Im Jahr 2021 stehen Frauen immer noch sehr oft vor der Frage, sich zwischen Familie und Karriere entscheiden zu müssen. Die junge Chirurgin Brittany Bankhead aus Texas ermutigt alle Frauen, ihren eigenen Weg zu gehen, ohne auf eines von beidem verzichten zu müssen. Im Interview spricht sie offen über die Anforderungen, die sie an sich selbst stellt, über Ängste und darüber, was sie antreibt, weiterzumachen.
Interview von Sarah Polzer
Frau Dr. Bankhead, 2013 gründete das National Institute for Health Research (NIHR) die GlobalSurg Collaborative, ein Forschungsnetzwerk, das inzwischen auf mehr als 15.000 Chirurginnen und Chirurgen aus allen Teilen der Welt angewachsen ist. Wie fühlt es sich an, ein Teil davon zu sein?
Es ist wirklich eine große Ehre, Teil des GlobalSurg Netzwerks zu sein. Diese internationale Gemeinschaft, die sich vor der Gründung von COVIDSurg gebildet hatte, bestand schon aus vielen hart arbeitenden Kolleginnen und Kollegen, die richtungsweisende Forschung mit dem Anspruch auf eine breite Anwendbarkeit betrieben haben. Mit der Gründung des COVIDSurg Forschungsnetzwerks ist diese Initiative weiter angewachsen. Das entstand aus dem Antrieb heraus, gemeinsam etwas zu schaffen. Mir hat es sehr gefallen, dass es bei COVIDSurg um die Durchführung hochwertiger, groß angelegter Studien und um evidenzbasierte Medizin geht, mit dem Ziel die chirurgische Versorgung unserer Patienten zu verbessern.
Wie haben Sie damals von dem Netzwerk erfahren?
Ich habe über Twitter von dem Netzwerk erfahren! Im März 2020, als COVID-19 zum ersten Mal in den USA auftrat, kommentierte ich den Tweet eines Freundes damit, dass wir unbedingt chirurgische Forschung zu COVID-19-Patienten betreiben sollten. Dieser Freund machte mich über Twitter mit Aneel Bhangu* bekannt, der gerade ein neues Forschungsnetzwerk unter dem Dach von GlobalSurg aufbauen wollte, das sich ausschließlich mit chirurgischen COVID-19-Patienten befassen sollte. Von da an organisierte sich eine Gruppe, gab dem Projekt einen Namen und brachte schließlich bemerkenswerte Forschungsergebnisse hervor. Ich weiß noch, wie wichtig es in den ersten Tagen war, diese Gruppe nicht nur als Forschungsnetzwerk zu haben, sondern auch als klinisches Netzwerk. Chirurginnen und Chirurgen sowie Anästhesistinnen und Anästhesisten tauschten ihr Fachwissen von China bis Italien aus – und das war von unschätzbarem Wert. Es war im Grunde alles, was uns damals zur Verfügung stand, um zu erfahren, was da auf uns zukommen würde.
*Aneel Bhangu ist Leiter der Global Health Research Unit on Global Surgery an der Universität Birmingham und Leiter des GlobalSurg Forschungsnetzwerks. Später wurde er auch globaler Leiter des COVIDSurg Forschungsnetzwerks.
Sie sind sehr aktiv in den sozialen Medien. Verfolgen Sie dabei ein bestimmtes Ziel?
Durch die sozialen Medien haben sich mir so viele berufliche Möglichkeiten eröffnet, für die ich sehr dankbar bin. COVIDSurg ist mein persönliches Paradebeispiel dafür, denn ohne die Hilfe von Twitter hätte ich diese Gruppe mitten in der Pandemie nie gefunden. Außerdem kam ein Artikel über meine persönlichen Erlebnisse während der Pandemie, der im New Yorker erschienen ist, auch nur durch die Vermittlung eines Bekannten auf Twitter zustande. Ich versuche, in sozialen Medien ein sehr realistisches Bild von mir zu vermitteln. Besonders möchte ich diejenigen erreichen und inspirieren, die bisher keine Frauen oder Mütter gesehen haben, die auch in der akademischen Medizin aktiv und präsent sind.
In einem Artikel, der in der Fachzeitschrift Association of American Medical Colleges erschien, sprachen Sie sehr offen über die Auswirkungen der Pandemie auf Ihr eigenes Leben. Sie scheuten sich auch nicht mit Ihren posttraumatische Belastungsstörungen an die Öffentlichkeit zu gehen. Das ist einerseits sehr mutig, zeigt aber auch, dass wir noch lange damit zu kämpfen haben werden. Wie gehen Sie heute damit um?
Ja, ich habe mich bewusst dazu entschlossen, in verschiedenen Medien über Erfahrungen, die ich als Ärztin während meines COVID-19 Einsatzes gemacht habe und über meine Probleme mit posttraumatischen Belastungsstörung zu sprechen. Die Arbeit als medizinisches Fachpersonal mit COVID-19 Patienten verlangt uns sowohl körperlich als auch mental und emotional einiges ab. Ich war sehr nervös, diesen Schritt zu gehen, da ich nicht wusste, welche beruflichen Auswirkungen das für mich haben würde. Auch wie die Öffentlichkeit reagieren würde, konnte ich im Vorhinein nicht einschätzen. Letztlich war es mir aber aus mehreren Gründen wichtig. Erstens damit die breite Öffentlichkeit einen Einblick in das bekommt, was wir seit über einem Jahr in der medizinischen Versorgung leisten. Diese Belastung fordert nicht nur einen körperlichen Tribut von uns - es ist auch eine emotionale und mentale Belastung, die viele von uns noch lange mit sich tragen werden, auch wenn die Patienten das Krankenhaus schon lange verlassen haben. Zweitens möchte ich eine Geschichte erzählen, die nicht nur meine eigene ist. Posttraumatische Belastungsstörungen im Zusammenhang mit der Behandlung von COVID-19-Patienten kommen häufig vor, und viele meiner Kollegen trauen sich, wie ich zuvor, nicht, öffentlich darüber zu sprechen. Ich habe das Gefühl, dass meine Geschichte zu erzählen, uns allen eine gewisse Bestätigung gibt. Und ich hoffe, dass alle Beschäftigten im Gesundheitswesen, die sich auch so fühlen wie ich, so als wären sie die Einzigen, die diese Erfahrung machen müssen, wissen, dass sie keineswegs allein sind und an wen sie sich wenden können - bevor alles zu einer zu großen Belastung anwächst, die sie allein nicht mehr tragen können. Und schließlich hat mir das Teilen meiner eigenen Geschichte ehrlich gesagt geholfen, persönlich darüber hinwegzukommen.
Nach all den Eindrücken, die Sie in den letzten anderthalb Jahren während der Pandemie gesammelt haben, welche Lehren ziehen Sie aus dieser Zeit?
Meine Güte, es gibt eine Fülle von Informationen und unendlich viele Grundsätze und Dinge, die wir aus der Pandemie gelernt haben. Ich denke, ich habe vor allem gelernt, dass es sehr wichtig ist, die Öffentlichkeit zu informieren und für unseren Berufsstand einzutreten. Niemand weiß besser, welche Gefahren für unsere Bevölkerung bestehen, als diejenigen, die an vorderster Front stehen. Die COVID-19-Pandemie bot uns auch die Gelegenheit, die Gesundheitssysteme und Möglichkeiten zur Verbesserung zu bewerten. Außerdem haben unsere Forschungsiniziativen gezeigt, warum es so wichtig ist neue Informationen schnell und effektiv verbreiten zu können, ohne dabei die Qualitätssicherung wissenschaftlicher Arbeit, den sogenannten Peer-Review-Prozess* über Bord zu werfen. Sie hat uns gezeigt, warum es so wichtig ist neue Informationen schnell und effektiv zu verbreiten, ohne dabei den Peer-Review-Prozess* zu verlieren.
*hier: Bewertung der Studien durch unabhängige Wissenschaftler desselben Forschungsgebiets
Sie sind jetzt beruflich in Ihrer ersten Führungsrolle. Welche Erfahrungen haben Sie auf Ihrem dorthin Weg dorthin gemacht, die Ihnen besonders in Erinnerung geblieben sind?
Die beiden wichtigsten Erfahrungen, die ich in meiner bisherigen Laufbahn gesammelt habe, sind die Geburten meiner Kinder Knox und Tinsley während meiner Ausbildung. Knox war mein Baby im Medizinstudium und ich hatte nur sechs Wochen, bevor ich mein Praktikum in der Inneren Medizin beginnen und für das nachfolgende klinische Examen lernen musste.
Tinsley war das Baby meiner chirurgischen Assistenzarztzeit und kam im vierten Ausbildungsjahr zur Welt. Auch bei ihr hatte ich nur sechs Wochen frei. Beide Schwangerschaften, Entbindungen und die Zeit nach der Geburt eines Neugeborenen waren auf ihre Weise sehr anstrengend. Mehr als alles andere wollte ich meinen neugeborenen Babys, meinen Arbeitskollegen und mir selbst beweisen, dass ich all diese unterschiedlichen Rollen perfekt unter einen Hut bringen kann. In Wahrheit konnte ich nie alles so gut machen, wie ich es eigentlich wollte. Aber mit der Zeit hatte ich mehr Nachsicht mit mir selbst und fand ein neues Gleichgewicht im Leben, indem ich vielen Rollen nacheinander oder manchmal sogar gleichzeitig gerecht werden konnte, je nach Tageszeit.
Die zweitwichtigste Erfahrung, die ich bisher gemacht habe, war die Tätigkeit als Intensivmedizinerin während des Höhepunkts von COVID-19, inmitten der beiden ersten großen Wellen, die wir in den Vereinigten Staaten erlebt haben. Das Ausmaß an Tod und Verzweiflung bei unseren Patienten und ihren Familien, verbunden mit der Angst um unser eigenes Leben und das unserer Familien, war etwas, das ich nie vergessen werde und was immer ein Teil von mir bleiben wird. Diese Zeit hat mich für immer geprägt und ist Teil meiner eigenen Geschichte geworden, sowohl in prägender als auch in verändernder Hinsicht.
Wie haben Sie zur Medizin gefunden?
Ich wollte schon immer Ärztin werden! Bereits in dem kleinen "Über mich"-Büchlein, das meine Eltern noch aus Kindergartenzeiten aufbewahrt haben, steht: "Wenn ich groß bin, will ich Ärztin werden!" Der Weg dorthin erwies sich als sehr lang und schwierig. Das erforderte einige Umwege. Es zwang mich einige Male alles zu hinterfragen und auch andere Optionen im Gesundheitswesen in Betracht zu ziehen, etwa ein Pharmaziestudium oder eine Ausbildung als Arzthelferin oder auch Berufe außerhalb des Gesundheitswesens, wie in der Wirtschaft oder im Ingenieurwesen. Mein Herz und mein Verstand waren sich aber darüber einig, dass mich nichts davon so erfüllen würde wie mein Medizinstudium, egal wie lang der Weg auch sein würde. Jedes Mal, wenn es besonders schwer für mich wurde und meine Freunde schon viel weiter in ihren Karrieren vorankamen und ich immer noch Medizin studierte, fragte mich meine Mutter: "Wenn du nicht hier wärst, was würdest du denn sonst tun?". Das erinnerte mich immer daran, dass ich, egal wo auf der Welt ich sein würde, ich nie so glücklich gewesen wäre, wie ich es während meines Medizinstudiums und auf Weg zu meinem Traumberuf war.
Warum haben Sie sich für die Unfallchirurgie und für die Intensivmedizin entschieden?
Ich habe mich für die Unfallchirurgie entschieden, weil ich es liebe den gesamten Patienten zu versorgen und jeden Teil des Körpers operieren zu dürfen. Ich wollte nie die Fähigkeit verlieren, mich um den ganzen Patienten zu kümmern. Als Intensivmedizinerin habe ich zudem mit der komplexen Physiologie von chirurgischen Patienten zu tun. Unweigerlich kümmern wir uns daher auch um alle medizinischen Probleme und die Intensivpflege, da unsere chirurgischen Patienten oft auch unterschiedliche Begleiterkrankungen mitbringen. Außerdem gefällt mir der Zeitplan, den mir das akademische Modell in der Unfall- und Akutchirurgie bietet: Es ermöglicht mir, Mutter und Ärztin zu sein: Ich kann hart als Ärztin arbeiten, während ich in der Klinik bin und zuhause ganz für meine Kinder da sein, wenn ich nicht arbeiten muss.