Juristische Fakultät

Tagungsbericht des 17. Arbeitsrechtstags

Am 17. Tübinger Arbeitsrechtstag ging es um „Entbetrieblichung“, Vertrauensarbeitszeit und Social Media

Vor gut 120 interessierten Arbeitsrechts-Experten konnte Prof. Hermann Reichold am 24. März im Audimax wieder strittige neue Rechtsfragen präsentieren, die auch nach den schwierigen Zeiten der Corona-Pandemie besonders die Betriebsräte in den Unternehmen interessieren sollten. Reichold freute sich bei der Einführung darüber, dass drei der anwesenden Referenten gleichzeitig auch als Universitätsdozenten in den letzten Jahren seine eigene Lehre wertvoll ergänzt hätten.

Und so stellte Rechtsanwalt Prof. Jobst-Hubertus Bauer (Stuttgart) gleich im ersten Referat die Frage, ob es nach dem überraschenden BAG-Urteil vom 13.9.2022 überhaupt noch eine „Vertrauensarbeitszeit“ etwa für leitende Angestellte geben könne. Der 1. BAG-Senat hatte zwar dem Betriebsrat ein Initiativrecht auf Einführung einer elektronischen Arbeitszeiterfassung verwehrt, leitete aber aus § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG die Pflicht des Arbeitgebers ab, ein „System zur Erfassung von Beginn und Ende der Arbeitszeit“ zu etablieren und entsprechend aufzuzeichnen. Bauer kritisierte diese Rechts-„Erfindung“ des BAG als „Musterbeispiel unzulässiger Rechtsfortbildung“, betonte aber, dass dadurch die Vertrauensarbeitszeit als eigenverantwortliches Modell insbesondere für leitende Angestellte nicht in Frage gestellt werden könne. Auch angestellte Anwältinnen und Anwälte in Großkanzleien könnten nach Europarecht von der Aufzeichnungspflicht frei gestellt werden.

Im zweiten Referat untersuchte Prof. Eckhard Kreßel (Universität Würzburg) die schwierige Rechtsfrage, ob die Außen-Kommunikation des Betriebsrats z.B. über Social Media sich in neue digitale Welten hinein bewegen dürfe, ohne dass es auf ein Einverständnis des Arbeitgebers ankomme. Nach ausführlicher Erklärung dieses Phänomens und der ihm als früherem Daimler-Personalchef vertrauten Öffentlichkeitsarbeit des Betriebsrats machte Kreßel nur wenige „hässliche“ Formen der Kommunikation über Unternehmens-Interna in der ihm bekannten Praxis aus, betonte aber, dass eine unabgesprochene externe Kommunikation des Betriebsrats über Unternehmensinterna wohl eine „rote Linie“ überschreite. Gerichtsurteile zu diesem Thema gäbe es aber tatsächlich kaum.

Nach der Mittagspause mit kleinem Buffet im Kleinen Senat beanspruchte das Thema „Betriebsratstätigkeit im Home-Office“ besondere Aufmerksamkeit. Der Referent Prof. Steffen Klumpp (Universität Erlangen-Nürnberg) betonte die Zurückhaltung des Gesetzgebers, der selbst in der Corona-Pandemie „virtuelle“ Sitzungen des Betriebsrats nur im Ausnahmefall und nur unter bestimmten Kautelen ermöglichen wollte (§ 30 Abs. 2 BetrVG). Auch die Rechtsprechung betone die Anwesenheitspflicht gerade des freigestellten Betriebsrats im Betrieb. Die radikale Veränderung durch die heute nicht mehr unübliche digitale Kommunikation auch innerhalb des Betriebsrats sei vom Gesetzgeber nicht ausreichend berücksichtigt worden. Klumpp konnte daher einem „Home-Office“ für Betriebsräte von ihrer Funktion und Aufgabe her grundsätzlich nicht näher treten, wollte freilich im Hinblick auf die Mitbestimmung zum Thema „mobile Arbeit“ (§ 87 Abs. 1 Nr. 14 BetrVG) nicht verstehen, warum eine gesetzliche „Neujustierung“ im Hinblick auf Aufgabenerfüllung und bestehende Home-Office-Konzepte nicht möglich sein soll.

Abschließend befasste sich Rechtsanwalt Dr. Pascal Ludwig (Greenfort, Frankfurt) mit einer ebenfalls vom BAG entschiedenen Thematik, welche die wesentliche innerbetriebliche Interaktion zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber betrifft: wie wirken sich Form- oder Abstimmungsfehler des Betriebsrats bei Abschluss einer Betriebsvereinbarung für die Belegschaft aus? Ludwig betonte, dass Ladungs- und Formfehler bei Beschlüssen des Betriebsrats durchaus häufig zu beobachten seien, aber häufig marginalisiert würden. Das BAG hat verdeutlich, dass bei Abschluss einer Betriebsvereinbarung der Betriebsrat die Nebenpflicht habe, dem Arbeitgeber auf dessen zeitnah geltend zu machendes Verlangen eine den Maßgaben des § 34 Abs. 2 S. 1 BetrVG entsprechende Abschrift desjenigen Teils der Sitzungsniederschrift auszuhändigen, aus dem sich die Beschlussfassung des Gremiums ergebe. Ludwig betonte, dass dies aber nicht genüge, um die Ordnungsgemäßheit des Betriebsratsbeschlusses zu belegen. Gerade bei langfristig wirkenden Vereinbarungen wie bei der betrieblichen Altersversorgung oder anderer Entgelte könne die Aufdeckung von Fehlern des Betriebsrats rückwirkend zu sehr schwierigen Konsequenzen führen, so dass jeder Arbeitgeber gut beraten sei, im eigenen Interesse auf ordnungsgemäße Beschlüsse des Betriebsrats hinzuwirken.

Text: Prof. Dr. Hermann Reichold
Bilder: Victoria Schwarzer


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