Argumente für 4-jähriges Bachelor - plus 1-jähriges Masterstudium Physik (BaMa:4+1)
Mit der Umsetzung der Bologna-Reform wurde an deutschen Universitäten der Bachelor als erster berufsqualifizierender Abschluss definiert. In der Physik wurden (wie in fast allen anderen Fächern) nahezu deutschlandweit 3-jährige Bachelor-Studiengänge eingerichtet, an die sich ein 2-jähriger konsekutiver Masterstudiengang anschließt (BaMa:3+2).
Bachelor-Studium plus konsekutives Master-Studium
Wir favorisieren ganz klar – in Einklang mit der Konferenz der Fachbereiche Physik (KFP) – ein Physikstudium, das an den Bachelor den Master anschließt, da eine grundständige Ausbildung zum Physiker bzw. zur Physikerin im Rahmen eines Bachelorstudiums allein in der Regel nicht zu leisten ist. Das wesentliche Arguement hierbei ist, dass die einjährige Abschlussarbeit (Masterarbeit) essentiell ist, da gerade im Rahmen dieser Arbeit die Fähigkeit gefördert wird, Probleme verschiedenster Art anzugehen, Strategien zu deren Lösung zu entwickeln und, falls erforderlich, diese zu überdenken und weiter zu entwickeln. Solche Fähigkeiten sind für eine spätere Berufstätigkeit als Physiker/Physikerin essentiell gefragt. Dieses Argument für ein Bachelor-Studium plus konsekutives Masterstudium gilt natürlich sowohl für BaMa:4+1 als auch für BaMa:3+2.
Hierbei ist zusätzlich noch anzumerken, dass die Promotionsquote in der Physik in Deutschland eine der höchsten im Vergleich zu anderen Studienfächern ist, und deutlich über 50 % liegt. Der überwiegende Teil der Physik-Studierenden verlässt also erst nach der Promotion die Universität. Dies hängt sicherlich auch damit zusammen, dass in der Promotion – ähnlich wie in der Masterarbeit, aber in noch weit größerem Umfang – die oben genannten Fähigkeiten (weiter) entwickelt werden.
Derzeit liegen noch keine belastbaren Aussagen über die Berufschancen von Absolventen mit 3-jährigem oder 4-jährigem Bachelorstudium Physik vor, so dass an dieser Stelle kein Vergleich möglich ist. Die häufig geäußerte Meinung, dass ein 3-jähriger Bachelorabschluss als berufsqualifizierend nicht ernst zu nehmen ist, wird als Argument für ein konsekutives 2-jährigen Masterstudium angeführt. Im Vergleich hierzu bedeutet ein 4-jähriger Bachelorabschluss natürlich eine Aufwertung des Bachelorstudiums Physik. Ob sich ein solches Studium – immerhin mit fachlicher Vertiefung und der besseren Integrierbarkeit eines Auslandsstudiums – als wirklich berufsqualifizierend etablieren wird, kann dennoch bezweifelt werden, da auch diesem die wichtige einjährige Forschungsarbeit fehlt (s. Argumente oben). Dennoch möchten wir nicht ausschließen, dass in einzelnen Fällen der direkte Übergang in die Berufstätigkeit nach einem Bachelorstudium Physik sinnvoll sein kann. Die Wahrscheinlichkeit hierfür ist im Fall eines 4-jährigen Bachelorstudiums sicherlich größer als bei einem 3-jährigen Bachelorstudium.
4-jähriges Bachelor-Studium
Um eine solide Grundausbildung in nur 3 Jahren Regelstudienzeit zu gewährleisten wurden bei den 3-jährigen Bachelorstudiengängen die Wahlmöglichkeiten sowie die Möglichkeit der fachlichen Vertiefung gegenüber den bisherigen Diplomstudiengängen stark eingeschränkt, was notgedrungen die Tendenz der Verschulung mit sich brachte. Diese Tendenz wurde durch die Einführung studienbegleitender Prüfungen noch weiter verstärkt.
Mit einem 4-jährigen Bachelorstudiengang Physik versuchen wir dieser Tendenz entgegen zu wirken. Die Erweiterung von drei auf vier Jahre Regelstudienzeit ermöglicht eine wesentlich größere Flexibilität in der Wahl der Abfolge einzelner Module. Insbesondere ist damit – wie in dem bisherigen Diplomstudiengang von Studierenden häufig genutzt – ein Auslandsaufenthalt im dritten Studienjahr sinnvoll integrierbar. Weiterhin ist dadurch auch die fachliche Vertiefung bereits im Bachelorstudium möglich. In den BaMa:3+2 Modellen findet die fachliche Vertiefung typischerweise im ersten Jahr des Masterstudiums statt, und ist dadurch zwangsläufig auf zwei Semester begrenzt, da das zweite Masterjahr der Masterarbeit vorbehalten ist. Im Gegensatz hierzu kann im 4-jährigen Bachelorstudium, je nach Bedarf die fachliche Vertiefung bereits früher begonnen, d.h. auf das 3. und 4. Studienjahr verteilt werden.
Im Bereich der Pflichtmodule bleibt nach den Grundkursen Physik 1–3 in den ersten drei Semestern (und Mathematik f. Physiker 1 – 4 in den ersten vier Semestern) genügend Raum für verpflichtende sogenannte Basismodule (drei aus der theoretischen und fünf aus der experimentellen Physik). Diese erachten wir als essentiell für die Ausbildung zum Physiker/zur Physikerin, sind aber in einem 3-jährigen Bachelorstudiengang kaum unter zu bringen (zumindest nicht ohne auf Wahlmodule weitgehend zu verzichten). Als erstes Basismodul in Experimentalphysik empfehlen wir für das 4. Semester das Modul "Astronomie & Astrophysik". Die vier weiteren experimentellen Basismodule können und sollen in der Wahl ihrer Reihenfolge an das Vertiefungsfach angepasst werden. Konkret bedeutet dies, wenn zum Beispiel eine Vertiefung im Fach Astroteilchenphysik angestrebt wird, dann sollte nach dem experimentellen Basismodul „Astronomie & Astrophysik“ (im 4. Semester) das experimentelle Basismodul „Kern-& Teilchenphysik“ im 5. Semester belegt werden. Wird hingegen eine Vertiefung im Bereich Quantenmaterie angestrebt, so ist es sinnvoll im 5. Semester das experimentelle Basismodul „Kondensierte Materie“ zu belegen; siehe hierzu auch die Beispiele für unterschiedliche Studienverlaufspläne (Bachelor).
Der Bereich der Pflichtmodule umfasst zudem noch drei physikalische Fach-Praktika; diese sind mehr oder weniger Standard auch in 3-jährigen Bachelorstudiengängen, wobei in manchen Fällen das „Fortgeschrittenen-Praktikum“ (FP) in das Masterstudium geschoben wurde. Da sich das FP inhaltlich eng an die Basismodule Experimentalphysik anlehnt, halten wir aber dessen Integration in das Bachelorstudium für sinnvoller. Darüber hinaus verlangen wir ein fünfwöchiges „Orientierungspraktikum“, das eine Anschauung von praktischen Tätigkeiten als Physiker/Physikerin vermitteln soll. Dieses Orientierungspraktikum kann in privaten oder öffentlichen Einrichtungen im In- und Ausland absolviert werden. Wir erhoffen uns von diesem Praktikum eine zusätzliche Motivation der Studierenden, da hier die Anwendung des im Studium Erlernten, sowie die Berufsorientierung im Vordergrund steht. Als weiteres Pflichtmodul beinhaltet das Bachelorstudium die Bachelorarbeit. An dieser Stelle soll betont werden, dass die Bachelorarbeit (aufgrund des vergleichsweise geringen Umfangs) ganz sicher nicht als adäquater Ersatz für eine Masterarbeit angesehen werden kann. Die Bachelorarbeit ist dennoch sinnvoll, da sie eine Orientierungshilfe für die Masterarbeit geben kann (sowohl was die fachliche Ausrichtung als auch was die Arbeitsgruppe anbelangt in der die Masterarbeit angefertigt werden soll). Auch hier sehen wir Vorteile im 4-jährigen Bachelorstudiengang, da dieser eine weitaus stärkere fachliche Vertiefung ermöglicht, an deren Ende erst die Bachelorarbeit stehen kann (aber nicht muss), die dann thematisch direkt in die Masterarbeit übergehen kann (aber nicht muss). Ein solcher direkter Übergang in die Masterarbeit ist natürlich bei dem BaMa-3+2 Modell nicht möglich, da im Masterstudium zunächst die einjährige fachliche Vertiefung ansteht, bevor die Masterarbeit begonnen werden kann. Zudem ist der Übergang vom Bachelor- zum Masterstudium bei BaMa:4+1 einfacher, da der Beginn des Masterstudiums nicht mehr an den Beginn der Vorlesungszeit gebunden ist; ein Wechsel im laufenden Semester ist für Studierende der Physik in Tübingen sehr einfach möglich (durch Umschreiben vom Bachelor- zum Master-Studium).
Der 4-jährige Bachelorstudiengang ermöglicht über den Pflichtbereich hinaus das Belegen von weiteren Modulen – sogenannte Ergänzungsmodule und Module zur überfachlichen Qualifikation (ÜQ), für die in einem 3-jährigen Bachelorstudium kein oder nur wenig Raum vorhanden ist. Hier bietet sich die Möglichkeit auch über das Fach hinaus Kenntnisse (im Bereich der Naturwissenschaften, aber auch darüber hinaus) zu erwerben, was für eine spätere Berufstätigkeit von Vorteil sein kann. Weitere Informationen hierzu finden sich unter Infos Bachelor.
Insgesamt möchten wir mit einem flexibleren 4-jährigen Bachelorstudiengang die Eigenverantwortung der Studierenden stärken und Freiräume für deren Entfaltung schaffen. In den ersten drei bis vier Semestern ist die Wahlfreiheit allerdings noch sehr eingeschränkt. Hier werden zunächst im Wesentlichen die Physik Grundkurse 1 – 3, die Physikalischen Praktika 1 & 2 und die Mathematik für Physiker 1 – 4 studiert. Dieses Grundstudium unterscheidet sich nur wenig von einem bisherigen Diplomstudiengang oder einem 3-jährigen Bachelorstudienstudiengang Physik. Dies bedeutet übrigens auch, dass ein Wechsel nach drei oder vier Semestern in einen 3-jährigen Bachelorstudiengang Physik an einer anderen Universität einfach möglich sein sollte. Die größere Flexibilität des 4-jährigen Bachelorstudiengangs kommt also vor allem nach dem 3. Semester zum Tragen.
Der oft beklagten Reduzierung des Studiums auf das „ECTS-Punkte sammeln“ und einem permanenten Notendruck, von Beginn des ersten Semesters an (infolge der studienbegleitenden Prüfungen), begegnen wir mit einer Prüfungs- und Studienordnung, die ganz bewusst die Vergabe von ECTS-Punkten nicht nur für eine „erfolgreiche“ Teilnahme, sondern auch (in gewissen Grenzen) für eine „regelmäßige“ Teilnahme ermöglicht. Zudem gehen in die Bachelor-Note nur eine begrenzte Anzahl von Modulen im Umfang von wenig mehr als 50% der insgesamt erforderlichen ECTS-Punktezahl von 240 Leistungspunkten ein. Dies bedeutet also, dass nicht „jede Prüfung von Anfang an“ zählt. Und schließlich sei hier auch noch erwähnt, dass zwar unser Bachelorstudiengang Physik auf eine Regelstudienzeit von vier Jahren ausgelegt ist; dies bedeutet aber nicht, dass ein Abschluss nach vier Jahren verpflichtend ist – für diesen Abschluss gibt es keine Fristen.
Zuletzt sein noch erwähnt dass ein 3-jähriges Bachelorstudium Physik als Qualifikation für die Aufnahme in die „Graduate School“ in den USA mit großer Wahrscheinlichkeit nicht akzeptiert wird. Wer sich also mit dem Gedanken trägt, nach seinem Bachelorstudium Physik in die USA zur Promotion zu wechseln, ist sicherlich mit einem 4-jährigen Bachelorstudium besser gestellt.