Markus Löffler forscht gemeinsam mit seinem Team in Tübingen zu verschiedenen Themen an der Schnittstelle zwischen Chirurgie, Immunologie, Onkologie und klinischer Pharmakologie. Momentan ist er aber auch an der Entwicklung eines Impfstoffs gegen COVID-19 und dessen klinischer Erprobung beteiligt. Im Interview spricht er über seine Erfahrungen mit dem globalen Forschungsnetzwerk COVIDSurg und gibt zukünftigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern einige Tipps.
Interview von Sarah Polzer
Herr Dr. Löffler, wie haben Sie zu COVIDSurg gefunden?
Twitter war der wesentliche Kristallisationskeim. Durch einen Tweet meines Kollegen Hans Lederhuber bin ich auf COVIDSurg gestoßen. Ich kann mich noch genau an den Beginn erinnern, es war der 15. März 2020 - mein Geburtstag. Ich habe nur kurz im ganz kleinen Kreis mit Kaffee und Kuchen gefeiert. Wir waren kurz vor dem ersten Lockdown in Deutschland und es herrschte große Ungewissheit über das, was uns erwarten würde. Danach habe ich Hans angerufen und wir stellten uns die Frage, was wir tun können. Wir haben beschlossen eine Mustervorlage zu verfassen, so dass man damit einen Antrag bei einer der vielen deutschen Ethikkommissionen stellen kann. Auf etwa zwanzig Seiten legten wir unser Anliegen mit zahlreichen Aspekten dar. Am 20. März haben wir einen solchen Antrag dann in Tübingen eingereicht und schon nach sechs Tagen eine positive Rückmeldung erhalten. Noch nie habe ich es erlebt, dass ein derartiger Antrag so schnell geprüft wurde.
Welche Rolle spielte Tübingen?
Tübingen war Vorreiter und ebnete den Weg für die Erfassung wichtiger Daten von COVID-19 Patientinnen und Patienten in der Chirurgie in ganz Deutschland. Etwa einen Monat nach dem Tübinger Ethik-Votum haben wir das Manuskript bei der medizinischen Fachzeitschrift The Lancet eingereicht. Ende Mai wurde diese Studie dann bereits publiziert. Dazu haben weltweit 1243 Kolleginnen und Kollegen beigetragen.
Was ist das Kernthema der Studien?
Alle im COVIDSurg Netzwerk haben das Ziel verfolgt, die Chirurgie sicherer zu machen. Die erste dieser Studien hat gezeigt, dass die Sterblichkeit von COVID-19 Patientinnen und Patienten, die operiert werden mussten, ganz massiv erhöht war. Während der Studie sind 23,8% der eingeschlossenen Patienten innerhalb von 30 Tagen verstorben. Bei 24,8 % der Operationen handelte es sich um elektive, also geplante Operationen. Rund drei Viertel der Fälle waren Notfalloperationen. In einer nachfolgenden Studie sind wir dann der Frage nachgegangen, wann wieder ein sicherer Zeitpunkt ist, geplante Operationen nach einer SARS-CoV-2- Infektion durchzuführen. Dazu haben wir Daten von mehr als 140 000 Patientinnen und Patienten auf der ganzen Welt gesammelt und ausgewertet.
Wie wurden das Einverständnis der Patientinnen und Patienten eingeholt, die an dieser Studie teilnahmen?
Es handelt sich ausschließlich um anonymisierte Daten, die keinerlei Bezug zu der jeweiligen Patientin oder dem jeweiligen Patienten herstellen. In Deutschland mussten alle Patientinnen und Patienten, die in die Studie eingeschlossen werden sollten, zuvor informiert werden. Zum Teil lief das auf Widerspruchsbasis nach entsprechender Information, zum Teil wurden aber auch mündliche sowie schriftliche Einverständniserklärungen eingeholt. Die jeweils zuständige Ethikkommission hat das vorher geprüft und ein Votum erteilt, entsprechend gibt es auch auf Klinikebene Unterschiede. Nach den einzelnen Prüfverfahren hatten wir für die Studie das „Go“ an verschiedenen Standorten.
Was war das für ein Gefühl als die Studie in der Fachzeitschrift The Lancet veröffentlicht wurde?
Logistisch war das alles sehr schwierig gewesen. Umso größer war die Freude, als diese Publikation zustande kam. Da hat wirklich Wissenschaft in Echtzeit stattgefunden. Wir hatten beispielsweise eine WhatsApp-Gruppe, für Fragen, um uns so gegenseitig bei Problemen zu unterstützten. Zudem gab es eine Hotline, die uns bei spezifischen Fragen zur Seite stand. Der Fachartikel wurde mittlerweile über tausend Mal zitiert und ist in den Leitlinien der Weltgesundheitsorganisation (WHO) referenziert. Auch die Mortalitätsraten bei infizierten chirurgischen Patientinnen und Patienten sind höchstwahrscheinlich im weiteren Verlauf gesunken. Das hat viele von uns angespornt weiterzumachen.
Sie sind einer der Leiter von COVIDSurg in Deutschland. Wie gelang es Ihnen so schnell ein Team zusammenzustellen und zu strukturieren?
Ganz am Anfang ging es darum, Leute an Bord zu bekommen. Das war sehr E-Mail lastig. Ich habe ganz viele Leute angeschrieben und auch bei persönlichen Kontakten nachgehakt. Ich ziehe noch immer den Hut vor allen, die in dieser Zeit mitgearbeitet haben. Besonders zu erwähnen sind Hans Lederhuber and Markus Albertsmeier, die dabei eng mit mir zusammengearbeitet haben. COVIDSurg entstand aus dem Forschungsnetzwerk GlobalSurg heraus. Der Hauptsitz ist deshalb in Birmingham. Tübingen war aber schon seit Beginn an den Studien von COVIDSurg beteiligt.
Was nehmen Sie persönlich aus der Arbeit im Netzwerk mit?
Ich habe mich in verschiedenen Bereichen enorm weiterentwickelt. Es war eine unglaubliche Erfahrung mit so vielen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Ländern von A bis Z zusammenzuarbeiten, beispielsweise Telefonkonferenzen zu führen und über ein Thema zu diskutieren, das uns alle bewegt hat. Das Netzwerk hat mir gezeigt, dass wir viel zu wenig über unseren eigenen Tellerrand hinausblicken.
Im Sommersemester 2021 haben Sie gemeinsam mit Michael Pelzer vom Seminar für Allgemeine Rhetorik das Praxisseminar Visuelle Wissenschaftskommunikation in der Medizin: COVIDSurg an der Universität Tübingen geleitet. Wie kam das zustande?
Das Ganze entstand aus einem glücklichen Zufall heraus. Ich habe über den Excellenzcluster iFIT* in Tübingen an einem Online-Seminar von Michael Pelzer zum Thema Wissenschaftskommunikation teilgenommen. Wir kamen so ins Gespräch. Ich habe davon erzählt, was ich mache und woran ich forsche. Er fand das sehr spannend und hat mich darum gebeten, ihm die COVIDSurg Studien, die wir durchführten, genauer zu erklären. Daraufhin hat er vorgeschlagen ein Pilotprojekt mit Studentinnen und Studenten zu starten, in dem es um visuelle Wissenschaftskommunikation gehen sollte. Wir feilten gemeinsam an der Idee und suchten nach Expertinnen und Experten von COVIDSurg, die unseren Kursteilnehmerinnen und -teilnehmer mit weiterem Fachwissen zur Seite stehen konnten. An einem Tag hatten wir im Seminar verschiedene Expertinnen und Experten aus aller Welt digital zugeschaltet. Das Erlebnis war unglaublich, einen Abend lang die Welt dort zu Gast zu haben. Die Seminarplanung war sehr aufwendig und intensiv. Gleichzeitig, aber auch sehr aufregend, weil wir nicht wussten, was dabei herauskommen würde. Die Mischung aus Studierenden mit verschiedenen Fachhintergründen hat mir besonders gefallen. So ist es möglich, aus der eigenen Blase herauszutreten und einen anderen Blickwinkel auf die Dinge zu bekommen.
*Der Exzellenzcluster 2180 "Individualisierung von Tumortherapien durch molekulare Bildgebung und funktionelle Identifizierung therapeutischer Zielstrukturen" (iFIT) ist der einzige onkologische Exzellenzcluster in Deutschland. Im Konsortium arbeiten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in einer weltweit einmaligen Kooperation dreier unterschiedlicher Forschungsbereiche zusammen, um neue, individualisierte Krebstherapien zu entwickeln.
Wird es weitere Seminare dieser Art geben, die gemeinsam mit Studentinnen und Studenten durchgeführt werden?
Ja. Auch dieses Wintersemester bieten wir wieder ein interdisziplinäres Praxisseminar an. Diesmal geht es um Impfstoffentwicklung in Tübingen. Das Ganze findet als Hybridveranstaltung statt. Die erste Kick-off Veranstaltungen fand in Präsenz statt. Die nächsten Sitzungen sind dann online geplant.
Wie haben Sie den Weg in die Medizin gefunden?
Eigentlich wollte ich nie wirklich in die Medizin gehen. Den Geisteswissenschaften, habe ich mich anfangs viel näher gefühlt. Ich habe damals meinen Zivildienst als Rettungssanitäter absolviert. In dieser Zeit ist mir bewusst geworden, dass Medizin die Lebenswelt von Menschen direkt verbessern kann. Ich wollte mir mehr Fähigkeiten aneignen, um aktiv helfen zu können. Daraufhin habe ich beschlossen, es mit einem Medizinstudium zu versuchen. Glücklicherweise habe ich einen Studienplatz bekommen. Während meines Studiums haben mich auch Auslandsaufenthalte wesentlich geprägt. Ich war in Mittelamerika und Südafrika. Danach habe ich noch einiges über Forschung dazugelernt. Eine wissenschaftliche Karriere war für mich zu Beginn meines Studiums noch gar nicht vorstellbar. Manchmal fühlt es sich noch immer ein bisschen unwirklich an, dort zu sein, wo ich gerade bin.
Haben Sie Tipps für zukünftige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler?
Für den Weg in die Wissenschaft benötigt es viel Ausdauer. Etwas, was nie vergessen werden darf, ist, dass es sich bei Wissenschaft um keinen 100-Meter-Lauf handelt, auch wenn es manchmal von außen so aussehen mag. Im Gegenteil, es ist oft ein Marathon. Es gibt immer neue Fragen. Das wichtigste, was man mitbringen sollte, ist Offenheit und Neugier. Es lohnt sich deshalb total, mit anderen Forscherinnen und Forschern zusammenzuarbeiten. Auch auf internationaler Ebene kann das sehr hilfreich sein. COVIDSurg ist das beste Beispiel dafür. Zudem sollte man auch über den eigenen Tellerrand hinausblicken wollen. Man sollte sich trauen, sich an einen Bereich zu wagen, der einem noch völlig unbekannt ist. Trotzdem sollte dann aber jeder, der Forschung betreibt, versuchen eine echte Expertin oder Experte auf seinem eigenen Forschungsgebiet zu werden. Um den passenden Bereich für sich zu finden, ist es aber wichtig, die richtigen Fragen zu stellen.