Fachbereich Geowissenschaften

Mineralverwachsungen (Polymorphien, Para- und Pseudomorphosen, Epitaxien und Zwillingsbildungen)

Die Erscheinung, daß ein und dieselbe Substanz (chemisches Element, Verbindung) in verschiedenen kristallinen Phasen (Modifikationen) vorkommen kann, wird seit MITSCHERLICH (1921) als Polymorphie (Vielgestaltigkeit) bezeichnet. Beispiele:

  • C: Graphit-Diamant
  • ZnS: Wurtzit-Zinkblende
  • FeS2: Pyrit-Markasit
  • SiO2: Quarz-Tridymit-Cristobalit-Coesit-Stishovit
  • CaCO3: Calcit-Aragonit
  • TiO2: Rutil-Anatas-Brookit
  • Al2SiO5: Disthen-Andalusit-Sillimanit.

Paramorphosen, oder Transformations-Pseudomorphosen

Bei den Paramophosen handelt es sich um Umwandlungs- bzw. Transformations-Pseudomorphosen. Dabei wandelt sich eine polymorphe Substanz, die also in zwei oder mehr Modifikationen (= kristalline Phasen oder Strukturtypen) existiert, bei Abkühlung (evtl. auch bei Druckentlastung oder beiden) unter Beibehaltung der äußeren Gestalt der erstgebildeten Phase von einer Modifikation in die andere um.

Im Mineralreich kennen wir für diese Art der Umbildung zahlreiche Beispiele:

  • Schwefel (o'rh.) ⇒ Schwefel (monoklin) (T = 95.6 °C);
  • H-Chalkosin (hexagonal) ⇒ T-Chalkosin (monoklin) (T = 103 °C);
  • Hochquarz (hexagonal) ⇒ Tiefquarz (trigonal) (T = 573 °C);
  • Aragonit (o'rh.) ⇒ Calcit (trigonal) (T = 400 °C)
  • und viele andere mehr.

Sanidin (monoklin) und Mikroklin (triklin)

Die bei langsamer Temperaturabnahme auftretenden Unordnungs-Ordnungs-Übergänge (in der Verteilung von zwei oder mehr Atomarten in sonst analoger Kristallstruktur) führen gleichfalls zu Paramorphosen.

In der Natur ist insbesondere bei magmatischen Tiefengesteinen und deren Mineralbestand eine langsame Abkühlung üblich. So war in jedem Hochtemperatur-Kalifeldspat K[AlSi3O8] die (Al-Si)-Verteilung zunächst, d.h. bei hohen Temperaturen, statistisch ungeordnet. Kühlt nun dieses Gestein, und damit der Kalifeldspat, rasch ab (z.B. als vulkanische Lava an der Erdoberfläche), so bleibt die Unordnung erhalten und es entsteht der glasklar durchsichtige Sanidin (so im Trachyt).
Bei langsamer Abkühlung in großen Tiefengesteinskörpern (wie dem Granit) kommt es jedoch allmählich zu einer geordneten (Al-Si)-Verteilung, und es entsteht aus dem Sanidin der trübe, trikline Mikroklin. Der Übergang Sanidin zu Mikroklin ist (im wesentlichen) eine diffusive Phasenumwandlung, d.h. Al- und Si-Atome "diffundieren" durch Teile der Kristallstruktur und tauschen ihre Plätze aus.

Dagegen ist der atomare Vorgang bei der Paramorphisierung beim Übergang vom Hochquarz zum Tiefquarz, wie auch beim Leucit, eine displazive Phasenumwandlung, wobei durch geringe Lageveränderungen der Atome die im Hochquarz gestreckten Si-O-Si-Bindungen beim Übergang zum Tiefquarz abgewinkelt werden.
Beim Übergang AragonitCalcit erfolgt eine rekonstruktive Phasenumwandlung, wobei die gesamte Aragonitstruktur verschwindet und durch Neukristallisation zahlreiche, kleine Calcitkriställchen entstehen.

Bei der Existenzmöglichkeit mehrerer kristalliner Phasen einer Substanz - der Polymorphie - kristallisiert im allgemeinen zunächst die energiereichste Phase aus, die sich dann stufenweise in energieärmere Phasen umwandeln kann (OSTWALDsche Stufenregel).
Bei allen Paramorphosen besitzt fast immer die Hochtemperatur-Phase eine höhere Symmetrie als die Tieftemperatur-Phase.

Pseudomorphosen

I. Entmischungs-Pseudomorphosen

Entmischungs-Pseudomorphosen entstehen durch die Entmischung (dem Zerfall in zwei oder mehr Phasen) eines bei höheren Temperaturen gebildeten Mischkristalls während eines gewissen Temperaturbereichs im Verlauf einer langsamen Abkühlung.

Die Perthitbildung der Alkalifeldspäte ist ein bekanntes Beispiel. Es ist die in jedem Granit übliche Entmischungs-Pseudomorphisierung des Hochtemperatur-Alkalifeldspatmischkristalls (K,Na)[AlSi3O8] in Kalifeldspat K[AlSi3O8] und lamellen- oder faserförmige Aggregate von Natronfeldspat (Albit) Na[AlSi3O8], beide in orientierter Verwachsung. Der Kalifeldspatanteil ist dabei meist als Paramorphose von Mikroklin nach Sanidin ausgebildet. Bei den Erzmineralien finden wir ebenfalls zahlreiche Beispiele für Entmischungs-Pseudomorphosen, die zum Teil als Geothermometer von Bedeutung sind.

II. Verdrängungspseudomorphosen

Die atomaren Vorgänge bei der Entstehung von Verdrängungs-Pseudomorphosen umfassen im Idealfall:
Auflösung vorhandener Kristalle einer Mineralart A, bei mehr oder weniger gleichzeitige Bildung neuer Kristallkeime einer Mineralart B, z.T. in orientierter (epitaktischer) Aufwachsung auf Resten des verschwindenden Kristalls, und Hineinwachsen der neuen Kriställchen in den durch Auflösung frei werdenden oder frei gewordenen Raum.

Sie verdanken ihrer Entstehung einer Veränderung des chemischen Stoffbestandes im Raum des Ausgangskristalls, und zwar in Bezug auf den Ausgangskristall durch:

  1. Abgabe von Bestandteilen
  2. Aufnahme von Bestandteilen
  3. Austausch von Bestandteilen, oder
  4. Austausch des gesamten Stoffbestandes.

Selten handelt es sich um eine aktive Verdrängung; meist ist es eine durch Lösungs- und Fällungsvorgänge bewirkte Veränderung des Stoffbestandes, die auch als Metasomatose bezeichnet werden kann.
Sie wird von Vorgängen der Hydratation, Oxidation, Reduktion, Karbonatisierung, Silifizierung usw. verursacht und begleitet.

Eine Pseudomorphose von Mineral B nach Mineral A bedeutet, daß das Mineral B zeitlich nach dem Mineral A gebildet wurde (A ⇒ B).
Diese Neubildung von Mineral B orientierte sich dabei an der Gestalt (Morphologie) des zuvor gebildeten, älteren Minerals A.

1. Es kommt nur zu einer Abgabe von Bestandteilen:
Ged. Silber nach Dyskrasit: Ag3Sb ⇒ 3 Ag + Sb
Calcit nach Gaylussit: Na2Ca[CO3]2 * 5 H2O ⇒ CaCO3 + 2 Na+ + CO32-+ 5 H2O

2. Es kommt nur zu einer Aufnahme von Bestandteilen:
Pyrit nach Pyrrhotin: FeS + S ⇒ FeS2
Silberglanz nach ged. Silber: 2 Ag + S ⇒ Ag2S
Gips nach Anhydrit: CaSO4+ 2 H2O ⇒ CaSO4 * 2 H2O (Hydratation)
Malachit nach Cuprit: Cu2O + H2CO3 + 0.5 O2 ⇒ Cu2[(OH)2|CO3]
Talk nach Quarz: 4 SiO2 + H2O + 3 "MgO" ⇒ Mg3[(OH)2|Si4O10]

3. Es kommt zu einem Austausch von Kationen und Anionen:
Muskovit nach Cordierit ("Pinit"): 3 Mg2Al3[AlSi5O18] + 5 K+ + 4 H+ + 3 Al(OH)2+ ⇒ 5 KAl2[(OH)2|AlSi3O10] + 6 Mg2+
Muskovit n. K-Fsp. ("Pinitoid"): 3 K[AlSi3O8] + 2 H+ ⇒ KAl2[(OH)2|AlSi3O10] + 2 K+ + 6 SiO2
Topaz nach Orthoklas: 2 K[AlSi3O8] + 2 HF ⇒ Al2[F2|SiO4] + H2O + K2O + 5 SiO2
Hornblende nach Augit ("Uralit"): 4 CaMg[Si2O6] + 2 H+ + Mg2+ ⇒Ca2Mg5[OH|Si4O11]2 + 2 Ca2+

3a) Es erfolgt nur ein Kationenaustausch
Dolomit/Siderit nach Calcit: 2 CaCO3 + (Mg,Fe)2+ ⇒ Ca(Mg,Fe)(CO3)2 + Ca2+
Smithonit nach Calcit: CaCO3 + Zn2+ ⇒ ZnCO3 + Ca2+
3b) Es erfolgt nur ein Anionenaustausch
Talk nach Magnesit: 3 MgCO3 + 4 H4SiO4 ⇒ Mg3[(OH)2|Si4O10] + 4 H2O + 3 H2CO3
Limonit nach Pyrit: 2 FeS2 + 15/2 O2 + 5 H2O ⇒ 2 FeOOH + 4 H2SO4
Chrysokoll nach Azurit: Cu3[OH|CO3]2 + 3 SiO2 + 4 H2O ⇒ 3 CuSiO3 * H2O + 2 H2CO3
Galenit nach Pyromorphit: Pb5[Cl|(PO4)3] + 5 H2S ⇒ 5 PbS + 3 H3PO4 + HCl
Malachit nach Azurit: 2 Cu3[OH|CO3]2 + 2(OH)- ⇒ 3 Cu2[(OH)2|CO3] + CO32-

4. Austausch des gesamten Stoffbestandes
Calcit nach Quarz (-Sandstein): SiO2 ⇒ CaCO3
Calcit nach Thenardit: Na2SO4 ⇒ CaCO3
Hornstein nach Aragonit: CaCO3 ⇒ SiO2
Hämatit nach Calcit: CaCO3 ⇒ Fe2O3
Vivianit nach Calcit (z.B. in Belemniten): CaCO3 ⇒ Fe3[PO4]2 * 8 H2O

Literatur:
STRUNZ (1982): Pseudomorphosen - Der derzeitige Kenntnisstand. Versuch einer Klassifikation.- der Aufschluss, 33, S. 313-342.

Gesetzmäßige Kristallverwachsungen (Zwillingsbildung und Epitaxien)

Eine "orientierte" Substanzabscheidung, insbesondere die gesetzmäßige Kristallverwachsung, ist jede strukturabhängige Verwachsung zwischen kristallinen oder subkristallinen geordneten Phasen. Folgende Orientierungsfälle können unterschieden werden:

1. Orientierte bzw. gesetzmäßige Verwachsung zweier gleicher Kristallindividuen:

  • Parallelverwachsung bzw. parallele Fortwachsung zweier gleicher oder isomorpher Partner (Eigen- oder isomorphes Wachstum).
  • Nicht-parallele Verwachsung zweier oder mehrerer gleicher Kristallindividuen unter Symmetrieerhöhung (Zwillingsverwachsungen).

2. Gesetzmäßige bzw. orientierte Verwachsung zweier verschiedener Kristallarten (orientierte Verwachsung i.e.S. = Epitaxie)

  • Parallelverwachsung zweier Glieder isomorpher Reihen außerhalb der Toleranzgrenze merklicher Mischbarkeit.
  • Achsenparallele Verwachsung isotyper Kristallarten mit ähnlichen Zelldaten aber stark verschiedenen Elektronenzuständen.
  • Orientierte Verwachsung verschiedener Modifikationen derselben Substanzart. Beisp.: Pyrit-Markasit
  • Orientierte Verwachsung zweier verschiedener, weder isomorpher noch isotyper Kristallarten.