Exzellenzstrategie

Während der Pandemie zog Hans Lederhuber von Deutschland nach Großbritannien um. Von dort aus setzte er seine Arbeit im internationalen COVIDSurg-Forschungsnetzwerk als einer der Studienleiter für Deutschlands fort. In einem sehr persönlichen Interview berichtet der Chirurg über seine Erfahrungen und die Erkenntnisse, die er im Laufe seiner Karriere gesammelt hat.

Interview von Sarah Polzer

Herr Dr. Lederhuber, Sie sind nationaler Leiter von COVIDSurg Deutschland. Welche Rolle spielt Deutschland in dem Forschungsnetzwerk und wo liegen hier die Schwerpunkte?
Deutschland spielt eine wichtige Rolle im COVIDSurg-Verbund, da es eines der bevölkerungsreichsten Länder in der Europäischen Union ist und ein Gesundheitssystem hat, das sich von dem in vielen anderen europäischen Ländern stark unterscheidet. Daher ist es notwendig, dies in einer weltweiten Studie widerzuspiegeln. Darüber hinaus würde ich nicht sagen, dass Deutschland eine besondere Rolle spielt oder eine andere Rolle spielen sollte als die anderen bei COVIDSurg beteiligten Länder.

Gab es einen Schlüsselmoment, der Sie dazu gebracht hat bei COVIDSurg mitzumachen?
Ja und nein. Ich habe einfach Anfang März 2020 auf Twitter mit Aneel Bhangu* und anderen eine Diskussion geführt. Wir waren uns einig, dass wir eine Art Konsensuspapier zur chirurgischen Versorgung während der Pandemie brauchen. COVIDSurg war noch nicht wirklich geboren. Die Pandemie gewann gerade an Fahrt und die Diskussionen auf Twitter kochten hoch, wie der chirurgische Berufsstand reagieren sollte. Dieser Austausch auf Twitter hat mich mit Aneel Bhangu und mit dem, was später COVIDSurg werden sollte, zusammengebracht.
*Aneel Bhangu ist Leiter der Global Health Research Unit on Global Surgery an der Universität Birmingham und Leiter des GlobalSurg Forschungsnetzwerks und später auch globaler Leiter des COVIDSurg Forschungsnetzwerks.

Was ist Ihrer Meinung nach die Philosophie hinter COVIDSurg und wie können Sie sich damit identifizieren?
Ich weiß nicht, ob ich es eine Philosophie nennen würde. Ich würde es eher als einen modernen, integrativen, vorausschauenden und lösungsorientierten Forschungsansatz bezeichnen, der auf dem Grundsatz beruht, dass jeder einen sinnvollen Beitrag leisten kann und dass jeder Beitrag sehr wichtig und wertvoll ist.

Wie gehen Sie persönlich mit der Pandemie um? Gab es während dieser Zeit prägende Momente, die Ihre Sicht auf die Dinge verändert haben?
Ich schätze, ich gehe mit der Pandemie um wie jeder andere auch, der im Gesundheitswesen arbeitet. Ich mache weiterhin meine Arbeit, habe bessere und schlechtere Tage. Ich fühlte mich nach so vielen Monaten ein wenig müde und fragte mich, ob ich weitermachen möchte, wenn die Pandemie zur neuen Normalität würde. Ich habe viel Freude an der Zeit mit meiner Familie gefunden. Es gab keine prägenden Momente für mich. Aber ich bin auf dem Höhepunkt der Pandemie in ein anderes Land gezogen und das hat mich darin bestärkt, dass ich die geltenden Regeln einhalten kann, ohne mein Leben völlig umstellen zu müssen.

Welche Lehren können wir aus der Pandemie ziehen? Gibt es vielleicht auch positive Aspekte?
Wir können sehr viel aus der Pandemie lernen! Wir haben gesehen, wie anfällig viele Bereiche sind und dass viele Routinen während einer Pandemie nicht gut funktionieren. So mussten beispielsweise klinische Studien schnell von Ethikkommissionen bewertet werden - für dieses Szenario gab es keine speziellen Richtlinien. Wir haben gelernt, dass wir international zusammenarbeiten müssen, wenn wir überleben wollen. Wir können nicht alles allein auf nationaler Ebene lösen. COVIDSurg geht hier mit gutem Beispiel voran. Am Ende könnte sich herausstellen, dass die Pandemie ein katastrophales Ereignis
ist, das zu einer noch größeren Kluft bezüglich der Unterschiede in der Gesundheitsversorgung zwischen privilegierten und weniger privilegierten Gruppen führt. Oder, und das ist meine Hoffnung, dass wir den Kurs ändern und aktiv neu definieren, wie ein gleichberechtigtes und allgemein zugängliches Gesundheitssystem der Zukunft aussehen sollte.

Woran forschen Sie gerade und was war ausschlaggebend dafür, sich diesem Thema zu widmen?
Mein derzeitiges Hauptforschungsgebiet ist -neben COVIDSurg- die Forschung an Bauchwandhernien. Es ist ein sehr komplexes Gebiet, mit einer Vielfalt von Erkrankungen, die in unterschiedlichem Maß einen sehr großen Teil der Bevölkerung früher oder später im Leben betrifft. In diesem Bereich gibt es massive Wissenslücken und wenig Evidenz.

Gab es in Ihrer bisherigen Laufbahn ein Erlebnis, das Ihnen besonders in Erinnerung geblieben ist?
Der erste Patient, der unter meiner Obhut gestorben ist. Er war ein palliativer Krebspatient und ich hatte eine recht enge Bindung zu ihm aufgebaut, da ich ihn schon seit geraumer Zeit betreute. Ich durfte auf der letzten Etappe seines Weges an seinem Leben teilhaben und ich bin immer noch dankbar für diese Erfahrung. Ich persönlich habe nie verstanden, warum Angehörige von Gesundheitsberufen versuchen sollen, ihr Berufsleben vom Privatleben zu trennen und sich nach Feierabend irgendwie "abzuschirmen". Ich habe das nie getan und würde es auch nicht wollen.

Wo wir gerade bei emotionalen Erfahrungen sind: Wie sollten Chirurginnen und Chirurgen mit einer fehlgeschlagenen Operation umgehen?
Ich glaube nicht, dass es eine allgemeingültige Bewältigungsstrategie gibt. Die Mechanismen zur Bewältigung hängen teilweise von der eigenen Geschichte ab. Jeder Mensch ist da anders. Aber wenn ich versuchen soll, es aufzuschlüsseln, würde ich sagen: Geh nach Hause, umarme deine Familie, deine Freunde oder denke daran was sonst noch gut im Leben ist, und lasse die Trauer und Selbstzweifel für eine Weile zu (wenn man nicht zweifelt oder trauert, sollte man vielleicht sogar über einen Berufswechsel nachdenken). Aber dann sprich mit Kollegen, die es gut meinen, mit einem Mentor. Jemand, der nicht nur bestätigt, was du hören willst, aber der dir gleichzeitig die Gewissheit gibt, dass alles gut wird, weil so etwas buchstäblich jeder Arzt schon durchgemacht hat. Und natürlich solltest du mit dem Patienten sprechen. Sei ehrlich und gehe konstruktiv mit Kritik um. Wenn der Patient wütend ist, schluck es einfach herunter. Ich habe erlebt, wie aus ehrlichen, aufrichtigen Gesprächen nach Komplikationen tiefe Beziehungen zwischen Arzt und Patient entstanden sind.

Während Ihrer Ausbildung waren Sie nicht nur in Deutschland. Welche Stationen lagen auf Ihrem Weg?
Ich habe in München und Wien Medizin studiert und als Rettungssanitäter gearbeitet. In Wien war ich in der Grundlagenforschung tätig, bin von dort aus nach Schweden gezogen und habe dort mein Praktikum und meine chirurgische Facharztausbildung gemacht. Danach kam ich zurück nach Deutschland und habe dort als Facharzt in der Chirurgie gearbeitet. Vor kurzem bin ich nach Exeter ins Vereinigte Königreich umgezogen, um als Stipendiat bei Professor Neil Smart zu arbeiten.

Sie haben sich für einen medizinischen Beruf entschieden. Was hat Sie zu dieser Entscheidung bewogen?
Ich war mir schon in der Schule sicher, dass ich Arzt werden wollte. Aber an ein auslösendes Ereignis oder einen Prozess kann ich mich nicht erinnern. Mein bester Freund und ich verfolgten unsere Pläne, solange ich denken kann, wenn es um die Berufswahl ging. Er arbeitet heute als Kinderarzt, ich als Chirurg. Ich konnte mir schon früh vorstellen, Chirurg zu werden, aber negative Erfahrungen mit mobbenden Arbeitskollegen ließen mich umdenken und ich fragte mich, ob ich mich dem wirklich aussetzen wollte. Eine sehr positive Erfahrung in der Kinderheilkunde veranlasste mich, dieses Fachgebiet eine ganze Weile anzustreben - bis ich schließlich merkte, dass die Chirurgie immer noch das war, was ich machen möchte. In einem modernen, gleichberechtigten, aufgeschlossenen Umfeld mit flachen Hierarchien bietet sie im Idealfall genau die richtige Mischung aus Handwerk, Teamarbeit und intellektueller Herausforderung.