, dass in der Tat das männliche Ernährermodell die treibende Kraft hinter der Gerechtigkeitslücke darstellt. Die Befragten denken durchaus, dass kinderlose Männer und Frauen gleich bezahlt werden sollen – für Männer mit Kindern halten sie aber einen „Einkommensaufschlag“ von ca. 8% für gerecht. Darüber hinaus lässt sich zeigen, dass das männliche Ernährermodell in den neuen Bundesländern weniger relevant ist als in den alten. Letzteres zeigt sich aber erst unter Verwendung eines neu entwickelten „Craggit“-Models zur Analyse der Daten.

Link zum Artikel

04/2020

Von Kindern zu Eltern: Die Rolle von privater Nachhilfe für die Leistungssteigerung der Kinder entlang der sozialen Herkunft. Eine südkoreanische Fallanalyse.
Dr. Laia Sanchez Guerrero

Die derzeitige Forschung erkennt die entscheidende Rolle von Eltern in Bezug auf den schulischen Erfolg der Kinder an. Jedoch wurde der Frage, wie eine Leistungsänderung der Kinder sich auf die elterlichen Bildungsstrategien und deren Investitionen in die kindliche Bildung auswirkt, weniger Aufmerksamkeit geschenkt. In einer neu veröffentlichten Studie in Research on Social Stratification and Mobility, untersucht Laia Sánchez Guerrero, ob Veränderungen der schulischen Leistungen einen Wandel in der elterlichen Bereitschaft für private Nachhilfe hervorrufen. Weiter wird untersucht, ob die Bereitschaft für weitere Investitionen bei schulischen Veränderungen entlang der sozialen Herkunft von Eltern unterschiedlich gewichtet wird. Zuletzt wird auch analysiert, inwiefern private Bildungsinvestitionen der Eltern tatsächlich die Bildungsleistungen ihrer Kinder verbessern.

Die empirische Analyse basiert auf einer Stichprobe des Korean Youth Panel Surveys, welches Daten von Jugendlichen aus Junior High Schools erhoben hatte. Basierend auf einer Fallzahl von 2.209 Beobachtungen, verwendete die Autorin ein dynamisches Probit-Modell mit Zufallseffekten, um in Erfahrung zu bringen, ob Leistungsveränderungen die elterlichen Bildungsentscheidungen beeinflussen und ob diese Entscheidungen die schulischen Leistungen verändern. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Leistungsmuster in der Entscheidungsfindung benachteiligter Eltern mehr Gewicht haben. Wenn benachteiligte Kinder ihre schulischen Leistungen verschlechtern, ist es wahrscheinlich, dass Eltern ihre Investitionen zurückziehen. Im Gegensatz dazu gibt es keinen deutlichen Unterschied in der Investitionsbereitschaft der privilegierten Eltern aufgrund von Leistungsänderungen. Die Ergebnisse deuten auch darauf hin, dass private Bildungsinvestitionen einen positiven Effekt auf die schulischen Leistungen des Kindes haben und dass sich dieser positive Effekt auch entlang der sozialen Herkunft unterscheidet. Noch konkreter ausgedrückt, es scheint, als wären private Investitionen für privilegierte Schüler und Schülerinnen von größerem Vorteil als für benachteiligte. Dies liegt vielleicht daran, dass sich die Qualität der zu erhaltenden privaten Bildungsinvestitionen entlang der sozialen Herkunft unterscheidet.

03/2020

Qualität frühkindlicher Bildung und Betreuung: Ist sie für die mütterliche Erwerbsbeteiligung von Bedeutung?
Studien zu kindlichem Wohlbefinden weisen darauf hin, dass die Wirkung des Besuchs einer Kindertageseinrichtung für Kinder von der Qualität der Interaktionen und der Lernumwelt in diesen Institutionen abhängt. Konsequenzen der Kinderbetreuungsqualität für die elterliche Erwerbsbeteiligung wurde bisher wenig Aufmerksamheit geschenkt; der Fokus der Forschung lag bisher auf der Verfügbarkeit und den Kosten der Betreuung. In einer vor kurzem in Social Science Research erschienenen Studie untersuchten Pia Schober and Juliane Stahl, ob Mütter ihre Erwerbsbeteiligung und Arbeitsstunden rascher steigern, wenn ihre Kinder Kindertageseinrichtungen von höherer Qualität besuchen. Die Autorinnen der Studie legen nahe, dass bessere Betreuungsqualität, z.B. in Bezug auf den Kind-Betreuer-Schlüssel und häufige Kommunikation, die Vertrauensbildung zwischen Eltern und pädagogischen Fachkräften unterstützt und eine auf die individuellen Bedürfnisse des Kindes abgestimmte Betreuung erleichtert. Dies kann einen rascheren Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt und eine Erhöhung der Arbeitsstunden der Eltern ermöglichen.
Für die empirische Analyse verknüpfen die Forscherinnen das Sozio-Oekonomische Panel (SOEP) mit der neuen K2iD-SOEP-Erweiterungsstudie, die Qualitätsinformationen von Kindertageseinrichtungen in ganz Deutschland enthält. Auf Basis einer Stichprobe von 556 Müttern von 628 Kindern verwendeten die Autorinnen Change-Score-Modelle mit Entropy Balancing und berücksichtigten eine große Zahl beobachtbarer Merkmalen der Familien und Kindertageseinrichtungen. Ihre Ergebnisse zeigen, dass höhere Betreuungsqualität in Bezug auf den Kind-Betreuer-Schlüssel und teilweise auch entwicklungsfördernde Aktivitäten sowie Angebote für Eltern mit rascheren Steigerungen der Arbeitsstunden der Mütter verbunden waren. Gruppengröße und Materialien schienen keine Rolle zu spielen. Aus Politikperspektive bieten diese Ergebnisse relevante Hinweise, dass Investitionen in Kinderbetreuungsqualität nicht nur dem kindlichen Wohlbefinden dienen, sondern auch den Arbeitsmarktwiedereinstieg von Müttern unterstützen können.

 

 

09/2024

Neuerscheinung von Ewald Frie & Boris Nieswand:

Buch: Keplerstraße 2 Innenansichten geisteswissenschaftlicher Forschung.

Wie funktioniert geisteswissenschaftliche Forschung? Der Historiker Ewald Frie und der Soziologe Boris Nieswand erklären, wie der Drang nach Prestige, der Wettbewerb um Forschungsförderung, die Suche des Nachwuchses nach Stellen und der Spaß an neuen Ideen und Einsichten eine kritische Masse bilden, aus der tatsächlich neues Wissen hervorgeht. Ein ungewöhnlicher, scharfer, geradezu verführerischer Blick in den Maschinenraum des Geistes.

Weltfremde Männer vor verstaubten Folianten, deren Bücher niemand liest: Das Image von Geisteswissenschaftlern könnte besser sein. Dabei hat sich geisteswissenschaftliche Forschung in den letzten Jahrzehnten grundlegend geändert. Immer mehr Frauen bekommen eine Chance. Die Digitalisierung hat das Suchen, Lesen, Auswerten und Schreiben beschleunigt. Teamarbeit ersetzt das stille Kämmerlein. Zugleich ist der Druck gestiegen, sich im Wettbewerb zu behaupten. Ewald Frie und Boris Nieswand haben zwölf Jahre lang in einem Sonderforschungsbereich zum Thema «Bedrohte Ordnungen» gearbeitet. Die Tübinger Keplerstraße 2 wurde für viele Forschende Anlaufpunkt und Arbeitsplatz. Auf der Grundlage ihrer eigenen Erfahrungen und von Interviews mit Beteiligten berichten die Autoren, wie von ersten Ideen und Theorien über Planungen und Anträge, Präsentationen und Evaluationen das Wunder vollbracht wird, dass man neue Erkenntnisse nicht planen kann, es aber trotzdem tun muss und damit auch noch Erfolg hat – jedenfalls meistens.

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