Universitätsbibliothek

Friedrich Hölderlin

Das Unverzeihliche (1799)

Wenn ihr Freunde vergeßt, wenn ihr den Künstler höhnt,
Und den tieferen Geist klein und gemein versteht,
Gott vergibt es, doch stört nur
Nie den Frieden der Liebenden.

Vorwort von Gustav Schwab und Christoph Theodor Schwab aus: Gedichte / von Friedrich Hölderlin. – Stuttgart ; Tübingen: Cotta’scher Verlag, 1843. Signatur: Dk XI 501

Lebensumstände des Dichters. Aus den Mittheilungen seines Bruders und seiner Freunde.

[…] Fehlgeschlagene Verlagsversuche und die getäuschte Hoffnung, sich durch Privatvorlesungen einiges Einkommen sichern zu können, bewogen den jungen Dichter, Jena nach einigen Monaten wieder zu verlassen und, nach einem Verwandtenbesuche in Altenburg, zu den Seinigen nach Nürtingen zurückzukehren.

[…] Von einer drückenden Schwermuth, veranlaßt durch die Ungunst seiner äußern Lage, befreite ihn die Vorsorge seines Freundes v. Sinklair, Regierungsraths zu Homburg, der ihm eine Hofmeisterstelle in einer angesehenen Banquiersfamilie zu Frankfurt am Main verschaffte, die er im Anfange des Jahres 1796 antrat und wo er bald versicherte, „die besten Menschen zu Freunden und an den Kindern dieser Menschen Zöglinge zu haben, wie man sie nicht wohl wieder finden dürfte, wenn man Unbefangenheit, reine Natur ohne Rohheit suche.“ Die Frau des Hauses, „mit einem vortrefflichen Charakter edles Zartgefühl und eine hohe Bildung vereinigend“, machte den tiefsten Eindruck auf seine Phantasie und sein Herz, und wurde später die Seele seines umgeschaffenen Hyperion, seiner Lieder und Elegieen an „Diotima“, wie das Fatum seines irdischen Lebens. Vor einem schwäbischen Landsmanne, der ihn besuchte und als Gast des Hauses den freundlichesten Empfang fand, sandte er der sorglich hin und her wandelnden das höchste Lob nach, das sein Mund ertheilen konnte, indem er jenem zuflüsterte: „Nicht war, eine Griechin?“.

[…] Hölderlin beschäftigte sich in derselben Zeit, neben dem Studium der Philosophie, auch mit Botanik und Mathematik, strebte überhaupt nach größerer Vielseitigkeit und schien sich mehr und mehr mit der Welt zu versöhnen. Aber die unglückliche Neigung seines Herzens zerstörte dieses äußere Glück mit dem innern. Im Juli 1798 schrieb er an den den Halbbruder: „Bruderherz! Ich habe viel, sehr viel gelitten, und mehr, als ich vor dir, vor irgend einem Menschen jemals aussprach, weil nicht Alles auszusprechen ist; und noch, noch leid‘ ich, viel und tief; und dennoch mein‘ ich, das Beste, was in mir ist, sey noch nicht untergegangen.“ Im September 1798 hatte er seine Stelle und Frankfurt ohne Abschied verlassen. Er ging zuerst nach Homburg und von dort im November mit seinen Freunde Sinklair nach Rastatt. Hier fand er einige Erheiterung in einem Kreise geistreicher, philosophisch gebildeter Männer.

[…] Nach seiner Zurückkunft in Homburg widmete sich Hölderlin wieder mit aller Anstrengung seinen literarischen Arbeiten und vollendete ein schon in Frankfurt begonnenes Drama „Agis“, dessen Manuscript zu Anfang dieses Jahrhunderts noch vorhanden war, und zuletzt mit seinem ganzen Inhalte verloren gegangen ist.

[…] Das Verhältnis zu Diotima dauerte nicht nur im Innern der Dichterseele fort; er durfte, wenigstens mittelbar und durch Freunde, in Verbindung mit der heilig Geliebten bleiben und versuchte auf die Fortbildung ihres Geistes Einfluß zu behalten. Die, durch Schiller, wie es scheint, neuangeregte Hoffnung, als Docent nach Jena zu kommen, scheiterte gleichfalls, und Hölderlin, im vergangenen Jahre kränkelnd und in einem „bösen krampfhaften Zustande“, blieb im Beginne des folgenen (1800), in seiner Gesundheit gestärkt, vorerst in Homburg.

[…] Indessen konnte, ohne Subsistenzmittel, seines Bleibens auch im Vaterlande nicht seyn, und er nahm eine ihn unter vortheilhaften Bedingungen angebotene Hauslehrerstelle bei dem Hamburgischen Konsul zu Bordeaux an. Besonders schwer fiel ihm diesmal die Trennung von den Seinigen und er klammert sich in den von ihm vorhandenen Abschiedsworten mit krampfhafter Ängstlichkeit an den, freilich nach seiner Weise modificirten religiösen Glauben an. Im eiskalten Dezember 1801 reister er über die beschneiten, damals höchst unsichern Höhen der Auvergne, so daß er selbst für sein Leben fürchtete. Aber, gut in Bordeaux aufgenommen, fühlte er sich in den neuen Verhältnissen anfangs ganz zufrieden. Eine Sage, daß die traurige Wendung seines Schicksals dortigen Ausschweifungen zuzuschreiben sey, entbehrt aller historischen Begründung und wird von denen, die Hölderlin in der letzten Zeit vor seiner Krankheit kannten, so wie von dem reinen Inhalte seiner damaligen Briefe, namentlich eines am Charfreitag 1802 an seine Mutter gerichteten, aufs bestimmteste widersprochen und widerlegt.

Seit Ostern 1802 hatte seine Familie keine Nachrichten mehr von dem Dichter. Aus dieser Ungewißheit wurde sie auf eine schmerzliche Weise gerissen, als im Anfang Juli’s desselben Jahres Hölderlin plötzlich im traurigsten Gemüthszustande bei der Mutter in Nürtingen eintraf. Unerwartet schnell hatte er im Juni 1802 seine Stelle zu Bordeaux verlassen, Frankreich in den heißesten Sommertagen von einer Gränze bis zur anderen zu Fuße durchreist, sich flüchtig seinen Freunden in Stuttgart gezeigt, und war so in die Heimath gekommen. Wie es scheint, hatte er noch in Bordeaux Nachricht von der Krankheit Diotima’s, und vielleicht schon auf der Reise die Kunde von ihrem Tode vernommen.

„Du glaubtest an Unsterblichkeit, da sie noch lebte“ – schrieb ihm Sinklair in einem Briefe vom 30. Juni, der ihn aber erst in Nürtingen traf, - „du wirst gewiß jetzt mehr daran glauben, da das Leben deiner Liebe sich vom Vergänglichen geschieden hat.“

Durch sorgfältige Pflege und freundliche Behandlung der Seinigen wurde der Zustand des Kranken, abgesehen von vorübergehenden Anfällen, allmählich etwas ruhiger.
[…] Endlich schien er im Sommer 1804 so weit hergestellt, daß man es wagen zu dürfen glaubte, ihn in Begleitung seines Freundes Sinklair, der in abzuholen gekommen war, nach Homburg gehen zu lassen, wo durch die Gnade des Landgrafen, der ein ihm schon am 6. Februar 1803 übersandtes Gedicht Hölderlins „mit vielem Dank und Freude“ aufgenommen hatte, ihn eine Anstellung als Bibliothekar mit kleinem Gehalt erwartete. Aber auch in dieser angenehmen Lage, unter zerstreuenden Geschäften und der sorglichen Pflege des Homburger Freundes, verlor sich sein Trübsinn nicht, und der Krankheitszustand verschlimmerte sich zusehends, so daß Sinklair, nach reiflicher Berathung mit sachverständigen Ärzten und Hölderlins Verwandten, sich entschließen mußte, diesen ins Vaterland zurückzuführen, um den letzten Heilungsversuch an dem – unter dem berühmten Autenrieth damals neu eingerichteten – Klinikum Tübingens zu wagen. Der Kranke wurde von seinem Freunde unter dem Vorwande, daß er zu Tübingen einen Büchereinkauf zu machen habe, dorthin gebracht, und ließ sich den Aufenthalt in jener Heilanstalt geduldig vorschreiben, als „auf höheren Befehl“ über ihn verhängt. Aber die vorgenommene Kur verschlimmerte nur das Übel, und es wurde beschlossen, ehe dieß noch einen höhern Grad erreicht hätte, ihn einer wackern bürgerlichen Familie zu Tübingen in Kost und Obhut zu übergeben. In diesem Hause, bei einem wohlhabenden und gebildeten Tischlermeister, und nach seinem Tode bei dessen Relikten lebt Hölderlin seit 1806 bis auf diesen Tag liebreich versorgt und in ziemlich ungeändertem Zustande, wie er das Klinikum verlassen.

Sechs und dreißig Jahre, die den Geist seiner Zeitgenossen mit Ereignissen, Hoffnungen und Täuschungen der Welt, wie mit Erzeugnissen des geistigen Lebens erfüllt haben, sind seitdem über seinem Haupte hingegangen, ohne es zu berühren. Seine eigene Poesie, von ihrem Dichter kaum noch in lichteren Augenblicken begriffen, hat in diesem langen Zeitraume wie eine Nachtblume, deren Duft nur wenige genießen, in der Stille geblüht […]

Stuttgart im Oktober 1842, G. S. und Chr. S.