Erschienen beim Büchner-Verlag als: Ulrich Stober: Zwischen Welten und Worten. Transkulturelle Übersetzungsprozesse in der Jesuitenmission des 18. Jahrhunderts bei Florian Paucke [zugl. Diss. Tübingen 2022]. Marburg 2024. Open Access
Im Zentrum der Untersuchung steht der handschriftliche, 1146 Seiten umfassende Bericht des Jesuiten Florian Paucke. Durch seinen beinahe zwanzigjährigen Aufenthalt bei den Mocobiern im nördlichen Teil des heutigen Argentiniens, stellt der Bericht für die Untersuchung interkultureller Übersetzungsprozesse in der Missionspraxis der Frühen Neuzeit eine außerordentlich aufschlussreiche und bis dato nur als Steinbruch genutzte Quelle dar. Bei der Analyse von Pauckes Bericht ist zwischen verschiedenen Phasen der Niederschrift zu unterscheiden, die – so die Ausgangsthese des Projekts – unterschiedliche Phasen des interkulturellen Kontakts widerspiegeln. Untersucht werden sprachliche und kulturelle Übersetzungsprozesse zwischen Europäer*innen und der lokalen Bevölkerung am Gran Chaco sowie zwischen Jesuiten und Nicht-Jesuiten in Europa. Damit möchte das Projekt einen Beitrag zur Frage, wie Kommunikation und damit wechselseitige Verständigung und wechselseitiges Verstehen von kulturell verschieden geprägten Menschen möglich ist, zu leisten
Übersetzung wird in der Arbeit als grundlegendes Element jeglicher Kommunikation, insbesondere in sprachlich und kulturell differenten Situationen verstanden. Gemäß der methodischen Verbindung von philologischen und historischen Forschungsansätzen stehen die wechselseitigen Verschränkungen dieser Übersetzungsprozesse im Fokus des Projektes. Sie werden in der Doktorarbeit vierfach untergliedert. Über die Untersuchung der in Pauckes Bericht aufscheinenden ‚sprachlichen Übersetzungsprozesse‘ (A) wird Spracherwerb und Übersetzung praxeologisch interpretiert. Damit werden auch die indigenen Akteure in den Blick genommen, die Sprache vermittelten und inhaltlich (um)prägten. Über die Interpretation der ‚kulturellen Übersetzungsprozesse‘ (B), wird das Gebiet der Mocobier als eine vielschichtig gegliederte ‚Kontaktzone‘ rekonstruiert, in der sich einfache Gegenüberstellungen von Spaniern und Indigenen im Sinne postkolonialer Studien auflösen. Weil im Zusammenhang mit der Mission ‚religiöse Übersetzungsprozesse‘ (C) auf einer besonders expliziten Verschränkung von sprachlichen und kulturellen Übersetzungsprozessen und einem beinahe unlösbaren hermeneutischen Zirkel beruhen, werden sie gesondert betrachtet. Dies impliziert auch die Untersuchung von tradierten und überformten Wissensbeständen in dieser Kommunikation. Schließlich werden ‚mediale Übersetzungsprozesse‘ (D) in den Blick genommen. Ein zentraler Bestandteil des Forschungsprojektes besteht darin, die über hundert aquarellierten Handzeichnungen Pauckes nach deren inneren Logik zu untersuchen und den jeweiligen Text-Bild-Zusammenhang zu interpretieren. Dies verknüpft sich auch mit der Frage, in welche (Bilder)Sprache Paucke die Kultur und Religion der Mocobier übersetzte, um sie den Europäer*innen in seinem Bericht verständlich zu machen.
Ulrich Stober wird von der Gerda Henkel Stiftung gefördert.