Stadtentwicklung in Ostdeutschland seit 1990

Die Städte Ostdeutschlands waren gerade nach der Wiedervereinigung von starken Wanderungsbewegungen betroffen, was sich mit geschultem Auge noch immer in den Städten erkennen lässt. Neben den Kriegsschäden und dem sozialistischen Umbau sind es besonders die Schrumpfungsprozesse, welche die Stadtentwicklung prägten.

Leipzig: Stadtentwickelung nach 1990

Leipzig als größte Stadt Sachsens, mit 2020 etwas über 600.000 Einwohnern (Stadt Leipzig 2020), war seit dem Beginn der DDR von einem anhaltenden Bevölkerungsrückgang betroffen. Nach der Wiedervereinigung verstärkte sich das negative Wanderungssaldo, wodurch die Bevölkerung – bedingt durch die Abwanderung und die nachholende Suburbanisierung – weiter abnahm. Etwa 10 Jahre nach der Wende beginnt die Stadt Leipzig erstmals wieder dauerhaft zu wachsen. Die Auswirkungen des langen Bevölkerungsrückgangs und der sozialistisch geprägten DDR sind auch trotz der gewandelten Bevölkerungsentwicklung noch heute in der Stadt zu erkennen.  
Ausgehend von der sozialistischen Stadt, die sich in der DDR entwickelte (Heineberg et al. 2013), stand Leipzig besonders nach der Wende vor großen Herausforderungen. Aufgrund der verstaatlichten Boden- und Mietpreise war die Investition in Gebäude- und Infrastrukturen für Investoren nicht attraktiv und blieb somit zu DDR-Zeiten häufig aus. Mit der Wiedervereinigung und der Wende kamen zu den vernachlässigten Gebäudestrukturen die Bevölkerungswanderungen hinzu, die sich in Form einer nachholenden Suburbanisierung und der allgemeinen Abwanderung aus der DDR zeigten. Wie bereits erwähnt nimmt die Einwohnerzahl auch in Leipzig nach der Wende deutlich ab und steigt erst ab den 2000er Jahren wieder an. Die Städte schrumpfen, besonders aber die durch die sozialistische Stadtentwicklung ohnehin geschwächten Innenstädte und Stadtkerne verlieren an Bedeutung. Insgesamt entsteht in den ostdeutschen Städten ein enormer Modernisierungs- und Sanierungsbedarf aufgrund der sich verschlechternden Bausubstanz und den fehlenden Investitionen durch Privatinvestoren (ebd. S. 256f.). Auch das seit der Industrialisierung idealtypische Bild des stetigen Wachstums gerät ins Wanken, da gerade durch die Abwanderungen aus dem Osten und die nachholende Suburbanisierung das Schrumpfen der Städte nicht mehr aufgehalten werden kann. Erst nachdem die Schrumpfung bereits deutlich eingesetzt hatten, wandelte sich auch die Stadtplanung, um die negativen Folgen des Bevölkerungsrückgangs ausgleichen zu können. Aus dem Wohnungsmangel der DDR wurde in kürzester Zeit ein Wohnungsüberschuss welcher durch den entstehenden Mietermarkt mit immer weiter zurück gehenden Mieten als Rückkopplung die Bausubstanz weiter verfallen lies (ebd.). Besonders die zu DDR-Zeiten beliebten Großwohnsiedlungen oder auch Plattenbauten standen häufig leer oder wurden von der kaufkraftschwächeren Bevölkerung besetzt. Massenhafte Leerstände, vernachlässigte Gebäude und ein enormer Sanierungs- und Erneuerungsbedarf waren die Folge der schwindenden Bevölkerung und der vergangenen sozialistischen Stadtentwicklung.
Die Schrumpfungsprozesse hatten jedoch nicht nur Auswirkungen auf die bauliche Verfassung der Städte, sondern auch auf die sozialen Aspekte. Durch die Abwanderung der jungen und gebildeten Bevölkerungsschicht aus der DDR blieben vermehrt die weniger gebildeten und weniger mobilen Menschen in den Städten zurück. Mit der fast zeitglich einsetzenden nachholenden Suburbanisierung zogen zusätzlich junge und kaufkraftstärkere Menschen und Familien aus der Stadt ins Umland, wodurch gerade die ärmere, weniger mobile und weniger gebildete Bevölkerung in den Städten verweilte. Eine soziale Entmischung bis hin zur Polarisierung waren die Folge.
Als Reaktion auf die hohen Leerstandsquoten und die negative Stadtentwicklung in den ostdeutschen Städten wurde das Programm ‚Stadtumbau Ost‘ ins Lebens gerufen (BMI 2021). Zentral für dieses Programm war die Unterstützungen für den Rückbau „dauerhaft nicht mehr nachgefragter Wohnungen“ (ebd.) zur Stabilisation der Städte. „Aufwertungs- und Rückbauinvestitionen“ des Bundes wurden genutzt, um einige der zu DDR-Zeiten erbauten Großwohnsiedlungen wieder abzubauen und so die demographischen, wirtschaftlichen und strukturellen Veränderungen im städtebaulichen Kontext abzufangen. Auch als ‚Leipziger Modell‘ bekannt, entstand zu dieser Zeit aufgrund der Rückbaumaßnehmen das Stadtentwicklungsmodell der perforierten Stadt  (Heineberg et al. 2013, S. 149). Basierend auf dem Stadtentwicklungsplan Leipzigs aus den 2000er Jahren wurde eine Stadt mit diskontinuierlichem Bebauungscharakter entworfen. Die dicht bebauten Städte, welche von Leerständen geprägt waren, sollten – in Einklang mit dem Programm Stadtumbau Ost – aufgelockert werden, indem gezielt einzelne Gebäudeblöcke abgerissen und neue Freiflächen geschaffen werden. Die neu gewonnenen Flächen wurden in Leipzig teilweise in lockererer Form neu bebaut oder beispielsweise als Freiflächen in Form von Parks erhalten. Für Teile Leipzigs ergab sich daraus ein neues Problem, da die Infrastruktur für eine deutlich größere Bewohneranzahl ausgelegt war und demnach nicht ausgelastet wird. So muss heute beispielsweise die Kanalisation von Teilen Leipzigs regelmäßig gespült werden, weil der reguläre Durchfluss für die Kapazität der Kanalisation zu gering ist.
Bei der Schrumpfung der Städte wird generell auf die Schrumpfung von außen nach innen gesetzt (ebd.). Entgegen der traditionellen Wuchsrichtung einer Stadt – von innen nach außen – soll diese rückgebaut werden. In ostdeutschen Städten betrifft das meist zuerst die am Stadtrand zu DDR-Zeiten neu erbauten Großwohnsiedlungen, wohingegen in den innenstadtnahen Quartieren (Zentrum, Altstadtkerne oder auch Gründerzeitquartiere) auf eine Aufwertung und Sanierung der Bausubstanz gesetzt wird. Ziel ist es, die Innenstädte zu stärken und die Funktionen zu erhalten (BMI 2021). Im Zuge der Erhaltung und Stärkung der Innenstadt kann auch das Projekt „Pleiße ans Licht“ angesprochen werden (Stadt Leipzig 2021). Ziel dieses Projekts ist es, die Leipziger Fließgewässer in der Altstadt wieder ans Licht zu holen, da diese nahezu alle unterirdisch verlaufen. Die Attraktivität der Altstadt, die historische Bedeutung und auch die Lebensqualität soll durch diese Maßnahmen gefördert werden indem beispielweise neue Naherholungsräume geschaffen werden.
Neben der Altstadt mit all ihrere historischen Bedeutung ist auch der Stadtteil Plagwitz geographisch interessant. Rund um den Karl-Heine-Kanal erstreckt sich eines der alten Industrieviertel Leipzigs in welchem unter anderem auch die sächsische Wollgarnfabrik untergebracht war (Leipzig Days o.J.). Das mit über 100.000 Quadratmeter Geschossfläche ausgestattete Gebäude gilt heute als das größte deutsche Industriedenkmal und größter europäischer Gebäudekomplex der Gründerzeit. Nach der Wende und der Deindustrialisierung gingen auch hier unzählige Arbeitsplätze verloren, wodurch in Plagwitz insgesamt über 200.000 Quadratmeter Industriebrache entstanden und 1995 insgesamt 75 Hektar als Sanierungsgebiet ausgewiesen wurden. Seither entwickelte sich eine Umnutzung der Industrieflächen durch die Neuansiedlung von kleineren Gewerben und den Umbau der Gebäude zu Wohnkomplexen (Stadt Leipzig 2021). Auch die ehemals Sächsische Wollgarnfabrik wurde saniert und umgebaut, sodass dort heute Loftwohnungen zur Verfügung stehen.
Der Wandel des Stadtteils von der ehemaligen Industriebrache hin zum heute angesehenen Viertel für Kreativwirtschaft und Lebensraum von jungen Menschen und Familien kommt nicht allein durch die Sanierungsarbeiten der 1995er Jahre. Das heute ansässige Klientel entwickelte sich gemeinsam mit dem Viertel durch eine ausgeprägte Gentrifizierung. In Form einer idealtypischen Gentrifizierung siedeln sich sogenannte ‚Pioniere‘ in eher weniger attraktiven Vierteln an, da die Mieten in diesen Bereichen eher dem Budget der Pioniere entspricht (Kronauer 2018). Trotz des fehlenden finanziellen Kapitals sind die Pioniere – oftmals Studierende, Künstler oder Kreative – mit einem hohen kulturellen Kapital ausgestattet, was nach und nach zu einer Aufwertung des Viertels führt. Durch die kulturelle Aufwertung werden weitere Pioniere angezogen, wodurch es längerfristig über die steigenden Mieteinnahmen auch zu einer baulichen Aufwertung kommt. Durch den dann einsetzenden Zuzug der sogenannten ‚Gentrifier‘ – junge Menschen mit höherem finanziellem Kapital und auch junge Familien – steigen die Mieten weiter an und die bisher ansässigen Pioniere werden durch die Gentrifier verdrängt. Auch in Plagwitz hat dieser doppelte Invasions- und Sukzessions-Zyklus bereits stattgefunden und die infrastrukturelle Ausstattung hat sich den Anwohnern angepasst. Ausgestattet mit Kindergärten, Schulen, Freizeitgestaltungs- und Einkaufsmöglichkeiten ist der Stadtteil Plagwitz heute Heimat für die Kreativ- und Start-up-Szene Leipzigs sowie für junge Unternehmer und Familien (Stadt Leipzig o.J.).

Dresden: Stadtentwicklung nach 1990

Dresden, das Elbflorenz bekannt durch die malerische Kulisse am Elbufer. Nach dem Bombenanschlag im Februar 1945 war ein großer Teil der Stadt zerstört, besonders die Bauten der Altstadt. Die Frauenkirche, die Semperoper, der Zwinger und auch das Residenzschloss der ehemaligen sächsischen Kurfürsten lagen in Trümmern und wurden zum Teil zu DDR-Zeiten auch bewusst nicht wieder aufgebaut.
Durch den Bombenangriff der Alliierten in der Nacht vom 13. auf den 14. Februar 1945 wurde insgesamt eine Innenstadtfläche von 15 Quadratkilometern ausgelöscht. Unzählige Häuser, öffentliche Einrichtungen und Sakralbauten waren betroffen, von den Menschen ganz zu schweigen. Viele der stadtbildprägenden Gebäude waren lediglich so zerstört, dass sie im Laufe der Zeit wieder aufgebaut werden konnten. Der Zwinger (Namensgebung durch den mittelalterlichen Festungsstil und die Lage zwischen der äußeren und inneren Festungsmauer) als Gesamtkunstwerk durch das Zusammenspiel von Architektur, Plastiken und Malereien wurde bis 1963 wieder aufgebaut und erhielt noch zu DDR-Zeiten sein früheres Aussehen zurück (Miersch 2016b). Auch die berühmte Semperoper blieb von den Kriegsschäden nicht ausgenommen und wurde nach den Plänen des Architekten Gottfried Semper erneut aufgebaut, sodass 1985 die Semperoper als Spielstätte der Staatsoper mit zusätzlicher Erweiterung wieder in Betrieb gehen konnte (ebd.).
Weniger ‚reibungslos‘ lief der Wiederaufbau der Frauenkirche und des Residenzschlosses ab (Miersch 2016a). Unter der sozialistischen Führung der DDR war gerade das Schloss als ehemaliger Sitz der Feudalherren (ehemaliger Sitz der Dresdner Hofs, der sächsischen Kurfürsten und der Könige) zunächst in Trümmern gelassen worden zur Symbolisierung eines Mahnmals an die Vergangenen Zeiten. Um jedoch den Theaterplatz vor der Semperoper wieder entsprechend aufbauen zu können musste auch das Schloss wiederhergestellt werden. Der Wiederaufbau wurde somit noch unter sozialistischer Führung 1985 wieder aufgenommen. Entgegen der Versprechung aus DDR-Zeiten wurde der Wiederaufbau erst 2006 vollendet. Heute befinden sich in dem Schloss mehrere Museen und Ausstellungen, unter anderem auch das Alte und Neue Grüne Gewölbe. Während das alte Gründe Gewölbe die ehemalige Schatzkammer der Kurfürsten und Könige darstellte und die Ausstellungsstücke ungeschützt, frei zugänglich präsentiert, gleicht das neue Grüne Gewölbe eher dem Verständnis eines modernen Museums. In Vitrinen liegen hier unzählige Schmuckstücke aus, darunter auch der besonders eindrucksvolle Tischaufsatz ‚Der Thron des Großmoguls Aureng-Zeb‘, der aus unzähligen Einzelteilen und emaillierten Goldfiguren besteht. Das Residenzschloss als solches zählt heute zu den bedeutendsten Renaissance Schlossanlagen Europas und besteht aus drei einzelnen Schlosshöfen (ebd.). Im Impressionsfilm zur Exkursion können Sie ausgewählte Kunstwerke sehen.

Nicht unweit des Schlosses liegt ein weiteres und womöglich das bekannteste Wahrzeichen der Stadt Dresden: Die Frauenkirche. Von den direkten Bombenangriffen noch recht verschont stürzte die Frauenkirche erst am 15. Februar ein, nachdem der Sandstein der Kirche der Hitze und den Flammen nicht mehr standhalten konnte (Stiftung Frauenkirche Dresden o.J.). Mehrere Jahrzehnte wurden die Trümmer der Ruine nicht abgetragen, sondern „als Mahnmal gegen Krieg und Zerstörung“ (ebd.) bewahrt. Im Jahr 1982 wurde sie durch junge Menschen zu einem Ort des friedlichen Protestes in Ostdeutschland und erst 1993 begann der Wiederaufbau. Unter möglichst weitgehender Verwendung der originalen Steine wurde der Wiederaufbau 2005 beendet und mit der erneuten Weihe der Frauenkirche am 30.10.2005 abgeschlossen. Heute zeigt sich ein Mosaik aus hellen und dunklen Sandsteinen, was an die historische Bedeutung dieses Ortes erinnern soll.
Direkt angrenzend an die Frauenkirche lag auch der Neumarkt in Trümmern. Anders als die Kirche sollte dieser jedoch noch zu DDR-Zeiten nach sozialistischem Vorbild neu erbaut werden. Die geplanten Plattenbauten entlang der alten Straßenläufe wurden jedoch nicht realisiert, sodass erst 1994 mit dem Wiederaufbau begonnen werden konnte – und das nach dem historischen Vorbild von 1800 (Gesellschaft Historischer Neumarkt Dresden e.V. o.J.). Die Giebelhäuser aus der Renaissance wurden nachgestellt, sodass heute eine Mischung aus Moderne und Tradition den Platz ausmachen.

 

Literaturverzeichnis: